L 9 SO 37/10

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 15 SO 252/06
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 37/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Petö-Therapie kann eine geeignete Hilfe für behinderte Menschen zur Förderung einer angemessenen Schulbildung sein.
2. Die Kosten dafür sind im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen.
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozial- gerichts Schleswig vom 4. November 2010 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klä- gers auch im Berufungsverfahren zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Übernahme der Kosten für die konduktive mehrfachtherapeutische Förderung (Petö-Therapie) nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII), hat.

Der Kläger ist seit seiner Geburt am 21. September 1989 schwerstbehindert. Er leidet an einer angeborenen Cerebral-parese mit einer ausgeprägten Bewegungsstörung und einer psychomotorischen Retardierung sowie erheblicher Sehstörung.

Von frühester Kindheit an hat er eine ganzheitliche Petö-Therapie erhalten. In der Zeit von März 1998 bis zum 31. De-zember 2005 hat die Beklagte die Kosten für die Petö-Therapie übernommen, die von der Therapeutin und Konduktorin R. A. durchgeführt wurde. Dem lagen jeweils ausführliche Berichte von Frau A zugrunde, die die einzelnen Therapieerfolge dokumentierten. Außerdem lagen Stellungnahmen des Gesundheitsamtes der Beklagten vor, in denen durchgehend die Fortführung der Therapie als sehr effektiv geschildert und diese dringend befürwortet wurde. In der letzten Stellungnahme vom 2. Februar 2005 stellte Dr. O fest, dass die weitere Fortführung der Fördermaßnahme dringend erforderlich sei. Die konduktive Mehrfachförderung sei eine geeignete und sinnvolle Maßnahme.

Den mit Schriftsatz vom 29. November 2005 gestellten Antrag auf weitere Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2005 ab mit der Begründung, die konduktive Förderung nach Petö sei als medizinische Behandlung einzustufen. Die Petö-Therapie gehöre nicht zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Da Leistungen nach dem SGB XII nicht darüber hinausgehen könnten, sei auch nach diesem Gesetz eine Kostenübernahme nicht möglich. Den dagegen mit Schreiben vom 22. am 28. Dezember 2005 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2006 zurück.

Der Kläger hat am 30. Mai 2006 Klage erhoben. Er hat darauf verwiesen, dass Frau A eine anerkannte und erfahrene Kon-duktorin sei. Durch die Behandlung habe er erhebliche Fortschritte erzielt und viel gelernt. Die Petö-Therapie habe nicht nur dazu geführt, dass sich seine motorischen Fähigkeiten verbessert hätten. Auch die sprachlichen und geistigen Fähigkeiten sowie die soziale Integration und eine gewisse Selbstständigkeit seien dadurch erreicht worden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. De-zember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2006 zu verurteilen, ihm – dem Kläger – für den Zeitraum ab 1. Januar 2006 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die konduktive Mehrfachförderung im Umfang von zwei Terminen wöchentlich zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat mehrfach vorgetragen, bei der Petö-Therapie handele es sich um eine medizinische Behandlung. Da die Aufnahme der kon-duktiven Förderung als verordnungsfähiges Heilmittel in die ambulante Versorgung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht erfolgt sei, seien die gesetzlichen Krankenkassen zur Kostenübernahme nicht verpflichtet. Die Leistungen der Eingliederungshilfe könnten darüber jedoch nicht hinausgehen. Die Kosten für die Therapie könnten auch nicht als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht werden, denn anderenfalls würde die gesetzliche Begrenzung medizinischer Leistungen umgangen. Sollte eine Abgrenzung zwischen der medizinischen und der sozialen Rehabilitation erfolgen, wäre hierzu ein Gutachten erforderlich.

In einem weiteren Verfahren des Klägers wegen Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie gegen die Deutsche Angestellten-Krankenkasse, bei der er gesetzlich versichert ist, wurde die Klage mit Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 25. Juni 2010 (S 5 KR 45/07) abgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung am 25. August 2010 haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, der von der Beklagten fristgerecht widerrufen worden ist.

Mit Verfügung vom 3. September 2010 hat das Sozialgericht die Beteiligten zur Möglichkeit, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, angehört und eine Stellungnahmefrist von vier Wochen eingeräumt.

Mit Gerichtsbescheid vom 4. November 2010 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12. De¬zember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2006 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2008 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die durchgeführte konduktive Mehrfachförderung, begrenzt auf zwei Termine pro Woche, zu gewähren, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, über den 30. Juni 2008 bestehe ein solcher Anspruch nicht, denn danach habe der Kläger nicht mehr die Schule besucht. Da die Therapie nur auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sei, könne sie nur bis zur Beendigung des Schulbesuchs gewährt werden. Bei der konduktiven Mehrfachförderung nach Petö handele es sich um eine Frühförderung insbesondere schwerstbehinderter Kinder und Jugendlicher. Sie vermische medizinische und nichtmedizinische Behandlungsmethoden und –ziele. Ziele der Förderung seien zum einen die Verbesserung der motorischen Grundfähigkeiten und koordinativen Eigenschaften wie Sitzen, Krabbeln, Stehen, Gehen, Laufen und manuelle Fähigkeiten, aber auch die Förderung der intellektuellen und sozial emotionalen Fähigkeiten wie Sprache, Kultur, Technik und psychosoziales Handeln sowie die Förderung des lebenspraktischen Handelns. Es bestehe ein ganzheitlicher Ansatz, der die mit einer Cerebralparese einhergehende Bewegungsstörung nicht isoliert betrachte, sondern die gesamte Persönlichkeit mit einbeziehe. Dabei erfolgten die Fördermaßnahmen nicht im Rahmen einer medizinischen Behandlung, sondern durch besonders ausgebildete nichtärztliche Fachkräfte (Konduktoren). Zwar habe der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen (§ 91 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch – SGB V -) eine Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht empfohlen, sondern diese Therapie als nicht verordnungsfähiges Heilmittel eingestuft, dessen therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen sei. Daher sei die Petö-Therapie vom Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Das führe aber nicht dazu, dass eine Leistungsgewährung im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ebenfalls ausgeschlossen sei. Bei der Petö-Thera¬pie würden nicht nur verschiedene therapeutische Einzelbausteine miteinander verknüpft, sondern es würden auch verschiedene Ziele verfolgt. So sei nicht nur der Basisausgleich der bestehenden Behinderungen, also etwa die bloße Überwindung der motorischen und sprachlichen Defizite, Ziel der konduktiven Mehrfachförderung, sondern auch die Förderung der Eigenständigkeit der kranken Kinder und Jugendlichen, die Verbesserung ihrer Kommunikations- und Integrationsmöglichkeiten mit und in der Gesellschaft und die Stärkung ihrer Lernfähigkeit. Die soziale Rehabilitation orientiere sich sowohl an den Hilfen für eine angemessene Schulbildung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII als auch an dem Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten nach § 55 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX). Das Gericht habe sich die Überzeugung gebildet, dass die Therapie in dem betreffenden Zeitraum erfolgreich, geeignet und erforderlich gewesen sei. Daher habe die Beklagte die Kosten vollumfänglich zu übernehmen. Dabei liege es zwar in der Natur der Sache, dass sich die Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation überschnitten, die soziale Rehabilitation aber über die medizinische hinausgehen könne. Die Leistungen der sozialen Rehabilitation seien nicht identisch mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation und könnten nur als Ganzes, als unteilbare Leistung, erbracht werden. Der Gerichtsbescheid ist der Beklagten am 18. November 2010 zugestellt worden.

Diese hat am 17. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Sie rügt, dass das Sozialgericht den Anspruch des Klägers nicht auf eine konkrete Rechtsgrundlage gestützt habe. Dabei sei es für eine Kostenbeteiligung von wesentlicher Bedeutung, ob die Hilfe für eine angemessene Schulbildung im Vordergrund stehe oder der Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten. Sie – die Beklagte - vertritt weiter die Meinung, dass es sich bei der Petö-Therapie um eine medizinische Rehabilitation handele, so dass die Kosten im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht übernommen werden könnten. Da die Therapie aber nicht als verordnungsfähiges Heilmittel eingeordnet sei, könne weder die Krankenkasse noch der Sozialhilfekostenträger die Kosten übernehmen. Außerdem sei ein Bezug zur schulischen Ausbildung nicht deutlich gemacht worden. Die Entscheidung des Sozialgerichts habe sich nicht in dem notwendigen Umfang mit den Zielen und der Zwecksetzung der Petö-Therapie auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt stehe die Verbesserung der krankheitsbedingten Behinderung. Daher sei auch zu überprüfen, ob die Ziele der Petö-Therapie nicht durch von der gesetzlichen Krankenkasse anerkannte Therapien erreicht werden könnten. Um das zu ermitteln, sei ein Sachverständigengutachten erforderlich. Im Übrigen weist sie darauf hin, dass auch in der Neufassung der Heilmittelrichtlinie vom 20. Januar 2011 die konduktive Förderung nach Petö in der Anlage zu den nicht verordnungsfähigen Heilmitteln aufgeführt sei, dessen therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 4. November 2010 insoweit aufzuheben, als sie – die Beklagte – unter Abänderung des Bescheides vom 12. De-zember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2006 verurteilt worden ist, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2008 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die durchgeführte konduktive Mehrfachförderung, begrenzt auf zwei Termine pro Woche, zu gewähren, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Gründe des angegriffenen Urteils und legt eine erneute Stellungnahme von Frau R. A. vor, in welcher diese im Einzelnen aufführt, dass das konduktive Förderungssystem ein gleichermaßen medizinisch therapeutisch und pädagogisch psychologisch fundiertes didaktisches Konzept zur Unterstützung komplexer, die gesamte Persönlichkeitsentwicklung betreffender Lernprozesse sei. Durch diese Therapie, die bei dem Kläger seit 1993 angewandt werde, weil die konventionellen Therapien und heilpädagogischen Förderungen keine wesentlichen Fortschritte erzielt hätten, habe eine wesentliche Verbesserung des Krankheits- und Persönlichkeitsbildes des Klägers erreicht werden können.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

In dem angegriffenen Gerichtsbescheid hat das Sozialgericht Schleswig zutreffend und umfangreich ausgeführt, dass der Kläger einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie in dem Zeitraum von Januar 2006 bis Juni 2008 hat. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheides gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist zu ergänzen: Das Sozialgericht hat in dem angegriffenen Gerichtsbescheid auch deutlich gemacht, dass Rechtsgrundlage für die Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung (EingliederungsHVO) ist. Nach diesen Vorschriften sind Leistungen der Eingliederungshilfe die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung und bestehen in heilpädagogischen sowie sonstigen Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dabei gehören zu den methodischen Elementen heilpädagogischen Handelns u. a. die Wahrnehmungsförderung, basalpädagogische Aktivierung, Spielförderung, heilpädagogische Übungsbehandlung, Verhaltensmodifikation, Psychomotorik, Rhythmik, Werken, Gestalten, Musizieren, Sprach- und Kommunikationsförderung. Als "sonstige Maßnahmen" kommen alle Maßnahmen in Betracht, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern. Bei der Beurteilung der Eignung der heilpädagogischen Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nach § 12 Nr. 1 EingliederungsHVO besteht dabei keine Bindung an den Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnisse. Die Möglichkeit einer Förderung knüpft an die Aussicht auf Erfolg an und bedingt einen auf die einzelne Person zugeschnittenen individuellen Prüfungsmaßstab (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2010 – L 7 SO 6090/08 , recherchiert bei juris, Rn. 30 m.w.N.). Dabei können wegen des Nachrangs der Sozialhilfe allerdings keine Maßnahmen gefördert werden, die originäre Aufgaben der Schulen sind. Eine Kostenübernahme für Maßnahmen, die zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit gehören, kann daher nicht erfolgen. Für Hilfen außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit kann dagegen – wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ergibt – ein ergänzender Eingliederungsbedarf bestehen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2010, a.a.O., Rn. 34).

Wie aus den Berichten der Konduktorin R. A. und auch aus ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung hervorgeht, dient die Petö-Therapie auch dazu, den Kläger überhaupt in die Lage zu versetzen, die Schule zu besuchen, dort den Lehrstoff aufzunehmen und zu verarbeiten. So ergibt sich zum Beispiel aus dem Entwicklungsbericht vom 27. November 2001, dass die Therapie der Aufrechterhaltung der Lernbereitschaft und der Stabilisierung der Persönlichkeit dient. Der Kläger habe gelernt, bei den Übungen zur Schreibvorbereitung senkrechte Striche und Schwünge zu malen. Die Bedeutung von Symbolen sei ihm klar. Bei unbekannten Begriffen sei die Zuordnung noch fehlerhaft. Die inhaltsangemessene Intonation seiner Sprache habe sich weiter verbessert, ebenso sein Wortschatz und Satzbau. Er formuliere längere und auch Nebensätze, benutze Möglichkeits-, Vergleichs- sowie Steigerungsformen annähernd sicher. Sein Identitätsbewusstsein habe sich stabilisiert und er wisse, dass andere Menschen andere Sichtweisen, Probleme und Empfindungen hätten, und beginne, sich in die Perspektive anderer hineinzuversetzen. Die Förderung diene der Benutzung und dem Ausbau von motorischen, kognitiven und psychosozialen Ressourcen. Daraus folgt, dass der Kläger durch die jahrelange Petö-Therapie mit sehr kleinschrittigen Erfolgen allmählich daran herangeführt wurde, dass ein Schulbesuch einen gewissen Lerneffekt für ihn erreichen kann. Die Therapie versetzt ihn in die Lage, das Geschehen in der Schule wahrzunehmen und damit das dort Vorgetragene aufzunehmen und verarbeiten zu können. Dies stellt eine Hilfe zu einem angemessenen Schulbesuch und zu einer angemessenen Schulbildung dar, die über den Kernbereich der schulischen Pädagogik hinausgeht und dem Kläger unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten erst den Schulbesuch und einen gewissen Lerneffekt ermöglicht.

Inwieweit daneben auch § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7 SGB IX als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann, kann hier dahinstehen, denn in dem angegriffenen Gerichtsbescheid ist die Förderungsdauer auf die Zeit des Schulbesuchs begrenzt, so dass es für diesen Zeitraum auf diese Rechtsgrundlage nicht ankommt. Allerdings weist der Senat darauf hin, dass nach seiner Auffassung nichts dagegen spricht, diese Rechtsgrundlage auch für die Fortführung der Petö-Therapie heranzuziehen, um einem schwerstbehinderten Menschen die Teilhalbe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben zu vereinfachen.

Der Beklagten ist nicht darin zu folgen, die Petö-Therapie sei als eine medizinische Behandlung zu qualifizieren. Da sie als Heilmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden dürfe, sei eine Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe ausgeschlossen. Zwar ist zutreffend, dass die Förderung nach Petö in der Neufassung der Heilmittelrichtlinie vom 20. Januar 2011 erneut als nicht verordnungsfähiges Hilfsmittel eingestuft ist, weil der therapeutische Nutzen nicht nachgewiesen sei. Die Krankenkassen können daher die Kosten im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nicht übernehmen. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII darf der Sozialhilfeträger Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben jeweils nur im Rahmen der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung gewähren. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gilt das aber nur für die medizinische Rehabilitation und die Teilhabe am Arbeitsleben, nicht für die soziale Rehabilitation. Hilfsmittel bzw. Maßnahmen können sowohl der medizinischen Rehabilitation als auch der sozialen Rehabilitation dienen. Maßgebend ist dabei, welche Bedürfnisse Hilfsmittel bzw. Maßnahmen befriedigen sollen, also welchen Zwecken und Zielen das Hilfsmittel bzw. eine Maßnahme dienen soll. Zu den Hilfsmitteln hat das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt (Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R), dass "andere" Hilfsmittel im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX über die Aufgabenbestimmung nach § 31 SGB IX hinaus der gesamten Alltagsbewältigung dienten. Sie hätten die Aufgabe, den Behinderten den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern. Ihre Zweckbestimmung überschneide sich dabei zwangsläufig mit der des Hilfsmittels im Sinne von § 31 SGB IX (BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R, recherchiert bei juris, Rn. 17). Überschnitten sich medizinische und soziale Rehabilitation, sei eine Leistung nicht in der Weise teilbar, dass gegebenenfalls nur Teile der Kosten im Rahmen der sozialen Rehabilitation übernommen werden könnten. Es liege in der Natur der Sache, dass sich die Aufgaben der Hilfsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation überschnitten, die soziale Rehabilitation aber über die medizinische Rehabilitation hinausgehen könne. Leistungen der sozialen Rehabilitation seien dann nicht identisch mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation und könnten auch nur als Ganzes, als unteilbare Leistung, erbracht werden (BSG, Urteil vom 19. Mai 2005, a.a.O., Rn. 23). Es spricht nichts dagegen, diese Ausführungen des BSG auch auf Eingliederungshilfemaßnahmen bzw. auf die Petö-Therapie zu erstrecken. Dem folgend hat das BSG (Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R, recherchiert bei juris, Rn. 21) ebenfalls entschieden, dass Zwecksetzung der Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft mit der Zwecksetzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht identisch sei und insbesondere die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII der Erleichterung des Schulbesuchs dienen könne und somit über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende Ziele verfolge. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 EingliederungsHVO liege dabei ein stärker individualisiertes Förderverständnis zugrunde. Dieser individualisierende Ansatz zeige sich auch in § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII und § 9 Abs. 1 SGB IX, die es ermöglichten, den Wünschen der Leistungsberechtigten Rechnung zu tragen. Daher stelle das SGB XII bei den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Besonderheit des Einzelfalls in den Vordergrund. Jedenfalls könne nicht darauf verwiesen werden, dass die Petö-Therapie generell ungeeignet sei, die Schulfähigkeit eines an Cerebralparese leidenden Kindes zu verbessern (BSG, Urteil v. 29. September 2010, a.a.O., Rn. 22).

Ziel und Zweck der Petö-Therapie war nach den Stellungnahmen des Gesundheitsamtes der Beklagten und den Entwicklungsberichten von Frau A die ganzheitliche Förderung des Klägers, um diesem den Schulbesuch zu ermöglichen und während des Schulbesuchs Lernerfolge ermöglichen zu können. Daher ist unerheblich, inwieweit diese Therapie auch medizinisch zu einer Verbesserung des Gesundheitsbildes des Klägers beigetragen haben mag. Angesichts dieser Berichte und Stellungnahmen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Petö-Therapie im Fall des Klägers prognostisch zur Verbesserung der Beschulungsfähigkeit geeignet war und ihm den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht jedenfalls erleichtert hat. Auch wenn durch diese Therapie medizinische Erfolge erzielt worden sein sollten, steht dies der vollständigen Kostenübernahme durch die Beklagte nicht entgegen (vgl. Landessozialgericht für das Land Nord¬rhein-Westfalen, Urteil vom 10. Februar 2011 – L 9 SO 11/08). Gerade bei der ganzheitlichen Förderung durch Petö, bei der im Einzelnen schwer abgrenzbar ist, inwieweit die Therapie zu einer medizinischen oder anderweitigen darüber hinausgehenden Verbesserung der Situation einer behinderten Person führt, kommt es auf eine derartige Abgrenzung nicht an.

Wegen der Unteilbarkeit der Leistungen zur sozialen Rehabilitation ist daher auch kein Sachverständigengutachten einzuholen. Ein solches ist ebenso wenig erforderlich zur Feststellung, ob andere Therapien denselben Erfolg bei dem Kläger erreicht hätten. Solche Therapien hätte die Beklagte bei Einstellung der Kostenübernahme für die Petö-Therapie anbieten müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

I
Rechtskraft
Aus
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