Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 3 An 165/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 RA 18/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Voraussetzung für die Anrechnung von Beschäftigungszeiten bzw. Beitragszeiten im Sinne der §§ 15, 16 FRG ist das Bestehen eines dem Grunde nach versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses und Beschäftigungsverhältnisses.
2. Eine unter Zwang zustande oder verrichtete Arbeit ist grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen.
2. Eine unter Zwang zustande oder verrichtete Arbeit ist grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 5. Januar 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Berücksichtigung einer weiteren Versicherungszeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 mit dem Ziel der Gewährung einer höheren Rente streitig.
Der am ...1915 geborene Kläger ist am 29.04.1993 aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Er ist als Spätaussiedler im Sinne des § 4 Bundesvertriebenengesetz anerkannt. Am 11.09.1993 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Regelaltersrente. Er machte dabei Beschäftigungs- und Versicherungszeiten in der ehemaligen Sowjetunion geltend, wobei er unter anderem angab, von 1937 bis 1954 insgesamt 16 Jahre und 8 Monate als politischer Häftling in Gefängnis und Konzentrationslagern inhaftiert gewesen zu sein. Da er vollständig rehabilitiert worden sei, sei diese Zeit in der Sowjetunion als Arbeitszeit gezählt worden. Im vorgelegten Arbeitsbuch befindet sich bezüglich dieser Zeit kein Eintrag. Der Kläger gab im Beschäftigungsfragebogen an, während des Aufenthalts im Konzentrationslager habe er als Zwangsarbeiter ohne Barlohn zwölf Stunden täglich gearbeitet. Nach einer Bescheinigung des Innenministeriums der UdSSR war er am 27.12. 1937 und 18.10.1944 zu je zehn Jahren Freiheitsentziehung verurteilt worden und befand sich vom 18.12.1937 bis 25.06.1954 in Aufenthaltsorten für politische Gefangene und wurde nach Verbüßung der Strafe entlassen "mit Anrechnung der Beschäftigungstage". Nach einer weiteren Bestätigung des Justizministeriums wurde der Kläger voll rehabilitiert. Er gab an, laut Gesetz der GUS werde für die rehabilitierten politischen Gefangenen ein Jahr Verbleibens im Konzentrationslager als drei Jahre Arbeitszeit anerkannt. Nach einer vorgelegten Bescheinigung der Abteilung für Sozialfürsorge hat der Kläger bis 01.09.1991 für die Rente 71 Jahre und 10 Monate zurückgelegt.
Mit Bescheid vom 10.08.1994 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 28.04.1993 Regelaltersrente. Sie berücksichtigte dabei die Zeit ab 01.06.1941 als Zeit der Internierung (Ersatzzeit) und lehnte die Anerkennung der Zeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 als Ersatzzeit ab, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, wobei er angab, während seines Aufenthaltes im KZ von 1937 bis 1954 tagtäglich als Holzfäller und dann als Kumpel im hohen Norden/Warkuta-Kohlenbecken zehn bis zwölf Stunden täglich gearbeitet zu haben, in der Kriegszeit ohne Ruhetage, um das Stückchen Brot zu bekommen. Die Nichtberücksichtigung dieser Zeit erachte er als ungerecht, da es doch die schwersten Jahre seines Lebens gewesen seien.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15.05.1996 die Rente des Klägers neu fest und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.1996 als unbegründet zurück. Bezüglich des streitigen Zeitraumes führte sie aus, Haftzeiten von Volksdeutschen, die in der UdSSR bereits vor Beginn des 2. Weltkrieges festgenommen worden seien, seien grundsätzlich keine Ersatzzeittatbestände, da insoweit kein ursächlicher Zusammenhang mit den Ereignissen des 2. Weltkrieges bestanden habe.
Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Bayreuth mit dem Antrag, die Zeit von Dezember 1937 bis Mai 1941 als Ersatzzeit anzuerkennen. In der weiteren Begründung beantragte er, die Beklagte zu verpflichten, die streitige Zeit als Beitragszeit gemäß § 15 FRG anzuerkennen. Nach einem Rechtsgutachten des Instituts für Ostrecht seien in der UdSSR die Betriebe unabhängig von der Art der beschäftigten Arbeitskräfte auch für beschäftigte Häftlinge verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge entsprechend der Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte in der festgesetzten Höhe abzuführen. Die Löhne würden an die Lagerverwaltung des Zwangsarbeitslagers abgeführt, hier erfolge die Verteilung der Löhne. Die Beklagte führte hierzu aus, der Kläger habe nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt gestanden, weshalb die Zeit der Inhaftierung mit Zwangsarbeit nicht rentensteigend berücksichtigt werden könne. Das Gutachten des Instituts für Ostrecht treffe den klagebefangenen Sachverhalt nicht, da dieses Gutachten von einer festgesetzten Lohnzahlung in tatsächlicher Höhe, die wenigstens teilweise an den Häftling auszuzahlen gewesen sei, ausgehe. Hierzu aber habe der Kläger angegeben, keinen Lohn erhalten zu haben; weiteres Indiz für die fehlende Lohnzahlung und Beitragsentrichtung sei, dass die streitbefangene Zeit nicht im russischen Arbeitsbuch als "Vorzeit" eingetragen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.01.1998 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Ersatzzeit lägen nicht vor, da es an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Inhaftierung des Klägers mit den Kriegsereignissen fehle. Die Frage, ob im streitigen Zeitraum eine Beitrags- oder Beschäftigungszeit vorliege, sei nicht Streitgegenstand geworden. Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch bei Klageerhebung sei es immer nur darum gegangen, eine Ersatzzeit anzuerkennen. Es handle sich um einen gänzlich anderen Streitgegenstand. Eine beachtliche Klageänderung im Sinne von § 99 SGG liege nicht vor, da die Beklagte nicht eingewilligt habe und das Gericht die Klageänderung nicht für sachdienlich halte.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er im Wesentlichen erneut auf das Rechtsgutachten des Instituts für Ostrecht vom 02.08.1979 Bezug nimmt. Danach hätten für alle Arbeitskräfte, also auch für beschäftigte Häftlinge, Sozialversicherungsbeiträge in der Sowjetunion entrichtet werden müssen, weshalb davon auszugehen sei, dass in der streitigen Zeit Beitragszeiten nach § 15 FRG zurückgelegt worden seien.
Auf Anfrage, in welchen Gefängnissen und Konzentrationslagern der Kläger im streitigen Zeitraum inhaftiert war, welche Arbeiten und gegebenenfalls für welche staatlichen Betriebe er im Einzelnen verrichtet habe, teilte dieser mit, er sei als Student des zweiten Lehrjahres am 18.12.1937 mit einer Gruppe von Mitstudenten verhaftet worden und habe sich bis Februar 1938 im Gefängnis der Hauptstadt der damaligen ASSR der Wolgadeutschen befunden. Im Februar 1938 sei er ins Gebiet Gorky, jetzt Nishgorod, verlegt worden, wo sich das KZ-Lager Unsklag befand. Dort habe er zehn bis zwölf Stunden täglich als Holzfäller im Wald der Holzindustrie gearbeitet. Die Produktion sei gewesen: Beschaffung von Nutzholz für die Bauindustrie, Kohlengruben, Sägemühlen usw., sogar für das Autowerk Gorky.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.01.1998 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 10.08.1994 und 15.05.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.1996 zu verurteilen, die Zeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 als Beitragszeit gemäß § 15 FRG anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Rentenakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch sachlich unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf rentensteigernde Berücksichtigung der Zeit der Inhaftierung und Zwangsarbeit in der ehemaligen UdSSR vom 18.12.1937 bis 31.05.1941. Diese Zeit kann weder als Ersatzzeit noch als Beitragszeit der Rentenberechnung zugrunde gelegt werden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist keine Klageänderung darin zu sehen, dass die streitige Zeit zunächst als Ersatzzeit, im Laufe des Klageverfahrens als Beitragszeit geltend gemacht wurde. Es handelt sich hier vielmehr um eine Änderung der Begründung, auf die der Kläger sein Begehren um Anerkennung einer weiteren Versicherungszeit und Gewährung einer höheren Rente stützt. Selbst wenn man eine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG annehmen wollte, wäre diese zulässig, da sich die Beklagte jedenfalls im Schriftsatz vom 23.01.1997 darauf eingelassen und somit eingewilligt hat (§ 99 Abs.2 SGG). Das Sozialgericht hätte somit auch das Vorliegen der Voraussetzungen der Anerkennung einer Beitragszeit prüfen müssen. Die Unterlassung dieser Prüfung muss jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils und Rückverweisung gemäß § 159 SGG führen; vielmehr holt der Senat diese Prüfung im Rahmen des § 157 SGG nach.
Zunächst hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass keiner der Ersatzzeittatbestände des § 250 Abs.1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) erfüllt ist. In Erwägung zu ziehen ist hier allein § 250 Abs.1 Nr.2 SGB VI, wonach Zeiten der Internierung von Versicherten Ersatzzeiten sind, wenn sie als Deutsche wegen ihrer Volks- oder Staatsangehörigkeit oder in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland interniert wurden. Unter dem Begriff "Internierung" versteht man das Festgehaltenwerden von Zivilpersonen auf einem eng begrenzten und überwachten Raum in Zusammenhang mit einem Krieg oder kriegerischen Ereignissen durch eine Gewahrsamsmacht (vgl. Niesel in KassKomm Rn.60 zu § 250 SGB VI). Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass vor dem Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Juni 1941 eine Internierung im obigen Sinne nicht vorgelegen haben kann. Der Kläger war vielmehr wegen "konterrevolutionärer Tätigkeit" zu jeweils zehn Jahren Freiheitsentziehung verurteilt worden. Die streitige Zeit vor Juni 1941 kann somit nicht als Ersatzzeit rentenrechtlich berücksichtigt werden.
Die Zeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 steht auch nicht einer nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeit bzw. einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland gleich (§§ 15, 16 Fremdrentengesetz - FRG -).
Auszugehen ist dabei von den Angaben des Klägers in Verbindung mit den vorgelegten Bescheinigungen, wonach er während seiner Inhaftierung als Zwangsarbeiter ohne Entlohnung tätig war. Er musste zehn bis zwölf Stunden täglich als Holzfäller arbeiten, um Nutzholz für verschiedene Industriezweige zu beschaffen. Ein Eintrag im Arbeitsbuch findet sich diesbezüglich nicht. Für die Rente in der GUS sind für rehabilitierte politische Gefangene pro Jahr KZ-Aufenthalt drei Jahre Arbeitszeit berücksichtigt.
Die Bewertung dieses Sachverhaltes kann nicht zur Anerkennung einer Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit im Sinne der §§ 15, 16 FRG führen. Dies lässt sich zunächst nicht aus dem im Klageverfahren vorgelegten Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 02.08.1979 begründen. Wie die Beklagte zutreffend ausführt, betrifft dieses Gutachten den streitigen Sachverhalt nicht, da es von einer festgesetzten Lohnzahlung und wenigstens teilweiser Auszahlung an den Häftling ausgeht und sich mit der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und zu Aufbauarbeiten verschleppten Rumäniendeutschen befasst. Wenn im Gutachten des Ostinstituts ausgeführt wird, dass die Betriebe der UdSSR "grundsätzlich" verpflichtet waren, für Insassen von Arbeitslagern Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, so heißt es hier noch nicht, dass tatsächlich Beiträge für Arbeitslohn abgeführt wurden (vgl. BSG vom 18.06.1997 - 5 RJ 20/96 -). Dagegen spricht vielmehr die unterbliebene Zahlung von Lohn sowie die Angabe des Klägers, nicht für einen bestimmten Betrieb gearbeitet zu haben. Es fehlt auch jeglicher Eintrag im Arbeitsbuch betreffend die streitgegenständliche Zeit. Gegen ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis spricht im Übrigen auch, dass dem Kläger im Rahmen der Rehabilitation in der früheren UdSSR nachträglich für ein Jahr KZ drei Jahre Arbeitszeit anerkannt wurden.
Ganz entscheidend ist hier, dass der Kläger im streitigen Zeitraum im Rahmen eines Zwangsarbeitsverhältnisses beschäftigt war, was die Annahme eines versicherungspflichtigen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses ausschließt.
Voraussetzung für die Anrechnung von nicht in Deutschland zurückgelegten Beschäftigungs- bzw. Versicherungszeiten im Sinne der §§ 15, 16 FRG ist - genau wie im Geltungsbereich des Bundesrechts - das Bestehen eines dem Grunde nach versicherungspflichtigen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses (vgl. im Einzelnen BSG a.a.O.; BSG vom 21.04.1999 - B 5 RJ 48/99 R - in Breithaupt 1999, 1042 f.; BSG vom 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R -; s. auch BSG vom 17.03.1993 - 8 RKNU 1/91 in SozR 3-5050 § 5 Nr.1).
Für die Annahme eines solchen Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses ist typisch, dass es durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande kommt und auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen. Der unmittelbare Zweck des Arbeitsverhältnisses zielt auf den Austausch wirtschaftlicher Werte im Sinne einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Dabei muss das Arbeitsentgelt einen gewissen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht überhaupt entstehen kann. Vom Vorliegen einer solchen rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers ab 18.12.1937 kann nicht ausgegangen werden. Abgesehen von der fehlenden Lohnzahlung und Eingliederung in einen Arbeitgeberbetrieb fehlt es jedenfalls an einer irgendwie gearteten Freiwilligkeit der geleisteten Arbeit. Der Kläger war im Dezember 1937 zu zehn Jahren Freiheitsentziehung verurteilt worden und musste nach seinen Angaben während Verbüßung dieser Haftstrafe im Konzentrationslager Zwangsarbeit leisten.
Unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (z.B. als Strafgefangener oder KZ-Häftling) ist - wie das Bundessozialgericht wiederholt entschieden hat - grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen (vgl. BSG vom 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R m.w.N.).
Eine Berücksichtigung der streitgegenständlichen Zeit bei der Rentenberechnung kann daher nicht erfolgen. Vielmehr ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden, weshalb die Berufung als unbegründet zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung, § 193 SGG, beruht auf der Erwägung, dass der Kläger auch mit der Berufung erfolglos blieb.
Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Berücksichtigung einer weiteren Versicherungszeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 mit dem Ziel der Gewährung einer höheren Rente streitig.
Der am ...1915 geborene Kläger ist am 29.04.1993 aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Er ist als Spätaussiedler im Sinne des § 4 Bundesvertriebenengesetz anerkannt. Am 11.09.1993 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Regelaltersrente. Er machte dabei Beschäftigungs- und Versicherungszeiten in der ehemaligen Sowjetunion geltend, wobei er unter anderem angab, von 1937 bis 1954 insgesamt 16 Jahre und 8 Monate als politischer Häftling in Gefängnis und Konzentrationslagern inhaftiert gewesen zu sein. Da er vollständig rehabilitiert worden sei, sei diese Zeit in der Sowjetunion als Arbeitszeit gezählt worden. Im vorgelegten Arbeitsbuch befindet sich bezüglich dieser Zeit kein Eintrag. Der Kläger gab im Beschäftigungsfragebogen an, während des Aufenthalts im Konzentrationslager habe er als Zwangsarbeiter ohne Barlohn zwölf Stunden täglich gearbeitet. Nach einer Bescheinigung des Innenministeriums der UdSSR war er am 27.12. 1937 und 18.10.1944 zu je zehn Jahren Freiheitsentziehung verurteilt worden und befand sich vom 18.12.1937 bis 25.06.1954 in Aufenthaltsorten für politische Gefangene und wurde nach Verbüßung der Strafe entlassen "mit Anrechnung der Beschäftigungstage". Nach einer weiteren Bestätigung des Justizministeriums wurde der Kläger voll rehabilitiert. Er gab an, laut Gesetz der GUS werde für die rehabilitierten politischen Gefangenen ein Jahr Verbleibens im Konzentrationslager als drei Jahre Arbeitszeit anerkannt. Nach einer vorgelegten Bescheinigung der Abteilung für Sozialfürsorge hat der Kläger bis 01.09.1991 für die Rente 71 Jahre und 10 Monate zurückgelegt.
Mit Bescheid vom 10.08.1994 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 28.04.1993 Regelaltersrente. Sie berücksichtigte dabei die Zeit ab 01.06.1941 als Zeit der Internierung (Ersatzzeit) und lehnte die Anerkennung der Zeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 als Ersatzzeit ab, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, wobei er angab, während seines Aufenthaltes im KZ von 1937 bis 1954 tagtäglich als Holzfäller und dann als Kumpel im hohen Norden/Warkuta-Kohlenbecken zehn bis zwölf Stunden täglich gearbeitet zu haben, in der Kriegszeit ohne Ruhetage, um das Stückchen Brot zu bekommen. Die Nichtberücksichtigung dieser Zeit erachte er als ungerecht, da es doch die schwersten Jahre seines Lebens gewesen seien.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15.05.1996 die Rente des Klägers neu fest und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.1996 als unbegründet zurück. Bezüglich des streitigen Zeitraumes führte sie aus, Haftzeiten von Volksdeutschen, die in der UdSSR bereits vor Beginn des 2. Weltkrieges festgenommen worden seien, seien grundsätzlich keine Ersatzzeittatbestände, da insoweit kein ursächlicher Zusammenhang mit den Ereignissen des 2. Weltkrieges bestanden habe.
Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Bayreuth mit dem Antrag, die Zeit von Dezember 1937 bis Mai 1941 als Ersatzzeit anzuerkennen. In der weiteren Begründung beantragte er, die Beklagte zu verpflichten, die streitige Zeit als Beitragszeit gemäß § 15 FRG anzuerkennen. Nach einem Rechtsgutachten des Instituts für Ostrecht seien in der UdSSR die Betriebe unabhängig von der Art der beschäftigten Arbeitskräfte auch für beschäftigte Häftlinge verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge entsprechend der Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte in der festgesetzten Höhe abzuführen. Die Löhne würden an die Lagerverwaltung des Zwangsarbeitslagers abgeführt, hier erfolge die Verteilung der Löhne. Die Beklagte führte hierzu aus, der Kläger habe nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt gestanden, weshalb die Zeit der Inhaftierung mit Zwangsarbeit nicht rentensteigend berücksichtigt werden könne. Das Gutachten des Instituts für Ostrecht treffe den klagebefangenen Sachverhalt nicht, da dieses Gutachten von einer festgesetzten Lohnzahlung in tatsächlicher Höhe, die wenigstens teilweise an den Häftling auszuzahlen gewesen sei, ausgehe. Hierzu aber habe der Kläger angegeben, keinen Lohn erhalten zu haben; weiteres Indiz für die fehlende Lohnzahlung und Beitragsentrichtung sei, dass die streitbefangene Zeit nicht im russischen Arbeitsbuch als "Vorzeit" eingetragen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.01.1998 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Ersatzzeit lägen nicht vor, da es an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Inhaftierung des Klägers mit den Kriegsereignissen fehle. Die Frage, ob im streitigen Zeitraum eine Beitrags- oder Beschäftigungszeit vorliege, sei nicht Streitgegenstand geworden. Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch bei Klageerhebung sei es immer nur darum gegangen, eine Ersatzzeit anzuerkennen. Es handle sich um einen gänzlich anderen Streitgegenstand. Eine beachtliche Klageänderung im Sinne von § 99 SGG liege nicht vor, da die Beklagte nicht eingewilligt habe und das Gericht die Klageänderung nicht für sachdienlich halte.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er im Wesentlichen erneut auf das Rechtsgutachten des Instituts für Ostrecht vom 02.08.1979 Bezug nimmt. Danach hätten für alle Arbeitskräfte, also auch für beschäftigte Häftlinge, Sozialversicherungsbeiträge in der Sowjetunion entrichtet werden müssen, weshalb davon auszugehen sei, dass in der streitigen Zeit Beitragszeiten nach § 15 FRG zurückgelegt worden seien.
Auf Anfrage, in welchen Gefängnissen und Konzentrationslagern der Kläger im streitigen Zeitraum inhaftiert war, welche Arbeiten und gegebenenfalls für welche staatlichen Betriebe er im Einzelnen verrichtet habe, teilte dieser mit, er sei als Student des zweiten Lehrjahres am 18.12.1937 mit einer Gruppe von Mitstudenten verhaftet worden und habe sich bis Februar 1938 im Gefängnis der Hauptstadt der damaligen ASSR der Wolgadeutschen befunden. Im Februar 1938 sei er ins Gebiet Gorky, jetzt Nishgorod, verlegt worden, wo sich das KZ-Lager Unsklag befand. Dort habe er zehn bis zwölf Stunden täglich als Holzfäller im Wald der Holzindustrie gearbeitet. Die Produktion sei gewesen: Beschaffung von Nutzholz für die Bauindustrie, Kohlengruben, Sägemühlen usw., sogar für das Autowerk Gorky.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.01.1998 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 10.08.1994 und 15.05.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.1996 zu verurteilen, die Zeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 als Beitragszeit gemäß § 15 FRG anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Rentenakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch sachlich unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf rentensteigernde Berücksichtigung der Zeit der Inhaftierung und Zwangsarbeit in der ehemaligen UdSSR vom 18.12.1937 bis 31.05.1941. Diese Zeit kann weder als Ersatzzeit noch als Beitragszeit der Rentenberechnung zugrunde gelegt werden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist keine Klageänderung darin zu sehen, dass die streitige Zeit zunächst als Ersatzzeit, im Laufe des Klageverfahrens als Beitragszeit geltend gemacht wurde. Es handelt sich hier vielmehr um eine Änderung der Begründung, auf die der Kläger sein Begehren um Anerkennung einer weiteren Versicherungszeit und Gewährung einer höheren Rente stützt. Selbst wenn man eine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG annehmen wollte, wäre diese zulässig, da sich die Beklagte jedenfalls im Schriftsatz vom 23.01.1997 darauf eingelassen und somit eingewilligt hat (§ 99 Abs.2 SGG). Das Sozialgericht hätte somit auch das Vorliegen der Voraussetzungen der Anerkennung einer Beitragszeit prüfen müssen. Die Unterlassung dieser Prüfung muss jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils und Rückverweisung gemäß § 159 SGG führen; vielmehr holt der Senat diese Prüfung im Rahmen des § 157 SGG nach.
Zunächst hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass keiner der Ersatzzeittatbestände des § 250 Abs.1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) erfüllt ist. In Erwägung zu ziehen ist hier allein § 250 Abs.1 Nr.2 SGB VI, wonach Zeiten der Internierung von Versicherten Ersatzzeiten sind, wenn sie als Deutsche wegen ihrer Volks- oder Staatsangehörigkeit oder in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland interniert wurden. Unter dem Begriff "Internierung" versteht man das Festgehaltenwerden von Zivilpersonen auf einem eng begrenzten und überwachten Raum in Zusammenhang mit einem Krieg oder kriegerischen Ereignissen durch eine Gewahrsamsmacht (vgl. Niesel in KassKomm Rn.60 zu § 250 SGB VI). Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass vor dem Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Juni 1941 eine Internierung im obigen Sinne nicht vorgelegen haben kann. Der Kläger war vielmehr wegen "konterrevolutionärer Tätigkeit" zu jeweils zehn Jahren Freiheitsentziehung verurteilt worden. Die streitige Zeit vor Juni 1941 kann somit nicht als Ersatzzeit rentenrechtlich berücksichtigt werden.
Die Zeit vom 18.12.1937 bis 31.05.1941 steht auch nicht einer nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeit bzw. einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland gleich (§§ 15, 16 Fremdrentengesetz - FRG -).
Auszugehen ist dabei von den Angaben des Klägers in Verbindung mit den vorgelegten Bescheinigungen, wonach er während seiner Inhaftierung als Zwangsarbeiter ohne Entlohnung tätig war. Er musste zehn bis zwölf Stunden täglich als Holzfäller arbeiten, um Nutzholz für verschiedene Industriezweige zu beschaffen. Ein Eintrag im Arbeitsbuch findet sich diesbezüglich nicht. Für die Rente in der GUS sind für rehabilitierte politische Gefangene pro Jahr KZ-Aufenthalt drei Jahre Arbeitszeit berücksichtigt.
Die Bewertung dieses Sachverhaltes kann nicht zur Anerkennung einer Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit im Sinne der §§ 15, 16 FRG führen. Dies lässt sich zunächst nicht aus dem im Klageverfahren vorgelegten Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 02.08.1979 begründen. Wie die Beklagte zutreffend ausführt, betrifft dieses Gutachten den streitigen Sachverhalt nicht, da es von einer festgesetzten Lohnzahlung und wenigstens teilweiser Auszahlung an den Häftling ausgeht und sich mit der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und zu Aufbauarbeiten verschleppten Rumäniendeutschen befasst. Wenn im Gutachten des Ostinstituts ausgeführt wird, dass die Betriebe der UdSSR "grundsätzlich" verpflichtet waren, für Insassen von Arbeitslagern Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, so heißt es hier noch nicht, dass tatsächlich Beiträge für Arbeitslohn abgeführt wurden (vgl. BSG vom 18.06.1997 - 5 RJ 20/96 -). Dagegen spricht vielmehr die unterbliebene Zahlung von Lohn sowie die Angabe des Klägers, nicht für einen bestimmten Betrieb gearbeitet zu haben. Es fehlt auch jeglicher Eintrag im Arbeitsbuch betreffend die streitgegenständliche Zeit. Gegen ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis spricht im Übrigen auch, dass dem Kläger im Rahmen der Rehabilitation in der früheren UdSSR nachträglich für ein Jahr KZ drei Jahre Arbeitszeit anerkannt wurden.
Ganz entscheidend ist hier, dass der Kläger im streitigen Zeitraum im Rahmen eines Zwangsarbeitsverhältnisses beschäftigt war, was die Annahme eines versicherungspflichtigen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses ausschließt.
Voraussetzung für die Anrechnung von nicht in Deutschland zurückgelegten Beschäftigungs- bzw. Versicherungszeiten im Sinne der §§ 15, 16 FRG ist - genau wie im Geltungsbereich des Bundesrechts - das Bestehen eines dem Grunde nach versicherungspflichtigen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses (vgl. im Einzelnen BSG a.a.O.; BSG vom 21.04.1999 - B 5 RJ 48/99 R - in Breithaupt 1999, 1042 f.; BSG vom 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R -; s. auch BSG vom 17.03.1993 - 8 RKNU 1/91 in SozR 3-5050 § 5 Nr.1).
Für die Annahme eines solchen Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses ist typisch, dass es durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande kommt und auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen. Der unmittelbare Zweck des Arbeitsverhältnisses zielt auf den Austausch wirtschaftlicher Werte im Sinne einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Dabei muss das Arbeitsentgelt einen gewissen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht überhaupt entstehen kann. Vom Vorliegen einer solchen rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers ab 18.12.1937 kann nicht ausgegangen werden. Abgesehen von der fehlenden Lohnzahlung und Eingliederung in einen Arbeitgeberbetrieb fehlt es jedenfalls an einer irgendwie gearteten Freiwilligkeit der geleisteten Arbeit. Der Kläger war im Dezember 1937 zu zehn Jahren Freiheitsentziehung verurteilt worden und musste nach seinen Angaben während Verbüßung dieser Haftstrafe im Konzentrationslager Zwangsarbeit leisten.
Unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (z.B. als Strafgefangener oder KZ-Häftling) ist - wie das Bundessozialgericht wiederholt entschieden hat - grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen (vgl. BSG vom 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R m.w.N.).
Eine Berücksichtigung der streitgegenständlichen Zeit bei der Rentenberechnung kann daher nicht erfolgen. Vielmehr ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden, weshalb die Berufung als unbegründet zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung, § 193 SGG, beruht auf der Erwägung, dass der Kläger auch mit der Berufung erfolglos blieb.
Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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