Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 P 61/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 52/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. August 1998 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat der Beklagten die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II streitig.
Der am 1995 geborene Sohn der Klägerin, F. V. , leidet an einer geburtstraumatischen inkompletten oberen und kompletten unteren Armplexuslähmung rechts und an einem Horner- Symptomenkomplex.
Die Klägerin beantragte am 14.12.1996 die Gewährung von Pflegegeld, woraufhin die Beklagte deren Sohn durch Dr.U. begutachten ließ, der in seinem Gutachten vom 27.01.1997 den Mehrbedarf (Pflege) gegenüber einem gesunden 18-monatigen Kind maximal mit 125 Minuten bewertete und die Pflegestufe I feststellte.
Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren, mit dem die Pflegestufe II begehrt wurde, holte die Beklagte ein Gutachten von Dr.K. ein, der am 04.07.1997 im Bereich der Grundpflege einen Mehrbedarf von 150 Minuten und hinsichtlich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen solchen von 10 Minuten feststellte. Mit Schreiben vom 30.07.1997 stellte daraufhin die Beklagte weiterhin Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I fest.
Zur Begründung ihrer zum Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage Fragebogen der Lebenshilfe verwiesen und auf den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung vom 21.02.1997, wonach unter Zuerkennung der Merkzeichen "B", "G" und "H" der Gesamtgrad der Behinderung 90 beträgt. Des Weiteren hat sie darauf hingewiesen, dass es seit dem 01.06.1997 befristet bis zum 31.12.1999 neue Begutachtungsrichtlinien gäbe, die allerdings von der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.04.1996 - Az.: 3 RK 28/95) erheblich abweichen würden. Das BSG habe in diesem Urteil insbesondere ausgeführt, dass der Zeitaufwand als Hilfebedarf im Bereich der Mobilität anzuerkennen sei, der durch Wege außer Haus zu therapeutischen Maßnahmen der Frühförderung anfalle. Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen, maßgebend sei der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind. Hilfen in der hauswirtschaftlichen Versorgung seien bei Kindern im Rahmen der Einstufung nicht zu berücksichtigen, da Eltern ihre Kinder zumindest bis zu einer bestimmten Altersstufe immer voll umfänglich hauswirtschaftlich versorgen würden. Im Übrigen seien die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI auf einen privaten Pflegeversicherungsvertrag nicht anwendbar.
Nach Beiziehung eines Befundberichts des Kinderarztes Dr.B. vom 26.02.1998 hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von dem Arzt für öffentliches Gesundheitswesen Dr.H. , der in seinem Gutachten vom 14.04. 1998 zu dem Ergebnis kam, dass sich für den Bereich der persönlichen Pflege bei F. V. ein täglicher Mehrbedarf von 160 Minuten ergäbe. Mit dem Mehrbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung von 10 Minuten ergäbe sich ein täglicher zeitlicher Gesamthilfebedarf von 170 Minuten. Damit sei die Voraussetzung zur Zuerkennung der Pflegestufe I gegeben, wohingegen die Pflegestufe II nicht zuerkannt werden könne. Nach Vorlage weiterer medizinischer Befunde der Kliniken G. , der Klinik für Handchirurgie B. , der Klinik für radiologische Diagnostik Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule A. und eines Befundberichts der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule H. hat das Sozialgericht mit Urteil vom 11.08.1998 die Beklagte verurteilt, der Klägerin für ihren Sohn ab Antragstellung Pflegegeld nach Stufe II zu gewähren. Nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI gelte bei kranken- oder behinderten Kindern bis zum vollendeten 18. Lebensjahr der Zeitbedarf für die hauswirtschaftliche Versorgung als erfüllt, wenn neben den übrigen in § 15 Abs.1 SGB XI genannten Voraussetzungen der Pflegestufen I bis III ein über dem eines gesunden gleichaltrigen Kindes liegender hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf nachgewiesen sei. Die Kammer habe keine Bedenken, die genannte Fiktion zur Erfüllung des hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarfs auch im vorliegenden Fall anzuwenden, obwohl nach den Angaben der Beklagten die erwähnten Richtlinien in der privaten Pflegeversicherung nicht gelten würden.
Mit ihrer Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, mit einer abenteuerlichen "Fiktion" habe sich das Sozialgericht über die Tatsachenfeststellungen hinweggesetzt und auch eine rein willkürliche und sachlich durch nichts begründete rein fiktive Erhöhung des Zeitaufwandes für die hauswirtschaftlichen Verrichtungen vorgenommen und die Gesamtpflegezeit soweit erhöht, dass es zu dem Ergebnis kam, die Voraussetzungen für Pflegestufe II lägen vor. Selbst unter Beachtung der "Richtlinien" sei ein Gericht nicht befugt, sich über tatsächliche Feststellungen hinwegzusetzen und entgegen den Tatsachenfeststellungen andere, gar nicht bestehende Tatsachen zu fingieren.
Am 18.01.2000 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr.Z ... Dieser kam in seinem Gutachten vom 08.06.2001 zu dem Ergebnis, dass beim Sohn der Klägerin "lediglich" die Voraussetzungen für die Anerkennung der Pflegestufe I vorlägen. Bei der Gutachtenserstellung lag dem Sachverständigen auch das von der Beklagten vor der Beweiserhebung eingeholte weitere Gutachten von Dr.F. vor, der ebenfalls das Vorliegen der Pflegestufe I bestätigt hatte.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.08.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vermag sich insbesondere nicht dem Gutachtensergebnis von Dr.Z. anzuschließen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Unterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 151 Abs.1, 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); insbesondere bedurfte sie nicht der besonderen Zulassung gemäß § 144 Abs.1 SGG. Das Gericht konnte auch ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt haben (§ 153 Abs.1 i.V.m. § 124 Abs.2 SGG).
Der Klägerin stehen Leistungen der Privaten Pflegeversicherung aus einer höheren Pflegestufe als der Pflegestufe I für ihren am 1995 geborenen Sohn F. nicht zu.
Denn der nach den Bestimmungen des SGB XI berücksichtigungsfähige Hilfebedarf beim Sohn der Klägerin erreicht nicht den von § 15 Abs.3 SGB XI für die Pflegestufe II im Tagesdurchschnitt geforderten zeitlichen Umfang von wenigstens 120 Minuten. Pflegebedürftigkeit setzt gemäß § 14 Abs.1 SGB XI einen Hilfebedarf wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Krankheit oder Behinderung voraus. Davon zu unterscheiden ist der natürliche und entwicklungsgerechte Hilfebedarf von Kindern für die gewöhnlich wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens; er ist bei der Beurteilung von Pflegebedürftigkeit außer Acht zu lassen. Kinder sind deshalb zur Feststellung des Hilfebedarfs mit einem gesunden Kind gleichen Alters zu vergleichen. Maßgebend für die Begutachtung wegen Pflegeleistungen ist also nicht der natürliche, altersbedingte Pflegeaufwand, sondern nur der darüber hinausgehende Hilfebedarf bei der Ernährung, der Körperpflege und der Mobilität (Kasseler-Kommentar, § 15 SGB XI, Rdnr.11).
Nach § 14 Abs.4 SGB XI ist in diesem Zusammenhang im Bereich der Grundpflege allein maßgebend, ob und in welchem Umfang Hilfebedarf bei den dort genannten gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens besteht.
Dass beim Sohn der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Pflegestufe II nicht vorliegen, folgert der Senat aus den überzeugenden Ausführungen im Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin Dr.Z. vom 08.06.2001. Danach werden schon die vom Gesetz für die Pflegestufe II geforderten 120 Minuten tagesdurchschnittlichem Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege nicht erreicht. So hat der Sachverständige den Pflegekomplex Hygiene mit 33 Minuten, den der Ernährung mit 15 und den der Mobilität mit 16 Minuten veranschlagt. Zutreffend hat der Sachverständige auch darauf hingewiesen, dass beim Sohn der Klägerin als einzige Behinderung die von ihm hinreichend beschriebene Armplexuslähmung besteht. Allein dieser Sachverhalt ist pflegerelevant, nachdem F. ansonsten körperlich gesund, kooperativ ist und keinerlei intellektuelle Einschränkungen hat, sondern geistig und mental in keiner Weise retardiert ist. Vielmehr vermittelte F. bei der ambulanten Untersuchung durch den Sachverständigen einen sehr aufgeschlossenen und positiven Entwicklungsstand. Zutreffend ist auch der Hinweis von Dr.Z. , dass sich auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass F. einen Schwerbehindertenausweis mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 90 unter Zuerkennung der Merkzeichen "B", "G" und "H" besitzt, eine höhere Pflegestufe nicht begründen lässt. Insoweit hat das BSG in seinem Urteil vom 26.11.1998 - B 3 P 20/97 R darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Schwerbehindertengesetz und für die Feststellung von Hilflosigkeit im Sinne des § 33 b Abs.6 Einkommensteuergesetz von den Voraussetzungen abweichen, die in §§ 14, 15 SGB XI für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen aufgestellt worden sind. So weist das BSG in seinem Urteil a.a.O. darauf hin, dass es bereits im Hinblick auf die Voraussetzungen der Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff. SGB V a.F. deutlich gemacht hat, dass auf die Feststellungen zum Hilfebedarf bei den für die Annahme von Schwerpflegebedürftigkeit maßgebenden Verrichtungen auch bei Schwerbehinderten und bei Versicherten, die als hilflos im Sinne des Schwerbehindertenrechts anzusehen sind, nicht verzichtet werden kann. Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass Dr.Z. in seinem Gutachten insbesondere auch das von Seiten des Sozialgerichts Nürnberg eingeholte Gutachten von Dr.H. vom 14.04.1998 vom Ergebnis her bestätigt hat. Auch dieser Sachverständige sah die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Pflegestufe II als nicht gegeben an. Das Erstgericht hat in seinem Urteil in unzutreffender Weise ausgeführt, dass den Gutachten von Dr.U. vom 27.01.1997, Dr.K. vom 04.07.1997 und auch dem Gutachten von Dr.H. zu entnehmen sei, dass ein Mehrbedarf für die Grundpflege von mehr als zwei Stunden pro Tag vorläge. Insoweit haben nämlich die beiden erstgenannten Gutachten gerade nicht expressis verbis einen Mehraufwand geschildert und auch keinen Hilfebedarf abgezogen. Bestätigt hat der Sachverständige im Übrigen auch das Gutachten von Dr.F. , welches von Seiten der Beklagten vor der Beweiserhebung durch den Senat eingeholt worden war. Überzeugend hat sich der Sachverständige auch mit den vorliegenden Befunden auseinandergesetzt. So weist er insbesondere auch darauf hin, dass Prof.Dr.R. vom Bezirkskrankenhaus G. anläßlich der ambulanten Vorstellung am 14.10.1997 eine erfreuliche Besserung der motorischen Funktionen in der Umgebung der rechten Schulter festgestellt hat, die sich schon anläßlich der Untersuchung in der Neurochirurgie der Universität W. am 10.04.1997 gezeigt hatte. Dort wurde bereits ausgeführt, dass F. Gegenstände unter dem Arm halten konnte, also den Arm auch gut adduzieren konnte.
Was die Anwendung der Richtlinien der Pflegekassen nach § 17 SGB XI anbelangt, so ist der Klägerin insoweit Recht zu geben, als diese sich zwar unmittelbar ausschließlich an die zuständigen Hoheitsträger richten, mittelbar jedoch über § 23 Abs.6 Nr.1 SGB XI auch für die private Pflegeversicherung Mindeststandards aufstellen. Selbst wenn die Richtlinien hier mittelbar zur Anwendung kommen, resultiert daraus aber keine andere Entscheidung, weil allein die tatsächlichen Feststellungen maßgeblich sind.
Was die Berücksichtigung der Wahrnehmung der aushäusigen krankengymnastischen Übungen anbelangt, so folgt auch hier der Senat den Ausführungen von Dr.Z. , da die vom Sachverständigen geäußerte Auffassung den Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 26.11.1998 - B 3 P 20/97 R = SozR 3300 § 14 Nr.9 - entspricht.
Somit war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.08.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Klägerin hat der Beklagten die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II streitig.
Der am 1995 geborene Sohn der Klägerin, F. V. , leidet an einer geburtstraumatischen inkompletten oberen und kompletten unteren Armplexuslähmung rechts und an einem Horner- Symptomenkomplex.
Die Klägerin beantragte am 14.12.1996 die Gewährung von Pflegegeld, woraufhin die Beklagte deren Sohn durch Dr.U. begutachten ließ, der in seinem Gutachten vom 27.01.1997 den Mehrbedarf (Pflege) gegenüber einem gesunden 18-monatigen Kind maximal mit 125 Minuten bewertete und die Pflegestufe I feststellte.
Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren, mit dem die Pflegestufe II begehrt wurde, holte die Beklagte ein Gutachten von Dr.K. ein, der am 04.07.1997 im Bereich der Grundpflege einen Mehrbedarf von 150 Minuten und hinsichtlich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen solchen von 10 Minuten feststellte. Mit Schreiben vom 30.07.1997 stellte daraufhin die Beklagte weiterhin Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I fest.
Zur Begründung ihrer zum Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage Fragebogen der Lebenshilfe verwiesen und auf den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung vom 21.02.1997, wonach unter Zuerkennung der Merkzeichen "B", "G" und "H" der Gesamtgrad der Behinderung 90 beträgt. Des Weiteren hat sie darauf hingewiesen, dass es seit dem 01.06.1997 befristet bis zum 31.12.1999 neue Begutachtungsrichtlinien gäbe, die allerdings von der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.04.1996 - Az.: 3 RK 28/95) erheblich abweichen würden. Das BSG habe in diesem Urteil insbesondere ausgeführt, dass der Zeitaufwand als Hilfebedarf im Bereich der Mobilität anzuerkennen sei, der durch Wege außer Haus zu therapeutischen Maßnahmen der Frühförderung anfalle. Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen, maßgebend sei der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind. Hilfen in der hauswirtschaftlichen Versorgung seien bei Kindern im Rahmen der Einstufung nicht zu berücksichtigen, da Eltern ihre Kinder zumindest bis zu einer bestimmten Altersstufe immer voll umfänglich hauswirtschaftlich versorgen würden. Im Übrigen seien die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI auf einen privaten Pflegeversicherungsvertrag nicht anwendbar.
Nach Beiziehung eines Befundberichts des Kinderarztes Dr.B. vom 26.02.1998 hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von dem Arzt für öffentliches Gesundheitswesen Dr.H. , der in seinem Gutachten vom 14.04. 1998 zu dem Ergebnis kam, dass sich für den Bereich der persönlichen Pflege bei F. V. ein täglicher Mehrbedarf von 160 Minuten ergäbe. Mit dem Mehrbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung von 10 Minuten ergäbe sich ein täglicher zeitlicher Gesamthilfebedarf von 170 Minuten. Damit sei die Voraussetzung zur Zuerkennung der Pflegestufe I gegeben, wohingegen die Pflegestufe II nicht zuerkannt werden könne. Nach Vorlage weiterer medizinischer Befunde der Kliniken G. , der Klinik für Handchirurgie B. , der Klinik für radiologische Diagnostik Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule A. und eines Befundberichts der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule H. hat das Sozialgericht mit Urteil vom 11.08.1998 die Beklagte verurteilt, der Klägerin für ihren Sohn ab Antragstellung Pflegegeld nach Stufe II zu gewähren. Nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI gelte bei kranken- oder behinderten Kindern bis zum vollendeten 18. Lebensjahr der Zeitbedarf für die hauswirtschaftliche Versorgung als erfüllt, wenn neben den übrigen in § 15 Abs.1 SGB XI genannten Voraussetzungen der Pflegestufen I bis III ein über dem eines gesunden gleichaltrigen Kindes liegender hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf nachgewiesen sei. Die Kammer habe keine Bedenken, die genannte Fiktion zur Erfüllung des hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarfs auch im vorliegenden Fall anzuwenden, obwohl nach den Angaben der Beklagten die erwähnten Richtlinien in der privaten Pflegeversicherung nicht gelten würden.
Mit ihrer Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, mit einer abenteuerlichen "Fiktion" habe sich das Sozialgericht über die Tatsachenfeststellungen hinweggesetzt und auch eine rein willkürliche und sachlich durch nichts begründete rein fiktive Erhöhung des Zeitaufwandes für die hauswirtschaftlichen Verrichtungen vorgenommen und die Gesamtpflegezeit soweit erhöht, dass es zu dem Ergebnis kam, die Voraussetzungen für Pflegestufe II lägen vor. Selbst unter Beachtung der "Richtlinien" sei ein Gericht nicht befugt, sich über tatsächliche Feststellungen hinwegzusetzen und entgegen den Tatsachenfeststellungen andere, gar nicht bestehende Tatsachen zu fingieren.
Am 18.01.2000 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr.Z ... Dieser kam in seinem Gutachten vom 08.06.2001 zu dem Ergebnis, dass beim Sohn der Klägerin "lediglich" die Voraussetzungen für die Anerkennung der Pflegestufe I vorlägen. Bei der Gutachtenserstellung lag dem Sachverständigen auch das von der Beklagten vor der Beweiserhebung eingeholte weitere Gutachten von Dr.F. vor, der ebenfalls das Vorliegen der Pflegestufe I bestätigt hatte.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.08.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vermag sich insbesondere nicht dem Gutachtensergebnis von Dr.Z. anzuschließen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Unterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 151 Abs.1, 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); insbesondere bedurfte sie nicht der besonderen Zulassung gemäß § 144 Abs.1 SGG. Das Gericht konnte auch ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt haben (§ 153 Abs.1 i.V.m. § 124 Abs.2 SGG).
Der Klägerin stehen Leistungen der Privaten Pflegeversicherung aus einer höheren Pflegestufe als der Pflegestufe I für ihren am 1995 geborenen Sohn F. nicht zu.
Denn der nach den Bestimmungen des SGB XI berücksichtigungsfähige Hilfebedarf beim Sohn der Klägerin erreicht nicht den von § 15 Abs.3 SGB XI für die Pflegestufe II im Tagesdurchschnitt geforderten zeitlichen Umfang von wenigstens 120 Minuten. Pflegebedürftigkeit setzt gemäß § 14 Abs.1 SGB XI einen Hilfebedarf wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Krankheit oder Behinderung voraus. Davon zu unterscheiden ist der natürliche und entwicklungsgerechte Hilfebedarf von Kindern für die gewöhnlich wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens; er ist bei der Beurteilung von Pflegebedürftigkeit außer Acht zu lassen. Kinder sind deshalb zur Feststellung des Hilfebedarfs mit einem gesunden Kind gleichen Alters zu vergleichen. Maßgebend für die Begutachtung wegen Pflegeleistungen ist also nicht der natürliche, altersbedingte Pflegeaufwand, sondern nur der darüber hinausgehende Hilfebedarf bei der Ernährung, der Körperpflege und der Mobilität (Kasseler-Kommentar, § 15 SGB XI, Rdnr.11).
Nach § 14 Abs.4 SGB XI ist in diesem Zusammenhang im Bereich der Grundpflege allein maßgebend, ob und in welchem Umfang Hilfebedarf bei den dort genannten gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens besteht.
Dass beim Sohn der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Pflegestufe II nicht vorliegen, folgert der Senat aus den überzeugenden Ausführungen im Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin Dr.Z. vom 08.06.2001. Danach werden schon die vom Gesetz für die Pflegestufe II geforderten 120 Minuten tagesdurchschnittlichem Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege nicht erreicht. So hat der Sachverständige den Pflegekomplex Hygiene mit 33 Minuten, den der Ernährung mit 15 und den der Mobilität mit 16 Minuten veranschlagt. Zutreffend hat der Sachverständige auch darauf hingewiesen, dass beim Sohn der Klägerin als einzige Behinderung die von ihm hinreichend beschriebene Armplexuslähmung besteht. Allein dieser Sachverhalt ist pflegerelevant, nachdem F. ansonsten körperlich gesund, kooperativ ist und keinerlei intellektuelle Einschränkungen hat, sondern geistig und mental in keiner Weise retardiert ist. Vielmehr vermittelte F. bei der ambulanten Untersuchung durch den Sachverständigen einen sehr aufgeschlossenen und positiven Entwicklungsstand. Zutreffend ist auch der Hinweis von Dr.Z. , dass sich auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass F. einen Schwerbehindertenausweis mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 90 unter Zuerkennung der Merkzeichen "B", "G" und "H" besitzt, eine höhere Pflegestufe nicht begründen lässt. Insoweit hat das BSG in seinem Urteil vom 26.11.1998 - B 3 P 20/97 R darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Schwerbehindertengesetz und für die Feststellung von Hilflosigkeit im Sinne des § 33 b Abs.6 Einkommensteuergesetz von den Voraussetzungen abweichen, die in §§ 14, 15 SGB XI für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen aufgestellt worden sind. So weist das BSG in seinem Urteil a.a.O. darauf hin, dass es bereits im Hinblick auf die Voraussetzungen der Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff. SGB V a.F. deutlich gemacht hat, dass auf die Feststellungen zum Hilfebedarf bei den für die Annahme von Schwerpflegebedürftigkeit maßgebenden Verrichtungen auch bei Schwerbehinderten und bei Versicherten, die als hilflos im Sinne des Schwerbehindertenrechts anzusehen sind, nicht verzichtet werden kann. Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass Dr.Z. in seinem Gutachten insbesondere auch das von Seiten des Sozialgerichts Nürnberg eingeholte Gutachten von Dr.H. vom 14.04.1998 vom Ergebnis her bestätigt hat. Auch dieser Sachverständige sah die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Pflegestufe II als nicht gegeben an. Das Erstgericht hat in seinem Urteil in unzutreffender Weise ausgeführt, dass den Gutachten von Dr.U. vom 27.01.1997, Dr.K. vom 04.07.1997 und auch dem Gutachten von Dr.H. zu entnehmen sei, dass ein Mehrbedarf für die Grundpflege von mehr als zwei Stunden pro Tag vorläge. Insoweit haben nämlich die beiden erstgenannten Gutachten gerade nicht expressis verbis einen Mehraufwand geschildert und auch keinen Hilfebedarf abgezogen. Bestätigt hat der Sachverständige im Übrigen auch das Gutachten von Dr.F. , welches von Seiten der Beklagten vor der Beweiserhebung durch den Senat eingeholt worden war. Überzeugend hat sich der Sachverständige auch mit den vorliegenden Befunden auseinandergesetzt. So weist er insbesondere auch darauf hin, dass Prof.Dr.R. vom Bezirkskrankenhaus G. anläßlich der ambulanten Vorstellung am 14.10.1997 eine erfreuliche Besserung der motorischen Funktionen in der Umgebung der rechten Schulter festgestellt hat, die sich schon anläßlich der Untersuchung in der Neurochirurgie der Universität W. am 10.04.1997 gezeigt hatte. Dort wurde bereits ausgeführt, dass F. Gegenstände unter dem Arm halten konnte, also den Arm auch gut adduzieren konnte.
Was die Anwendung der Richtlinien der Pflegekassen nach § 17 SGB XI anbelangt, so ist der Klägerin insoweit Recht zu geben, als diese sich zwar unmittelbar ausschließlich an die zuständigen Hoheitsträger richten, mittelbar jedoch über § 23 Abs.6 Nr.1 SGB XI auch für die private Pflegeversicherung Mindeststandards aufstellen. Selbst wenn die Richtlinien hier mittelbar zur Anwendung kommen, resultiert daraus aber keine andere Entscheidung, weil allein die tatsächlichen Feststellungen maßgeblich sind.
Was die Berücksichtigung der Wahrnehmung der aushäusigen krankengymnastischen Übungen anbelangt, so folgt auch hier der Senat den Ausführungen von Dr.Z. , da die vom Sachverständigen geäußerte Auffassung den Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 26.11.1998 - B 3 P 20/97 R = SozR 3300 § 14 Nr.9 - entspricht.
Somit war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.08.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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