Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 58/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 40/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.09.2000 und die zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 20.03.1998 bis 30.09.1998 Pflegegeld der Pflegestufe II zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von höherem Pflegegeld - hier Pflegestufe II - ab 20.03.1998 streitig.
Die am ...1994 geborene Klägerin leidet an beinbetonter Tetraspastik und allgemeiner Entwicklungsverzögerung, diese Gesundheitsstörungen sind vom Amt für Versorgung und Familienförderung Augsburg mit Bescheid vom 04.10.1997 als Behinderungen bei einem GdB um 100 v. H. festgestellt worden. Außerdem sind die Merkzeichen "B", "G", "AG" und "H" zuerkannt.
Am 18.01.1996 wurde erstmals Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt. Nach Einholung eines Gutachtens des MDK vom 22.02.1996, wonach vor allem spastische Bewegungsabläufe beschrieben wurden und die Sprache stark verzögert war, ein Hilfebedarf ist insbesondere bei der Darm- und Blasenentleerung angenommen worden (5-mal täglich Hilfebedarf beim Toilettengang 30 Minuten; für die Hilfe beim Stehen seien insgesamt 40 Minuten anzunehmen), hat die Beklagte mit Bescheid vom 21.03.1996 Leistungen nach der Pflegestufe I ab 18.01.1996 bewilligt.
Nachdem die MDK-Untersuchung vom 30.01.1998 - im Alter der Klägerin von vier Jahren - weiterhin eine wesentliche Entwicklungsverzögerung und einen Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind von etwa 1,5 Stunden täglich ergab, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 09.03.1998 der Mutter der Klägerin mit, dass weiterhin Pflegegeld der Pflegestufe I bezahlt werde.
Am 20.03.1998 beantragte die Mutter der Klägerin die Höherstufung.
Die weitere MDK-Untersuchung vom 15.05.1998 kam zu einem Grundpflegebedarf von 232 Minuten, wobei hiervon 130 Minuten für ein gesundes gleichaltriges Kind abgezogen worden sind, sodass nur von einem berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von täglich 102 Minuten ausgegangen werden könne.
Dementsprechend lehnte die Beklagte dann mit Bescheid vom 20.05.1998 den Höherstufungsantrag vom 20.03.1998 ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens veranlasste die Beklagte eine erneute Untersuchung durch den MDK am 10.08.1998. Demzufolge sei abzüglich eines Betreuungs- und Pflegeaufwandes für ein gesundes gleichaltriges Kind von 130 Minuten pro Tag der Zeitaufwand für die tägliche Grundpflege mit 102 Minuten und zusätzlich die notwendige hauswirtschaftliche Versorgung mit 45 Minuten anzusetzen. Ein Teil des angegebenen Pflegeaufwandes - z. B. die umfassenden Geh- und Stehübungen, die die Mutter mit ihrer Tochter durchführe - stellten keinen Pflegeaufwand im Sinne des SGB XI dar, sondern seien dem krankengymnastischen Bereich zuzurechnen.
Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17.06.1999): Es stünden weiterhin nur Leistungen nach der Pflegestufe I zu. Aus rechtlichen Gründen seien nicht 289 Minuten täglich, sondern nur 102 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege anrechenbar.
Hiergegen wurde vor dem SG Augsburg Klage erhoben: Geltend gemacht wurde ein täglicher regelmäßiger Hilfebedarf von 329 Minuten, abzüglich von 130 Minuten, somit sei ein Zeitaufwand für die Grundpflege von 199 Minuten anzusetzen.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts u.a. die Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg beigezogen und ärztliche Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. R ... und Dr. W ... eingeholt. Der Bevollmächtigte der Klägerin übermittelte das für den Zeitraum 27.08.1999 bis 09.09.1999 geführte Pflegetagebuch. Das SG hat des weiteren von Amts wegen als Sachverständige Frau Dr. A ... gehört. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 29.11.1999 einen Mehrbedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind je nach Abzug zwischen 75 und 100 Minuten täglich fest. Für die Körperpflege wurden 75 Minuten, für die Ernährung 75 Minuten, für die Mobilität 55 Minuten, also ein Gesamtaufwand von 205 Minuten angesetzt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung ergebe sich ein Mehrbedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind je nach Abzug zwischen 75 und 100 Minuten täglich. Die Sachverständige verwies aber des weiteren darauf, dass im Zeitpunkt der Begutachtung vom Mai 1998 der Hilfebedarf höher gelegen habe, vor allem im Bereich der Körperpflege, insoweit habe die Klägerin noch gewindelt werden müssen, sodass diesbezüglich ein Hilfebedarf von 55 Minuten täglich anzusetzen sei. Auch für die Therapie hat sie einen zusätzlichen Hilfebedarf von täglich 51 Minuten für gerechtfertigt erachtet. Der vorgenannte höhere Hilfebedarf habe zwischen März und September 1998 vorgelegen. Die Augenärzte Dres. D ... und Kollegen übermittelten ferner dem SG am 03.12.1999 einen Befundbericht.
Mit Bescheid vom 28.12.1999, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens wurde, führte die Beklagte das Ergebnis eines weiteren MDK-Gutachtens vom 27.12.1999 in das Verfahren ein. Danach umfasse der Zeitbedarf der Grundpflege 173 Minuten pro Tag, der Zeitbedarf der Hauswirtschaft 45 Minuten pro Tag. Von dem Gesamtzeitbedarf von 218 Minuten pro Tag seien 105 Minuten abzuziehen (Hilfebedarf eines vergleichbaren gesunden 6-jährigen Kindes), sodass im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von 68 Minuten berücksichtigungsfähig sei. Zusammen mit der notwendigen hauswirtschaftlichen Versorgung stünden weiterhin (vorläufig bis zum 31.12.2001 befristet) Leistungen nach der Pflegestufe I zu.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14.03.2000 u. a. gerügt, dass - unter Addition der maximal angesetzten Werte in beiden Gutachten - sich im Bereich der Grundpflege insgesamt 229 Minuten ergäben, nämlich im Bereich der Körperpflege 93 Minuten, im Bereich der Ernährung 75 Minuten und im Bereich der Mobilität 61 Minuten Unter Berücksichtigung eines Pflegeaufwandes für ein gesundes Kind von 105 Minuten würden sich für die Grundpflege 124 Minuten errechnen, sodass insoweit die Voraussetzungen der Pflegestufe II erfüllt seien. Tatsächlich seien aber die Pflegeaufwendungen noch höher als in den Gutachten angegeben. Insoweit wurden weitere Einzelheiten dargelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Mutter der Klägerin am 18.09.2000 weitere Angaben zur behinderungsbedingten Situation ihrer Tochter und dem daraus resultierenden Hilfebedarf gemacht.
Die Klägerin hat vor dem SG zuletzt beantragt, ihr Pflegegeld nach der Pflegestufe II beginnend ab 20.03.1998 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 18.09.2000 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höheres Pflegegeld als nach der bislang gewährten Pflegestufe (§§ 14, 15, 37 SGB XI). Das Gericht stütze sich dabei auf die seiner Ansicht nach im Ergebnis übereinstimmenden Gutachten, auch wenn diese hinsichtlich der jeweils für berücksichtigungsfähig erachteten Zeiten teilweise erheblich voneinander abweichen würden. Welchem der divergierenden ärztlichen Voten zu folgen sei, könne aber letztlich dahingestellt bleiben, denn wenn man zu Gunsten der Klägerin die jeweiligen Höchstwerte annehmen würde, ergäbe sich ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 169 Minuten - vor Abzug nach § 15 Abs. 2 -. Ein solcher sei jedoch gemäß § 15 Abs. 2 und 3 SGB XI nicht ausreichend, um Leistungen nach der Pflegestufe II bewilligen zu können. Außerdem sei es aus der Sicht des SG unzulässig, gleichsam im Wege eines Günstigkeitsprinzips nur die Höchstwerte in den in den Einzeleinsätzen voneinander abweichenden Gutachten anzunehmen, denn dadurch würde das Gesamtbild verfälscht. Die Klägerin habe im streitgegenständlichen Zeitraum ab 20.03.1998 im Bereich der Mobilität langsame Fortschritte gemacht. Diesem Umstand sei ebenso Rechnung zu tragen wie demjenigen, dass bei einem gesunden gleichaltrigen Kind mit fortschreitendem Lebensalter der natürliche Hilfebedarf immer geringer werde. Die Gesamtschau der ärztlichen Voten gebiete, dass bei der Klägerin etwa ein Gesamthilfebedarf im Beeich der Grundpflege von ca. 1,5 Stunden täglich anzunehmen sei. Dabei habe sich das Gericht nicht nur von den Ausführungen der Sachverständigen Dr. A ... in ihrem Gutachten vom 29.11.1999 leiten lassen, sondern auch von den Angaben der Mutter, wie sie im vorgelegten Pflegetagebuch dokumentiert seien. Die dortigen Angaben seien jedoch nach Maßgabe der Pflegerichtlinien insoweit zu korrigieren, als sie in Einzelpunkten über den dort vorgesehenen Zeitkorridor hinausgingen. Auch sei dort nicht der Hilfebedarf eines gesunden gleichaltrigen Kindes (§ 15 Abs. 2 SGB XI) abgesetzt. Hinsichtlich der angegebenen Zeiten im Rahmen der Mobilität sei auch entgegenzuhalten, dass der zeitlich umfassende Block der krankengymnastischen Maßnahmen im Rahmen der Grundpflege nicht berücksichtigungsfähig sei. Nach allem stünden der Klägerin daher nur Leistungen der Pflegestufe I zu, nicht jedoch nach der beantragten Pflegestufe II.
Hiergegen hat die Klägerin - unter Hinweis auf den Vortrag in der ersten Instanz - Berufung eingelegt: Entgegen der Auffassung des SG stünden der Klägerin Leistungen nach der Pflegestufe II zu.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Augsburg vom 18.09.2000 und des Bescheides vom 20.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.1999 sowie Abänderung des Bescheides vom 28.12.1999 zu verurteilen, ihr Pflegegeld der Pflegestufe II ab 20.03.1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Nach Auffassung des Senats hat das SG insoweit die Klage zu Unrecht abgewiesen, als der Klägerin für die Zeit vom 20.03.1998 bis 30.09.1998 Pflegegeld der höheren Pflegestufe, hier Pflegestufe II, zu gewähren ist. Diese Auffassung stützt der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. A ... Danach hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II - statt I - in dem Zeitraum vom 20.03.1998 bis 30.09.1998, weil für diesen Zeitraum die erforderlichen Voraussetzungen, hier nämlich ein Grundpflegebedarf vom mindestens 2 Stunden (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI) erfüllt sind. Insoweit kam nämlich die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 29.11.1999 mit den für den Senat gut nachvollziehbaren Darlegungen zu der Auffassung (vgl. insb. Ausführungen in ihrem Gutachten S. 97, 99, 100/ 101), dass im Zeitpunkt der Begutachtung vom Mai 1998 ein höherer Hilfebedarf, hier vor allem im Bereich der Körperpflege und der Therapie gegeben sei. Zutreffend ist zwar mit dem SG davon auszugehen, dass der von der Sachverständigen zugrundegelegte höhere Zeitbedarf im Rahmen der Therapie im Bereich der Grundpflege nicht berücksichtigungsfähig ist. Entscheidungserheblich ist aber der von der Sachverständigen angeführte höhere Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege, soweit sie ausgeführt hat, dass das Kind in dem noch maßgeblichen Zeitraum gewindelt werden musste und insoweit ein Hilfebedarf von 55 Minuten täglich angesetzt worden ist. Dieser Hilfebedarf hat auch für mindestens 6 Monate (§ 14 Abs. 1 SGB XI) vorgelegen, sodass für den vorgenannten Zeitraum vom 20.03.1998 bis 30.09.1998 ein Anspruch auf Pflegegeld der Pflegestufe II gegeben ist.
Insofern waren daher das angefochtene Urteil des SG Augsburg sowie die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten entsprechend abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für die vorgenannte Zeit Pflegegeld der Pflegestufe II zu gewähren.
Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin jedoch als unbegründet anzusehen. Über den vorgenannten Zeitraum hinaus hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen - wie sich ebenfalls aus dem Gutachten der vorgenannten Sachverständigen Dr. A ... ergibt - nicht erfüllt sind. Insoweit hat das SG - unter eingehender Würdigung der vorliegenden Gutachten und Auseinandersetzung mit den teilweise höheren zeitlichen Ansetzen im Pflegetagebuch - zutreffend dargelegt, dass ein Grundpflegebedarf von mindestens zwei Stunden (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI) nach allem nicht gegeben ist. Auf die Entscheidungsgründe wird insoweit zur weiteren Begründung gemäß § 153 Abs. 2 SGG ergänzend Bezug genommen.
Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren nichts vorgebracht, was - über den oben genannten Urteilsauspruch hinaus - eine andere Entscheidung rechtfertigen könnte oder weiteren Aufklärungsbedarf ergäbe. Insoweit war daher die Berufung als unbegründet anzusehen und dementsprechend zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung der Klägerin zu einem geringen Teil erfolgreich war.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von höherem Pflegegeld - hier Pflegestufe II - ab 20.03.1998 streitig.
Die am ...1994 geborene Klägerin leidet an beinbetonter Tetraspastik und allgemeiner Entwicklungsverzögerung, diese Gesundheitsstörungen sind vom Amt für Versorgung und Familienförderung Augsburg mit Bescheid vom 04.10.1997 als Behinderungen bei einem GdB um 100 v. H. festgestellt worden. Außerdem sind die Merkzeichen "B", "G", "AG" und "H" zuerkannt.
Am 18.01.1996 wurde erstmals Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt. Nach Einholung eines Gutachtens des MDK vom 22.02.1996, wonach vor allem spastische Bewegungsabläufe beschrieben wurden und die Sprache stark verzögert war, ein Hilfebedarf ist insbesondere bei der Darm- und Blasenentleerung angenommen worden (5-mal täglich Hilfebedarf beim Toilettengang 30 Minuten; für die Hilfe beim Stehen seien insgesamt 40 Minuten anzunehmen), hat die Beklagte mit Bescheid vom 21.03.1996 Leistungen nach der Pflegestufe I ab 18.01.1996 bewilligt.
Nachdem die MDK-Untersuchung vom 30.01.1998 - im Alter der Klägerin von vier Jahren - weiterhin eine wesentliche Entwicklungsverzögerung und einen Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind von etwa 1,5 Stunden täglich ergab, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 09.03.1998 der Mutter der Klägerin mit, dass weiterhin Pflegegeld der Pflegestufe I bezahlt werde.
Am 20.03.1998 beantragte die Mutter der Klägerin die Höherstufung.
Die weitere MDK-Untersuchung vom 15.05.1998 kam zu einem Grundpflegebedarf von 232 Minuten, wobei hiervon 130 Minuten für ein gesundes gleichaltriges Kind abgezogen worden sind, sodass nur von einem berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von täglich 102 Minuten ausgegangen werden könne.
Dementsprechend lehnte die Beklagte dann mit Bescheid vom 20.05.1998 den Höherstufungsantrag vom 20.03.1998 ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens veranlasste die Beklagte eine erneute Untersuchung durch den MDK am 10.08.1998. Demzufolge sei abzüglich eines Betreuungs- und Pflegeaufwandes für ein gesundes gleichaltriges Kind von 130 Minuten pro Tag der Zeitaufwand für die tägliche Grundpflege mit 102 Minuten und zusätzlich die notwendige hauswirtschaftliche Versorgung mit 45 Minuten anzusetzen. Ein Teil des angegebenen Pflegeaufwandes - z. B. die umfassenden Geh- und Stehübungen, die die Mutter mit ihrer Tochter durchführe - stellten keinen Pflegeaufwand im Sinne des SGB XI dar, sondern seien dem krankengymnastischen Bereich zuzurechnen.
Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17.06.1999): Es stünden weiterhin nur Leistungen nach der Pflegestufe I zu. Aus rechtlichen Gründen seien nicht 289 Minuten täglich, sondern nur 102 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege anrechenbar.
Hiergegen wurde vor dem SG Augsburg Klage erhoben: Geltend gemacht wurde ein täglicher regelmäßiger Hilfebedarf von 329 Minuten, abzüglich von 130 Minuten, somit sei ein Zeitaufwand für die Grundpflege von 199 Minuten anzusetzen.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts u.a. die Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg beigezogen und ärztliche Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. R ... und Dr. W ... eingeholt. Der Bevollmächtigte der Klägerin übermittelte das für den Zeitraum 27.08.1999 bis 09.09.1999 geführte Pflegetagebuch. Das SG hat des weiteren von Amts wegen als Sachverständige Frau Dr. A ... gehört. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 29.11.1999 einen Mehrbedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind je nach Abzug zwischen 75 und 100 Minuten täglich fest. Für die Körperpflege wurden 75 Minuten, für die Ernährung 75 Minuten, für die Mobilität 55 Minuten, also ein Gesamtaufwand von 205 Minuten angesetzt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung ergebe sich ein Mehrbedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind je nach Abzug zwischen 75 und 100 Minuten täglich. Die Sachverständige verwies aber des weiteren darauf, dass im Zeitpunkt der Begutachtung vom Mai 1998 der Hilfebedarf höher gelegen habe, vor allem im Bereich der Körperpflege, insoweit habe die Klägerin noch gewindelt werden müssen, sodass diesbezüglich ein Hilfebedarf von 55 Minuten täglich anzusetzen sei. Auch für die Therapie hat sie einen zusätzlichen Hilfebedarf von täglich 51 Minuten für gerechtfertigt erachtet. Der vorgenannte höhere Hilfebedarf habe zwischen März und September 1998 vorgelegen. Die Augenärzte Dres. D ... und Kollegen übermittelten ferner dem SG am 03.12.1999 einen Befundbericht.
Mit Bescheid vom 28.12.1999, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens wurde, führte die Beklagte das Ergebnis eines weiteren MDK-Gutachtens vom 27.12.1999 in das Verfahren ein. Danach umfasse der Zeitbedarf der Grundpflege 173 Minuten pro Tag, der Zeitbedarf der Hauswirtschaft 45 Minuten pro Tag. Von dem Gesamtzeitbedarf von 218 Minuten pro Tag seien 105 Minuten abzuziehen (Hilfebedarf eines vergleichbaren gesunden 6-jährigen Kindes), sodass im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von 68 Minuten berücksichtigungsfähig sei. Zusammen mit der notwendigen hauswirtschaftlichen Versorgung stünden weiterhin (vorläufig bis zum 31.12.2001 befristet) Leistungen nach der Pflegestufe I zu.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14.03.2000 u. a. gerügt, dass - unter Addition der maximal angesetzten Werte in beiden Gutachten - sich im Bereich der Grundpflege insgesamt 229 Minuten ergäben, nämlich im Bereich der Körperpflege 93 Minuten, im Bereich der Ernährung 75 Minuten und im Bereich der Mobilität 61 Minuten Unter Berücksichtigung eines Pflegeaufwandes für ein gesundes Kind von 105 Minuten würden sich für die Grundpflege 124 Minuten errechnen, sodass insoweit die Voraussetzungen der Pflegestufe II erfüllt seien. Tatsächlich seien aber die Pflegeaufwendungen noch höher als in den Gutachten angegeben. Insoweit wurden weitere Einzelheiten dargelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Mutter der Klägerin am 18.09.2000 weitere Angaben zur behinderungsbedingten Situation ihrer Tochter und dem daraus resultierenden Hilfebedarf gemacht.
Die Klägerin hat vor dem SG zuletzt beantragt, ihr Pflegegeld nach der Pflegestufe II beginnend ab 20.03.1998 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 18.09.2000 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höheres Pflegegeld als nach der bislang gewährten Pflegestufe (§§ 14, 15, 37 SGB XI). Das Gericht stütze sich dabei auf die seiner Ansicht nach im Ergebnis übereinstimmenden Gutachten, auch wenn diese hinsichtlich der jeweils für berücksichtigungsfähig erachteten Zeiten teilweise erheblich voneinander abweichen würden. Welchem der divergierenden ärztlichen Voten zu folgen sei, könne aber letztlich dahingestellt bleiben, denn wenn man zu Gunsten der Klägerin die jeweiligen Höchstwerte annehmen würde, ergäbe sich ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 169 Minuten - vor Abzug nach § 15 Abs. 2 -. Ein solcher sei jedoch gemäß § 15 Abs. 2 und 3 SGB XI nicht ausreichend, um Leistungen nach der Pflegestufe II bewilligen zu können. Außerdem sei es aus der Sicht des SG unzulässig, gleichsam im Wege eines Günstigkeitsprinzips nur die Höchstwerte in den in den Einzeleinsätzen voneinander abweichenden Gutachten anzunehmen, denn dadurch würde das Gesamtbild verfälscht. Die Klägerin habe im streitgegenständlichen Zeitraum ab 20.03.1998 im Bereich der Mobilität langsame Fortschritte gemacht. Diesem Umstand sei ebenso Rechnung zu tragen wie demjenigen, dass bei einem gesunden gleichaltrigen Kind mit fortschreitendem Lebensalter der natürliche Hilfebedarf immer geringer werde. Die Gesamtschau der ärztlichen Voten gebiete, dass bei der Klägerin etwa ein Gesamthilfebedarf im Beeich der Grundpflege von ca. 1,5 Stunden täglich anzunehmen sei. Dabei habe sich das Gericht nicht nur von den Ausführungen der Sachverständigen Dr. A ... in ihrem Gutachten vom 29.11.1999 leiten lassen, sondern auch von den Angaben der Mutter, wie sie im vorgelegten Pflegetagebuch dokumentiert seien. Die dortigen Angaben seien jedoch nach Maßgabe der Pflegerichtlinien insoweit zu korrigieren, als sie in Einzelpunkten über den dort vorgesehenen Zeitkorridor hinausgingen. Auch sei dort nicht der Hilfebedarf eines gesunden gleichaltrigen Kindes (§ 15 Abs. 2 SGB XI) abgesetzt. Hinsichtlich der angegebenen Zeiten im Rahmen der Mobilität sei auch entgegenzuhalten, dass der zeitlich umfassende Block der krankengymnastischen Maßnahmen im Rahmen der Grundpflege nicht berücksichtigungsfähig sei. Nach allem stünden der Klägerin daher nur Leistungen der Pflegestufe I zu, nicht jedoch nach der beantragten Pflegestufe II.
Hiergegen hat die Klägerin - unter Hinweis auf den Vortrag in der ersten Instanz - Berufung eingelegt: Entgegen der Auffassung des SG stünden der Klägerin Leistungen nach der Pflegestufe II zu.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Augsburg vom 18.09.2000 und des Bescheides vom 20.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.1999 sowie Abänderung des Bescheides vom 28.12.1999 zu verurteilen, ihr Pflegegeld der Pflegestufe II ab 20.03.1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Nach Auffassung des Senats hat das SG insoweit die Klage zu Unrecht abgewiesen, als der Klägerin für die Zeit vom 20.03.1998 bis 30.09.1998 Pflegegeld der höheren Pflegestufe, hier Pflegestufe II, zu gewähren ist. Diese Auffassung stützt der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. A ... Danach hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II - statt I - in dem Zeitraum vom 20.03.1998 bis 30.09.1998, weil für diesen Zeitraum die erforderlichen Voraussetzungen, hier nämlich ein Grundpflegebedarf vom mindestens 2 Stunden (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI) erfüllt sind. Insoweit kam nämlich die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 29.11.1999 mit den für den Senat gut nachvollziehbaren Darlegungen zu der Auffassung (vgl. insb. Ausführungen in ihrem Gutachten S. 97, 99, 100/ 101), dass im Zeitpunkt der Begutachtung vom Mai 1998 ein höherer Hilfebedarf, hier vor allem im Bereich der Körperpflege und der Therapie gegeben sei. Zutreffend ist zwar mit dem SG davon auszugehen, dass der von der Sachverständigen zugrundegelegte höhere Zeitbedarf im Rahmen der Therapie im Bereich der Grundpflege nicht berücksichtigungsfähig ist. Entscheidungserheblich ist aber der von der Sachverständigen angeführte höhere Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege, soweit sie ausgeführt hat, dass das Kind in dem noch maßgeblichen Zeitraum gewindelt werden musste und insoweit ein Hilfebedarf von 55 Minuten täglich angesetzt worden ist. Dieser Hilfebedarf hat auch für mindestens 6 Monate (§ 14 Abs. 1 SGB XI) vorgelegen, sodass für den vorgenannten Zeitraum vom 20.03.1998 bis 30.09.1998 ein Anspruch auf Pflegegeld der Pflegestufe II gegeben ist.
Insofern waren daher das angefochtene Urteil des SG Augsburg sowie die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten entsprechend abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für die vorgenannte Zeit Pflegegeld der Pflegestufe II zu gewähren.
Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin jedoch als unbegründet anzusehen. Über den vorgenannten Zeitraum hinaus hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen - wie sich ebenfalls aus dem Gutachten der vorgenannten Sachverständigen Dr. A ... ergibt - nicht erfüllt sind. Insoweit hat das SG - unter eingehender Würdigung der vorliegenden Gutachten und Auseinandersetzung mit den teilweise höheren zeitlichen Ansetzen im Pflegetagebuch - zutreffend dargelegt, dass ein Grundpflegebedarf von mindestens zwei Stunden (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI) nach allem nicht gegeben ist. Auf die Entscheidungsgründe wird insoweit zur weiteren Begründung gemäß § 153 Abs. 2 SGG ergänzend Bezug genommen.
Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren nichts vorgebracht, was - über den oben genannten Urteilsauspruch hinaus - eine andere Entscheidung rechtfertigen könnte oder weiteren Aufklärungsbedarf ergäbe. Insoweit war daher die Berufung als unbegründet anzusehen und dementsprechend zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung der Klägerin zu einem geringen Teil erfolgreich war.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
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