Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 18 P 77/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 1/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20.12.2000 aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Der Kläger hatte im Juni 1997 nach einer Bypass-Operation unter dem Datum vom 30.06.1997 einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung gestellt. Nach Ablehnung durch die Beklagte auf der Grundlage eines Gutachtens des MDK wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Regensburg. Die von diesem beauftragte Sachverständige Dr. N. ermittelte in ihrem Gutachten vom 12.01.2000 für den Zeitraum vom 30.06.1997 bis 31.10.1997 im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten im Tagesdurchschnitt; für den Zeitraum danach habe sich eine verbindliche Feststellung nicht treffen lassen; anzunehmen sei, dass ein gewisser, jedoch abnehmender Hilfebedarf bei der Körperwäsche, beim An- und Auskleiden sowie beim Gehen weiterhin gegeben gewesen sei. Angesichts der aktenkundigen Befundlage, der ärztlicherseits bestätigten Symptomatik und der Eigenangaben des Klägers zum damaligen Beschwerdebild sei davon auszugehen, dass der damalige Hilfebedarf aus dem Zustand nach coronarer Bypass-Operation mit sekundär verheilter Sterneotomienarbe bei röntgenologischen Hinweisen auf Einschmelzungen in der Umgebung der Cerclagen, mit entsprechenden anfänglichen Ruheschmerzen und im weiteren Verlauf persistierender Bewegungsschmerzhaftigkeit im Thoraxbereich, mit zunächst massiv erhöhten Entzündungsparametern, Anämie und deutlich reduziertem Allgemeinzustand zumindest bis zur Abheilung im August 1997 und einer nur zögernden Remobilisierung des Klägers bei hypotoner Kreislaufsituation mit wohl orthostatisch bedingten Schwindelanfällen und einer teilweise hierdurch, teilweise durch die ärztlicherseits bestätigte diabetische Polyneuropathie und den Zustand nach Vorfußamputation links bedingten Gangunsicherheit bzw. Geh- und Stehbehinderung resultierte. Infolgedessen seien die Beweisfragen dahin zu beantworten, dass unter Würdigung aller aktenkundigen Informationen und der Eigenmitteilungen des Klägers selbst von der Antragstellung an bis mindestens einschließlich Oktober 1997 die Notwendigkeit einer Hilfe bei der Körperwäsche zunächst in Gestalt von Übernahme, im weiteren Verlauf von Unterstützung und Teilübernahme bestanden habe, außerdem fallweise bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, in Gestalt von Unterstützung beim Aufstehen und Zubettgehen, in Gestalt von zunächst völliger, sodann teilweiser Übernahme beim An- und Auskleiden, beim Stehen, beim Gehen und in der hauswirtschaftlichen Versorgung. Dem dem Gutachten beigefügten Fragebogen zur Erfassung des Hilfebedarfs ist unter der handschriftlichen Bemerkung der Sachverständigen "ab Antragstellung bis ca. 31.10.1997" zu entnehmen, dass der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege im Tagesdurchschnitt zunächst 69 Minuten betragen habe. Der Zeitaufwand für die erforderlichen Verrichtungen, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Person benötigt, habe ab 30.06.1997 bis einschließlich Oktober 1997 mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens 45 Minuten entfallen seien; bei kontinuierlicher Besserung der Gesamtsituation könne gleichwohl eine verbindliche Beurteilung für die Zeit nach Oktober 1997 nicht gegeben werden bzw. nicht beurteilt werden, wann konkret die Grenze des für die Pflegestufe I der gesetzlichen Pflegeversicherung geforderten Zeitwertes von 45 Minuten im Bereich der Grundpflege unterschritten worden sei. Anamnestisch werde eine Besserung der Gesamtsituation seit Januar 1998 mit von diesem Zeitpunkt an nahezu völliger Selbständigkeit bei grundpflegerischen Verrichtungen bestätigt; der behandelnde Arzt nenne eine Gewichtszunahme wohl als Hinweis auf eine klinische Besserung ebenfalls im Oktober 1997.
Nachdem ein gerichtlicher Vergleich, in welchem die Beklagte sich verpflichtet hatte, dem Kläger Pflegegeld nach der Pflegstufe I für die Zeit vom 30.06.1997 bis 31.10.1997 zu gewähren, von dieser widerrufen worden war, verurteilte das Sozialgericht die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2000, dem Kläger für den genannten Zeitraum Pflegegeld nach der Pflegestufe I der gesetzlichen Pflegeversicherung zu zahlen. Die Pflegebedürftigkeit bestehe nicht erst nach Ablauf der sechsmonatigen Spanne des § 14 SGB XI, sondern vom Beginn des Vorliegens der die Pflegebedürftigkeit in der Sache begründenden Tatbestandsmerkmale an, sofern nicht vorhersehbar sei, dass die bestehende Hilfebedürftigkeit weniger als sechs Monate lang bestehen würde. Dafür, dass nach vorausschauender Betrachtung von einem Entfallen der Hilfebedürftigkeit des Klägers vor Ablauf von sechs Monaten auszugehen gewesen sei, habe das Gericht keine Anhaltspunkte gehabt
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Zur Begründung hat sie u.a. vorgetragen, wenn sich bei einer retrospektiven Betrachtung herausstelle, dass die Pflegebedürftigkeit tatsächlich weniger als sechs Monate bestanden habe, bestehe kein Anspruch auf die Leistung. Dies müsse insbesondere dann gelten, wenn wie hier eine Pflegebedürftigkeit durch den Erstgutachter aufgrund der nicht ausreichenden Pflegezeit verneint werde und daher über die Frage der Dauerhaftigkeit zwangsläufig keine Prognose gestellt werde.
Die Beklagte beantragt daher,
die Klage unter Aufhebung des Gerichtsbescheides abzuweisen.
Demgegenüber beantragt der Kläger,
die Berufung zurückzuweisen.
Er beruft sich dabei auf den Sachvortrag in der Vorinstanz, insbesondere darauf, dass er dem Vergleich seinerseits nur zugestimmt habe, weil er den Rechtsstreit habe beenden wollen, und dass er nach wie vor der Meinung sei, dass sein Hilfebedarf weit länger über dem für die Pflegestufe I erforderlichen Wert gelegen habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids sowie auf die dort angeführten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Gerichtsbescheid ist zu beanstanden. Das Erstgericht hat dem Kläger zu Unrecht Pflegegeld nach der Pflegestufe I der gesetzlichen Pflegeversicherung (§§ 14, 15 SGB XI) zugesprochen. Dem Kläger stehen Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht zu.
Nach § 14 Abs. 1 SGB XI setzt die Feststellung von Pflegebedürftigkeit u.a. voraus, dass deren Tatbestandsmerkmale in der Sache "voraussichtlich für mindestens sechs Monate" bestanden haben. Dieses Voraussetzung ist nicht erfüllt. Es hat eine Prognose dahin, dass die Pflegebedürftigkeit des Klägers wenigstens sechs Monate Bestand haben würde, zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Insbesondere dem Gutachten der Frau Dr. N. kann nicht entnommen werden, dass im Zeitpunkt des Beginns der Pflegebedürftigkeit des Klägers im Sommer 1997 eine solche Prognose hätte abgegeben werden können.
Der Wortlaut der Bestimmung des § 14 Abs. 1 SGB XI macht deutlich, dass die Entscheidung über die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und damit über die Bewilligung von Pflegegeld auf der Basis einer Prognose ("voraussichtlich ...") zu erfolgen hat. Damit ist einerseits festgelegt, dass nicht jeder Fall, in welchem sich am Ende ein kürzerer Zeitraum eines Vorliegens der Tatbestandsmerkmale in der Sache ergibt, zur Unrichtigkeit einer vorangegangenen Bewilligung von Pflegeleistungen führt. Denn hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er auf das Tatbestandsmerkmal "voraussichtlich" verzichten können. Denn es gehört zur Natur einer Prognose, dass sie sich im Nachhinein auch als unzutreffend erweisen kann (vgl. insbesondere Udsching SGB XI, 2. Aufl. § 14 Rn. 5; BSG Urteil vom 19.02.1998, B 3 P 7/97 R in Breithaupt 1999, 29, 36 zum Problem der Sechsmonatsfrist bei der Höherstufung von Pflegestufe II nach Pflegestufe III).
Andererseits ist damit aber auch festgelegt, dass die Bewilligung von Pflegegeld immer nur bei Vorliegen einer derartigen Prognose zulässig ist. In der Praxis stellt dies kein besonderes Erschwernis dar, weil der Fortbestand der Pflegebedürftigkeit über einen längeren Zeitraum als sechs Monate in den meisten Fällen offensichtlich ist, sofern dieser Zeitraum im Zeitpunkt der Entscheidung nicht ohnehin bereits verstrichen ist.
Damit ist jedoch noch nicht geklärt, welche Voraussetzungen an eine solche Prognose zu stellen sind. Jedenfalls kann festgehalten werden, dass das Erfordernis der Prognose nicht zur Umkehr der Beweislast führt. Dies würde nämlich bedeuten, dass schon dann Pflegegeld zu zahlen wäre, wenn nur am Anfang des betreffenden Zeitraumes mit Sicherheit von einem Vorliegen der Pflegebedürftigkeit ausgegangen werden könnte, ohne dass zugleich gesagt werden könnte, ob dieser Zustand die Dauer von sechs Monaten erreichen werde oder nicht. Eine solche Lösung ist von dem in § 14 Abs. 1 SGB XI verwendeten Tatbestandsmerkmal "voraussichtlich" nicht gedeckt; vielmehr liegt in diesem Falle gerade keine Prognose dahin vor, dass die Pflegebedürftigkeit wenigstens sechs Monate andauern werde. Für eine Prognose ist vielmehr in jedem Falle zu fordern, dass noch vor Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 14 Abs. 1 SGB XI objektive Umstände vorgelegen haben, aus denen im konkreten Fall die Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden könnte, die Hilfebedürftigkeit werde länger als sechs Monate anhalten. Dies trifft hier aber nicht zu. Denn die Sachverständige Frau Dr. N. hat am Ende ihres Gutachtens hervorgehoben, eine konkrete zeitliche Angabe, ab wann von einer geringeren Hilfebedürftigkeit als im Umfang von mehr als 45 Minuten ausgegangen werden müsse, könne nicht gemacht werden. Darüber hinaus hat sie ausgeführt, der behandelnde Arzt habe eine Gewichtszunahme wohl als Hinweis auf eine klinische Besserung bereits für den Oktober 1997 genannt. Mit diesen Feststellungen hat sie zugleich deutlich gemacht, dass zu keinem Zeitpunkt gesagt werden konnte, dass die Pflegebedürftigkeit des Klägers im Sinne des SGB XI nicht schon vor Ablauf von sechs Monaten unter die für die Pflegestufe I maßgebende Schwelle absinken würde. Zugleich hat sie keine Umstände beschrieben, die hier auf eine über mindestens sechs Monate anhaltende Pflegebedürftigkeit hinweisen würden, sondern durch die Einbeziehung der Angabe des behandelnden Arztes gerade auch darauf hin gewiesen, dass es sich beim Kläger nicht um den typischen Fall der Pflegebedürftigkeit gehandelt hat, sondern um einen wenn auch verzögerten Heilungsverlauf nach einer schweren Operation.
Damit ist deutlich geworden, dass objektive Umstände, aus denen sich im konkreten Fall die Wahrscheinlichkeit ableiten lässt, die Hilfebedürftigkeit werde länger als sechs Monate anhalten, gerade nicht vorgelegen haben. Für die von § 14 Abs. 1 SGB XI geforderte Prognose haben daher von Anfang an die Grundlagen gefehlt.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 193, 202 SGG in Verbindung mit §§ 91 ff. ZPO. Ein Grund für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 SGG besteht nicht.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Der Kläger hatte im Juni 1997 nach einer Bypass-Operation unter dem Datum vom 30.06.1997 einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung gestellt. Nach Ablehnung durch die Beklagte auf der Grundlage eines Gutachtens des MDK wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Regensburg. Die von diesem beauftragte Sachverständige Dr. N. ermittelte in ihrem Gutachten vom 12.01.2000 für den Zeitraum vom 30.06.1997 bis 31.10.1997 im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten im Tagesdurchschnitt; für den Zeitraum danach habe sich eine verbindliche Feststellung nicht treffen lassen; anzunehmen sei, dass ein gewisser, jedoch abnehmender Hilfebedarf bei der Körperwäsche, beim An- und Auskleiden sowie beim Gehen weiterhin gegeben gewesen sei. Angesichts der aktenkundigen Befundlage, der ärztlicherseits bestätigten Symptomatik und der Eigenangaben des Klägers zum damaligen Beschwerdebild sei davon auszugehen, dass der damalige Hilfebedarf aus dem Zustand nach coronarer Bypass-Operation mit sekundär verheilter Sterneotomienarbe bei röntgenologischen Hinweisen auf Einschmelzungen in der Umgebung der Cerclagen, mit entsprechenden anfänglichen Ruheschmerzen und im weiteren Verlauf persistierender Bewegungsschmerzhaftigkeit im Thoraxbereich, mit zunächst massiv erhöhten Entzündungsparametern, Anämie und deutlich reduziertem Allgemeinzustand zumindest bis zur Abheilung im August 1997 und einer nur zögernden Remobilisierung des Klägers bei hypotoner Kreislaufsituation mit wohl orthostatisch bedingten Schwindelanfällen und einer teilweise hierdurch, teilweise durch die ärztlicherseits bestätigte diabetische Polyneuropathie und den Zustand nach Vorfußamputation links bedingten Gangunsicherheit bzw. Geh- und Stehbehinderung resultierte. Infolgedessen seien die Beweisfragen dahin zu beantworten, dass unter Würdigung aller aktenkundigen Informationen und der Eigenmitteilungen des Klägers selbst von der Antragstellung an bis mindestens einschließlich Oktober 1997 die Notwendigkeit einer Hilfe bei der Körperwäsche zunächst in Gestalt von Übernahme, im weiteren Verlauf von Unterstützung und Teilübernahme bestanden habe, außerdem fallweise bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, in Gestalt von Unterstützung beim Aufstehen und Zubettgehen, in Gestalt von zunächst völliger, sodann teilweiser Übernahme beim An- und Auskleiden, beim Stehen, beim Gehen und in der hauswirtschaftlichen Versorgung. Dem dem Gutachten beigefügten Fragebogen zur Erfassung des Hilfebedarfs ist unter der handschriftlichen Bemerkung der Sachverständigen "ab Antragstellung bis ca. 31.10.1997" zu entnehmen, dass der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege im Tagesdurchschnitt zunächst 69 Minuten betragen habe. Der Zeitaufwand für die erforderlichen Verrichtungen, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Person benötigt, habe ab 30.06.1997 bis einschließlich Oktober 1997 mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens 45 Minuten entfallen seien; bei kontinuierlicher Besserung der Gesamtsituation könne gleichwohl eine verbindliche Beurteilung für die Zeit nach Oktober 1997 nicht gegeben werden bzw. nicht beurteilt werden, wann konkret die Grenze des für die Pflegestufe I der gesetzlichen Pflegeversicherung geforderten Zeitwertes von 45 Minuten im Bereich der Grundpflege unterschritten worden sei. Anamnestisch werde eine Besserung der Gesamtsituation seit Januar 1998 mit von diesem Zeitpunkt an nahezu völliger Selbständigkeit bei grundpflegerischen Verrichtungen bestätigt; der behandelnde Arzt nenne eine Gewichtszunahme wohl als Hinweis auf eine klinische Besserung ebenfalls im Oktober 1997.
Nachdem ein gerichtlicher Vergleich, in welchem die Beklagte sich verpflichtet hatte, dem Kläger Pflegegeld nach der Pflegstufe I für die Zeit vom 30.06.1997 bis 31.10.1997 zu gewähren, von dieser widerrufen worden war, verurteilte das Sozialgericht die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2000, dem Kläger für den genannten Zeitraum Pflegegeld nach der Pflegestufe I der gesetzlichen Pflegeversicherung zu zahlen. Die Pflegebedürftigkeit bestehe nicht erst nach Ablauf der sechsmonatigen Spanne des § 14 SGB XI, sondern vom Beginn des Vorliegens der die Pflegebedürftigkeit in der Sache begründenden Tatbestandsmerkmale an, sofern nicht vorhersehbar sei, dass die bestehende Hilfebedürftigkeit weniger als sechs Monate lang bestehen würde. Dafür, dass nach vorausschauender Betrachtung von einem Entfallen der Hilfebedürftigkeit des Klägers vor Ablauf von sechs Monaten auszugehen gewesen sei, habe das Gericht keine Anhaltspunkte gehabt
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Zur Begründung hat sie u.a. vorgetragen, wenn sich bei einer retrospektiven Betrachtung herausstelle, dass die Pflegebedürftigkeit tatsächlich weniger als sechs Monate bestanden habe, bestehe kein Anspruch auf die Leistung. Dies müsse insbesondere dann gelten, wenn wie hier eine Pflegebedürftigkeit durch den Erstgutachter aufgrund der nicht ausreichenden Pflegezeit verneint werde und daher über die Frage der Dauerhaftigkeit zwangsläufig keine Prognose gestellt werde.
Die Beklagte beantragt daher,
die Klage unter Aufhebung des Gerichtsbescheides abzuweisen.
Demgegenüber beantragt der Kläger,
die Berufung zurückzuweisen.
Er beruft sich dabei auf den Sachvortrag in der Vorinstanz, insbesondere darauf, dass er dem Vergleich seinerseits nur zugestimmt habe, weil er den Rechtsstreit habe beenden wollen, und dass er nach wie vor der Meinung sei, dass sein Hilfebedarf weit länger über dem für die Pflegestufe I erforderlichen Wert gelegen habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids sowie auf die dort angeführten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Gerichtsbescheid ist zu beanstanden. Das Erstgericht hat dem Kläger zu Unrecht Pflegegeld nach der Pflegestufe I der gesetzlichen Pflegeversicherung (§§ 14, 15 SGB XI) zugesprochen. Dem Kläger stehen Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht zu.
Nach § 14 Abs. 1 SGB XI setzt die Feststellung von Pflegebedürftigkeit u.a. voraus, dass deren Tatbestandsmerkmale in der Sache "voraussichtlich für mindestens sechs Monate" bestanden haben. Dieses Voraussetzung ist nicht erfüllt. Es hat eine Prognose dahin, dass die Pflegebedürftigkeit des Klägers wenigstens sechs Monate Bestand haben würde, zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Insbesondere dem Gutachten der Frau Dr. N. kann nicht entnommen werden, dass im Zeitpunkt des Beginns der Pflegebedürftigkeit des Klägers im Sommer 1997 eine solche Prognose hätte abgegeben werden können.
Der Wortlaut der Bestimmung des § 14 Abs. 1 SGB XI macht deutlich, dass die Entscheidung über die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und damit über die Bewilligung von Pflegegeld auf der Basis einer Prognose ("voraussichtlich ...") zu erfolgen hat. Damit ist einerseits festgelegt, dass nicht jeder Fall, in welchem sich am Ende ein kürzerer Zeitraum eines Vorliegens der Tatbestandsmerkmale in der Sache ergibt, zur Unrichtigkeit einer vorangegangenen Bewilligung von Pflegeleistungen führt. Denn hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er auf das Tatbestandsmerkmal "voraussichtlich" verzichten können. Denn es gehört zur Natur einer Prognose, dass sie sich im Nachhinein auch als unzutreffend erweisen kann (vgl. insbesondere Udsching SGB XI, 2. Aufl. § 14 Rn. 5; BSG Urteil vom 19.02.1998, B 3 P 7/97 R in Breithaupt 1999, 29, 36 zum Problem der Sechsmonatsfrist bei der Höherstufung von Pflegestufe II nach Pflegestufe III).
Andererseits ist damit aber auch festgelegt, dass die Bewilligung von Pflegegeld immer nur bei Vorliegen einer derartigen Prognose zulässig ist. In der Praxis stellt dies kein besonderes Erschwernis dar, weil der Fortbestand der Pflegebedürftigkeit über einen längeren Zeitraum als sechs Monate in den meisten Fällen offensichtlich ist, sofern dieser Zeitraum im Zeitpunkt der Entscheidung nicht ohnehin bereits verstrichen ist.
Damit ist jedoch noch nicht geklärt, welche Voraussetzungen an eine solche Prognose zu stellen sind. Jedenfalls kann festgehalten werden, dass das Erfordernis der Prognose nicht zur Umkehr der Beweislast führt. Dies würde nämlich bedeuten, dass schon dann Pflegegeld zu zahlen wäre, wenn nur am Anfang des betreffenden Zeitraumes mit Sicherheit von einem Vorliegen der Pflegebedürftigkeit ausgegangen werden könnte, ohne dass zugleich gesagt werden könnte, ob dieser Zustand die Dauer von sechs Monaten erreichen werde oder nicht. Eine solche Lösung ist von dem in § 14 Abs. 1 SGB XI verwendeten Tatbestandsmerkmal "voraussichtlich" nicht gedeckt; vielmehr liegt in diesem Falle gerade keine Prognose dahin vor, dass die Pflegebedürftigkeit wenigstens sechs Monate andauern werde. Für eine Prognose ist vielmehr in jedem Falle zu fordern, dass noch vor Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 14 Abs. 1 SGB XI objektive Umstände vorgelegen haben, aus denen im konkreten Fall die Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden könnte, die Hilfebedürftigkeit werde länger als sechs Monate anhalten. Dies trifft hier aber nicht zu. Denn die Sachverständige Frau Dr. N. hat am Ende ihres Gutachtens hervorgehoben, eine konkrete zeitliche Angabe, ab wann von einer geringeren Hilfebedürftigkeit als im Umfang von mehr als 45 Minuten ausgegangen werden müsse, könne nicht gemacht werden. Darüber hinaus hat sie ausgeführt, der behandelnde Arzt habe eine Gewichtszunahme wohl als Hinweis auf eine klinische Besserung bereits für den Oktober 1997 genannt. Mit diesen Feststellungen hat sie zugleich deutlich gemacht, dass zu keinem Zeitpunkt gesagt werden konnte, dass die Pflegebedürftigkeit des Klägers im Sinne des SGB XI nicht schon vor Ablauf von sechs Monaten unter die für die Pflegestufe I maßgebende Schwelle absinken würde. Zugleich hat sie keine Umstände beschrieben, die hier auf eine über mindestens sechs Monate anhaltende Pflegebedürftigkeit hinweisen würden, sondern durch die Einbeziehung der Angabe des behandelnden Arztes gerade auch darauf hin gewiesen, dass es sich beim Kläger nicht um den typischen Fall der Pflegebedürftigkeit gehandelt hat, sondern um einen wenn auch verzögerten Heilungsverlauf nach einer schweren Operation.
Damit ist deutlich geworden, dass objektive Umstände, aus denen sich im konkreten Fall die Wahrscheinlichkeit ableiten lässt, die Hilfebedürftigkeit werde länger als sechs Monate anhalten, gerade nicht vorgelegen haben. Für die von § 14 Abs. 1 SGB XI geforderte Prognose haben daher von Anfang an die Grundlagen gefehlt.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 193, 202 SGG in Verbindung mit §§ 91 ff. ZPO. Ein Grund für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 SGG besteht nicht.
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