Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 7/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 25/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.02.2000 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Erben der Frau R. F. für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld nach der Stufe III in Höhe von monatlich 390,00 DM, abzüglich geleisteter Beträge, zu zahlen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung von Pflegegeld wegen häuslicher Pflege nach der Stufe III für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 aus der privaten Pflegeversicherung.
Der Kläger ist neben seinen drei Kindern gesetzlicher Erbe seiner am 1925 geborenen und am 08.11.1999 verstorbenen Ehefrau R. F. , welche bei der Beklagten, einem privaten Pflegeversicherungsunternehmen, versichert war, soweit ihr ein Beihilfeanspruch nicht zustand.
Die Ehefrau des Klägers beantragte am 14.03.1995, ihr Pflegegeld zu gewähren. Sie legte hierzu eine Bescheinigung ihres behandelnden Arztes Dr.N. vor. Die Beklagte teilte am 09.06. 1995 mit, es werde demnächst eine Untersuchung durch ihren medizinischen Dienst erfolgen. Sie gehe jedoch davon aus, dass Pflegestufe II vorliege; demnächst werde sie Pflegegeld in Höhe von monatlich 240 DM, nämlich 30 Prozent aus dem Pflegegeld in Höhe von 800 DM, weil im Übrigen ein Beihilfeanspruch bestehe, überweisen. Ein von der Beklagten in Auftrag gegebenes Gutachten der Fa.M. vom 05.07.95 bestätigte eine Hilfebedürftigkeit im Ausmaß der Pflegestufe II seit 1993. Hilfebedarf bestehe täglich beim Duschen, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung dreimal täglich, bei der Blasenentleerung sowie beim Aufstehen und Zu Bett gehen rund um die Uhr, auch nachts, beim An- und Auskleiden einmal täglich und beim Treppensteigen, welches als krankengymnastische Übung anzusehen sei. Insgesamt belaufe sich der Hilfebedarf auf drei Stunden täglich. Mit Schreiben vom 21.08.1995, teilte die Beklagte mit, es verbleibe bei ihrer vorläufigen Leistungszusage vom 09.06.95.
Auf den Antrag der Versicherten vom 09.04.1996, mit dem sie eine Verschlimmerung ihres Gesundheitszustands und eine Zunahme des Pflegebedarfs geltend machte, holte die Beklagte ein weiteres Gutachten der Fa.M. ein. Am 29.08.1996 bestätigte die Ärztin M. B. den Vortrag der Versicherten. Es bestehe ein reduzierter Kräftezustand der linken Körperhälfte und eine Hemiparese links nach einem Schlaganfall 1993, ein Zustand nach Oberarmtrümmerbruch und Radiusbasisbruch links im Januar 1996, eine gestörte Feinmotorik und Sensibilitätsstörungen, ein insulipflichtiger Diabetes mellitus, eine Hypertonie, eine Linksherzinsuffizienz mit Beinödemen, eine kompensierte Niereninsuffizienz und eine Harninkontinenz. Danach werde ab Januar 1996 die Pflegestufe III erreicht. Die Versicherte habe im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von insgesamt fünf Stunden täglich, nämlich beim Waschen (zweimal pro Tag), beim Duschen (zweimal wöchentlich), beim Baden (14 tägig), bei der Zahnpflege, beim Kämmen sowie beim An- und Auskleiden (jeweils zweimal täglich), bei der Blasenentleerung (zwölfmal, auch nachts), beim Kleinschneiden der Nahrung (dreimal täglich), beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen (sechsmal täglich) sowie beim Gehen und Stehen (fünfzehnmal täglich für das Zurücklegen von Mußstrecken). Mit Schreiben vom 12.09.1996 teilte die Beklagte der Versicherten mit, ab 01.01.1996 stehe ihr Pflegestufe III zu. Es würden ihr ab diesem Zeitpunkt 30 Prozent aus dem vollen Pflegegeld von 1.300 DM gezahlt werden.
In einem von der Beklagten ohne besondere Fragestellung veranlaßten "Wiederholungsgutachten" vom 23.09.1998 führte Dr.F. aus, unter Berücksichtigung der in den Pflegerichtlinien inzwischen festgelegten Zeitkorridore werde der zeitliche Umfang der Pflegestufe III nicht erreicht. Der Versicherten sei noch eine teilweise Mithilfe bei den Verrichtungen möglich. Zudem sei die geistige Situation gut. Der tatsächlich geleistete hohe Pflegeaufwand beruhe auf dem Alter der Pflegeperson, des Ehemanns der Versicherten, und nicht auf der Bedürftigkeit der Versicherten. Insgesamt seien im Bereich der Grundpflege 210 Minuten an Pflege erforderlich. Im Schreiben vom 09.10.1998 gab die Beklagte bekannt, ab 23.09.1998 liege nur noch Pflegestufe II vor, so dass monatlich nur noch 240 DM (= 30 Prozent aus 800 DM) ausbezahlt würden. Dagegen hat die Versicherte Widerspruch eingelegt. Sie hat durch ihren Ehemann vorbringen lassen, sie habe einen großen Pflegebedarf, welcher sich über den ganzen Tag erstrecke. Auch nachts müsse ihr bei verschiedenen Verrichtungen geholfen werden. Ihr Gesundheitszustand habe sich eher verschlechtert wie aus dem Bericht der Kliniken Augsburg vom 13.02.1996 zu ersehen sei. Das von der Beklagten daraufhin eingeholte "Obergutachten" von Dr.H. vom 18.11.1998 bestätigte die Feststellungen von Dr.F ... Die aufwendige Pflege sei nicht notwendig und könnte verbessert werden; es werde eine Gesamtpflegezeit von 274 Minuten, einschließlich 60 Minuten Hauswirtschaft, erreicht. Im Schreiben vom 07.12.1998 wiederholte die Beklagte, dass ab 23.09.1998 nur Pflegestufe II vorliege.
Dagegen hat die Versicherte Klage beim Sozialgericht - SG - Augsburg erhoben. Dieses hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und ein Gutachten des Dr.H. vom 31.05.1999 nach einem Hausbesuch eingeholt. Der Sachverständige schätzte den erforderlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf 210 bis 215 Minuten. Der Ehemann der Versicherten, der jetzige Kläger, hat vorgetragen, er müsse seine Frau den ganzen Tag über betreuen. Die Pflege sei äußerst zeitaufwendig. Am 08.11.1999 ist die Versicherte verstorben. Die Beklagte hat eingewandt, sie habe nach Ablauf von zwei Jahren ein Wiederholungsgutachten in Auftrag gegeben, nach welchem nur noch ein Hilfebedarf der Stufe II bescheinigt worden sei. Sie sei an die gutachterliche Feststellung gebunden. Dies gelte um so mehr, als sich Dr.H. in seinem Obergutachten ausführlich und nachvollziehbar mit den tatsächlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt habe. Sie rege an zur Frage der Pflegestufe ein unabhängiges Sachverständigengutachten nach § 103 Sozialgerichtsgesetz - SGG - einzuholen.
Mit Urteil vom 14.02.2000 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für die Pflegestufe III über den 22.09.1998 hinaus nicht mehr vorlägen, wie den Gutachten im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu entnehmen sei. Zudem bestehe in der privaten Pflegeversicherung kein Vertrauensschutz entsprechend der §§ 45 und 48 des 10. Sozialgesetzbuchs - SGB X -.
Dagegen hat der Kläger als Miterbe seiner verstorbenen Ehefrau Berufung eingelegt: das Sozialgericht stütze sich in der Hauptsache auf die begutachtenden Ärzte und halte diese für unfehlbar. Insbesondere sei das Obergutachten des Dr.H. unzureichend. Der von ihm als notwendig bezeichnete Zeitaufwand sei völlig aus der Luft gegriffen. Es stehe daher über den 22.09.1998 Anspruch auf Pflegegeld nach der Stufe III zu. Er habe seine Frau besonders aufopfernd gepflegt. Er habe sie keine Minute allein lassen können. Dies müsse berücksichtigt werden. Die Beklagte hat auf die ihrer Meinung nach zutreffenden Gründe im Ersturteil Bezug genommen. Auf den Hinweis des Senats am 16.10.2001 auf die inzwischen ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts - BSG - vom 22.08.2001 (Az. B 3 P 21.00 R; B 3 P 4.01 R) hat sie erklärt, nach den bisher veröffentlichten Presseberichten seien diese für die hier zu treffende Entscheidung nicht erheblich. Im Januar habe sich die Pflegesituation nach einem häuslichen Sturz mit Humerusfraktur und Radialisbasisfraktur und dem Auftreten von Blutzuckerentgleisungen verschlechtert, was zu Pflegestufe III geführt habe. Ab 1998 habe sich der Allgemeinzustand wieder gebessert, so dass sich der Pflegeaufwand dem Gutachten des Dr.H. zufolge reduziert habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 14.02.2000 zu verurteilen, an die Erben nach seiner Ehefrau R. F. für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld in Höhe von monatlich 390 DM abzüglicher bereits geleisteter Beträge auszubezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Unterlagen der Beklagten und der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet.
Dem Kläger steht als Miterben seiner am 08.11.1999 verstorbenen Ehefrau für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld von 30 % aus 1.300 DM, also 390 DM pro Monat, wegen häuslicher Pflege nach der Stufe III gem. § 2039 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - i.V.m. §§ 37, 14, 15 Abs. 1 Nr.3 und Abs. 3 Nr.3 des 11. Sozialgesetzbuchs - SGB XI - zu. Denn die Beklagte war nicht berechtigt, das mit Leistungszusage vom 12.09.1996 gewährte Pflegegeld nach der Stufe III herabzusetzen.
Richtig ist, wie das SG ausgeführt hat, dass die §§ 48, 45 SGB X in der privaten Pflegeversicherung nicht gelten und auch nicht entsprechend anzuwenden sind. Zwar ist die Übernahme des Regelungskonzeptes des SGB X über die Aufhebung von Leistungsbescheiden bei ursprünglicher Unrichtigkeit bzw bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nicht grundsätzlich ausgeschlossen im Bereich der privaten Pflegeversicherung. Erforderlich wäre jedoch eine entsprechende Vereinbarung der Partner des Versicherungsvertrages, woran es hier fehlt; die Notwendigkeit, aus verfassungsrechtlichen Gründen - vor allem im Hinblick auf den Gleichheitssatz - den privat Pflegeversicherten entsprechende Rechtspositionen einzuräumen, besteht nicht, weil die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen dem Versicherten den erforderlichen Rechtsschutz gewähren (so BSG in den Urteilen vom 22.08.2001, a.a.O).
Gleichwohl war die Beklagte unter keinem anderen rechtlichen Gesichtpunkt bei unverändertem, wenn auch zunächst nicht entsprechend den Zeitkorridoren eingeschätztem Pflegeumfang, berechtigt, sich von ihrer Zusage vom 12.09.1996, Leistungen nach der Pflegestufe III zu gewähren, zu lösen. Insoweit schließt sich der Senat ebenfalls der Auffasung des BSG in den Urteilen vom 22.08.2001 (a.a.O) an, auf die er die Beklagte hingewiesen hat. Danach sind in der privaten Pflegeversicherung die Versicherer und die Versicherungsnehmer an die Feststellungen eines nach Maßgabe der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung - MB/PPV 1996 - tätig gewordenen Sachverständigen zum Grad der Pflegebedürftigkeit gebunden, soweit diese nicht offenbar von der wirklichen Sachlage abweichen. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagte an die Feststellungen der Sachverständigen B. vom 29.08.1996, welche zur Zusage, Leistungen nach der Pflegestufe III zu erbringen, geführt haben, gebunden ist.
Die hier in Betracht kommenden zivilrechtlichen Vorschriften lassen die Pflicht der Beklagten, Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu zahlen, nicht ohne weiteres entfallen. Eine Legitimation zur Reduzierung des Umfangs der Leistungspflicht ergibt sich jedenfalls nicht, wie die Beklagte zu glauben scheint, aus § 6 Abs 2 MB/PPV 1996, wonach die Pflegebegutachtung in angemessenen Abständen zu wiederholen ist. Diese Regelung bedeutet nicht, dass nachträgliche Begutachtungen jederzeit möglich sind und besagt erst recht nichts über die Auswirkungen, die das Ergebnis einer erneuten Begutachtung auf eine zuvor vom Versicherer abgegebene Leistungszusage hat. Dies richtet sich vielmehr nach allgemeinen zivilrechtlichen bzw privatversicherungsrechtlichen Vorschriften. Ausgangspunkt ist dabei der Allgemeine Teil des BGB mit dem zwar nicht ausdrücklich erklärten, aber den Ausnahmeregeln zu entnehmenden Grundsatz, dass mit Rechtsbindungswillen abgegebene Willenserklärungen bindend sind. Ihre Wirksamkeit kann bei gleichbleibenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen nur unter bestimmten Voraussetzungen - insbesondere wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung (§§ 119, 123 BGB) - durch Anfechtung beseitigt werden. Daneben kann die Bindung an eine Willenserklärung bei einem Dauerschuldverhältnis durch eine Änderung oder den Wegfall von Umständen entfallen, die beide Vertragspartner bei Abgabe der Willenserklärung vorausgesetzt haben (sog Wegfall der Geschäftsgrundlage). Letzteres setzt jedoch eine nach Abgabe der Willenserklärung eingetretene Änderung der Verhältnisse voraus.
Die Erklärung der Beklagten, Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu zahlen, ist eine Willenserklärung, weil ihr ein rechtlicher Bindungswille zu entnehmen ist. Wenn auch die bloße Mitteilung des Versicherers, er werde aufgrund eines Versicherungsfalls eine Leistung in bestimmter Höhe erbringen, i.d.R weder ein abstraktes noch ein vertraglich bestätigendes (deklaratorisches) Schuldanerkenntnis darstellt (so BGHZ 66, 250), so ist die Annahme eines Schuldbestätigungsvertrags dann berechtigt, wenn die Parteien einen besonderen Anlaß zu seinem Abschluß gehabt haben. Dies ist dann der Fall, wenn das Schuldverhältnis - ganz oder teilweise - dem Streit oder der Ungewißheit der Parteien entzogen werden soll. Daraus folgt, dass der bestätigende Schuldanerkenntnisvertrag auch notwendig einen vorherigen Streit oder zumindest eine (subjektive) Ungewißheit der Parteien über das Bestehen der Schuld oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte voraussetzt. Nach den MB/PPV 1996 soll, wie sich insbesondere aus deren § 6 ergibt, die vor einer Leistungsgewährung zwingend erforderliche ärztliche Begutachtung die Ungewißheit darüber beseitigen, ob beim Versicherten die Voraussetzungen des Versicherungsfalls vorliegen und ggf den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers, der in der Pflegeversicherung von der Pflegestufe abhängt, klären. Das deklaratorische Schuldanerkenntnis ist ein Vertrag, dessen Zustandekommen von der Annahme des Gläubigers abhängt, welche aber auch konkludent, wie hier durch die Zahlungsannahme seitens der Versicherten, erfolgen kann. Wegen des vergleichsartigen Charakters eines solchen deklaratorischen Schuldanerkenntnisses kommt eine Anfechtung wegen Irrtums über solche Umstände, die durch das Anerkenntnis gerade außer Streit gestellt werden sollten, nicht in Betracht (vgl BSG, a.a.O). Die Beklagte war damit an ihre Leistungszusage vom 12.09.1996 bis zu einer Änderung der Verhältnisse gebunden, weil die private Pflegeversicherung ein Dauerschuldverhältnis begründet. Damit ist ihr der Einwand, welchen das Gutachten des Dr.F. vom 23.09.1998 offenbart, bei der vorausgegangenen Begutachtung seien die für die einzelnen Verrichtungen in den Begutachtungsrichtlinien festgesetzten Zeitkorridore nicht beachtet worden, genommen.
Auf eine relevante Änderung der Verhältnisse hinsichtlich des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit kann sich die Beklagte hier nicht berufen. Denn eine solche Änderung wäre zunächst durch Einholung eines sog Schiedsgutachtens gemäß des auch im Bereich der Pflegeversicherung anwendbaren § 64 VVG (so BSG, a.a.O.) zu belegen. Nach § 64 Abs 1 Satz 1 VVG sind Versicherer und Versicherungsnehmer an die Feststellungen des Sachverständigen zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder zur Höhe des Schadens grundsätzlich gebunden, wenn dies - wie hier in § 6 Abs 2 MB/PPV 1996 - vertraglich vereinbart ist. Die Feststellungen des Sachverständigen sind nur dann nicht verbindlich, wenn "sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen", wobei nur auf den Sachstand und die Erkenntnismittel zur Zeit der Begutachtung abzustellen ist (vgl Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl 1998, § 64 RdNr 44). Dieser Frage brauchte der Senat jedoch im hier zu entscheidenden Fall nicht weiter nachzugehen, denn die Beklagte wäre, würde sie sich auf eine solche offenbare Unrichtigkeit berufen wollen, mit diesem Einwand ausgeschlossen. Denn ein deklaratorisches Anerkenntnis schließt den Schuldner mit allen Einwendungen aus, die er bei seiner Abgabe kannte oder zumindest kennen mußte (Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl 1998, § 64 RdNr 6).
Die von der Beklagten nach ihrer Leistungszusage vom 12.09.1996 eingeholten Gutachten können nicht als Grundlage für eine Lösung von derselben dienen. Denn gerade wegen der Bindung an das der Leistungszusage zugrunde gelegte Gutachten steht es der Beklagten nicht frei, jederzeit ein neues Sachverständigengutachten einzuholen. Ein solches wäre (so BSG a.a.O.) nämlich nicht nur ungeeignet, sich seinetwegen von der Leistungszusage zu lösen, sondern für den Pflegebedürftigen auch ein unzumutbarer Eingriff in seine durch Art 1 und 2 Grundgesetz geschützte Intimsphäre (vgl BSG, Urteil vom 13. März 2001 - B 3 P 20/00 R -). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 6 Abs 2 MB/PPV 1996. Eine Nachuntersuchung ist bei gesetzeskonformer Auslegung nur dann "angemessen", wenn Gründe für die Annahme bestehen, der Umfang der Pflegebedürftigkeit könne sich in einem für die Einstufung relevanten Umfang verändert haben. Vorübergehende Besserungen von weniger als sechs Monaten Dauer bleiben von vornherein außer Betracht (vgl § 1 Abs 2 MB/PPV 1996; BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1).
Der erst im Berufungsverfahren nach Hinweis des Senats auf die Rechtsprechung des BSG erhobenen Behauptung der Beklagten, es sei eine nachhaltige Besserung des Zustandes der Versicherten eingetreten, brauchte der Senat nicht weiter nachzugehen. Denn abgesehen von der Tatsache, dass keinem nach dem 12.09.1996 eingeholten Gutachten eine solche Aussage zu entnehmen ist, weil die Sachverständigen nicht danach gefragt worden sind, ist kein Raum für eine gerichtliche Überprüfung. Denn für eine gerichtliche Sachaufklärung durch Einholung von Gutachten besteht erst dann Veranlassung, wenn das nach den MB/PPV 1996 vorgesehene Schiedsgutachten zur Frage einer Verminderung des Pflegebedarfs eingeholt worden, aber offensichtlich unrichtig ist. Ausnahmsweise reicht es auch aus, wenn die Sachverständigen die Feststellungen nicht treffen können oder wollen oder sie verzögern (§ 64 Abs 1 Satz 3 VVG). Auch dies setzt aber voraus, dass die Sachverständigen zumindest gebeten wurden, ein Gutachten über die relevante Frage zu erstellen. Das ist hier nicht geschehen. Weder der an Dr.F. gerichtete Auftrag vom 04.09.1998 noch der an Dr.H. gerichtete vom 28.10.1998 beinhalten eine konkrete Fragestellung nach einer Änderung der pflegerelevanten Verhältnisse. Die Beklagte bat Dr.F. um ein Wiederholungsgutachten. Eine vorgegebene Fragestellung ist auch seinem Formulargutachten nicht zu entnehmen. Er beschreibt in seinem Gutachten vom 23.09.1998 keine Besserung, sondern weist darauf hin, dass die Zeitkorridore bei der früheren Begutachtung nicht berücksichtigt worden seien, eine teilweise Mithilfe der Versicherten bei den einzelnen Verrichtungen, bei welchen wird nicht genannt, möglich sei und Erschwernisse bei der guten geistigen Situation nicht vorlägen. Hinsichtlich der einzelnen Verrichtungen und der pflegerelevanten Diagnosen stimmt das Gutachten von Dr.F. mit dem von Frau B. überein. Von Dr.H. verlangte die Beklagte ein Obergutachten. Abgesehen von der Frage, ob die Beklagte unter diesen Umständen überhaupt berechtigt war, ein weiteres Gutachten von Dr.H. einzuholen, kann dessen Ausführungen nicht entnommen werden, er habe sich mit der Frage befaßt, ob im Vergleich zu dem Gutachten der Ärztin B. inzwischen eine Besserung der Pflegesituation eingetreten sei. Sein Gutachten vom 18.11.1998 enthält keine Befunde, die eine Besserung erklären würden. Nach seiner Darstellung lagen die wesentlichen Einschränkungen im Bereich des Bewegungsapparates. Die Versicherte konnte sich aus dem Sitzen und Liegen nicht alleine aufrichten und nur in Begleitung mit Untergriff durch ihren Mann gehen. Das Gangbild wurde als kleinschrittig, stolpernd und unsicher bezeichnet. Zusätzlich wurde eine Störung der Feinmotorik und deutliche Kraftminderung der Hände, links größer als links, genannt. Der Pinzettengriff sowie der Nacken- und Schürzengriff waren nicht möglich. Der linke Arm konnte nur bis Achselhöhe gehoben werden. Bücken war nicht möglich. Damit wurden - anders als in den Vorgutachten - erstmals die einzelnen körperlichen Einschränkungen beschrieben. Ein Vergleich zu dem für Pflegestufe III maßgebenden, von der Ärztin B. befundeten Zustand ist nicht möglich. Der Senat kommt damit zum Ergebnis, dass eine gutachterliche Feststellung, ob eine wesentliche Änderung der Pflegesituation im Vergleich zu dem die Pflegestufe III begründenden Gutachten vom 29.08.1996 eingetreten war, von der Beklagten nicht eingeholt worden ist.
Somit ist es dem Senat verwehrt, in eine diesbezügliche gerichtliche Überprüfung einzutreten. Die Anwendbarkeit des § 64 VVG führt bei Streitigkeiten über die Leistungspflicht in der privaten Pflegeversicherung im Ergebnis zu einer Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle. Hieran ändert das im Sozialgerichtsprozeß geltende Amtsermittlungsprinzip nichts. Denn der Umfang der Amtsermittlung richtet sich nach den jeweils maßgebenden materiell-rechtlichen Vorgaben. Sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer können im Prozeß eine Überprüfung des Gutachtenergebnisses nur auf der Grundlage des § 64 VVG verlangen. Auf die Berufung des Klägers waren daher das Urteil des SG Augsburg aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Erben nach der verstorbenen Versicherten für den Zeitraum vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld wegen häuslicher Pflege nach der Stufe III unter Abzug bereits geleisteter Beträge zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Gründe nach § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG zu erkennen sind und der Senat nicht von der Rechtsprechung des BSG abweicht.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Erben der Frau R. F. für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld nach der Stufe III in Höhe von monatlich 390,00 DM, abzüglich geleisteter Beträge, zu zahlen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung von Pflegegeld wegen häuslicher Pflege nach der Stufe III für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 aus der privaten Pflegeversicherung.
Der Kläger ist neben seinen drei Kindern gesetzlicher Erbe seiner am 1925 geborenen und am 08.11.1999 verstorbenen Ehefrau R. F. , welche bei der Beklagten, einem privaten Pflegeversicherungsunternehmen, versichert war, soweit ihr ein Beihilfeanspruch nicht zustand.
Die Ehefrau des Klägers beantragte am 14.03.1995, ihr Pflegegeld zu gewähren. Sie legte hierzu eine Bescheinigung ihres behandelnden Arztes Dr.N. vor. Die Beklagte teilte am 09.06. 1995 mit, es werde demnächst eine Untersuchung durch ihren medizinischen Dienst erfolgen. Sie gehe jedoch davon aus, dass Pflegestufe II vorliege; demnächst werde sie Pflegegeld in Höhe von monatlich 240 DM, nämlich 30 Prozent aus dem Pflegegeld in Höhe von 800 DM, weil im Übrigen ein Beihilfeanspruch bestehe, überweisen. Ein von der Beklagten in Auftrag gegebenes Gutachten der Fa.M. vom 05.07.95 bestätigte eine Hilfebedürftigkeit im Ausmaß der Pflegestufe II seit 1993. Hilfebedarf bestehe täglich beim Duschen, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung dreimal täglich, bei der Blasenentleerung sowie beim Aufstehen und Zu Bett gehen rund um die Uhr, auch nachts, beim An- und Auskleiden einmal täglich und beim Treppensteigen, welches als krankengymnastische Übung anzusehen sei. Insgesamt belaufe sich der Hilfebedarf auf drei Stunden täglich. Mit Schreiben vom 21.08.1995, teilte die Beklagte mit, es verbleibe bei ihrer vorläufigen Leistungszusage vom 09.06.95.
Auf den Antrag der Versicherten vom 09.04.1996, mit dem sie eine Verschlimmerung ihres Gesundheitszustands und eine Zunahme des Pflegebedarfs geltend machte, holte die Beklagte ein weiteres Gutachten der Fa.M. ein. Am 29.08.1996 bestätigte die Ärztin M. B. den Vortrag der Versicherten. Es bestehe ein reduzierter Kräftezustand der linken Körperhälfte und eine Hemiparese links nach einem Schlaganfall 1993, ein Zustand nach Oberarmtrümmerbruch und Radiusbasisbruch links im Januar 1996, eine gestörte Feinmotorik und Sensibilitätsstörungen, ein insulipflichtiger Diabetes mellitus, eine Hypertonie, eine Linksherzinsuffizienz mit Beinödemen, eine kompensierte Niereninsuffizienz und eine Harninkontinenz. Danach werde ab Januar 1996 die Pflegestufe III erreicht. Die Versicherte habe im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von insgesamt fünf Stunden täglich, nämlich beim Waschen (zweimal pro Tag), beim Duschen (zweimal wöchentlich), beim Baden (14 tägig), bei der Zahnpflege, beim Kämmen sowie beim An- und Auskleiden (jeweils zweimal täglich), bei der Blasenentleerung (zwölfmal, auch nachts), beim Kleinschneiden der Nahrung (dreimal täglich), beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen (sechsmal täglich) sowie beim Gehen und Stehen (fünfzehnmal täglich für das Zurücklegen von Mußstrecken). Mit Schreiben vom 12.09.1996 teilte die Beklagte der Versicherten mit, ab 01.01.1996 stehe ihr Pflegestufe III zu. Es würden ihr ab diesem Zeitpunkt 30 Prozent aus dem vollen Pflegegeld von 1.300 DM gezahlt werden.
In einem von der Beklagten ohne besondere Fragestellung veranlaßten "Wiederholungsgutachten" vom 23.09.1998 führte Dr.F. aus, unter Berücksichtigung der in den Pflegerichtlinien inzwischen festgelegten Zeitkorridore werde der zeitliche Umfang der Pflegestufe III nicht erreicht. Der Versicherten sei noch eine teilweise Mithilfe bei den Verrichtungen möglich. Zudem sei die geistige Situation gut. Der tatsächlich geleistete hohe Pflegeaufwand beruhe auf dem Alter der Pflegeperson, des Ehemanns der Versicherten, und nicht auf der Bedürftigkeit der Versicherten. Insgesamt seien im Bereich der Grundpflege 210 Minuten an Pflege erforderlich. Im Schreiben vom 09.10.1998 gab die Beklagte bekannt, ab 23.09.1998 liege nur noch Pflegestufe II vor, so dass monatlich nur noch 240 DM (= 30 Prozent aus 800 DM) ausbezahlt würden. Dagegen hat die Versicherte Widerspruch eingelegt. Sie hat durch ihren Ehemann vorbringen lassen, sie habe einen großen Pflegebedarf, welcher sich über den ganzen Tag erstrecke. Auch nachts müsse ihr bei verschiedenen Verrichtungen geholfen werden. Ihr Gesundheitszustand habe sich eher verschlechtert wie aus dem Bericht der Kliniken Augsburg vom 13.02.1996 zu ersehen sei. Das von der Beklagten daraufhin eingeholte "Obergutachten" von Dr.H. vom 18.11.1998 bestätigte die Feststellungen von Dr.F ... Die aufwendige Pflege sei nicht notwendig und könnte verbessert werden; es werde eine Gesamtpflegezeit von 274 Minuten, einschließlich 60 Minuten Hauswirtschaft, erreicht. Im Schreiben vom 07.12.1998 wiederholte die Beklagte, dass ab 23.09.1998 nur Pflegestufe II vorliege.
Dagegen hat die Versicherte Klage beim Sozialgericht - SG - Augsburg erhoben. Dieses hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und ein Gutachten des Dr.H. vom 31.05.1999 nach einem Hausbesuch eingeholt. Der Sachverständige schätzte den erforderlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf 210 bis 215 Minuten. Der Ehemann der Versicherten, der jetzige Kläger, hat vorgetragen, er müsse seine Frau den ganzen Tag über betreuen. Die Pflege sei äußerst zeitaufwendig. Am 08.11.1999 ist die Versicherte verstorben. Die Beklagte hat eingewandt, sie habe nach Ablauf von zwei Jahren ein Wiederholungsgutachten in Auftrag gegeben, nach welchem nur noch ein Hilfebedarf der Stufe II bescheinigt worden sei. Sie sei an die gutachterliche Feststellung gebunden. Dies gelte um so mehr, als sich Dr.H. in seinem Obergutachten ausführlich und nachvollziehbar mit den tatsächlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt habe. Sie rege an zur Frage der Pflegestufe ein unabhängiges Sachverständigengutachten nach § 103 Sozialgerichtsgesetz - SGG - einzuholen.
Mit Urteil vom 14.02.2000 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für die Pflegestufe III über den 22.09.1998 hinaus nicht mehr vorlägen, wie den Gutachten im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu entnehmen sei. Zudem bestehe in der privaten Pflegeversicherung kein Vertrauensschutz entsprechend der §§ 45 und 48 des 10. Sozialgesetzbuchs - SGB X -.
Dagegen hat der Kläger als Miterbe seiner verstorbenen Ehefrau Berufung eingelegt: das Sozialgericht stütze sich in der Hauptsache auf die begutachtenden Ärzte und halte diese für unfehlbar. Insbesondere sei das Obergutachten des Dr.H. unzureichend. Der von ihm als notwendig bezeichnete Zeitaufwand sei völlig aus der Luft gegriffen. Es stehe daher über den 22.09.1998 Anspruch auf Pflegegeld nach der Stufe III zu. Er habe seine Frau besonders aufopfernd gepflegt. Er habe sie keine Minute allein lassen können. Dies müsse berücksichtigt werden. Die Beklagte hat auf die ihrer Meinung nach zutreffenden Gründe im Ersturteil Bezug genommen. Auf den Hinweis des Senats am 16.10.2001 auf die inzwischen ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts - BSG - vom 22.08.2001 (Az. B 3 P 21.00 R; B 3 P 4.01 R) hat sie erklärt, nach den bisher veröffentlichten Presseberichten seien diese für die hier zu treffende Entscheidung nicht erheblich. Im Januar habe sich die Pflegesituation nach einem häuslichen Sturz mit Humerusfraktur und Radialisbasisfraktur und dem Auftreten von Blutzuckerentgleisungen verschlechtert, was zu Pflegestufe III geführt habe. Ab 1998 habe sich der Allgemeinzustand wieder gebessert, so dass sich der Pflegeaufwand dem Gutachten des Dr.H. zufolge reduziert habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 14.02.2000 zu verurteilen, an die Erben nach seiner Ehefrau R. F. für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld in Höhe von monatlich 390 DM abzüglicher bereits geleisteter Beträge auszubezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Unterlagen der Beklagten und der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet.
Dem Kläger steht als Miterben seiner am 08.11.1999 verstorbenen Ehefrau für die Zeit vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld von 30 % aus 1.300 DM, also 390 DM pro Monat, wegen häuslicher Pflege nach der Stufe III gem. § 2039 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - i.V.m. §§ 37, 14, 15 Abs. 1 Nr.3 und Abs. 3 Nr.3 des 11. Sozialgesetzbuchs - SGB XI - zu. Denn die Beklagte war nicht berechtigt, das mit Leistungszusage vom 12.09.1996 gewährte Pflegegeld nach der Stufe III herabzusetzen.
Richtig ist, wie das SG ausgeführt hat, dass die §§ 48, 45 SGB X in der privaten Pflegeversicherung nicht gelten und auch nicht entsprechend anzuwenden sind. Zwar ist die Übernahme des Regelungskonzeptes des SGB X über die Aufhebung von Leistungsbescheiden bei ursprünglicher Unrichtigkeit bzw bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nicht grundsätzlich ausgeschlossen im Bereich der privaten Pflegeversicherung. Erforderlich wäre jedoch eine entsprechende Vereinbarung der Partner des Versicherungsvertrages, woran es hier fehlt; die Notwendigkeit, aus verfassungsrechtlichen Gründen - vor allem im Hinblick auf den Gleichheitssatz - den privat Pflegeversicherten entsprechende Rechtspositionen einzuräumen, besteht nicht, weil die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen dem Versicherten den erforderlichen Rechtsschutz gewähren (so BSG in den Urteilen vom 22.08.2001, a.a.O).
Gleichwohl war die Beklagte unter keinem anderen rechtlichen Gesichtpunkt bei unverändertem, wenn auch zunächst nicht entsprechend den Zeitkorridoren eingeschätztem Pflegeumfang, berechtigt, sich von ihrer Zusage vom 12.09.1996, Leistungen nach der Pflegestufe III zu gewähren, zu lösen. Insoweit schließt sich der Senat ebenfalls der Auffasung des BSG in den Urteilen vom 22.08.2001 (a.a.O) an, auf die er die Beklagte hingewiesen hat. Danach sind in der privaten Pflegeversicherung die Versicherer und die Versicherungsnehmer an die Feststellungen eines nach Maßgabe der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung - MB/PPV 1996 - tätig gewordenen Sachverständigen zum Grad der Pflegebedürftigkeit gebunden, soweit diese nicht offenbar von der wirklichen Sachlage abweichen. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagte an die Feststellungen der Sachverständigen B. vom 29.08.1996, welche zur Zusage, Leistungen nach der Pflegestufe III zu erbringen, geführt haben, gebunden ist.
Die hier in Betracht kommenden zivilrechtlichen Vorschriften lassen die Pflicht der Beklagten, Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu zahlen, nicht ohne weiteres entfallen. Eine Legitimation zur Reduzierung des Umfangs der Leistungspflicht ergibt sich jedenfalls nicht, wie die Beklagte zu glauben scheint, aus § 6 Abs 2 MB/PPV 1996, wonach die Pflegebegutachtung in angemessenen Abständen zu wiederholen ist. Diese Regelung bedeutet nicht, dass nachträgliche Begutachtungen jederzeit möglich sind und besagt erst recht nichts über die Auswirkungen, die das Ergebnis einer erneuten Begutachtung auf eine zuvor vom Versicherer abgegebene Leistungszusage hat. Dies richtet sich vielmehr nach allgemeinen zivilrechtlichen bzw privatversicherungsrechtlichen Vorschriften. Ausgangspunkt ist dabei der Allgemeine Teil des BGB mit dem zwar nicht ausdrücklich erklärten, aber den Ausnahmeregeln zu entnehmenden Grundsatz, dass mit Rechtsbindungswillen abgegebene Willenserklärungen bindend sind. Ihre Wirksamkeit kann bei gleichbleibenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen nur unter bestimmten Voraussetzungen - insbesondere wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung (§§ 119, 123 BGB) - durch Anfechtung beseitigt werden. Daneben kann die Bindung an eine Willenserklärung bei einem Dauerschuldverhältnis durch eine Änderung oder den Wegfall von Umständen entfallen, die beide Vertragspartner bei Abgabe der Willenserklärung vorausgesetzt haben (sog Wegfall der Geschäftsgrundlage). Letzteres setzt jedoch eine nach Abgabe der Willenserklärung eingetretene Änderung der Verhältnisse voraus.
Die Erklärung der Beklagten, Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu zahlen, ist eine Willenserklärung, weil ihr ein rechtlicher Bindungswille zu entnehmen ist. Wenn auch die bloße Mitteilung des Versicherers, er werde aufgrund eines Versicherungsfalls eine Leistung in bestimmter Höhe erbringen, i.d.R weder ein abstraktes noch ein vertraglich bestätigendes (deklaratorisches) Schuldanerkenntnis darstellt (so BGHZ 66, 250), so ist die Annahme eines Schuldbestätigungsvertrags dann berechtigt, wenn die Parteien einen besonderen Anlaß zu seinem Abschluß gehabt haben. Dies ist dann der Fall, wenn das Schuldverhältnis - ganz oder teilweise - dem Streit oder der Ungewißheit der Parteien entzogen werden soll. Daraus folgt, dass der bestätigende Schuldanerkenntnisvertrag auch notwendig einen vorherigen Streit oder zumindest eine (subjektive) Ungewißheit der Parteien über das Bestehen der Schuld oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte voraussetzt. Nach den MB/PPV 1996 soll, wie sich insbesondere aus deren § 6 ergibt, die vor einer Leistungsgewährung zwingend erforderliche ärztliche Begutachtung die Ungewißheit darüber beseitigen, ob beim Versicherten die Voraussetzungen des Versicherungsfalls vorliegen und ggf den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers, der in der Pflegeversicherung von der Pflegestufe abhängt, klären. Das deklaratorische Schuldanerkenntnis ist ein Vertrag, dessen Zustandekommen von der Annahme des Gläubigers abhängt, welche aber auch konkludent, wie hier durch die Zahlungsannahme seitens der Versicherten, erfolgen kann. Wegen des vergleichsartigen Charakters eines solchen deklaratorischen Schuldanerkenntnisses kommt eine Anfechtung wegen Irrtums über solche Umstände, die durch das Anerkenntnis gerade außer Streit gestellt werden sollten, nicht in Betracht (vgl BSG, a.a.O). Die Beklagte war damit an ihre Leistungszusage vom 12.09.1996 bis zu einer Änderung der Verhältnisse gebunden, weil die private Pflegeversicherung ein Dauerschuldverhältnis begründet. Damit ist ihr der Einwand, welchen das Gutachten des Dr.F. vom 23.09.1998 offenbart, bei der vorausgegangenen Begutachtung seien die für die einzelnen Verrichtungen in den Begutachtungsrichtlinien festgesetzten Zeitkorridore nicht beachtet worden, genommen.
Auf eine relevante Änderung der Verhältnisse hinsichtlich des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit kann sich die Beklagte hier nicht berufen. Denn eine solche Änderung wäre zunächst durch Einholung eines sog Schiedsgutachtens gemäß des auch im Bereich der Pflegeversicherung anwendbaren § 64 VVG (so BSG, a.a.O.) zu belegen. Nach § 64 Abs 1 Satz 1 VVG sind Versicherer und Versicherungsnehmer an die Feststellungen des Sachverständigen zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder zur Höhe des Schadens grundsätzlich gebunden, wenn dies - wie hier in § 6 Abs 2 MB/PPV 1996 - vertraglich vereinbart ist. Die Feststellungen des Sachverständigen sind nur dann nicht verbindlich, wenn "sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen", wobei nur auf den Sachstand und die Erkenntnismittel zur Zeit der Begutachtung abzustellen ist (vgl Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl 1998, § 64 RdNr 44). Dieser Frage brauchte der Senat jedoch im hier zu entscheidenden Fall nicht weiter nachzugehen, denn die Beklagte wäre, würde sie sich auf eine solche offenbare Unrichtigkeit berufen wollen, mit diesem Einwand ausgeschlossen. Denn ein deklaratorisches Anerkenntnis schließt den Schuldner mit allen Einwendungen aus, die er bei seiner Abgabe kannte oder zumindest kennen mußte (Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl 1998, § 64 RdNr 6).
Die von der Beklagten nach ihrer Leistungszusage vom 12.09.1996 eingeholten Gutachten können nicht als Grundlage für eine Lösung von derselben dienen. Denn gerade wegen der Bindung an das der Leistungszusage zugrunde gelegte Gutachten steht es der Beklagten nicht frei, jederzeit ein neues Sachverständigengutachten einzuholen. Ein solches wäre (so BSG a.a.O.) nämlich nicht nur ungeeignet, sich seinetwegen von der Leistungszusage zu lösen, sondern für den Pflegebedürftigen auch ein unzumutbarer Eingriff in seine durch Art 1 und 2 Grundgesetz geschützte Intimsphäre (vgl BSG, Urteil vom 13. März 2001 - B 3 P 20/00 R -). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 6 Abs 2 MB/PPV 1996. Eine Nachuntersuchung ist bei gesetzeskonformer Auslegung nur dann "angemessen", wenn Gründe für die Annahme bestehen, der Umfang der Pflegebedürftigkeit könne sich in einem für die Einstufung relevanten Umfang verändert haben. Vorübergehende Besserungen von weniger als sechs Monaten Dauer bleiben von vornherein außer Betracht (vgl § 1 Abs 2 MB/PPV 1996; BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1).
Der erst im Berufungsverfahren nach Hinweis des Senats auf die Rechtsprechung des BSG erhobenen Behauptung der Beklagten, es sei eine nachhaltige Besserung des Zustandes der Versicherten eingetreten, brauchte der Senat nicht weiter nachzugehen. Denn abgesehen von der Tatsache, dass keinem nach dem 12.09.1996 eingeholten Gutachten eine solche Aussage zu entnehmen ist, weil die Sachverständigen nicht danach gefragt worden sind, ist kein Raum für eine gerichtliche Überprüfung. Denn für eine gerichtliche Sachaufklärung durch Einholung von Gutachten besteht erst dann Veranlassung, wenn das nach den MB/PPV 1996 vorgesehene Schiedsgutachten zur Frage einer Verminderung des Pflegebedarfs eingeholt worden, aber offensichtlich unrichtig ist. Ausnahmsweise reicht es auch aus, wenn die Sachverständigen die Feststellungen nicht treffen können oder wollen oder sie verzögern (§ 64 Abs 1 Satz 3 VVG). Auch dies setzt aber voraus, dass die Sachverständigen zumindest gebeten wurden, ein Gutachten über die relevante Frage zu erstellen. Das ist hier nicht geschehen. Weder der an Dr.F. gerichtete Auftrag vom 04.09.1998 noch der an Dr.H. gerichtete vom 28.10.1998 beinhalten eine konkrete Fragestellung nach einer Änderung der pflegerelevanten Verhältnisse. Die Beklagte bat Dr.F. um ein Wiederholungsgutachten. Eine vorgegebene Fragestellung ist auch seinem Formulargutachten nicht zu entnehmen. Er beschreibt in seinem Gutachten vom 23.09.1998 keine Besserung, sondern weist darauf hin, dass die Zeitkorridore bei der früheren Begutachtung nicht berücksichtigt worden seien, eine teilweise Mithilfe der Versicherten bei den einzelnen Verrichtungen, bei welchen wird nicht genannt, möglich sei und Erschwernisse bei der guten geistigen Situation nicht vorlägen. Hinsichtlich der einzelnen Verrichtungen und der pflegerelevanten Diagnosen stimmt das Gutachten von Dr.F. mit dem von Frau B. überein. Von Dr.H. verlangte die Beklagte ein Obergutachten. Abgesehen von der Frage, ob die Beklagte unter diesen Umständen überhaupt berechtigt war, ein weiteres Gutachten von Dr.H. einzuholen, kann dessen Ausführungen nicht entnommen werden, er habe sich mit der Frage befaßt, ob im Vergleich zu dem Gutachten der Ärztin B. inzwischen eine Besserung der Pflegesituation eingetreten sei. Sein Gutachten vom 18.11.1998 enthält keine Befunde, die eine Besserung erklären würden. Nach seiner Darstellung lagen die wesentlichen Einschränkungen im Bereich des Bewegungsapparates. Die Versicherte konnte sich aus dem Sitzen und Liegen nicht alleine aufrichten und nur in Begleitung mit Untergriff durch ihren Mann gehen. Das Gangbild wurde als kleinschrittig, stolpernd und unsicher bezeichnet. Zusätzlich wurde eine Störung der Feinmotorik und deutliche Kraftminderung der Hände, links größer als links, genannt. Der Pinzettengriff sowie der Nacken- und Schürzengriff waren nicht möglich. Der linke Arm konnte nur bis Achselhöhe gehoben werden. Bücken war nicht möglich. Damit wurden - anders als in den Vorgutachten - erstmals die einzelnen körperlichen Einschränkungen beschrieben. Ein Vergleich zu dem für Pflegestufe III maßgebenden, von der Ärztin B. befundeten Zustand ist nicht möglich. Der Senat kommt damit zum Ergebnis, dass eine gutachterliche Feststellung, ob eine wesentliche Änderung der Pflegesituation im Vergleich zu dem die Pflegestufe III begründenden Gutachten vom 29.08.1996 eingetreten war, von der Beklagten nicht eingeholt worden ist.
Somit ist es dem Senat verwehrt, in eine diesbezügliche gerichtliche Überprüfung einzutreten. Die Anwendbarkeit des § 64 VVG führt bei Streitigkeiten über die Leistungspflicht in der privaten Pflegeversicherung im Ergebnis zu einer Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle. Hieran ändert das im Sozialgerichtsprozeß geltende Amtsermittlungsprinzip nichts. Denn der Umfang der Amtsermittlung richtet sich nach den jeweils maßgebenden materiell-rechtlichen Vorgaben. Sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer können im Prozeß eine Überprüfung des Gutachtenergebnisses nur auf der Grundlage des § 64 VVG verlangen. Auf die Berufung des Klägers waren daher das Urteil des SG Augsburg aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Erben nach der verstorbenen Versicherten für den Zeitraum vom 23.09.1998 bis 08.11.1999 anteiliges Pflegegeld wegen häuslicher Pflege nach der Stufe III unter Abzug bereits geleisteter Beträge zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Gründe nach § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG zu erkennen sind und der Senat nicht von der Rechtsprechung des BSG abweicht.
Rechtskraft
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