Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 LW 134/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 LW 39/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versäumt ein versicherter Landwirt die Frist zum Antrag auf Befreiung von der Versicherung, kann er verlangen, einen solchen Antrag trotz der Verfristung wirksam stellen zu dürfen, wenn er von der Befreiungsmöglichkeit nicht gewußt hat und wenn der Versicherungsträger alle betroffenen Versicherten außer ihm von der Befreiungsmöglichkeit gezielt informiert hat.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.03.1999 und der Bescheid der Beklagten vom 15.02.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.1996 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab 01.01. 1995 von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Altersversorgung zu befreien.
III. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 84 Abs.2 ALG ab 01.01.1995.
Der am 1953 geborene Kläger ist Arzt und seit 01.02.1979 Pflichtmitglied der Bayerischen Ärzteversorgung. Er war von Juli 1978 bis 24.04.1985 und vom 01.10.1988 bis 31.07.1992 landwirtschaftlicher Unternehmer. Entsprechend seiner Erklärung vom 05.11.1986 über die Weiterentrichtung von Beiträgen verpflichtete ihn die Beklagte mit Bescheid vom 02.02.1987 zur Beitragszahlung gemäß § 27 GAL ab 01.05.1985 bis zum 60. Lebensjahr.
Am 18.01.1996 beantragte der Kläger eine detaillierte Rentenberechnung, um über den Sinn einer weiteren freiwilligen Mitgliedschaft entscheiden zu können. Nach der Übersendung einer Rentenberechnung erklärte der Kläger am 01.02.1996, ab sofort keine Beiträge mehr zahlen zu wollen. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger am 15.02.1996 mit, er sei weiter gemäß § 27 GAL versicherungspflichtig, da er bis 31.12.1995 keinen Befreiungsantrag gestellt habe. Er sei über die Befristung der Befreiungsmöglichkeit rechtzeitig unterrichtet worden. Sie verwies hierzu auf eine beiliegende Kopie eines Aufklärungsschreibens an den Kläger über die Auswirkungen des ASRG ab 01.01.1995 und über die Befreiungsmöglichkeit für Weiterentrichter. Dieses Schreiben ist undatiert, ohne Absendevermerk und aktenmäßig vor einem Geschäftsvorgang am 01.09.1995 auf Bl.17 eingeheftet.
Gegen das ohne Rechtsmittelbelehrung versehene Schreiben vom 15.02.1996 legte der Kläger am 08.05.1996 mit der Begründung Widerspruch ein, das Aufklärungsschreiben nicht erhalten zu haben. Da die Beklagte gegen ihre Beratungspflicht verstoßen habe, unterliege der Kläger aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ab 01.01.1995 keiner Beitragsverpflichtung mehr. Das Aufklärungsschreiben sei im Übrigen nicht für den Einzelfall verwertbar und lasse eine Berücksichtigung der besonderen versicherungsrechtlichen Situation des Klägers vermissen, der Beiträge nur zur Aufrechterhaltung des Anspruchs weiterentrichtet habe. Dies sei der Beklagten auch bekannt gewesen. Im Widerspruchsbescheid vom 11.10.1996 heißt es, der Befreiungsantrag vom 01.02.1996 sei verspätet und das Aufklärungsschreiben ausreichend, nachdem eine individuelle Beratung nicht erforderlich gewesen sei.
Mit der am 28.10.96 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren auf Fortfall der Versicherungspflicht ab 01.01.1995, hilfsweise ab 01.02.1996 mit der Begründung weiter, er habe das Aufklärungsschreiben nicht erhalten, dessen Zugang von der Beklagten nachzuweisen sei. Die Beklagte hätte im Übrigen jedem freiwillig versicherten ehemaligen Landwirt unter Heranziehung und Benennung der persönlichen Daten eine Auskunft erteilen müssen.
Das Sozialgericht Landshut wies die Klage am 24.03.1999 ab. Es führte aus, selbst wenn die Beklagte ihre Aufklärungspflicht verletzt habe, bestünde kein Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten der Beklagten und der unterlassenen Antragstellung. Der Kläger habe den Befreiungsantrag vielmehr wegen der Auskunft über die Rentenhöhe gestellt; im Übrigen wäre kein Schaden entstanden, da der Beitragsverpflichtung eine Anwartschaft gegenüberstehe. Das Bundessozialgericht begrenze den Differenzschaden auf den rechtlich ersatzfähigen Schaden und werte die Entrichtung von Beiträgen nur dann als Schaden, wenn sie grob unwirtschaftlich seien. Dies sei nur der Fall, wenn durch die Zahlung der Beiträge die Leistung niedriger oder unerheblich höher werde. Eine derartige Unwirtschaftlichkeit könne vorliegend nicht gesehen werden. Im Übrigen werde durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Sachbearbeiter überfordert und die Verwaltungsarbeit unvertretbar erschwert.
Gegen das am 29.06.1999 zugestellte Urteil legte der Klägerbevollmächtigte am 29.07.1999 Berufung u.a. mit der Begründung ein, der Schaden für den Kläger bestehe darin, dass er Beiträge für eine wirtschaftlich uninteressante Alterssicherung entrichten müsse, obwohl er bereits über eine ausreichende anderweitige Alterssicherung verfüge. Ein Beratungsbegehren sei nicht notwendig, wenn die Beklagte auf naheliegende Gestaltungsmög- lichkeiten hinzuweisen habe, wie dies beim Kläger der Fall gewesen sei, dessen Hauptversorgung als Arzt der Beklagten bekannt gewesen sei. Die Kausalität zwischen der Aufklärungspflichtverletzung und der unterlassenen Antragstellung werde vom Sozialgericht ohne nachvollziehbare Begründung verneint.
Die Beklagte wandte ein, die Einstellung der Beitragszahlung sei keine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit, da damit der Anspruch auf die Erwerbsunfähigkeitsrente gewahrt werden könne. Eine Gesetzesänderung habe keine individuelle Beratungspflicht zur Folge und ihrer Aufklärungspflicht habe die Beklagte durch Übersendung des Informationsblattes im Januar 1995 an alle Weiterversicherten genügt. Auch seien im Mitteilungsblatt "Sicherheit für Haus und Hof" Ausgabe Nr.3/94 die notwendigen Informationen enthalten gewesen.
In der mündlichen Verhandlung am 18.10.2000 beantragt der Kläger,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.03.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 15.02.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Altersversorgung ab 01.01.1995 zu befreien.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.03.1999 ist ebenso aufzuheben wie der Bescheid der Beklagten vom 15.02.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.1996. Der Kläger hat Anspruch auf Befreiung von der landwirtschaftlichen Versicherungspflicht ab 01.01.1995.
Unstreitig gehörte der Kläger zu dem Personenkreis im Sinne des § 84 Abs.2 Satz 1 ALG, der am 31. Dezember 1994 unabhängig von einer Tätigkeit als Landwirt beitragspflichtig war. Nach der zweiten Streichung aus dem Unternehmerverzeichnis am 31.07.1992 war der Kläger entsprechend seiner Erklärung vom 05.11.1986 gemäß § 27 GAL versicherungspflichtig. Diese Erklärung war mit Bestandskraft des Verpflichtungsbescheids vom 02.02.1987 unbedingt wirksam geworden. Ebenso unstreitig hat der Kläger die in § 84 Abs.2 Satz 2 ALG genannte Befreiungsfrist versäumt. Seine Erklärung, ab sofort keine Beiträge mehr zahlen zu wollen, ist erst am 01.02.1996 bei der Beklagten eingegangen, also nach dem 31. Dezember 1995.
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 27 Abs.1 SGB X). § 27 gilt nach herrschender Ansicht nicht nur für Verfahrensfristen, sondern auch für materiell-rechtliche Fristen, und zwar auch für Ausschlussfristen (Krasney in KassKomm § 27 SGB X Rdz.3 m.w.N.). Bei der Frist des § 84 Abs.2 ALG handelt es sich um eine Frist des materiellen Sozialrechts. Auch ist in ihr ein Ausschluss der Wiedereinsetzung gemäß § 27 Abs.5 SGB X nicht ausdrücklich bestimmt, obwohl sich solche Ausschlussregelungen in manchen anderen Vorschriften der neueren Gesetzgebung finden (§ 85 Abs.3 Satz 3, § 85 Abs.4 Satz 2 ALG). Der Kläger macht geltend, die Frist deshalb versäumt zu haben, weil er von ihr nichts wusste. Die Unkenntnis von der Frist lässt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ihre Versäumung aber nicht als schuldlos erscheinen. Das Bundessozialgericht hat am 09.02.1993 (SozR 3 1300 § 27 SGB X Nr.3) entschieden, dass nach dem Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen für die Bekanntmachung von Gesetzen, die sich an einen unbestimmten Kreis von Personen richten, die Verkündung im Bundesgesetzblatt genügt. Mit der Verkündung gelten die Gesetze grundsätzlich allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie von ihnen tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Hiermit wäre es nicht vereinbar, wegen der Unkenntnis von einem gesetzlich eingeräumten und befristeten Recht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuzulassen. Denn dadurch wäre die Wirkung der Frist nicht mehr von der Bekanntgabe des Gesetzes und dem Fristlauf abhängig, sondern auch davon wesentlich beeinflusst, ob und wann der jeweilige Normadressat von der gesetzlichen Regelung Kenntnis erlangt hat. Dieses würde die Anwendung gesetzlich genau bestimmter Fristen einer weitgehenden Unsicherheit aussetzen.
Dem Kläger steht jedoch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu. Tatbestandsvoraussetzung hierfür ist, das ein Leistungsträger eine Pflichtverletzung begangen hat, die einen sozialrechtlichen Nachteil bewirkt hat, der gerade bei ordnungsgemäßer Pflichtverletzung vermieden werden hätte sollen (Urteil vom 15.12.1994 in SozR 3-2600 § 58 SGB VI Nr.2). Der auf Herstellung in Anspruch genommene Leistungsträger muss eine Pflicht aus seinem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis mit dem Anspruchsteller rechtswidrig nicht oder schlecht erfüllt haben. Diese Pflichtverletzung liegt darin, dass die Beklagte den Kläger nicht auf die Betroffenheit durch das ASRG hingewiesen hat. Zwar ist die entsprechende Aufklärung im notwendigen Umfang in dem auf Bl.17 der Beklagtenakten enthaltenen Schreiben beinhaltet. Dieses Schreiben ist jedoch nach der Behauptung des Klägers nicht zugegangen und es findet sich kein Indiz dafür, dass das Schreiben tatsächlich abgesandt worden ist. Auch trägt es keinen Datumsstempel. Daher kann die Beklagte der Behauptung des Klägers nicht wirksam entgegentreten. Die Tatsache, dass das Aufklärungsschreiben im Akt abgeheftet ist, beweist nicht, dass es tatsächlich abgesandt worden ist. Ein substantiiertes Bestreiten, das die Behauptung des Klägers entkräften könnte, ist der Beklagten also vorliegend nicht möglich.
Die Beklagte hatte zwar nicht die Pflicht, das strittige Aufklärungsschreiben zu übersenden. Weder § 14 noch § 15 SGB I besagen etwas über die Pflicht des Leistungsträgers, aufgrund eigener Initiative zu beraten. In entsprechender Anwendung des § 18 Satz 1 SGB X muss der Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen die Initiative in den Fällen ergreifen, in denen innerhalb eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses der Bürger von sich aus nicht eine Beratung veranlasst hat. Ausdrücklich geregelt ist diese Initiativverpflichtung nur im Zusammenhang mit Leistungsanträgen (§ 44 Abs.2 ALG). Bei Gestaltungsmöglichkeiten wird eine Beratung nur für notwendig erachtet, wenn sie klar zu Tage liegen und ihre Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, dass sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde (BSG vom 26.10.1994 in SozR 3-2200 § 14 SGB I Nr.16 m.w.N.). Da die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen ist, kann daraus keine Beratungspflicht der Beklagten im konkreten Fall abgeleitet werden. Die Weiterentrichtung von Beiträgen dient der Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente und der Erhöhung der Anwartschaft, so dass sie sich auch im Fall des Klägers nicht von vornherein verbietet.
Zu denken wäre an eine Beratungsverpflichtung bei Gesetzesänderungen mit schwerwiegenden Folgen, die für den Betroffenen schwer durchschaubar sind, von den Versicherungsträgern jedoch ohne Komplikationen zugeordnet werden können. Das ASRG verlieh dem Kläger ein befristetes Befreiungsrecht, das die Beitragsverpflichtung des damals 42-jährigen Klägers bis zu seinem 60. Lebensjahr betrifft. Das befristete Befreiungsrecht hatte also weitreichende Folgen für den Kläger. Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 28. März 2000 (B 10 LW 4/99 R) festgestellt hat, ist die Beitragspflicht in der Alterssicherung der Landwirte von Anfang an und nach wie vor von so vielen verschiedenartigen Voraussetzungen abhängig, dass es für Personen, die auf diesem Rechtsgebiet keine Erfahrung haben, schwierig ist zu erkennen, ob Beitragspflicht besteht oder nicht. Wie die tatsächliche Aufklärung der Weiterentrichter im Sinne des § 27 GAL vonseiten der Beklagten beweist, war den Versicherungsträgern die Zuordnung der relevanten Vorschriften auf den versicherten Kreis problemlos möglich. Demgegenüber kann auch der Versicherungsträger Befreiungsmöglichkeiten gemäß § 85 Abs.3 a ALG beispielsweise nur nach umfangreichem Aktenstudium bzw. zusätzlichen Ermittlungen erkennen. Zweifellos wären die Alterskassen hier überfordert gewesen, die betroffenen Landwirtsgattinnen zu ermitteln, die am 31.12.1994 mit einem zu diesem Zeitpunkt von der Beitragspflicht in der Altershilfe für Landwirte Befreiten verheiratet waren, der 1994 außerlandwirtschaftliches Einkommen von mehr als 40.000,00 DM erzielt hatte und dessen Unternehmen am 01.01.1995 einen Wirtschaftswert von 20.000,00 DM nicht überschritten hat (im gleichen Sinn Entscheidung des 16. Senats vom 24.02.1999 - L 16 LW 45/98). Weil der Versicherungsträger aber überfordert wäre, andere als "offensichtlich" Betroffene zu beraten, liefe eine Beratungsverpflichtung auf eine Benachteiligung derjenigen hinaus, deren Betroffenheit besonders schwer feststellbar ist.
Unstreitig hat die Beklagte alle Weiterversicherten über die für sie relevante Gesetzesänderung unterrichet. Mangels Beratungsverpflichtung hat sie also mit ihren EDV-mäßig erstellten Schreiben ihre Betreuungspflicht übererfüllt. Dem Kläger gegenüber hat sie sich in diesem Zusammenhang aber nicht pflichtgemäß verhalten. Der in Art.3 Abs.1 Grundgesetz zum Ausdruck gekommene Gleichheitssatz verlangt, dass eine gesetzesfreie Verwaltungsübung keine besonderen Abweichungen duldet. Der Gleichheitssatz verlangt, dass die Verwaltung ihr Ermessen gleichmäßig ausübt. Unter Hinweis auf das Gleichhandlungsgebot kann ein Betroffener Abweichungen von der ständigen Verwaltungspraxis mit der Behauptung geltend machen, andere in gleicher Lage befindliche Bürger hätten bereits entsprechend der Verwaltungsübung bestimmte Vergünstigungen erhalten (Ossenbühl in Allgemeines Verwaltungsrecht, H.-U. Erichsen und W.Martens, 7.Aufl., S.92). Wenn die Beklagte Weiterversicherte ohne gesetzliche Verpflichtung individuell aufklärte, musste sie diese Betreuungsleistung allen Weiterversicherten gewähren. Dies war sicher auch die Absicht der Beklagten. Ob ihre entsprechende Benachrichtigung tatsächlich an den Kläger abgesandt worden ist bzw. wann dies erfolgt ist, ist in diesem Einzelfall jedoch nicht erwiesen.
Die fehlende Unterrichtung des Klägers über die Betroffenheit durch das ASRG und die Befristung der Befreiungsmöglichkeit war ursächlich dafür, dass der Kläger den Befreiungsantrag nicht fristgerecht gestellt hat. Es ist dem Kläger nicht zu widerlegen, dass er vor dem Zugang des Schreibens der Beklagten vom 15.02.1996 keine positive Kenntnis von der ab 01.01.1995 bis 31.12.1995 bestehenden Befreiungsmöglichkeit hatte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger die sonstigen Möglichkeiten zur Aufklärung und Information grob fahrlässig nicht genutzt hat und deshalb das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten für den Herstellungsanspruch eventuell unbeachtlich geworden wäre. Im Informationsblatt der Beklagten "Sicherheit für Haus und Hof" Ausgabe Nr.3/94 ist aufgrund der Vielfalt der dargestellten Regelung die Befristung der Befreiungsmöglichkeit für den weiterversicherten Laien nur schwer erkennbar. Eine sinnvolle Information über den Lauf einer Frist hat im Übrigen nicht Monate vor Beginn, sondern während ihres Laufes zu erfolgen. Zwar hat der Kläger den Befreiungsantrag sofort nach Zugang der am 18.01.1996 erbetenen Rentenberechnung gestellt. Bei Kenntnis der Befristung hätte der Kläger jedoch eher Aufklärung über die Rentenhöhe begehrt, die ihn schließlich zum Befreiungsantrag veranlasste.
Nicht gefolgt werden kann der Ansicht des Erstinstanzgerichts, mangels eines Schadens komme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch von vornherein nicht in Betracht. Der dort dargestellte Schadensbegriff mag im Zusammenhang mit § 839 BGB relevant sein, für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch genügt jedoch der Verlust der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit, die einen vermögenswerten Nachteil bedeutet. Anerkannte Rechtsfolge einer behördlichen Verletzung von Nebenpflichten ist daher, dass versäumte Erklärungen des Versicherten als rechtzeitig und ordnungsgemäß gelten (vgl. etwa BSG SozR 4100 § 14 Nr.28). In den vom Erstgericht zitierten BSG-Entscheidungen ging es auch nicht um den Ausgleich eines Schadens wegen Nichtausübung eines Gestaltungsrechts, sondern wegen Nachentrichtung zu hoher Versicherungsbeiträge infolge unzureichender Beratung, also wegen der Art der Wahrnehmung eines Gestaltungsrechts. Dass hierbei schon bei der Prüfung der Beratungspflicht wegen der Notwendigkeit einer naheliegenden und günstigen Gestaltungsmöglichkeit die grobe Unwirtschaftlichkeit von zu hohen Beiträgen eine Rolle spielt, versteht sich von selbst.
Da der Kläger seinen Befreiungsantrag innerhalb eines Jahres nach Fristablauf am 31.12.1995 gestellt hat, erübrigt sich eine Stellungnahme dazu, ob ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch nach Ablauf des Jahresfrist zu bejahen wäre. In der in § 27 Abs.3 SGB X geregelten und bei der Nachsichtgewährung entsprechend anwendbaren Jahresfrist, die für die Nachholung von versäumten Handlungen eine zeitliche Grenze setzt, kommt eine allgemeine gesetzgeberische Bewertung zum Ausdruck, welcher eine sachgerechte Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Individualinteresse zugrunde liegt (vgl. dazu BSG SozR 5750 Art.2 § 51 a Nr.49 S.99).
Die Berufung ist daher in vollem Umfang erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf 193 SGG.
Anhaltspunkte dafür, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab 01.01. 1995 von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Altersversorgung zu befreien.
III. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 84 Abs.2 ALG ab 01.01.1995.
Der am 1953 geborene Kläger ist Arzt und seit 01.02.1979 Pflichtmitglied der Bayerischen Ärzteversorgung. Er war von Juli 1978 bis 24.04.1985 und vom 01.10.1988 bis 31.07.1992 landwirtschaftlicher Unternehmer. Entsprechend seiner Erklärung vom 05.11.1986 über die Weiterentrichtung von Beiträgen verpflichtete ihn die Beklagte mit Bescheid vom 02.02.1987 zur Beitragszahlung gemäß § 27 GAL ab 01.05.1985 bis zum 60. Lebensjahr.
Am 18.01.1996 beantragte der Kläger eine detaillierte Rentenberechnung, um über den Sinn einer weiteren freiwilligen Mitgliedschaft entscheiden zu können. Nach der Übersendung einer Rentenberechnung erklärte der Kläger am 01.02.1996, ab sofort keine Beiträge mehr zahlen zu wollen. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger am 15.02.1996 mit, er sei weiter gemäß § 27 GAL versicherungspflichtig, da er bis 31.12.1995 keinen Befreiungsantrag gestellt habe. Er sei über die Befristung der Befreiungsmöglichkeit rechtzeitig unterrichtet worden. Sie verwies hierzu auf eine beiliegende Kopie eines Aufklärungsschreibens an den Kläger über die Auswirkungen des ASRG ab 01.01.1995 und über die Befreiungsmöglichkeit für Weiterentrichter. Dieses Schreiben ist undatiert, ohne Absendevermerk und aktenmäßig vor einem Geschäftsvorgang am 01.09.1995 auf Bl.17 eingeheftet.
Gegen das ohne Rechtsmittelbelehrung versehene Schreiben vom 15.02.1996 legte der Kläger am 08.05.1996 mit der Begründung Widerspruch ein, das Aufklärungsschreiben nicht erhalten zu haben. Da die Beklagte gegen ihre Beratungspflicht verstoßen habe, unterliege der Kläger aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ab 01.01.1995 keiner Beitragsverpflichtung mehr. Das Aufklärungsschreiben sei im Übrigen nicht für den Einzelfall verwertbar und lasse eine Berücksichtigung der besonderen versicherungsrechtlichen Situation des Klägers vermissen, der Beiträge nur zur Aufrechterhaltung des Anspruchs weiterentrichtet habe. Dies sei der Beklagten auch bekannt gewesen. Im Widerspruchsbescheid vom 11.10.1996 heißt es, der Befreiungsantrag vom 01.02.1996 sei verspätet und das Aufklärungsschreiben ausreichend, nachdem eine individuelle Beratung nicht erforderlich gewesen sei.
Mit der am 28.10.96 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren auf Fortfall der Versicherungspflicht ab 01.01.1995, hilfsweise ab 01.02.1996 mit der Begründung weiter, er habe das Aufklärungsschreiben nicht erhalten, dessen Zugang von der Beklagten nachzuweisen sei. Die Beklagte hätte im Übrigen jedem freiwillig versicherten ehemaligen Landwirt unter Heranziehung und Benennung der persönlichen Daten eine Auskunft erteilen müssen.
Das Sozialgericht Landshut wies die Klage am 24.03.1999 ab. Es führte aus, selbst wenn die Beklagte ihre Aufklärungspflicht verletzt habe, bestünde kein Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten der Beklagten und der unterlassenen Antragstellung. Der Kläger habe den Befreiungsantrag vielmehr wegen der Auskunft über die Rentenhöhe gestellt; im Übrigen wäre kein Schaden entstanden, da der Beitragsverpflichtung eine Anwartschaft gegenüberstehe. Das Bundessozialgericht begrenze den Differenzschaden auf den rechtlich ersatzfähigen Schaden und werte die Entrichtung von Beiträgen nur dann als Schaden, wenn sie grob unwirtschaftlich seien. Dies sei nur der Fall, wenn durch die Zahlung der Beiträge die Leistung niedriger oder unerheblich höher werde. Eine derartige Unwirtschaftlichkeit könne vorliegend nicht gesehen werden. Im Übrigen werde durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Sachbearbeiter überfordert und die Verwaltungsarbeit unvertretbar erschwert.
Gegen das am 29.06.1999 zugestellte Urteil legte der Klägerbevollmächtigte am 29.07.1999 Berufung u.a. mit der Begründung ein, der Schaden für den Kläger bestehe darin, dass er Beiträge für eine wirtschaftlich uninteressante Alterssicherung entrichten müsse, obwohl er bereits über eine ausreichende anderweitige Alterssicherung verfüge. Ein Beratungsbegehren sei nicht notwendig, wenn die Beklagte auf naheliegende Gestaltungsmög- lichkeiten hinzuweisen habe, wie dies beim Kläger der Fall gewesen sei, dessen Hauptversorgung als Arzt der Beklagten bekannt gewesen sei. Die Kausalität zwischen der Aufklärungspflichtverletzung und der unterlassenen Antragstellung werde vom Sozialgericht ohne nachvollziehbare Begründung verneint.
Die Beklagte wandte ein, die Einstellung der Beitragszahlung sei keine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit, da damit der Anspruch auf die Erwerbsunfähigkeitsrente gewahrt werden könne. Eine Gesetzesänderung habe keine individuelle Beratungspflicht zur Folge und ihrer Aufklärungspflicht habe die Beklagte durch Übersendung des Informationsblattes im Januar 1995 an alle Weiterversicherten genügt. Auch seien im Mitteilungsblatt "Sicherheit für Haus und Hof" Ausgabe Nr.3/94 die notwendigen Informationen enthalten gewesen.
In der mündlichen Verhandlung am 18.10.2000 beantragt der Kläger,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.03.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 15.02.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Altersversorgung ab 01.01.1995 zu befreien.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.03.1999 ist ebenso aufzuheben wie der Bescheid der Beklagten vom 15.02.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.1996. Der Kläger hat Anspruch auf Befreiung von der landwirtschaftlichen Versicherungspflicht ab 01.01.1995.
Unstreitig gehörte der Kläger zu dem Personenkreis im Sinne des § 84 Abs.2 Satz 1 ALG, der am 31. Dezember 1994 unabhängig von einer Tätigkeit als Landwirt beitragspflichtig war. Nach der zweiten Streichung aus dem Unternehmerverzeichnis am 31.07.1992 war der Kläger entsprechend seiner Erklärung vom 05.11.1986 gemäß § 27 GAL versicherungspflichtig. Diese Erklärung war mit Bestandskraft des Verpflichtungsbescheids vom 02.02.1987 unbedingt wirksam geworden. Ebenso unstreitig hat der Kläger die in § 84 Abs.2 Satz 2 ALG genannte Befreiungsfrist versäumt. Seine Erklärung, ab sofort keine Beiträge mehr zahlen zu wollen, ist erst am 01.02.1996 bei der Beklagten eingegangen, also nach dem 31. Dezember 1995.
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 27 Abs.1 SGB X). § 27 gilt nach herrschender Ansicht nicht nur für Verfahrensfristen, sondern auch für materiell-rechtliche Fristen, und zwar auch für Ausschlussfristen (Krasney in KassKomm § 27 SGB X Rdz.3 m.w.N.). Bei der Frist des § 84 Abs.2 ALG handelt es sich um eine Frist des materiellen Sozialrechts. Auch ist in ihr ein Ausschluss der Wiedereinsetzung gemäß § 27 Abs.5 SGB X nicht ausdrücklich bestimmt, obwohl sich solche Ausschlussregelungen in manchen anderen Vorschriften der neueren Gesetzgebung finden (§ 85 Abs.3 Satz 3, § 85 Abs.4 Satz 2 ALG). Der Kläger macht geltend, die Frist deshalb versäumt zu haben, weil er von ihr nichts wusste. Die Unkenntnis von der Frist lässt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ihre Versäumung aber nicht als schuldlos erscheinen. Das Bundessozialgericht hat am 09.02.1993 (SozR 3 1300 § 27 SGB X Nr.3) entschieden, dass nach dem Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen für die Bekanntmachung von Gesetzen, die sich an einen unbestimmten Kreis von Personen richten, die Verkündung im Bundesgesetzblatt genügt. Mit der Verkündung gelten die Gesetze grundsätzlich allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie von ihnen tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Hiermit wäre es nicht vereinbar, wegen der Unkenntnis von einem gesetzlich eingeräumten und befristeten Recht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuzulassen. Denn dadurch wäre die Wirkung der Frist nicht mehr von der Bekanntgabe des Gesetzes und dem Fristlauf abhängig, sondern auch davon wesentlich beeinflusst, ob und wann der jeweilige Normadressat von der gesetzlichen Regelung Kenntnis erlangt hat. Dieses würde die Anwendung gesetzlich genau bestimmter Fristen einer weitgehenden Unsicherheit aussetzen.
Dem Kläger steht jedoch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu. Tatbestandsvoraussetzung hierfür ist, das ein Leistungsträger eine Pflichtverletzung begangen hat, die einen sozialrechtlichen Nachteil bewirkt hat, der gerade bei ordnungsgemäßer Pflichtverletzung vermieden werden hätte sollen (Urteil vom 15.12.1994 in SozR 3-2600 § 58 SGB VI Nr.2). Der auf Herstellung in Anspruch genommene Leistungsträger muss eine Pflicht aus seinem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis mit dem Anspruchsteller rechtswidrig nicht oder schlecht erfüllt haben. Diese Pflichtverletzung liegt darin, dass die Beklagte den Kläger nicht auf die Betroffenheit durch das ASRG hingewiesen hat. Zwar ist die entsprechende Aufklärung im notwendigen Umfang in dem auf Bl.17 der Beklagtenakten enthaltenen Schreiben beinhaltet. Dieses Schreiben ist jedoch nach der Behauptung des Klägers nicht zugegangen und es findet sich kein Indiz dafür, dass das Schreiben tatsächlich abgesandt worden ist. Auch trägt es keinen Datumsstempel. Daher kann die Beklagte der Behauptung des Klägers nicht wirksam entgegentreten. Die Tatsache, dass das Aufklärungsschreiben im Akt abgeheftet ist, beweist nicht, dass es tatsächlich abgesandt worden ist. Ein substantiiertes Bestreiten, das die Behauptung des Klägers entkräften könnte, ist der Beklagten also vorliegend nicht möglich.
Die Beklagte hatte zwar nicht die Pflicht, das strittige Aufklärungsschreiben zu übersenden. Weder § 14 noch § 15 SGB I besagen etwas über die Pflicht des Leistungsträgers, aufgrund eigener Initiative zu beraten. In entsprechender Anwendung des § 18 Satz 1 SGB X muss der Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen die Initiative in den Fällen ergreifen, in denen innerhalb eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses der Bürger von sich aus nicht eine Beratung veranlasst hat. Ausdrücklich geregelt ist diese Initiativverpflichtung nur im Zusammenhang mit Leistungsanträgen (§ 44 Abs.2 ALG). Bei Gestaltungsmöglichkeiten wird eine Beratung nur für notwendig erachtet, wenn sie klar zu Tage liegen und ihre Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, dass sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde (BSG vom 26.10.1994 in SozR 3-2200 § 14 SGB I Nr.16 m.w.N.). Da die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen ist, kann daraus keine Beratungspflicht der Beklagten im konkreten Fall abgeleitet werden. Die Weiterentrichtung von Beiträgen dient der Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente und der Erhöhung der Anwartschaft, so dass sie sich auch im Fall des Klägers nicht von vornherein verbietet.
Zu denken wäre an eine Beratungsverpflichtung bei Gesetzesänderungen mit schwerwiegenden Folgen, die für den Betroffenen schwer durchschaubar sind, von den Versicherungsträgern jedoch ohne Komplikationen zugeordnet werden können. Das ASRG verlieh dem Kläger ein befristetes Befreiungsrecht, das die Beitragsverpflichtung des damals 42-jährigen Klägers bis zu seinem 60. Lebensjahr betrifft. Das befristete Befreiungsrecht hatte also weitreichende Folgen für den Kläger. Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 28. März 2000 (B 10 LW 4/99 R) festgestellt hat, ist die Beitragspflicht in der Alterssicherung der Landwirte von Anfang an und nach wie vor von so vielen verschiedenartigen Voraussetzungen abhängig, dass es für Personen, die auf diesem Rechtsgebiet keine Erfahrung haben, schwierig ist zu erkennen, ob Beitragspflicht besteht oder nicht. Wie die tatsächliche Aufklärung der Weiterentrichter im Sinne des § 27 GAL vonseiten der Beklagten beweist, war den Versicherungsträgern die Zuordnung der relevanten Vorschriften auf den versicherten Kreis problemlos möglich. Demgegenüber kann auch der Versicherungsträger Befreiungsmöglichkeiten gemäß § 85 Abs.3 a ALG beispielsweise nur nach umfangreichem Aktenstudium bzw. zusätzlichen Ermittlungen erkennen. Zweifellos wären die Alterskassen hier überfordert gewesen, die betroffenen Landwirtsgattinnen zu ermitteln, die am 31.12.1994 mit einem zu diesem Zeitpunkt von der Beitragspflicht in der Altershilfe für Landwirte Befreiten verheiratet waren, der 1994 außerlandwirtschaftliches Einkommen von mehr als 40.000,00 DM erzielt hatte und dessen Unternehmen am 01.01.1995 einen Wirtschaftswert von 20.000,00 DM nicht überschritten hat (im gleichen Sinn Entscheidung des 16. Senats vom 24.02.1999 - L 16 LW 45/98). Weil der Versicherungsträger aber überfordert wäre, andere als "offensichtlich" Betroffene zu beraten, liefe eine Beratungsverpflichtung auf eine Benachteiligung derjenigen hinaus, deren Betroffenheit besonders schwer feststellbar ist.
Unstreitig hat die Beklagte alle Weiterversicherten über die für sie relevante Gesetzesänderung unterrichet. Mangels Beratungsverpflichtung hat sie also mit ihren EDV-mäßig erstellten Schreiben ihre Betreuungspflicht übererfüllt. Dem Kläger gegenüber hat sie sich in diesem Zusammenhang aber nicht pflichtgemäß verhalten. Der in Art.3 Abs.1 Grundgesetz zum Ausdruck gekommene Gleichheitssatz verlangt, dass eine gesetzesfreie Verwaltungsübung keine besonderen Abweichungen duldet. Der Gleichheitssatz verlangt, dass die Verwaltung ihr Ermessen gleichmäßig ausübt. Unter Hinweis auf das Gleichhandlungsgebot kann ein Betroffener Abweichungen von der ständigen Verwaltungspraxis mit der Behauptung geltend machen, andere in gleicher Lage befindliche Bürger hätten bereits entsprechend der Verwaltungsübung bestimmte Vergünstigungen erhalten (Ossenbühl in Allgemeines Verwaltungsrecht, H.-U. Erichsen und W.Martens, 7.Aufl., S.92). Wenn die Beklagte Weiterversicherte ohne gesetzliche Verpflichtung individuell aufklärte, musste sie diese Betreuungsleistung allen Weiterversicherten gewähren. Dies war sicher auch die Absicht der Beklagten. Ob ihre entsprechende Benachrichtigung tatsächlich an den Kläger abgesandt worden ist bzw. wann dies erfolgt ist, ist in diesem Einzelfall jedoch nicht erwiesen.
Die fehlende Unterrichtung des Klägers über die Betroffenheit durch das ASRG und die Befristung der Befreiungsmöglichkeit war ursächlich dafür, dass der Kläger den Befreiungsantrag nicht fristgerecht gestellt hat. Es ist dem Kläger nicht zu widerlegen, dass er vor dem Zugang des Schreibens der Beklagten vom 15.02.1996 keine positive Kenntnis von der ab 01.01.1995 bis 31.12.1995 bestehenden Befreiungsmöglichkeit hatte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger die sonstigen Möglichkeiten zur Aufklärung und Information grob fahrlässig nicht genutzt hat und deshalb das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten für den Herstellungsanspruch eventuell unbeachtlich geworden wäre. Im Informationsblatt der Beklagten "Sicherheit für Haus und Hof" Ausgabe Nr.3/94 ist aufgrund der Vielfalt der dargestellten Regelung die Befristung der Befreiungsmöglichkeit für den weiterversicherten Laien nur schwer erkennbar. Eine sinnvolle Information über den Lauf einer Frist hat im Übrigen nicht Monate vor Beginn, sondern während ihres Laufes zu erfolgen. Zwar hat der Kläger den Befreiungsantrag sofort nach Zugang der am 18.01.1996 erbetenen Rentenberechnung gestellt. Bei Kenntnis der Befristung hätte der Kläger jedoch eher Aufklärung über die Rentenhöhe begehrt, die ihn schließlich zum Befreiungsantrag veranlasste.
Nicht gefolgt werden kann der Ansicht des Erstinstanzgerichts, mangels eines Schadens komme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch von vornherein nicht in Betracht. Der dort dargestellte Schadensbegriff mag im Zusammenhang mit § 839 BGB relevant sein, für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch genügt jedoch der Verlust der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit, die einen vermögenswerten Nachteil bedeutet. Anerkannte Rechtsfolge einer behördlichen Verletzung von Nebenpflichten ist daher, dass versäumte Erklärungen des Versicherten als rechtzeitig und ordnungsgemäß gelten (vgl. etwa BSG SozR 4100 § 14 Nr.28). In den vom Erstgericht zitierten BSG-Entscheidungen ging es auch nicht um den Ausgleich eines Schadens wegen Nichtausübung eines Gestaltungsrechts, sondern wegen Nachentrichtung zu hoher Versicherungsbeiträge infolge unzureichender Beratung, also wegen der Art der Wahrnehmung eines Gestaltungsrechts. Dass hierbei schon bei der Prüfung der Beratungspflicht wegen der Notwendigkeit einer naheliegenden und günstigen Gestaltungsmöglichkeit die grobe Unwirtschaftlichkeit von zu hohen Beiträgen eine Rolle spielt, versteht sich von selbst.
Da der Kläger seinen Befreiungsantrag innerhalb eines Jahres nach Fristablauf am 31.12.1995 gestellt hat, erübrigt sich eine Stellungnahme dazu, ob ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch nach Ablauf des Jahresfrist zu bejahen wäre. In der in § 27 Abs.3 SGB X geregelten und bei der Nachsichtgewährung entsprechend anwendbaren Jahresfrist, die für die Nachholung von versäumten Handlungen eine zeitliche Grenze setzt, kommt eine allgemeine gesetzgeberische Bewertung zum Ausdruck, welcher eine sachgerechte Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Individualinteresse zugrunde liegt (vgl. dazu BSG SozR 5750 Art.2 § 51 a Nr.49 S.99).
Die Berufung ist daher in vollem Umfang erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf 193 SGG.
Anhaltspunkte dafür, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
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