Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RA 720/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RA 11/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 3. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nichtig ist.
Die Klägerin hatte im September 1987 Antrag auf Feststellung von in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten gestellt, auf den die Beklagte nach langwierigen Ermittlungen mit Bescheid vom 09.12.1988 Beitragszeiten nach § 15 des Fremdrentengesetzes - FRG - (teils mit, teils ohne Kürzung auf 5/6) vom 01.02.1967 bis 05.12.1986 feststellte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.1989 wurde das damalige Begehren, höhere Leistungsgruppen zuzuordnen, zurückgewiesen.
Auf einen im Juli 1998 gestellten Antrag auf Übersendung eines Versicherungsverlaufs und einer Rentenauskunft wies die Beklagte auf mehrere Rechtsänderungen im Fremdrentenrecht und eine Neuüberprüfung sowie gegebenenfalls Berichtigung früherer Bescheide hin.
Nach Einreichung ausgefüllter Fragebögen erging der Bescheid vom 04.03.1999, in dem - neben Aufstellung eines Versicherungsverlaufs - (rumänische) Beitragszeiten vom 01.02.1967 bis 05.12.1986 in der Rentenversicherung der Angestellten nach den Qualifikationsgruppen gemäß dem FRG sowie der Anlage 14 zum Sozialgesetzbuch Teil VI (SGB VI) zugeordnet und festgestellt wurden.
Hiergegen ließ die Klägerin durch einen Rechtsanwalt Widerspruch erheben (Schriftsatz vom 11.03.1999), der die Einreichung von Anträgen und Begründung ankündigte und vorerst um Ak- gestellt, sondern lediglich der Beklagten mitgeteilt: "Die Widerspruchsbegründung erfolgt gesondert, da noch Unterlagen abzuwarten sind" (Schreiben vom 13.08.1999).
Die Beklagte bat daraufhin den Anwalt der Klägerin, den Widerspruch bis zum 02.03.2000 zu begründen oder schriftlich zurückzunehmen (Schreiben vom 01.02.2000); sollte bis zu diesem Zeitpunkt eine Äußerung nicht erfolgt sein, würden die Vorgänge der Widerspruchsstelle zur Entscheidung nach Aktenlage vorgelegt.
Nach Inhalt der Versichertenakte erfolgte keine Reaktion der Klägerin; nach Vortrag des Rechtsanwalts in erster Instanz erging aber an die Beklagte das Telefax vom 04.02.2000 mit der Mitteilung, "dass das Widerspruchsverfahren ruhen soll, da die Mandantin zur Zeit noch entscheidungserhebliche Unterlagen abwartet".
Die Leistungsabteilung der Beklagten schrieb an den Bevollmächtigten der Klägerin am 07.04.2000, dass die Überprüfung des mit Widerspruch angefochtenen Bescheides abgeschlossen und der Widerspruch zur Entscheidung an die Widerspruchsstelle abgegeben worden sei.
Mit streitgegenständlichem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 wurde der Widerspruch zurückgewiesen (und die Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen abgelehnt), weil der Rechtsbehelf trotz Aufforderung nicht begründet worden sei und neue Tatsachen nicht vorgetragen worden seien. Aufgrund der Überprüfung nach Aktenlage sei der Bescheid vom 04.03.1999 nicht zu beanstanden.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München beantragte die Klägerin zunächst die Feststellung, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 04.03.1999 durch den Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nicht beendet worden sei. Sie brachte vor, der Anwalt habe mit Telefax vom 04.02.2000 - das zum Nachweis auch vorgelegt worden ist - sofort auf das Mahnschreiben der Beklagten vom 01.02.2000 reagiert und das Ruhen des Verfahrens begehrt. Gleichwohl sei ohne sachlich rechtfertigenden Grund - in unzulässiger Weise - das Widerspruchsverfahren abgeschlossen worden.
Kurz danach reichte die Klägerin bei der Beklagten die Widerspruchsbegründung (Schreiben vom 08.08.2000) ein, nach der der Besuch der Universität in Bukarest vom 01.10.1961 bis 31.07. 1965 als Ausbildungszeit ("entsprechende Nachweise seien in der Versichertenakte enthalten") festgestellt werden sollte; weiterhin wurde unter Vorlage von neuen Unterlagen die Anerkennung der bisher nicht berücksichtigten Zeit vom 01.08.1965 bis Januar 1967 (Reiseleiterin) als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit sowie die Zuordnung höherer Qualifikationsgruppen für die Zeit von Februar 1967 bis Dezember 1986 und die Erhöhung des zuzuordnenden Entgelts von Juli 1972 bis Dezember 1986 um ein Fünftel begehrt.
Auf richterlichen Hinweis im Erörterungstermin am 13.12.2000, dass sich bislang ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht erkennen lasse und die Klägerin die Möglichkeit habe, (mit Zustimmung der Beklagten) die Klage in eine Anfechtungs-/Verpflichtungsklage umzudeuten, und dass in diesem Falle der Bescheid vom 04.03.1999 vom Gericht materiell-rechtlich überprüft werden würde, "konkretisierte" der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.03.2001 seinen Klageantrag dahingehend, dass festgestellt werde, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nichtig sei. Die Beklagte habe durch ihr Verhalten, nämlich das Widerspruchsverfahren nicht auszusetzen, den Sinn und Zweck des Widerspruchsverfahrens unterlaufen, denn das Gegenteil sei geboten, wenn bekannt werde, dass noch eine Begründung des Rechtsbehelfs erfolge und Unterlagen abzuwarten seien und damit ein (künftiger) Prüfvorgang unerläßlich sei. Die Klägerin sei um das Recht auf materiell-rechtliche Prüfung der Angelegenheit im Widerspruchsverfahren gebracht worden, der Widerspruchsbescheid leide daher an einem schweren offenkundigen Fehler, der die Nichtigkeit hervorrufen müsse. Demzufolge bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis auf gerichtliche Feststellung. Vorliegend gehe es darum, das rechtswidrige Verwaltungshandeln zu beseitigen und Wiederholungsfälle zu vermeiden; ansonsten könne das gesetzlich vorgeschriebene Widerspruchsverfahren als Überprüfungsinstrument gedanklich gestrichen werden.
Die Beklagte wies darauf hin, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 zehn Monate nach Eingang des Schreibens vom 13.08. 1999 ergangen sei. Daher seien die erhobenen Vorwürfe ungerechtfertigt. Die fehlende Ruhensbestätigung auf das angeblich abgesandte Telefax vom 04.02.2000 hätte den Anwalt der Klägerin spätestens mit Erhalt der Mitteilung über die Abgabe des Widerspruchs an die Widerspruchsstelle vom 07.04.2000 veranlassen müssen, den Eingang des Telefaxes bei der Beklagten prüfen zu lassen.
Mit Gerichtsbescheid vom 03.12.2001 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es hielt die Feststellungsklage für zulässig, jedoch sachlich nicht begründet. Der Widerspruchsbescheid vom 15.06. 2000 sei nicht nichtig. Gemäß § 40 Abs.2 SGB X sei ein Verwaltungsakt nichtig, - der die erlassene Behörde nicht erkennen lasse, - nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden könne, aber dieser Form nicht genüge, - den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen könne, - der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlange, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirkliche, - der gegen die guten Sitten verstoße.
Der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 verstoße gegen keine der genannten Voraussetzungen. Es liege auch keine Nichtigkeit nach § 40 Abs.1 SGB X vor. Danach sei ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leide und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich sei. Ein besonders schwerwiegender Fehler im Sinne des § 40 Abs.1 SGB X - vergleichbar einem Grund nach Abs.2 - bestehe nicht. Ein solcher Fehler liege auch nicht darin, dass die Beklagte das Verfahren nicht habe ruhen lassen. Denn die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ruhen des Widerspruchsverfahrens. Die Vorschriften des SGB X enthielten - anders als das Sozialgerichtsgesetz - keine Regelungen für ein Ruhen des Verfahrens. Auch das Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 04.02.2000, dessen Eingang bei der Beklagten unterstellt werde, habe kein Ruhen des Widerspruchsverfahrens auslösen können, da dieses gesetzlich nicht vorgeschrieben sei.
Die Beklagte habe trotz Hinweises auf die noch ausstehende Begründung des Rechtsbehelfes über den Widerspruch entscheiden können. Sinn des Widerspruchsverfahrens sei die nochmalige Überprüfung eines vorausgegangenen Verwaltungshandelns, das mit dem Erlass eines Verwaltungsaktes abgeschlossen werde. Der Sinn des Widerspruchsverfahrens werde jedoch nicht vereitelt, wenn die Beklagte nach zehn Monaten über den Widerspruch entscheide.
Ebenso wie die Klägerin einen Anspruch auf zügige Entscheidung durch die Widerspruchsbehörde habe - bei Untätigbleiben der Behörde im Widerspruchsverfahren stehe dem Widerspruchsführer nach drei Monaten die Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs.2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu - habe auch die Beklagte einen Anspruch, die durch den Widerspruch eingetretene Rechtsunsicherheit beseitigen zu können. Wer Widerspruch einlege und die dazu notwendigen Begründungen und Beweise nicht in angemessener Frist vorlegen könne, trage das Risiko, dass eine Widerspruchsentscheidung zu seinen Ungunsten ergehe. Dies sei nicht zu beanstanden, zumal das Sozialrecht die Möglichkeit des § 44 SGB X für die Klägerin offen halte.
Die Abwägung nach § 40 Abs.1 SGB X ergebe, dass das Handeln der Beklagten nicht zu beanstanden und der Verwaltungsakt nicht nichtig sei.
Mit dem Rechtsmittel der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und bringt vor, ihre Bitte auf Ruhen des Widerspruchsverfahrens sei sachgerecht gewesen, weil sie als Vertriebene noch Unterlagen aus Rumänien beizubringen gehabt habe, deren Besorgung mitunter längere Zeit in Anspruch nehmen könne, so auch im streitgegenständlichen Falle. Sie habe daher ihrer Mitwirkungspflicht voll und ganz genügt; ohne die beigebrachten Unterlagen sei eine Widerspruchsbegründung zum einen nicht möglich, zum anderen nicht sinnvoll gewesen.
Das Widerspruchsverfahren solle seinem Sinn und Zweck nach zu einer Entlastung der Gerichte führen, auch hier sollte die Verwaltungsökonomie im Vordergrund stehen. Der Sinn des Widerspruchsverfahrens sei durch die Beklagte vereitelt worden, es sei ohne Not ein Widerspruchsbescheid erlassen worden, und dieser Verstoß habe das Widerspruchsverfahren zur Bedeutungslosigkeit verkommen lassen.
Die Beklagte nahm zur Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht auf die Ausführungen des Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 03.12.2001 festzustellen, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06. 2000 nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes, insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird hierauf sowie auf die zu Beweiszwecken beigezogene Versichertenakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143 ff., 153 SGG), jedoch in der Hauptsache nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Feststellungsklage für zulässig gehalten (§ 55 Abs.1 Nr.4 SGG), weil ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Klärung der Frage besteht, ob der Verwaltungsakt nichtig ist (dann Beseitigung des Rechtsscheines eines wirksamen Verwaltungsakts) oder nicht. Im Gegensatz zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage kann die Feststellungklage der Klägerin eine verbesserte Ausgangsposition - zusätzliche sachliche Überprüfung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren - verschaffen, so dass nicht der Gedanke der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Anfechtungsklage greift.
Der Senat ist aber auch zu der Überzeugung gekommen, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nicht nichtig ist.
Die "absoluten" Nichtigkeitsgründe des § 40 Abs.2 SGB X liegen, wie das Sozialgericht festgestellt hat, nicht vor. Ähnliche schwerwiegende Umstände, die unter die Generalklausel des § 40 Abs.1 SGB X fallen, sind nicht gegeben. Diese Vorschrift setzt einen besonders schwerwiegenden Fehler voraus, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
Schwerwiegend ist ein Fehler dann, wenn er derart in Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und zu den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft steht, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit und in ihm enthaltenen Rechtswirkungen hätte. Maßgebend ist nicht so sehr - und nicht notwendig - der Verstoß gegen bestimmte, unter Umständen zwingende Rechtsvorschriften, sondern der Verstoß gegen die der Rechtsordnung insgesamt oder in bestimmter Hinsicht zugrunde liegenden wesentlichen Zweck- und Wertvorstellungen, insbesondere auch gegen tragende Verfassungsgrundsätze, und das Ausmaß des Widerspruchs zu diesen (Schroeder-Printzen, SGB X, 4. Auflage, § 40 Rdnr.7, und Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Auflage, § 44 RdNr.5, jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Zur Nichtigkeit führt ebenso, wenn ein Bescheid seiner Art oder seines Inhalts schlechterdings nicht vorstellbar ist (Kasseler Kommentar, Stand August 2000, § 40 SGB X Rdnr.13.) Der Fehler muss in seiner Schwere denen des Absatzes 2 des § 40 SGB X entsprechen und diejenigen nach Abs.3 überschreiten (Bundestags-Drucksache 9/910, S.64; Kasseler Kommentar, a.a.O., Rdnr. 12 m.w.H. auf die Rechtsprechung).
Nach § 40 Abs.3 SGB X sind Verwaltungsakte nicht nichtig, wenn Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, wenn eine nach § 16 Abs.1 Satz 1 Nrn.2 bis 6 SGB X ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, wenn ein durch Rechtsvorschriften zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war, oder wenn die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist. Ebenso scheidet die Annahme grundsätzlicher Nichtigkeit (§ 40 Abs.1 SGB X) bei Fehlern aus, die im Rahmen des § 41 SGB X heilbar sind (Kasseler Kommentar, a.a.O., Rdnr. 12). Solche Fehler, gleich ob sie später durch Nachholung des vorgeschriebenen und anfänglich unterlassenen Umstands geheilt werden oder nicht, sind per se leichterer Art und haben nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zur Folge; hierunter fallen vor allem Verfahrensfehler, u.a. das Fehlen des für einen Verwaltungsakt vorgeschriebenen Antrags, der Verstoß gegen die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts oder der Verstoß gegen die erforderliche Anhörung eines Beteiligten (§ 41 Abs.1 Nrn.1 bis 3 SGB X).
Es soll nun unterstellt werden, dass der sehr knapp und vage gehaltene und keineswegs informative Hinweis des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren ("es sind noch Unterlagen abzuwarten") hinreichend gewesen wäre, die Beklagte bzw. deren Widerspruchsstelle notwendigerweise zum Abwarten bzw. zum "Anhalten" des Widerspruchsverfahrens zu veranlassen, obwohl der Bevollmächtigte des Klägers zumindest einen Teil seines späteren Vorbringens (vgl. Widerspruchsbegründung vom 08.08.2000) bereits so hätte äußern können und im Übrigen auch die Zielrichtung des Widerspruchs (ohne die dazugehörenden Unterlagen) hätte darlegen sollen. Bei einem (angenommenen) gebotenen "Zuwarten" würde ein Verfahrensfehler vorliegen, der sehr ähnlich der Verletzung einer (gebotenen) Anhörung und der Unterlassung der (gebotenen) Begründung eines Bescheids bzw. Widerspruchsbescheids ist.
Die Anhörung ist zwar dem Gesetzestext nach nur dann erforderlich, wenn ein Verwaltungsakt erlassen werden soll, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift (§ 24 Abs.1 SGB X), ist aber auch im Rahmen eines weiter gefassten Grundsatzes des "rechtlichen Gehörs" zu sehen, wobei nicht nur die Möglichkeit der Äußerung einzuräumen ist, sondern - bei Äußerung - auch das Vorgebrachte zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen ist (Kasseler Kommentar, a.a.O., §§ 41 SGB X Rdz.18).
Die notwendige Begründung eines Verwaltungsakts zielt in bestimmten Umfang in dieselbe Richtung: Es sind alle wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 35 Abs.1 Satz 2 SGB X), was auch voraussetzt, dass das vom Betroffenen Vorgebrachte geprüft und hierauf schriftlich eingegangen wird.
Vorliegend bleibt es sich letzten Endes gleich, ob der Beklagten zum Vorwurf gemacht wird, sie hätte zuwarten müssen, bis die Klägerin ihr Begehren näher geäußert hätte, um dann eine Prüfung vorzunehmen, oder wenn der Beklagten vorzuhalten wäre, dass sie das von der Klägerin bereits (hinreichend und umfassend) Vorgebrachte überhaupt nicht beachtet bzw. übergangen hätte und weder intern eine Prüfung vorgenommen noch nach außen hin das Ergebnis ihrer Erwägungen mitgeteilt hätte. Der jeweilige Verstoß wäre von der Wertigkeit bzw. vom Unwertsgehalt gleich. Hier kann von der Gesetzessystematik her nur die Rechtswidrigkeit und nicht die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts angenommen werden.
Es liegt nicht ein so grober Verstoß vor, dass nach § 40 Abs.1 SGB X davon auszugehen wäre, dass ausnahmsweise unter den Einzelmaßnahmen eines Staates eine solche von einer derart schwerwiegenden (und offensichtlichen) Fehlerhaftigkeit vorläge, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, auf sie - selbst mit Einlegen von Rechtsbehelfen - zu reagieren, und deren Beachtung von niemand erwartet werden kann (BFH vom 22.11.1988 - VII R 173/ 85 in BFHE 155, 24, 28).
Daher war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nichtig ist.
Die Klägerin hatte im September 1987 Antrag auf Feststellung von in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten gestellt, auf den die Beklagte nach langwierigen Ermittlungen mit Bescheid vom 09.12.1988 Beitragszeiten nach § 15 des Fremdrentengesetzes - FRG - (teils mit, teils ohne Kürzung auf 5/6) vom 01.02.1967 bis 05.12.1986 feststellte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.1989 wurde das damalige Begehren, höhere Leistungsgruppen zuzuordnen, zurückgewiesen.
Auf einen im Juli 1998 gestellten Antrag auf Übersendung eines Versicherungsverlaufs und einer Rentenauskunft wies die Beklagte auf mehrere Rechtsänderungen im Fremdrentenrecht und eine Neuüberprüfung sowie gegebenenfalls Berichtigung früherer Bescheide hin.
Nach Einreichung ausgefüllter Fragebögen erging der Bescheid vom 04.03.1999, in dem - neben Aufstellung eines Versicherungsverlaufs - (rumänische) Beitragszeiten vom 01.02.1967 bis 05.12.1986 in der Rentenversicherung der Angestellten nach den Qualifikationsgruppen gemäß dem FRG sowie der Anlage 14 zum Sozialgesetzbuch Teil VI (SGB VI) zugeordnet und festgestellt wurden.
Hiergegen ließ die Klägerin durch einen Rechtsanwalt Widerspruch erheben (Schriftsatz vom 11.03.1999), der die Einreichung von Anträgen und Begründung ankündigte und vorerst um Ak- gestellt, sondern lediglich der Beklagten mitgeteilt: "Die Widerspruchsbegründung erfolgt gesondert, da noch Unterlagen abzuwarten sind" (Schreiben vom 13.08.1999).
Die Beklagte bat daraufhin den Anwalt der Klägerin, den Widerspruch bis zum 02.03.2000 zu begründen oder schriftlich zurückzunehmen (Schreiben vom 01.02.2000); sollte bis zu diesem Zeitpunkt eine Äußerung nicht erfolgt sein, würden die Vorgänge der Widerspruchsstelle zur Entscheidung nach Aktenlage vorgelegt.
Nach Inhalt der Versichertenakte erfolgte keine Reaktion der Klägerin; nach Vortrag des Rechtsanwalts in erster Instanz erging aber an die Beklagte das Telefax vom 04.02.2000 mit der Mitteilung, "dass das Widerspruchsverfahren ruhen soll, da die Mandantin zur Zeit noch entscheidungserhebliche Unterlagen abwartet".
Die Leistungsabteilung der Beklagten schrieb an den Bevollmächtigten der Klägerin am 07.04.2000, dass die Überprüfung des mit Widerspruch angefochtenen Bescheides abgeschlossen und der Widerspruch zur Entscheidung an die Widerspruchsstelle abgegeben worden sei.
Mit streitgegenständlichem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 wurde der Widerspruch zurückgewiesen (und die Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen abgelehnt), weil der Rechtsbehelf trotz Aufforderung nicht begründet worden sei und neue Tatsachen nicht vorgetragen worden seien. Aufgrund der Überprüfung nach Aktenlage sei der Bescheid vom 04.03.1999 nicht zu beanstanden.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München beantragte die Klägerin zunächst die Feststellung, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 04.03.1999 durch den Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nicht beendet worden sei. Sie brachte vor, der Anwalt habe mit Telefax vom 04.02.2000 - das zum Nachweis auch vorgelegt worden ist - sofort auf das Mahnschreiben der Beklagten vom 01.02.2000 reagiert und das Ruhen des Verfahrens begehrt. Gleichwohl sei ohne sachlich rechtfertigenden Grund - in unzulässiger Weise - das Widerspruchsverfahren abgeschlossen worden.
Kurz danach reichte die Klägerin bei der Beklagten die Widerspruchsbegründung (Schreiben vom 08.08.2000) ein, nach der der Besuch der Universität in Bukarest vom 01.10.1961 bis 31.07. 1965 als Ausbildungszeit ("entsprechende Nachweise seien in der Versichertenakte enthalten") festgestellt werden sollte; weiterhin wurde unter Vorlage von neuen Unterlagen die Anerkennung der bisher nicht berücksichtigten Zeit vom 01.08.1965 bis Januar 1967 (Reiseleiterin) als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit sowie die Zuordnung höherer Qualifikationsgruppen für die Zeit von Februar 1967 bis Dezember 1986 und die Erhöhung des zuzuordnenden Entgelts von Juli 1972 bis Dezember 1986 um ein Fünftel begehrt.
Auf richterlichen Hinweis im Erörterungstermin am 13.12.2000, dass sich bislang ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht erkennen lasse und die Klägerin die Möglichkeit habe, (mit Zustimmung der Beklagten) die Klage in eine Anfechtungs-/Verpflichtungsklage umzudeuten, und dass in diesem Falle der Bescheid vom 04.03.1999 vom Gericht materiell-rechtlich überprüft werden würde, "konkretisierte" der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.03.2001 seinen Klageantrag dahingehend, dass festgestellt werde, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nichtig sei. Die Beklagte habe durch ihr Verhalten, nämlich das Widerspruchsverfahren nicht auszusetzen, den Sinn und Zweck des Widerspruchsverfahrens unterlaufen, denn das Gegenteil sei geboten, wenn bekannt werde, dass noch eine Begründung des Rechtsbehelfs erfolge und Unterlagen abzuwarten seien und damit ein (künftiger) Prüfvorgang unerläßlich sei. Die Klägerin sei um das Recht auf materiell-rechtliche Prüfung der Angelegenheit im Widerspruchsverfahren gebracht worden, der Widerspruchsbescheid leide daher an einem schweren offenkundigen Fehler, der die Nichtigkeit hervorrufen müsse. Demzufolge bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis auf gerichtliche Feststellung. Vorliegend gehe es darum, das rechtswidrige Verwaltungshandeln zu beseitigen und Wiederholungsfälle zu vermeiden; ansonsten könne das gesetzlich vorgeschriebene Widerspruchsverfahren als Überprüfungsinstrument gedanklich gestrichen werden.
Die Beklagte wies darauf hin, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 zehn Monate nach Eingang des Schreibens vom 13.08. 1999 ergangen sei. Daher seien die erhobenen Vorwürfe ungerechtfertigt. Die fehlende Ruhensbestätigung auf das angeblich abgesandte Telefax vom 04.02.2000 hätte den Anwalt der Klägerin spätestens mit Erhalt der Mitteilung über die Abgabe des Widerspruchs an die Widerspruchsstelle vom 07.04.2000 veranlassen müssen, den Eingang des Telefaxes bei der Beklagten prüfen zu lassen.
Mit Gerichtsbescheid vom 03.12.2001 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es hielt die Feststellungsklage für zulässig, jedoch sachlich nicht begründet. Der Widerspruchsbescheid vom 15.06. 2000 sei nicht nichtig. Gemäß § 40 Abs.2 SGB X sei ein Verwaltungsakt nichtig, - der die erlassene Behörde nicht erkennen lasse, - nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden könne, aber dieser Form nicht genüge, - den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen könne, - der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlange, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirkliche, - der gegen die guten Sitten verstoße.
Der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 verstoße gegen keine der genannten Voraussetzungen. Es liege auch keine Nichtigkeit nach § 40 Abs.1 SGB X vor. Danach sei ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leide und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich sei. Ein besonders schwerwiegender Fehler im Sinne des § 40 Abs.1 SGB X - vergleichbar einem Grund nach Abs.2 - bestehe nicht. Ein solcher Fehler liege auch nicht darin, dass die Beklagte das Verfahren nicht habe ruhen lassen. Denn die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ruhen des Widerspruchsverfahrens. Die Vorschriften des SGB X enthielten - anders als das Sozialgerichtsgesetz - keine Regelungen für ein Ruhen des Verfahrens. Auch das Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 04.02.2000, dessen Eingang bei der Beklagten unterstellt werde, habe kein Ruhen des Widerspruchsverfahrens auslösen können, da dieses gesetzlich nicht vorgeschrieben sei.
Die Beklagte habe trotz Hinweises auf die noch ausstehende Begründung des Rechtsbehelfes über den Widerspruch entscheiden können. Sinn des Widerspruchsverfahrens sei die nochmalige Überprüfung eines vorausgegangenen Verwaltungshandelns, das mit dem Erlass eines Verwaltungsaktes abgeschlossen werde. Der Sinn des Widerspruchsverfahrens werde jedoch nicht vereitelt, wenn die Beklagte nach zehn Monaten über den Widerspruch entscheide.
Ebenso wie die Klägerin einen Anspruch auf zügige Entscheidung durch die Widerspruchsbehörde habe - bei Untätigbleiben der Behörde im Widerspruchsverfahren stehe dem Widerspruchsführer nach drei Monaten die Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs.2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu - habe auch die Beklagte einen Anspruch, die durch den Widerspruch eingetretene Rechtsunsicherheit beseitigen zu können. Wer Widerspruch einlege und die dazu notwendigen Begründungen und Beweise nicht in angemessener Frist vorlegen könne, trage das Risiko, dass eine Widerspruchsentscheidung zu seinen Ungunsten ergehe. Dies sei nicht zu beanstanden, zumal das Sozialrecht die Möglichkeit des § 44 SGB X für die Klägerin offen halte.
Die Abwägung nach § 40 Abs.1 SGB X ergebe, dass das Handeln der Beklagten nicht zu beanstanden und der Verwaltungsakt nicht nichtig sei.
Mit dem Rechtsmittel der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und bringt vor, ihre Bitte auf Ruhen des Widerspruchsverfahrens sei sachgerecht gewesen, weil sie als Vertriebene noch Unterlagen aus Rumänien beizubringen gehabt habe, deren Besorgung mitunter längere Zeit in Anspruch nehmen könne, so auch im streitgegenständlichen Falle. Sie habe daher ihrer Mitwirkungspflicht voll und ganz genügt; ohne die beigebrachten Unterlagen sei eine Widerspruchsbegründung zum einen nicht möglich, zum anderen nicht sinnvoll gewesen.
Das Widerspruchsverfahren solle seinem Sinn und Zweck nach zu einer Entlastung der Gerichte führen, auch hier sollte die Verwaltungsökonomie im Vordergrund stehen. Der Sinn des Widerspruchsverfahrens sei durch die Beklagte vereitelt worden, es sei ohne Not ein Widerspruchsbescheid erlassen worden, und dieser Verstoß habe das Widerspruchsverfahren zur Bedeutungslosigkeit verkommen lassen.
Die Beklagte nahm zur Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht auf die Ausführungen des Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 03.12.2001 festzustellen, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06. 2000 nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes, insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird hierauf sowie auf die zu Beweiszwecken beigezogene Versichertenakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143 ff., 153 SGG), jedoch in der Hauptsache nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Feststellungsklage für zulässig gehalten (§ 55 Abs.1 Nr.4 SGG), weil ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Klärung der Frage besteht, ob der Verwaltungsakt nichtig ist (dann Beseitigung des Rechtsscheines eines wirksamen Verwaltungsakts) oder nicht. Im Gegensatz zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage kann die Feststellungklage der Klägerin eine verbesserte Ausgangsposition - zusätzliche sachliche Überprüfung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren - verschaffen, so dass nicht der Gedanke der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Anfechtungsklage greift.
Der Senat ist aber auch zu der Überzeugung gekommen, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 nicht nichtig ist.
Die "absoluten" Nichtigkeitsgründe des § 40 Abs.2 SGB X liegen, wie das Sozialgericht festgestellt hat, nicht vor. Ähnliche schwerwiegende Umstände, die unter die Generalklausel des § 40 Abs.1 SGB X fallen, sind nicht gegeben. Diese Vorschrift setzt einen besonders schwerwiegenden Fehler voraus, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
Schwerwiegend ist ein Fehler dann, wenn er derart in Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und zu den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft steht, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit und in ihm enthaltenen Rechtswirkungen hätte. Maßgebend ist nicht so sehr - und nicht notwendig - der Verstoß gegen bestimmte, unter Umständen zwingende Rechtsvorschriften, sondern der Verstoß gegen die der Rechtsordnung insgesamt oder in bestimmter Hinsicht zugrunde liegenden wesentlichen Zweck- und Wertvorstellungen, insbesondere auch gegen tragende Verfassungsgrundsätze, und das Ausmaß des Widerspruchs zu diesen (Schroeder-Printzen, SGB X, 4. Auflage, § 40 Rdnr.7, und Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Auflage, § 44 RdNr.5, jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Zur Nichtigkeit führt ebenso, wenn ein Bescheid seiner Art oder seines Inhalts schlechterdings nicht vorstellbar ist (Kasseler Kommentar, Stand August 2000, § 40 SGB X Rdnr.13.) Der Fehler muss in seiner Schwere denen des Absatzes 2 des § 40 SGB X entsprechen und diejenigen nach Abs.3 überschreiten (Bundestags-Drucksache 9/910, S.64; Kasseler Kommentar, a.a.O., Rdnr. 12 m.w.H. auf die Rechtsprechung).
Nach § 40 Abs.3 SGB X sind Verwaltungsakte nicht nichtig, wenn Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, wenn eine nach § 16 Abs.1 Satz 1 Nrn.2 bis 6 SGB X ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, wenn ein durch Rechtsvorschriften zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war, oder wenn die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist. Ebenso scheidet die Annahme grundsätzlicher Nichtigkeit (§ 40 Abs.1 SGB X) bei Fehlern aus, die im Rahmen des § 41 SGB X heilbar sind (Kasseler Kommentar, a.a.O., Rdnr. 12). Solche Fehler, gleich ob sie später durch Nachholung des vorgeschriebenen und anfänglich unterlassenen Umstands geheilt werden oder nicht, sind per se leichterer Art und haben nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zur Folge; hierunter fallen vor allem Verfahrensfehler, u.a. das Fehlen des für einen Verwaltungsakt vorgeschriebenen Antrags, der Verstoß gegen die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts oder der Verstoß gegen die erforderliche Anhörung eines Beteiligten (§ 41 Abs.1 Nrn.1 bis 3 SGB X).
Es soll nun unterstellt werden, dass der sehr knapp und vage gehaltene und keineswegs informative Hinweis des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren ("es sind noch Unterlagen abzuwarten") hinreichend gewesen wäre, die Beklagte bzw. deren Widerspruchsstelle notwendigerweise zum Abwarten bzw. zum "Anhalten" des Widerspruchsverfahrens zu veranlassen, obwohl der Bevollmächtigte des Klägers zumindest einen Teil seines späteren Vorbringens (vgl. Widerspruchsbegründung vom 08.08.2000) bereits so hätte äußern können und im Übrigen auch die Zielrichtung des Widerspruchs (ohne die dazugehörenden Unterlagen) hätte darlegen sollen. Bei einem (angenommenen) gebotenen "Zuwarten" würde ein Verfahrensfehler vorliegen, der sehr ähnlich der Verletzung einer (gebotenen) Anhörung und der Unterlassung der (gebotenen) Begründung eines Bescheids bzw. Widerspruchsbescheids ist.
Die Anhörung ist zwar dem Gesetzestext nach nur dann erforderlich, wenn ein Verwaltungsakt erlassen werden soll, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift (§ 24 Abs.1 SGB X), ist aber auch im Rahmen eines weiter gefassten Grundsatzes des "rechtlichen Gehörs" zu sehen, wobei nicht nur die Möglichkeit der Äußerung einzuräumen ist, sondern - bei Äußerung - auch das Vorgebrachte zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen ist (Kasseler Kommentar, a.a.O., §§ 41 SGB X Rdz.18).
Die notwendige Begründung eines Verwaltungsakts zielt in bestimmten Umfang in dieselbe Richtung: Es sind alle wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 35 Abs.1 Satz 2 SGB X), was auch voraussetzt, dass das vom Betroffenen Vorgebrachte geprüft und hierauf schriftlich eingegangen wird.
Vorliegend bleibt es sich letzten Endes gleich, ob der Beklagten zum Vorwurf gemacht wird, sie hätte zuwarten müssen, bis die Klägerin ihr Begehren näher geäußert hätte, um dann eine Prüfung vorzunehmen, oder wenn der Beklagten vorzuhalten wäre, dass sie das von der Klägerin bereits (hinreichend und umfassend) Vorgebrachte überhaupt nicht beachtet bzw. übergangen hätte und weder intern eine Prüfung vorgenommen noch nach außen hin das Ergebnis ihrer Erwägungen mitgeteilt hätte. Der jeweilige Verstoß wäre von der Wertigkeit bzw. vom Unwertsgehalt gleich. Hier kann von der Gesetzessystematik her nur die Rechtswidrigkeit und nicht die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts angenommen werden.
Es liegt nicht ein so grober Verstoß vor, dass nach § 40 Abs.1 SGB X davon auszugehen wäre, dass ausnahmsweise unter den Einzelmaßnahmen eines Staates eine solche von einer derart schwerwiegenden (und offensichtlichen) Fehlerhaftigkeit vorläge, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, auf sie - selbst mit Einlegen von Rechtsbehelfen - zu reagieren, und deren Beachtung von niemand erwartet werden kann (BFH vom 22.11.1988 - VII R 173/ 85 in BFHE 155, 24, 28).
Daher war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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