Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 KR 75/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 370/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 41/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird wegen einer akuten Blutungsanämie (D62 ICD-10) eine „Kreuzung“ von Blutkonserven für einen stationär aufgenommenen Versicherten durchgeführt, so ist die Anämie auch dann als Nebendiagnose zu kodieren, wenn die „gekreuzten“ Blutkonserven dem Versicherten letztlich nicht transfundiert werden.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.503,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Vergütungsforderung wegen einer stationären Krankenhausbehandlung.
Der bei der Beklagten Versicherte Herr X (im Folgenden: Versicherter) wurde vom 12. bis 24. November 2008 in der von der Klägerin betriebenen D-Klinik stationär behandelt. Postoperativ entwickelte der Versicherte eine Nachblutung mit Hämatombildung, die einen Revisionseingriff erforderlich machte. Es kam zu einer auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Anämie, so dass die behandelnden Ärzte die Bereitstellung zweier Blutkonserven für den Versicherten sowie die hierfür erforderliche "Blutkreuzung" veranlassten. Letztlich wurden diese Blutkonserven aber nicht transfundiert.
Mit Rechnung vom 24. November 2008 machte die Klägerin auf der Basis der DRG F59A ihre Vergütung geltend in Höhe einer Rechnungsforderung von 5.612,34 EUR. Da nach Auffassung der Beklagten nur die DRG F54Z abrechnungsfähig sei, zahlte sie lediglich 4.208,43 EUR. Die Zahlung der restlichen Vergütung lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass die abrechnungswirksam kodierte Nebendiagnosen N18.82 (Niereninsuffienz) und D62 (akute Blutungsanämie) vom MDK in einem von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten nicht anerkannt worden seien.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. Februar 2010, der am Folgetag bei dem Sozialgericht Gießen eingegangen ist, hat die Klägerin Klage erhoben und macht die restliche Vergütungsforderung geltend. Zur Begründung führt sie aus, dass beide von ihr verschlüsselten Nebendiagnosen einen erhöhten Aufwand für das Pflegemanagement darstellten, da Bereitstellung sowie Kreuzung der Blutkonserven und die Hämotherapie als ein Aufwand für die Kodierrichtlinien anzusehen sind.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.503,17 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Einschätzung des MDK, dass die Definition einer Nebendiagnose bezüglich der Diagnose D62 ICD-10 (akute Blutungsanämie) nicht erfüllt sei, da die gekreuzte Blutkonserve letztlich nicht verabreicht worden sei; die bloße Bereitstellung von Blutkonserven auch bei vorgenommener Kreuzung sei Teil der allgemeinen Krankenhausleistungen und rechtfertige die Kodierung einer Diagnose nicht.
Am 23. April 2010 wurde die Nebendiagnose N18.81 ICD-10 Niereninsuffizienz seitens des MDK als kodierfähig anerkannt, da ein Ressourcenaufwand hierfür entstanden sei; die Voraussetzungen der Kodierung D62 ICD-10 seien jedoch nicht erfüllt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die mündliche Anhörung der Sachverständigen PD Dr. E., Direktorin des Instituts für Laboratoriumsmedizin des Klinikums G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20. September 2011, wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist weithin begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf vollständige Vergütung gemäß ihrer Rechnung vom 24. November 2008.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 S.3 SGB V i. V. m. § 7 S. 1 Nr. 1 KHEntgG sowie dem Vertrag über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Nach Rechtsprechung des BSG in früheren Jahren entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i. S. des § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des KHEntgG und der Bundespflegesatzverordnung in der zwischen den Krankenkassen und dem Krankenhausträger abzuschließenden Pflegesatzvereinbarung festgelegt wird.
Die Höhe der einem Krankenhaus zustehenden Vergütung wird durch die abzurechnende DRG bestimmt, die wiederum von den zu kodierenden Diagnosen abhängig ist (zu den Einzelheiten s. BSG, SozR 4-2500 § 109 Nr. 11, sowie jüngst Urteil v. 25.11.2010 B 3 KR 4/10 R – juris Rn. 13).
Zwischen den Beteiligten ist lediglich strittig, ob die Klägerin ihre Vergütungsforderung für die streitgegenständliche Behandlung auf der Basis der DRG F59A abrechnen durfte. Dies wiederum war, nachdem die Nebendiagnose N18.81 ICD-10 nicht mehr in Streit steht, der Fall, wenn sie die Nebendiagnose D62 ICD-10 (akute Blutungsanämie) kodieren durfte.
Nach den für das Jahr 2008 geltenden Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) D003d galt für die Kodierung einer Nebendiagnose:
"Die Nebendiagnose ist definiert als:
Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt. Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
- therapeutische Maßnahmen
- diagnostische Maßnahmen
- erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand.
Krankheiten, die z.B. durch den Anästhesisten während der präoperativen Beurteilung dokumentiert wurden, werden nur kodiert, wenn sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Sofern eine Begleiterkrankung das Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur beeinflusst, wird diese Krankheit als Nebendiagnose kodiert."
Entscheidend für die Beurteilung des Gerichts ist, ob die Kreuzung des Blutes des Versicherten mit den zwei bereitgestellten Blutkonserven das Patientenmanagement im Sinne der Kodierrichtlinien beeinflusst hat. Dies ist etwa der Fall, wenn die der Nebendiagnose zugrunde liegenden Erkrankung als solche zu diagnostischem Aufwand geführt hat. Auf der Basis der ausführlichen Darstellungen durch die Sachverständige E. im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist dies nach Überzeugung der Kammer zu bejahen.
Um Blutkonserven zur Verfügung stellen zu können, muss im Vorfeld bei dem Patienten eine Verträglichkeitsprüfung hinsichtlich der Blutgruppe im AB0-System, Rhesus-System und Kell-System erfolgen, was auch die Durchführung eines Antikörpersuchtests beinhaltet. Die Identität des Patienten muss im Labor zum wiederholten Male überprüft werden; erst dann kann die Blutprobe gekreuzt werden. Diesen Vorgang der Blutkreuzung hat die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung wie folgt beschrieben:
"Dies geschieht so, dass nämlich, wie hier in Hessen üblich, ( ) die eigentliche Blutprobe nicht angerührt werden muss, sondern man das Spenderblut aus dem Pilotröhrchen mit der Blutprobe des jeweiligen konkreten Patienten kreuzt. Dies wiederum geschieht dadurch, dass man die beiden Blutproben mischt. Dabei handelt es sich aber nicht nur um einen einfachen Mischungsprozess, sondern es müssen bestimmte Bedingungen dafür hergestellt werden, etwa eine ausreichende Erythrozytenkonzentration, die, sofern sie nicht von selbst vorhanden ist, zunächst hergestellt werden muss. Die Mischung der jeweiligen Blutprobe kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, je nachdem, welches Verfahren man wählt. Es kann in einem Röhrchen ( ) in einer Zentrifugierung durchgeführt werden und man überprüft dann im Anschluss, ob es zu Verklumpungen in den gemischten Proben kommt. Wenn dies nämlich in vivo geschehen würde, käme es zu einer Transfusionsreaktion, die eben durch die vorherige Kreuzung der Blutproben ausgeschlossen werden soll."
Dabei muss jede Blutkonserve von etwa 250 ml in dieser Form separat gekreuzt werden; die Dokumentation erfolgt durch zwei Personen, um ein Fehlerrisiko gering zu halten. Die reine Arbeitsdauer im Hinblick auf eine Blutkonserve beläuft sich auf ca. 15 Minuten. Gleichzeitig ist technischer Aufwand einschließlich der Bereithaltung und Wartung von Instrumenten und Geräten erforderlich.
Folglich erfordert die Kreuzung von Blutkonserven einen apparativen Aufwand, vor allem aber einen erheblichen personellen Einsatz im Rahmen der Diagnostik und Überwachung. Dieser Aufwand entsteht völlig unabhängig davon, ob die Blutkonserve letztlich einem Patienten verabreicht wird. Gesteigert wird der Aufwand pro Patient zusätzlich dann, wenn gekreuzte Blutkonserven aufgrund mehrtägiger Vorhaltedauer erneut gekreuzt werden müssen, um sicherzugehen, dass sich bei einem Patienten zwischenzeitlich keine neuen Antikörper gebildet haben.
Ist nach diesen Feststellungen der Kammer klar, dass zur Kreuzung einer Blutprobe ein personeller und verfahrenstechnischer Aufwand dieses Ausmaßes erforderlich ist, geht der Einwand der Beklagten fehl, dass die Kodierung der Anämie als Nebendiagnose die Transfusion der Blutkonserve voraussetzte. Die Argumentation der Beklagten wäre allein dann durchgreifend, wenn in DKR D003d eine Maßnahme verlangt wäre, die stets auch materiellen Ressourcenverbrauch nach sich zöge, unabhängig vom personellen Ressourcenverbrauch. Dies ist aber nicht der Fall.
Dies ergibt sich daraus, dass zur Kodierfähigkeit ausdrücklich schon ein (erhöhter) Pflege- und Überwachungsaufwand als ausreichend definiert wird. Pflege und Überwachung sind ihrer Natur nach regelmäßig nicht mit materiellem Verbrauch verbunden, da insbesondere die Überwachung durch personellen Einsatz (ggf. unter Hinzuziehung von technischen Apparaturen) gekennzeichnet ist. Gleiches gilt im Übrigen für Diagnostik, die dem Begriff nach ebenfalls zunächst auf die Gewinnung von Erkenntnissen über den Zustand eines Patienten ausgerichtet ist und keinesfalls notwendig einen Verbrauch von materiellen Ressourcen verlangt. Hier kommen höchstens typische Verbrauchsmaterialien wie Kanülen oder Testflüssigkeiten in Betracht, die aber auch im Rahmen der Blutkreuzung verbraucht werden, wie die Sachverständige E. erläutert hat.
Aufgrund des dargestellten personellen und überwachungstechnischen Aufwands unterscheidet sich die Bereitstellung von Blutkonserven nach erfolgter Blutkreuzung auch deutlich von der Anforderung oder Bevorratung von Fertigmedikamenten, die als solche lediglich im Bestand gehalten werden, ohne dass hierzu ein Aufwand im beschriebenen Umfang erforderlich wäre. Vor allem aber erfolgen solche personellen Ressourcenaufwendungen im Falle von Fertigarzneimitteln nicht konkret anlassbezogenen und individuell auf einen bestimmten Patienten abgestimmt wie im Falle einer Kreuzung von Blutproben. Daher greift auch der entsprechende Einwand des MDK nicht durch.
Auch der Hinweis der Beklagten auf das "Handbuch zur Kalkulation von Fallkosten" (Version 3.0 aus dem Jahr 2007) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Zwar wird hier (S. 114 f.) zur Bestimmung der "fallbezogenen Verbrauchsmenge" auf die tatsächliche Verabreichung eines Blutprodukts Bezug genommen und nicht verabreichte nur insofern als berücksichtigungsfähig beschrieben, soweit sie nicht auch für einen anderen Patienten verwendet werden konnten. Doch bezieht sich diese Regel auf die Kodierung eines Operations- und Prozedurenschlüssels (OPS) und bestimmt gegebenenfalls dadurch die Höhe einer Vergütung aufgrund konkreten Verbrauchs. Jedoch hat diese Kodierregel keinen Einfluss auf die Kodierbarkeit einer Nebendiagnose, die sich allein nach den DKR richtet.
Die Argumentation der Beklagten erweist sich im Übrigen – ohne dass es hierauf für die Entscheidung ankäme – auch insofern als nicht überzeugend, als die Sachverständige E. erläutert hat, dass im Klinikum G., einem Krankenhaus der Maximalversorgung, lediglich ca. 36 % aller gekreuzten Blutproben tatsächlich transfundiert werden. Wollte man daher nur diesen Anteil als kodier- und damit abrechnungsrelevant ansehen, müsste die Bereithaltung der materiellen, apparativen und personellen Ressourcen für die Durchführung der Blutkreuzung zu fast zwei Dritteln durch das übrige Drittel oder die allgemeine Vergütungssumme "mitfinanziert" werden. Für eine solche Kalkulation bestehen keine Anhaltspunkte, so dass von einer regelhaften, mit der allgemeinen Vergütung von Krankenhausleistungen abgegoltenen Leistung im Falle von Blutkreuzungen nicht ausgegangen werden kann.
Nach alledem hat die Anämie des Versicherten in Form der Kreuzung von Blutkonserven auch ohne deren Transfusion zusätzliche diagnostische Maßnahmen verursacht und damit das Patientenmanagement entsprechend der DKR D003d beeinflusst und war mit einem erhöhten, von der Hauptdiagnose völlig unabhängigen zusätzlichen Ressourcenverbrauch verbunden (vgl. BSG, Urteil v. 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R – juris). Folglich war die Beklagte berechtigt, die Diagnose D62 ICD-10 als Nebendiagnose zur Bestimmung der abzurechnenden DRG erlöswirksam zu kodieren. Dies führte – ohne dass dies als solches von der Beklagten in Abrede gestellt worden wäre – zur Vergütung gemäß DRG F59A entsprechend der geltend gemachten Vergütungsforderung laut Rechnung vom 24. November 2008. Die Klägerin kann daher die klageweise geltend gemachte weitere Vergütung verlangen.
Der Zinsanspruch folgt aus § 10 Abs. 5 des Vertrages über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Anspruchsbegründender Verzug trat jedoch, da die Rechnung vom 24. November 2011 mangels anderweitigem Vortrag der Klägerin erst am 27. November 2008 als sicher der Beklagten zugegangen angesehen werden kann, erst am Montag, 29. Dezember 2008, ein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO i. V. m. § 197a SGG.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Vergütungsforderung wegen einer stationären Krankenhausbehandlung.
Der bei der Beklagten Versicherte Herr X (im Folgenden: Versicherter) wurde vom 12. bis 24. November 2008 in der von der Klägerin betriebenen D-Klinik stationär behandelt. Postoperativ entwickelte der Versicherte eine Nachblutung mit Hämatombildung, die einen Revisionseingriff erforderlich machte. Es kam zu einer auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Anämie, so dass die behandelnden Ärzte die Bereitstellung zweier Blutkonserven für den Versicherten sowie die hierfür erforderliche "Blutkreuzung" veranlassten. Letztlich wurden diese Blutkonserven aber nicht transfundiert.
Mit Rechnung vom 24. November 2008 machte die Klägerin auf der Basis der DRG F59A ihre Vergütung geltend in Höhe einer Rechnungsforderung von 5.612,34 EUR. Da nach Auffassung der Beklagten nur die DRG F54Z abrechnungsfähig sei, zahlte sie lediglich 4.208,43 EUR. Die Zahlung der restlichen Vergütung lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass die abrechnungswirksam kodierte Nebendiagnosen N18.82 (Niereninsuffienz) und D62 (akute Blutungsanämie) vom MDK in einem von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten nicht anerkannt worden seien.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. Februar 2010, der am Folgetag bei dem Sozialgericht Gießen eingegangen ist, hat die Klägerin Klage erhoben und macht die restliche Vergütungsforderung geltend. Zur Begründung führt sie aus, dass beide von ihr verschlüsselten Nebendiagnosen einen erhöhten Aufwand für das Pflegemanagement darstellten, da Bereitstellung sowie Kreuzung der Blutkonserven und die Hämotherapie als ein Aufwand für die Kodierrichtlinien anzusehen sind.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.503,17 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Einschätzung des MDK, dass die Definition einer Nebendiagnose bezüglich der Diagnose D62 ICD-10 (akute Blutungsanämie) nicht erfüllt sei, da die gekreuzte Blutkonserve letztlich nicht verabreicht worden sei; die bloße Bereitstellung von Blutkonserven auch bei vorgenommener Kreuzung sei Teil der allgemeinen Krankenhausleistungen und rechtfertige die Kodierung einer Diagnose nicht.
Am 23. April 2010 wurde die Nebendiagnose N18.81 ICD-10 Niereninsuffizienz seitens des MDK als kodierfähig anerkannt, da ein Ressourcenaufwand hierfür entstanden sei; die Voraussetzungen der Kodierung D62 ICD-10 seien jedoch nicht erfüllt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die mündliche Anhörung der Sachverständigen PD Dr. E., Direktorin des Instituts für Laboratoriumsmedizin des Klinikums G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20. September 2011, wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist weithin begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf vollständige Vergütung gemäß ihrer Rechnung vom 24. November 2008.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 S.3 SGB V i. V. m. § 7 S. 1 Nr. 1 KHEntgG sowie dem Vertrag über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Nach Rechtsprechung des BSG in früheren Jahren entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i. S. des § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des KHEntgG und der Bundespflegesatzverordnung in der zwischen den Krankenkassen und dem Krankenhausträger abzuschließenden Pflegesatzvereinbarung festgelegt wird.
Die Höhe der einem Krankenhaus zustehenden Vergütung wird durch die abzurechnende DRG bestimmt, die wiederum von den zu kodierenden Diagnosen abhängig ist (zu den Einzelheiten s. BSG, SozR 4-2500 § 109 Nr. 11, sowie jüngst Urteil v. 25.11.2010 B 3 KR 4/10 R – juris Rn. 13).
Zwischen den Beteiligten ist lediglich strittig, ob die Klägerin ihre Vergütungsforderung für die streitgegenständliche Behandlung auf der Basis der DRG F59A abrechnen durfte. Dies wiederum war, nachdem die Nebendiagnose N18.81 ICD-10 nicht mehr in Streit steht, der Fall, wenn sie die Nebendiagnose D62 ICD-10 (akute Blutungsanämie) kodieren durfte.
Nach den für das Jahr 2008 geltenden Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) D003d galt für die Kodierung einer Nebendiagnose:
"Die Nebendiagnose ist definiert als:
Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt. Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
- therapeutische Maßnahmen
- diagnostische Maßnahmen
- erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand.
Krankheiten, die z.B. durch den Anästhesisten während der präoperativen Beurteilung dokumentiert wurden, werden nur kodiert, wenn sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Sofern eine Begleiterkrankung das Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur beeinflusst, wird diese Krankheit als Nebendiagnose kodiert."
Entscheidend für die Beurteilung des Gerichts ist, ob die Kreuzung des Blutes des Versicherten mit den zwei bereitgestellten Blutkonserven das Patientenmanagement im Sinne der Kodierrichtlinien beeinflusst hat. Dies ist etwa der Fall, wenn die der Nebendiagnose zugrunde liegenden Erkrankung als solche zu diagnostischem Aufwand geführt hat. Auf der Basis der ausführlichen Darstellungen durch die Sachverständige E. im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist dies nach Überzeugung der Kammer zu bejahen.
Um Blutkonserven zur Verfügung stellen zu können, muss im Vorfeld bei dem Patienten eine Verträglichkeitsprüfung hinsichtlich der Blutgruppe im AB0-System, Rhesus-System und Kell-System erfolgen, was auch die Durchführung eines Antikörpersuchtests beinhaltet. Die Identität des Patienten muss im Labor zum wiederholten Male überprüft werden; erst dann kann die Blutprobe gekreuzt werden. Diesen Vorgang der Blutkreuzung hat die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung wie folgt beschrieben:
"Dies geschieht so, dass nämlich, wie hier in Hessen üblich, ( ) die eigentliche Blutprobe nicht angerührt werden muss, sondern man das Spenderblut aus dem Pilotröhrchen mit der Blutprobe des jeweiligen konkreten Patienten kreuzt. Dies wiederum geschieht dadurch, dass man die beiden Blutproben mischt. Dabei handelt es sich aber nicht nur um einen einfachen Mischungsprozess, sondern es müssen bestimmte Bedingungen dafür hergestellt werden, etwa eine ausreichende Erythrozytenkonzentration, die, sofern sie nicht von selbst vorhanden ist, zunächst hergestellt werden muss. Die Mischung der jeweiligen Blutprobe kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, je nachdem, welches Verfahren man wählt. Es kann in einem Röhrchen ( ) in einer Zentrifugierung durchgeführt werden und man überprüft dann im Anschluss, ob es zu Verklumpungen in den gemischten Proben kommt. Wenn dies nämlich in vivo geschehen würde, käme es zu einer Transfusionsreaktion, die eben durch die vorherige Kreuzung der Blutproben ausgeschlossen werden soll."
Dabei muss jede Blutkonserve von etwa 250 ml in dieser Form separat gekreuzt werden; die Dokumentation erfolgt durch zwei Personen, um ein Fehlerrisiko gering zu halten. Die reine Arbeitsdauer im Hinblick auf eine Blutkonserve beläuft sich auf ca. 15 Minuten. Gleichzeitig ist technischer Aufwand einschließlich der Bereithaltung und Wartung von Instrumenten und Geräten erforderlich.
Folglich erfordert die Kreuzung von Blutkonserven einen apparativen Aufwand, vor allem aber einen erheblichen personellen Einsatz im Rahmen der Diagnostik und Überwachung. Dieser Aufwand entsteht völlig unabhängig davon, ob die Blutkonserve letztlich einem Patienten verabreicht wird. Gesteigert wird der Aufwand pro Patient zusätzlich dann, wenn gekreuzte Blutkonserven aufgrund mehrtägiger Vorhaltedauer erneut gekreuzt werden müssen, um sicherzugehen, dass sich bei einem Patienten zwischenzeitlich keine neuen Antikörper gebildet haben.
Ist nach diesen Feststellungen der Kammer klar, dass zur Kreuzung einer Blutprobe ein personeller und verfahrenstechnischer Aufwand dieses Ausmaßes erforderlich ist, geht der Einwand der Beklagten fehl, dass die Kodierung der Anämie als Nebendiagnose die Transfusion der Blutkonserve voraussetzte. Die Argumentation der Beklagten wäre allein dann durchgreifend, wenn in DKR D003d eine Maßnahme verlangt wäre, die stets auch materiellen Ressourcenverbrauch nach sich zöge, unabhängig vom personellen Ressourcenverbrauch. Dies ist aber nicht der Fall.
Dies ergibt sich daraus, dass zur Kodierfähigkeit ausdrücklich schon ein (erhöhter) Pflege- und Überwachungsaufwand als ausreichend definiert wird. Pflege und Überwachung sind ihrer Natur nach regelmäßig nicht mit materiellem Verbrauch verbunden, da insbesondere die Überwachung durch personellen Einsatz (ggf. unter Hinzuziehung von technischen Apparaturen) gekennzeichnet ist. Gleiches gilt im Übrigen für Diagnostik, die dem Begriff nach ebenfalls zunächst auf die Gewinnung von Erkenntnissen über den Zustand eines Patienten ausgerichtet ist und keinesfalls notwendig einen Verbrauch von materiellen Ressourcen verlangt. Hier kommen höchstens typische Verbrauchsmaterialien wie Kanülen oder Testflüssigkeiten in Betracht, die aber auch im Rahmen der Blutkreuzung verbraucht werden, wie die Sachverständige E. erläutert hat.
Aufgrund des dargestellten personellen und überwachungstechnischen Aufwands unterscheidet sich die Bereitstellung von Blutkonserven nach erfolgter Blutkreuzung auch deutlich von der Anforderung oder Bevorratung von Fertigmedikamenten, die als solche lediglich im Bestand gehalten werden, ohne dass hierzu ein Aufwand im beschriebenen Umfang erforderlich wäre. Vor allem aber erfolgen solche personellen Ressourcenaufwendungen im Falle von Fertigarzneimitteln nicht konkret anlassbezogenen und individuell auf einen bestimmten Patienten abgestimmt wie im Falle einer Kreuzung von Blutproben. Daher greift auch der entsprechende Einwand des MDK nicht durch.
Auch der Hinweis der Beklagten auf das "Handbuch zur Kalkulation von Fallkosten" (Version 3.0 aus dem Jahr 2007) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Zwar wird hier (S. 114 f.) zur Bestimmung der "fallbezogenen Verbrauchsmenge" auf die tatsächliche Verabreichung eines Blutprodukts Bezug genommen und nicht verabreichte nur insofern als berücksichtigungsfähig beschrieben, soweit sie nicht auch für einen anderen Patienten verwendet werden konnten. Doch bezieht sich diese Regel auf die Kodierung eines Operations- und Prozedurenschlüssels (OPS) und bestimmt gegebenenfalls dadurch die Höhe einer Vergütung aufgrund konkreten Verbrauchs. Jedoch hat diese Kodierregel keinen Einfluss auf die Kodierbarkeit einer Nebendiagnose, die sich allein nach den DKR richtet.
Die Argumentation der Beklagten erweist sich im Übrigen – ohne dass es hierauf für die Entscheidung ankäme – auch insofern als nicht überzeugend, als die Sachverständige E. erläutert hat, dass im Klinikum G., einem Krankenhaus der Maximalversorgung, lediglich ca. 36 % aller gekreuzten Blutproben tatsächlich transfundiert werden. Wollte man daher nur diesen Anteil als kodier- und damit abrechnungsrelevant ansehen, müsste die Bereithaltung der materiellen, apparativen und personellen Ressourcen für die Durchführung der Blutkreuzung zu fast zwei Dritteln durch das übrige Drittel oder die allgemeine Vergütungssumme "mitfinanziert" werden. Für eine solche Kalkulation bestehen keine Anhaltspunkte, so dass von einer regelhaften, mit der allgemeinen Vergütung von Krankenhausleistungen abgegoltenen Leistung im Falle von Blutkreuzungen nicht ausgegangen werden kann.
Nach alledem hat die Anämie des Versicherten in Form der Kreuzung von Blutkonserven auch ohne deren Transfusion zusätzliche diagnostische Maßnahmen verursacht und damit das Patientenmanagement entsprechend der DKR D003d beeinflusst und war mit einem erhöhten, von der Hauptdiagnose völlig unabhängigen zusätzlichen Ressourcenverbrauch verbunden (vgl. BSG, Urteil v. 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R – juris). Folglich war die Beklagte berechtigt, die Diagnose D62 ICD-10 als Nebendiagnose zur Bestimmung der abzurechnenden DRG erlöswirksam zu kodieren. Dies führte – ohne dass dies als solches von der Beklagten in Abrede gestellt worden wäre – zur Vergütung gemäß DRG F59A entsprechend der geltend gemachten Vergütungsforderung laut Rechnung vom 24. November 2008. Die Klägerin kann daher die klageweise geltend gemachte weitere Vergütung verlangen.
Der Zinsanspruch folgt aus § 10 Abs. 5 des Vertrages über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Anspruchsbegründender Verzug trat jedoch, da die Rechnung vom 24. November 2011 mangels anderweitigem Vortrag der Klägerin erst am 27. November 2008 als sicher der Beklagten zugegangen angesehen werden kann, erst am Montag, 29. Dezember 2008, ein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO i. V. m. § 197a SGG.
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