L 7 P 2/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 6 P 140/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 2/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.09.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Leistungen nach Pflegestufe I.

Der am 1988 geborene Kläger ist bei der Beklagten familienversichert. Am 04.03.1996 beantragte er Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Am 11.05.1996 erfolgte eine sozialmedizinische Untersuchung durch den Sachverständigen Dr.W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). In der Grundversorgung (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) ergebe sich kein wesentlich höherer Pflegebedarf als bei einem gesunden gleichaltrigen Kind, d.h. die Nahrung werde auf die notwendigen BE-Einheiten ausgerechnet. Somit beziehe sich der erforderliche Hilfebedarf im Wesentlichen auf die unbedingt notwendigen therapieunterstützenden Maßnahmen wie Blutzuckerkontrollen, Insulinabgabe, Fortbildungen, Vermeidung von Aufregungen. Solche therapieunterstützenden Maßnahmen dürften bei der Einstufung in die entsprechende Pflegekategorie nach den derzeit gültigen gesetzlichen Bestimmungen nicht berücksichtigt werden. Hierfür sei ausschließlich der Hilfebedarf im grundpflegerischen Bereich (verglichen mit einem gesunden gleichaltrigen Kind) maßgeblich. Pflegebedürftigkeit sei nicht anzunehmen. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 29.06.1996 den Antrag ab.

Mit seinem Widerspruch wies der Kläger darauf hin, dass die "intensive Therapie" von seinen Eltern eine 24-stündige Rund-um-die-Uhr-Pflege erfordere. Gerade diese solle die bei Diabetikern bekannten Spätfolgen verhindern helfen. Beigefügt war ein Zeitungsausschnitt mit Hinweis auf ein Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27.06.1996 - S 23 P 63/97 -.

Daraufhin erfolgte am 13.01.1997 eine weitere sozialmedizinische Untersuchung und Begutachtung durch den MDK - Gutachten von Dr.U. vom 25.02.1997 -, der ebenfalls zu dem Ergebnis kam, dass Pflegebedürftigkeit nicht vorläge. Der Hausbesuch habe keine wesentlichen Gesichtspunkte ergeben, die nicht schon im Vorgutachten berücksichtigt worden seien. Mit Bescheid vom 11.03.1997 wurde sodann der Antrag erneut abgelehnt, wobei dieser Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthielt. Im dagegen erhobenen Widerspruch wurde erneut auf das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27.06.1996 verwiesen. Zudem sei der Pflegeaufwand nicht umfassend festgestellt worden, was näher ausgeführt wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und stützte sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Feststellungen des MDK und das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.02.1998 - B 3 P 11/ 97 R -.

Zur Begründung seiner zum Sozialgericht Bayreuth erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen. Zu Unrecht meine die Beklagte, die zitierte Entscheidung des BSG stelle eine Vorentscheidung im vorliegenden Rechtsstreit dar, was jedoch nicht zutreffend sei. Am 08.03. 1999 hat ein Erörterungstermin stattgefunden, in dem der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung vertagt wurde. Das Gericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr.L., der in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 13.04.1999 zu dem Ergebnis kam, eine Pflegestufe werde nicht erreicht. Mit Urteil vom 29.09.2000 hat das Sozialgericht Bayreuth die Klage abgewiesen und in seiner Begründung im Wesentlichen auf die Feststellungen des MDK sowie das Gutachten von Dr.L. verwiesen. Des Weiteren hat es sich eingehend mit der einschlägigen Rechtssprechung des BSG auseinandergesetzt.

Mit seiner Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, bei der Schaffung der Pflegeversicherung sei der Gesetzgeber vom Leitbild des älteren Menschen ausgegangen. Er habe dabei übersehen, dass es auch andere pflegebedürftige Personen gäbe, welche gerade nicht diesem Leitbild entsprächen. Insofern läge in krassem Maße ein Verstoß gegen die Regelung des Art.3 Abs.1 Grundgesetz (Gleichbehandlungsgrundsatz) vor, woraus folge, dass die Regelung des § 14 SGB XI rechtswidrig und daher nicht in der derzeitigen Form anzuwenden sei. Das Gericht möge von daher die Verfassungsmäßigkeit überprüfen. Vorsorglich werde auf ein Attest von Dr.G. verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.09.2000 sowie den Bescheid vom 26.06.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.07.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen aus der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor. In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.09.2000 und die zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Dem Kläger stehen Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht zu.

Denn der nach den Bestimmungen des SGB XI berücksichtigungsfähige Hilfebedarf beim Kläger erreicht nicht den von § 15 Abs.3 SGB XI für die Pflegestufe I im Tagesdurchschnitt geforderten zeitlichen Umfang von 90 Minuten, da auf die Grundpflege nicht mehr als 45 Minuten entfallen. Nach § 14 Abs.4 SGB XI ist in diesem Zusammenhang im Bereich der Grundpflege allein maßgebend, ob und in welchem Umfang Hilfebedarf bei den dort genannten gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens besteht. Bei diesen Verrichtungen besteht beim Kläger kein ausreichender Hilfebedarf. Dies folgt aus den bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten, die durch das von Dr.L. gegenüber dem Sozialgericht erstatteten Gutachten bestätigt worden sind. Von daher war auch die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht erforderlich. Der Kläger hat auch schon deshalb keinen Anspruch auf Pflegegeld der Pflegestufe I, weil ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege nur bei einer Verrichtung (Nahrungsaufnahme) allenfalls besteht, also nicht wie vom Gesetz gefordert, bei mindestens zwei derartigen Verrichtungen. Wenn im Bereich der Körperpflege ein Hilfebedarf im Sinne von Kontrollen wegen möglicher Verletzungen, Anleitung zu einer speziellen Körperpflege, Überprüfen vom Eincremen der Zehenzwischenräume geltend gemacht wird, so können diese Tätigkeiten nicht den abschließend geregelten Katalogverrichtungen zugeordnet werden, und müssen von daher bei der Zuordnung der Pflegestufe unberücksichtigt bleiben.

Der Kläger bedarf im Bereich der Grundpflege, wie bereits ausgeführt, allenfalls bei der Verrichtung der Nahrungsaufnahme der Hilfe, und zwar durch Beaufsichtigung und Anleitung, um den Verzehr der genau bemessenen Nahrungsmittel sicherzustellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 19.02.1998 - BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr.2 und SozR 3-3300 § 14, 3; vom 17.06.1999 B 3 P 10/98 R - Diabeteskind -; vom 29.04.1999 B 3 P 13/98 R - Mukoviszidose -) gehört aber das geltend gemachte aufwendige Zusammenstellen, Berechnen, Zubereiten, Abwägen und Portionieren der Nahrung gerade nicht zur Grundpflege.

Der beim Kläger bestehende Hilfebedarf ist von daher ausschließlich dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen. Im Bereich der Ernährung unterscheidet § 14 Abs.4 SGB XI zwischen der mundgerechten Zubereitung oder der Aufnahme der Nahrung einerseits, wobei ein Hilfebedarf bei diesen Verrichtungen der Grundpflege nach den Nummern 1 bis 3 zuzuordnen ist, sowie dem Einkaufen und Kochen andererseits, das dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zugewiesen ist. Die Vorschrift differenziert damit allein nach dem äußeren Ablauf der Verrichtungen. Sie knüpft nicht an das mit der Verrichtung angestrebte Ziel an. Bezogen auf den allerdings existenznotwendigen Lebensbereich der Ernährung bedeutet dies, dass nicht umfassend alle Maßnahmen einzubeziehen sind, die im konkreten Einzelfall, im weitesten Sinne dem Ernährungsvorgang zugeordnet werden können. Zur Grundpflege gehört nach § 14 Abs.4 Nr.3 SGB XI vielmehr nur die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme selbst sowie die letzte Vorbereitungsmaßnahme, soweit eine solche nach der Fertigstellung der Mahlzeit krankheits- oder behinderungsbedingt erforderlich wird (BT-Drucksache 12/5262, S.96, 97; Wilde in: Hauck-Wilde, SGB XI, § 14 Rdnr.34 b).

Das BSG folgt in seinem Urteil vom 19.02.1998 - B 3 P 3797 R auch gerade nicht der Auffassung des Sozialgerichts Hamburg, wonach bei einem an Diabetes leidenden Kind das Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Mahlzeiten zum "mundgerechten Zubereiten" der Nahrung gehöre, weil dem Diabetiker eine Mahlzeit nur dann "munden" könne, wenn sie mit Hilfe aufwendiger Vorbereitungen genau berechnet und zubereitet sei und er andernfalls durch die Nahrung in Lebensgefahr gebracht werde. Nach dem Urteil des BSG a.a.O. wird diese Auslegung den Vorgaben des Gesetzes nicht gerecht, weil sie sich von dem äußeren Ablauf der Pflegemaßnahme löst und statt dessen auf eine individuelle Bedeutung einzelner Hilfeleistungen abstellt. Der Senat folgt im Übrigen den Ausführungen des Sozialgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Abschließend wird bezüglich des geltend gemachten Verfassungsverstoßes darauf hingewiesen, dass es insoweit allein Aufgabe und Sache des Gesetzgebers ist, diesbezüglich andere Regelungen zu treffen. Nach der derzeitig geltenden Gesetzeslage ist eine andere Entscheidung nicht möglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved