Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 An 99/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 36/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der zumindest grob fahrlässige Doppelbezug einer Hinterbliebenenrente durch die Klägerin führt noch nicht automatisch zur Rückforderbarkeit der Überzahlung in Höhe von knapp 100.000,00 DM. Beruht der Rückforderungsbescheid nicht zusätzlich auf einer Ermessensausübung des Rentenversicherungsträgers - z.B. zu den Fragen des Alters und Gesundheitszustandes der Empfängerin, des Ausmaßes ihres Verschuldens und des Mitverschuldens der Verwaltung sowie der Art der Rückforderung, so ist er grundsätzlich rechtswidrig und daher aufzuheben.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21. August 1996 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die am ...1908 geborene Klägerin bezieht seit 01.02.1962 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Mannes (Bescheid vom 29.06.1962). Mit Bescheid vom 17.05.1988 betreffend "Neuberechnung der Rente" teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe die Rente nach § 48 Sozialgesetzbuch, 10. Buch - SGB X - geprüft und neu berechnet. Der Grund hierfür waren die Rentenanpassungen zum 01.07.1987 und 01.07.1988. Die laufende Zahlung setzte ab 01.07.1988 in Höhe von DM 1.391,10 ein. Bei einem bis zum 30.06.1988 gezahlten Betrag von DM 1.307,60 ergab sich eine Nachzahlung von DM 515,28.
Am 17.05.1988 wurde der Zahlungsauftrag (BXZA NR 31) für die laufende Rente gefertigt, am 19.05.1988 die Nachzahlung angewiesen. Der ZA vom 17.05.1988 wurde am 07.08.1989 mit Wirkung zum 30.09.1989 zum Wegfall gebracht; am selben Tag wurde ein neuer ZA ab Oktober 1989 erteilt. Die gemäß ZA vom 26.01.1987 geleistete Rente in Höhe von DM 1.307,60 wurde nicht eingestellt und weiter bezahlt.
Am 12.06.1991 und 17.07.1991 wurden zwei Kontospiegel Rente - Hinterbliebenenrente § 45 Abs.2 AVG - erstellt. Im ersteren war vermerkt, die Anpassung der Rente könne von der DBP nicht durchgeführt werden (BXZANR 21, Fertigungsdatum 26.01.1987), im letzteren war auf einen Zahlungsauftrag BXZANR 31 Bezug genommen. Es war ersichtlich, daß insofern die Anpassung ab 07/91 durchgeführt wurde. In einem am 07.09.1994 erstellten Kontospiegel wurde festgehalten, es seien zwei ZA dokumentiert: 07.08.1989 BXZA 31 und 26.01.1987 BXZA 21.
Am 12.09.1994 wurde die seit 01.07.1988 erfolgte Doppelzahlung förmlich vermerkt und die Zahlung gemäß ZA vom 26.01.1987 eingestellt. Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 13.09.1994 davon informiert und ihr Gelegenheit gegeben, bis 25.09.1994 zur vorgesehenen Rückforderung der Überzahlung Stellung zu nehmen, was am 21.09.1994 auch geschah. Dabei versicherte die Klägerin, sie habe nie geglaubt, Rentenbeträge zu Unrecht in Empfang zu nehmen. Sie habe sich nie um schriftliche Sachen gekümmert. Sie verwies auf ihr Alter, ihren Gesundheitszustand und daß sie, zumal sie keine Kinder habe, auf die Rente zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen sei.
Mit Bescheid vom 09.11.1994 stellte die Beklagte die Überzahlung für die Zeit vom 01.07.1988 bis 30.09.1994 in Höhe von DM 98.070,00 fest und forderte den Betrag gemäß § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - SGB X - zurück. Die Klägerin habe die Rechtsgrundlosigkeit (Rechtswidrigkeit) der Leistung jedenfalls grob fahrlässig nicht erkannt. Als bösgläubig zu Unrecht bereicherte Rentenempfängerin hafte sie für den entstandenen Schaden. Um Erstattung des überzahlten Betrages und der Verwendung des beiliegenden Überweisungsträgers werde gebeten. Auf eine Rückforderung könne im Interesse der Versichertengemeinschaft, deren Vermögen die Beklagte verwalte, nicht verzichtet werden. Sollte die Klägerin nicht in der Lage sein, die Überzahlung in einem Betrag zu tilgen, wären ihre wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen und nachzuweisen. Es werde dann geprüft, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Teilrückzahlungen einschließlich der Erhebung von Zinsen zugelassen werden könnten.
Mit Schreiben vom 05.12.1994 versicherte die Klägerin erneut, sie sei gutgläubig gewesen. Die Überzahlung beruhe nicht auf falschen Angaben ihrerseits oder arglistiger Täuschung, sondern auf dem Verschulden der Beklagten. Sie verwies auf ihr hohes Alters, eingeschränkte Urteilsfähigkeit und den langen Zeitraum der Doppelzahlung. Sie besitze keine finanziellen Rücklagen, weder Haus- noch Grundbesitz, Wertpapiere oder sonstiges Vermögen, bis auf ein kleines Sparguthaben, das sie für Beerdigungskosten angelegt habe. Nach nochmaliger Darlegung der Rechtsansicht durch die Beklagte (Schreiben vom 04.01.1995) übersandte die Klägerin eine Aufstellung ihrer Einnahmen und Ausgaben (DM 3.389,47 zu DM 2.907,04) und verwies darauf, daß die hohe Rückforderungssumme ihre Lebensgrundlage vernichten würde.
Die Beklagte wies den Widerspruch am 18.04.1995 in vollem Umfang zurück. Sie legte dar, daß die Klägerin bösgläubig im Sinne des § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X sei und führte weiter aus: "Die BfA kann auch nicht im Wege des Ermessens von einer Erstattung des zu Unrecht in Empfang genommenen Betrages von DM 98.070,00 absehen, da Sie die Beträge "bösgläubig" entgegengenommen haben. Bösgläubigkeit liegt vor, wenn sich der Bereicherte der Unrechtmäßigkeit der Leistung voll bewußt ist oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht bewußt ist."
Ein am 19.04.1995 vorgelegtes Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin ..., wonach bei der von ihm seit 1990 behandelten Klägerin eine verminderte cerebrale Funktion bestehe, sowie eine weitere Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben und Belege über Kosten für die Elektrifizierung von Rolläden (über DM 2.000,00 1992/93) konnten von der Beklagten nicht mehr verwertet werden.
Mit der am 15.05.1995 beim Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage wandte sich die Klägerin weiterhin gegen die Rückforderung. Bezüglich ihres Gesundheitszustandes seit 1988 gab sie für dieses Jahr vier Behandlungen an: grippaler Infekt, akute Versorgung nach Sturz, Prellung am rechten Knie. In den weiteren Jahren sind weitere Stürze vermerkt, Harnwegsinfekte, Hautjucken und zunehmend Herzinsuffizienz und Arthrosen sowie seit 1993 Katerakt am linken Auge sowie Makuladegeneration rechts.
Das Sozialgericht hob mit Urteil vom 21.08.1996 die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf, da sie aus formellen Gründen (fehlende Ermessensausübung) rechtswidrig seien. Unstreitig seien Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht. Die Klägerin habe zwar die Rechtsgrundlosigkeit der doppelten Zahlung nicht gekannt, das Gericht gehe jedoch davon aus, daß sie grob fahrlässig gewesen sei. Die Beklagte habe aber in den angefochtenen Bescheiden kein Ermessen ausgeübt.
Die Beklagte legte am 14. Februar 1997 Berufung ein. Sie trägt vor, die Beklagte habe sowohl im Bescheid vom 09.11.1994 als auch im Widerspruchsbescheid vom 18.04.1995 ihr Ermessen ausgeübt. Im angefochtenen Bescheid zeige sich dies daran, daß sie ausgeführt habe, ihre Verpflichtung der Wahrung der Interessen der Versichertengemeinschaft stehe einem Verzicht auf die Rückforderung entgegen. Im Widerspruchbescheid bestehe die Ermessensausübung in der Formulierung "auch nicht im Wege des Ermessens von einer Erstattung des zu Unrecht in Empfang genommenen Betrags" absehen. Sie habe damit nicht ausschließlich zum Ausdruck bringen wollen, daß im Falle der bösgläubigen Entgegennahme einer Doppelzahlung das in § 45 SGB X vorgeschriebene Ermessen auf Null geschrumpft sei. Das in diesem Zusammenhang gebrachte Füllwort "auch" habe vielmehr darauf hinweisen sollen, daß neben der im Erstattungsbescheid vom November 1994 angestellten Ermessensabwägung eine Reduzierung der Erstattungsforderung auch wegen der Bösgläubigkeit der Klägerin ausgeschlossen sei. Hätte sich die Beklagte ausschließlich auf die Rechtsprechung des 4. Senats im Urteil vom 25.01.1994 (Az.: 4 RA 16/92) stützen wollen, hätte sie auf die vorgenommene Ermessensabwägung verzichten und sich gleich auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten BSG-Urteils beziehen können. Im übrigen habe die Beklagte aber kein Ermessen ausüben müssen. Dies ergebe sich aus dem Urteil vom 25.01.1994 sowie dem weiteren Urteil vom 26.10.1996 (Az.: 4 RA 97/95). Denn das Ermessen sei wegen der Bösgläubigkeit der Klägerin auf Null reduziert gewesen. Soweit sich das Sozialgericht auf ein Urteil des 8. Senats vom 24.01.1995 (Az.: 8 RKn 11/93 in SozR 3-1300 § 50 Nr.17) glaube berufen zu können, verkenne es, daß in diesem Urteil die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Frage nicht beantwortet worden sei.
Die Beklagte stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.08.1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin nimmt dabei auf die Gründe des Urteils des Sozialgerichts Augsburg Bezug.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Augsburg sowie die Akte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, die im Hinblick auf die Höhe des Rückforderungsbetrags nicht der Zulassung bedarf (§ 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Recht als rechtswidrig wegen fehlenden Ermessensgebrauch angesehen und deswegen aufgehoben. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich nicht bereits wegen einer Verletzung der Anhörungspflicht gemäß § 24 SGB X. Das Schreiben der Beklagten vom 13.09.1994 genügte zwar den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung nicht, da die Frist dafür zu knapp bemessen war. Als Mangel ist ebenfalls anzusehen, daß der zu erstattende Betrag der Höhe nach nicht beziffert war; die fehlerhafte Anhörung wurde aber im Laufe des Widerspruchsverfahrens geheilt (SozR 3-1300 § 24 Nr.13). Die Klägerin konnte sich - und hat davon auch tatsächlich Gebrauch gemacht - zu den für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten äußern.
Zutreffend hat die Beklagte die Verpflichtung zur Erstattung auf § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 SGB X gestützt. Nach § 50 Abs.2 sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. Darüber, daß der Klägerin zusätzlich zu der mit Bescheid vom 17.05.1988 neu berechneten Witwenrente über den 30.06.1988 hinaus der weitergezahlte Betrag in Höhe von 1.307,60 DM nicht zugestanden hat, besteht kein Streit. Zweifel an der Anwendbarkeit des § 50 Abs.2 SGB X ergaben sich insofern, als die Zahlung der monatlichen Rente in Höhe von 1.307,60 DM ursprünglich nicht ohne Verwaltungsakt erfolgt war, da Grundlage der Zahlung der Rentenbescheid vom 29.06.1962 war. Dieser Bescheid wurde jedoch durch den Bescheid vom 17.05.1988 teilweise aufgehoben und die Rente ab 01.07.1987 neu festgestellt. Daß die bloße Anpassung in der Regel nicht durch Verwaltungsakt erfolgt, schließt nicht aus, daß bei einer bewußten und für die Versicherte nachvollziehbaren Entscheidung eine verbindliche Regelung über die neue Rentenzahlung getroffen wird. Ab 01.07.1987 erfolgte die Zahlung aufgrund der im Bescheid vom 17.05.1988 getroffenen Regelung; für die weitere Zahlung des Betrags von 1.307,60 DM fehlte es wegen der teilweisen Aufhebung des Witwenrentenbescheides an einem Verwaltungsakt. Die Überzahlung geschah demnach, wie eine Erstattung nach § 50 Abs.2 SGB X voraussetzt, ohne Verwaltungsakt. Im übrigen hat das BSG in mehreren Urteilen entschieden, daß es für eine Doppelzahlung in der Regel keinen Rechtsgrund gibt (SozR 1300 § 50 Nr.16, Urteil vom 24.10.1996, Az.: 4 RA 27/95). Als Rechtsgrundlage für die Rückforderung wurde deswegen zutreffend § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 SGB X herangezogen.
Gemäß § 50 Abs.2 SGB X i.V.m. § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X muß die Behörde die zu Unrecht gezahlte Leistung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurückfordern, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Diese Jahresfrist wurde von der Beklagten gewahrt. Zweifel ergeben sich deswegen, weil die Beklagte im Hinblick auf den Kontospiegel vom 12.06.1991 und 17.07.1991 die doppelte Zahlung hätte bemerken können und zudem bereits am 07.08.1989 offensichtlich mit der Anweisung der Rente befaßt war. Denn es ist in der Akte festgehalten, daß der ZA vom 17.05.1988 zum 30.09.1989 weggefallen und ab 01.10.1989 eine erneute Anweisung vorgenommen worden ist. Das bloße Kennenmüssen reicht aber nicht aus, da die Regelung des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X eine positive Kenntnis des Versicherungsträgers bezüglich der Tatsachen voraussetzt, die die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen. Diese Kenntnis lag aber erst im September 1994 vor, mit der Folge, daß die Jahresfrist gewahrt ist. Bei dieser Fallgestaltung kommt es nicht darauf an, ob Kenntnis im Sinne des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X überhaupt erst dann angenommen werden könnte, nachdem eine Anhörung durchgeführt worden ist.
Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistung gemäß § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 Abs.4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X liegen ebenfalls vor. Danach hat die Erstattung einer in der Vergangenheit zu Unrecht erbrachten Leistung zur Voraussetzung, daß der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die die Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder daß die Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Regelung des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X kommt nicht zum Tragen, da die zu Unrecht erbrachte Zahlung nicht auf einem Verhalten der Klägerin beruhte, sondern eindeutig aufgrund eines Fehlers der Beklagten vorgenommen wurde. Zu Recht gingen aber sowohl die Beklagte als auch das Sozialgericht davon aus, die Klägerin habe sich grob fahrlässig im Sinn des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X verhalten. Dieser Vorwurf hat zur Voraussetzung, daß die Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X). Ein Argument gegen diese besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung könnte ein hohes Alter der Begünstigten sein; andererseits lagen aber im Falle der Klägerin geistig noch keine - jedenfalls aufgrund der Behandlungsdiagnosen faßbare - Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten vor. Die laut Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin ... nunmehr bestehende Einschränkung kann nicht bis ins Jahr 1988 zurückgeführt werden, zumal die Behandlung durch Dr ... erst seit Juli 1990 erfolgt. Zugunsten der Klägerin kann allerdings herangezogen werden, daß sie die Mitteilungen über die Rentenanpassung, auch soweit es ihren Vorteil betraf, nicht aufmerksam verfolgte. Denn es ist ihr offensichtlich nicht aufgefallen, daß die Rente ab 01.07.1987 nicht angepaßt worden war, ebensowenig hat sie eine fehlende Verzinsung der Nachzahlung, die bis heute nicht erfolgt sein dürfte, reklamiert. Diese Gesichtspunkte schwächen zwar den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit etwas ab, können ihn aber nicht beseitigen, da die fehlerhafte doppelte Anweisung ein nicht schwer zu bemerkender Fehler war. Auch wenn die Anpassung mit Bescheid, statt formlos mit Rentenmitteilung, zu einer gewissen Verunsicherung geführt haben mag, rechtfertigt dies nicht die Annahme, die Klägerin habe die Sorgfaltspflicht nicht in besonders schwerem Maße verletzt.
Die Beklagte hat auch zu Recht einen Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X verneint. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (SozR 3-1300 § 45 Nr.37 m.w.N.) ist vor der Prüfung der Ermessensausübung festzustellen, ob die Vertrauensschutzregelung des § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X eingreift. Diese Prüfung hat die Beklagte zutreffend vorgenommen und im Interesse der Versichertengemeinschaft einen Vertrauensschutz abgelehnt. Ob tatsächlich in allen Fällen vor der Ausübung des Ermessens eine Vertrauensschutzprüfung nach § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X vorzunehmen ist, mag zweifelhaft erscheinen, da verschiedene Gesichtspunkte für die Prüfung des Vertrauensschutzes und für die Ermessensausübung häufig nicht ersichtlich sein dürften. Auch setzt die Entscheidung nach § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X jedenfalls gedanklich die Verneinung des Vertrauensschutzes voraus, da nur dann die Rückforderung zum Tragen kommt. Jedenfalls wurde von der Beklagten ausdrücklich eine Interessenabwägung, wenn auch knapp, vorgenommen.
Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ergibt sich aber daraus, daß die Beklagte das Ermessen, das ihr in § 45 Abs.2 Satz 3, Abs.3, Abs.4 SGB X eingeräumt ist, nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Auf die Ausführungen des Sozialgerichts wird insofern gemäß § 153 Abs.2 SGG Bezug genommen.
Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen: Die im Berufungsverfahren von der Beklagten unter Bezugnahme auf die Urteile des BSG vom 25.01.1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr.16) und vom 24.10.1996, Az.: 4 RA 27/95 vertretene Ansicht, bei bösgläubigen Versicherten sei kein Ermessen auszuüben, widerspricht zum einen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. SozR 3-1300 § 45 Nrn.4, 5, § 50 Nr.17 mit zahlreichen Hinweisen) und stimmt auch mit der gesetzlichen Regelung des § 45 Abs.2, 3 und 4 SGB X nicht überein. Denn entfiele bei jedem Grad der Bösgläubigkeit die Ermessensprüfung, so wäre in jedem Fall die Rückforderung für die Vergangenheit ohne Ermessensausübung vorzunehmen. Eine Rücknahme für die Vergangenheit setzt nämlich immer Bösgläubigkeit voraus, d.h. die Bösgläubigkeit ist ein Tatbestandsmerkmal, von welchem aus erst die Rechtsfolgenseite mit dem unstreitig grundsätzlich eingeräumten Ermessen (vgl. auch Urteil vom 25.01.1994 a.a.O.) zu klären ist. Daß das BSG von einer Ermessensreduzierung auf Null spricht, besagt gerade, daß grundsätzlich die Rückforderung - auch bei bösgläubigen Versicherten - im Ermessen des Versicherungsträgers steht. Im Einzelfall kann dann eine Ermessensreduzierung auf Null eintreten. Würde bei jedem Fall der Bösgläubigkeit diese Reduzierung ohne weitere Prüfung zum Tragen kommen, so wäre die gebundene Entscheidung der Regelfall, was aber im Gesetz gerade nicht vorgesehen ist und zwar weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit.
Durch die vom Senat vertretene Ansicht wird auch dem bei grundsätzlich bestehender Bösgläubigkeit doch teilweise sehr unterschiedlichem Unrechtsgehalt Rechnung getragen. Denn ob ein Versicherter ein Merkblatt nicht liest und sich damit unter Umständen grob fahrlässig verhält oder ob ein Versicherter falsche Angaben macht und die Unrechtmäßigkeit selbst herbeiführt, ergibt ein unterschiedliches Maß an Bösgläubigkeit, das nicht zwangsläufig gleich zu behandeln ist. Diese beiden Möglichkeiten der Bösgläubigkeit zeigen im übrigen auch die Notwendigkeit auf, durch gesetzliche Regelung diesem verschiedenen Unrechtsgehalt Rechnung zu tragen, wie dies vorliegend durch die Einräumung eines Ermessens auch geschehen ist.
Die vom 8. Senat in SozR 3-1300 § 50 Nr.17 zur Entscheidung des BSG vom 25.01.1994 geäußerten Bedenken sind deswegen überzeugend, auch wenn der Senat diese Frage konkret nicht zu entscheiden hatte. Dasselbe gilt für den Hinweis des 8. Senats, daß in einem Fall, wie der 4. Senat ihn zu entscheiden hatte, eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen sein dürfte, da der Kläger eine Rentendoppelzahlung abgeleugnet und eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Der 4. Senat nimmt auch gerade auf diese Feststellung des 8. Senats Bezug, so daß die Annahme naheliegt, der 4. Senat wolle von der Ermessensreduzierung auf Null in Fällen besonders schwerwiegender Bösgläubigkeit ausgehen. Diese Interpretation liegt zudem deswegen nahe, weil der 4. Senat sonst den Großen Senat angerufen hätte. Auch der 13. Senat ist im Urteil vom 09.09.1998, Az.: B 13 RJ 41/97 R trotz Bösgläubigkeit des Begünstigten nicht von einer zwingenden Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen.
Im Falle der Klägerin kann die Ermessensreduzierung auf Null nicht angenommen werden. Dabei ist abzuwägen, daß der Fehler, der zur Überzahlung geführt hat, allein im Verantwortungsbereich der Beklagten liegt und daß es sich nicht nur um ein einmaliges Versehen handelte, sondern daß die Beklagte spätere "Chancen" der Berichtigung nicht genutzt hat. So war die Akte im August 1989 offensichtlich in Bearbeitung, der ZA vom 17.05.1988 wurde aufgehoben, ohne daß die doppelte Zahlung auffiel. Noch deutlicher scheint dies im Jahr 1991 auf, in dem auf zwei Seiten hintereinander die Zahlungen aufgeführt waren. Daß bei einer Massenverwaltung wie bei der Beklagten solche Fehler vorkommen, mag unvermeidbar sein. Im Rahmen einer Ermessensausübung sollte der Gedanke des Verschuldens seitens der Beklagten aber zumindest erwogen werden (vgl. SozR 3-1300 § 45 Nr.37). Bei Vorsatz der Begünstigten mag dies anders sein, nicht aber bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden.
Hinzu kommt, daß die Beklagte keinen der anderen, von der Klägerin konkret angesprochenen Gesichtspunkte in eine Ermessensausübung miteinbezogen hat, wie etwa die Frage der langen Dauer der falschen Zahlung, des Alters der Klägerin, der Belastung mit der Rückforderung der Summe aufeinmal. Die Entscheidungen der Beklagten lassen keine Ermessensgesichtspunkte erkennen. Die im Widerspruchsbescheid gewählte Formulierung spricht entgegen dem Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren nicht für eine Ausübung des Ermessens. Denn es wird dort nur auf die Bösgläubigkeit abgestellt, die aber bloße Voraussetzung der Ermessensausübung ist. Selbst wenn der Senat den Hinweis der Beklagten auf die Interessen der Versichertengemeinschaft als Ermessensausübung und nicht bloße Interessenabwägung ansähe, wäre diese nicht ausreichend, da naheliegende Ermessensgesichtspunkte überhaupt nicht in Betracht gezogen wurden.
Die angefochtenen Bescheide sind demnach wegen unzureichender Ermessensausübung rechtswidrig und aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, da es sich bei der Frage der Ermessensreduzierung auf Null bei Bösgläubigkeit der Versicherten um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt (§ 160 Abs.2 SGG).
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die am ...1908 geborene Klägerin bezieht seit 01.02.1962 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Mannes (Bescheid vom 29.06.1962). Mit Bescheid vom 17.05.1988 betreffend "Neuberechnung der Rente" teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe die Rente nach § 48 Sozialgesetzbuch, 10. Buch - SGB X - geprüft und neu berechnet. Der Grund hierfür waren die Rentenanpassungen zum 01.07.1987 und 01.07.1988. Die laufende Zahlung setzte ab 01.07.1988 in Höhe von DM 1.391,10 ein. Bei einem bis zum 30.06.1988 gezahlten Betrag von DM 1.307,60 ergab sich eine Nachzahlung von DM 515,28.
Am 17.05.1988 wurde der Zahlungsauftrag (BXZA NR 31) für die laufende Rente gefertigt, am 19.05.1988 die Nachzahlung angewiesen. Der ZA vom 17.05.1988 wurde am 07.08.1989 mit Wirkung zum 30.09.1989 zum Wegfall gebracht; am selben Tag wurde ein neuer ZA ab Oktober 1989 erteilt. Die gemäß ZA vom 26.01.1987 geleistete Rente in Höhe von DM 1.307,60 wurde nicht eingestellt und weiter bezahlt.
Am 12.06.1991 und 17.07.1991 wurden zwei Kontospiegel Rente - Hinterbliebenenrente § 45 Abs.2 AVG - erstellt. Im ersteren war vermerkt, die Anpassung der Rente könne von der DBP nicht durchgeführt werden (BXZANR 21, Fertigungsdatum 26.01.1987), im letzteren war auf einen Zahlungsauftrag BXZANR 31 Bezug genommen. Es war ersichtlich, daß insofern die Anpassung ab 07/91 durchgeführt wurde. In einem am 07.09.1994 erstellten Kontospiegel wurde festgehalten, es seien zwei ZA dokumentiert: 07.08.1989 BXZA 31 und 26.01.1987 BXZA 21.
Am 12.09.1994 wurde die seit 01.07.1988 erfolgte Doppelzahlung förmlich vermerkt und die Zahlung gemäß ZA vom 26.01.1987 eingestellt. Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 13.09.1994 davon informiert und ihr Gelegenheit gegeben, bis 25.09.1994 zur vorgesehenen Rückforderung der Überzahlung Stellung zu nehmen, was am 21.09.1994 auch geschah. Dabei versicherte die Klägerin, sie habe nie geglaubt, Rentenbeträge zu Unrecht in Empfang zu nehmen. Sie habe sich nie um schriftliche Sachen gekümmert. Sie verwies auf ihr Alter, ihren Gesundheitszustand und daß sie, zumal sie keine Kinder habe, auf die Rente zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen sei.
Mit Bescheid vom 09.11.1994 stellte die Beklagte die Überzahlung für die Zeit vom 01.07.1988 bis 30.09.1994 in Höhe von DM 98.070,00 fest und forderte den Betrag gemäß § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - SGB X - zurück. Die Klägerin habe die Rechtsgrundlosigkeit (Rechtswidrigkeit) der Leistung jedenfalls grob fahrlässig nicht erkannt. Als bösgläubig zu Unrecht bereicherte Rentenempfängerin hafte sie für den entstandenen Schaden. Um Erstattung des überzahlten Betrages und der Verwendung des beiliegenden Überweisungsträgers werde gebeten. Auf eine Rückforderung könne im Interesse der Versichertengemeinschaft, deren Vermögen die Beklagte verwalte, nicht verzichtet werden. Sollte die Klägerin nicht in der Lage sein, die Überzahlung in einem Betrag zu tilgen, wären ihre wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen und nachzuweisen. Es werde dann geprüft, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Teilrückzahlungen einschließlich der Erhebung von Zinsen zugelassen werden könnten.
Mit Schreiben vom 05.12.1994 versicherte die Klägerin erneut, sie sei gutgläubig gewesen. Die Überzahlung beruhe nicht auf falschen Angaben ihrerseits oder arglistiger Täuschung, sondern auf dem Verschulden der Beklagten. Sie verwies auf ihr hohes Alters, eingeschränkte Urteilsfähigkeit und den langen Zeitraum der Doppelzahlung. Sie besitze keine finanziellen Rücklagen, weder Haus- noch Grundbesitz, Wertpapiere oder sonstiges Vermögen, bis auf ein kleines Sparguthaben, das sie für Beerdigungskosten angelegt habe. Nach nochmaliger Darlegung der Rechtsansicht durch die Beklagte (Schreiben vom 04.01.1995) übersandte die Klägerin eine Aufstellung ihrer Einnahmen und Ausgaben (DM 3.389,47 zu DM 2.907,04) und verwies darauf, daß die hohe Rückforderungssumme ihre Lebensgrundlage vernichten würde.
Die Beklagte wies den Widerspruch am 18.04.1995 in vollem Umfang zurück. Sie legte dar, daß die Klägerin bösgläubig im Sinne des § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X sei und führte weiter aus: "Die BfA kann auch nicht im Wege des Ermessens von einer Erstattung des zu Unrecht in Empfang genommenen Betrages von DM 98.070,00 absehen, da Sie die Beträge "bösgläubig" entgegengenommen haben. Bösgläubigkeit liegt vor, wenn sich der Bereicherte der Unrechtmäßigkeit der Leistung voll bewußt ist oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht bewußt ist."
Ein am 19.04.1995 vorgelegtes Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin ..., wonach bei der von ihm seit 1990 behandelten Klägerin eine verminderte cerebrale Funktion bestehe, sowie eine weitere Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben und Belege über Kosten für die Elektrifizierung von Rolläden (über DM 2.000,00 1992/93) konnten von der Beklagten nicht mehr verwertet werden.
Mit der am 15.05.1995 beim Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage wandte sich die Klägerin weiterhin gegen die Rückforderung. Bezüglich ihres Gesundheitszustandes seit 1988 gab sie für dieses Jahr vier Behandlungen an: grippaler Infekt, akute Versorgung nach Sturz, Prellung am rechten Knie. In den weiteren Jahren sind weitere Stürze vermerkt, Harnwegsinfekte, Hautjucken und zunehmend Herzinsuffizienz und Arthrosen sowie seit 1993 Katerakt am linken Auge sowie Makuladegeneration rechts.
Das Sozialgericht hob mit Urteil vom 21.08.1996 die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf, da sie aus formellen Gründen (fehlende Ermessensausübung) rechtswidrig seien. Unstreitig seien Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht. Die Klägerin habe zwar die Rechtsgrundlosigkeit der doppelten Zahlung nicht gekannt, das Gericht gehe jedoch davon aus, daß sie grob fahrlässig gewesen sei. Die Beklagte habe aber in den angefochtenen Bescheiden kein Ermessen ausgeübt.
Die Beklagte legte am 14. Februar 1997 Berufung ein. Sie trägt vor, die Beklagte habe sowohl im Bescheid vom 09.11.1994 als auch im Widerspruchsbescheid vom 18.04.1995 ihr Ermessen ausgeübt. Im angefochtenen Bescheid zeige sich dies daran, daß sie ausgeführt habe, ihre Verpflichtung der Wahrung der Interessen der Versichertengemeinschaft stehe einem Verzicht auf die Rückforderung entgegen. Im Widerspruchbescheid bestehe die Ermessensausübung in der Formulierung "auch nicht im Wege des Ermessens von einer Erstattung des zu Unrecht in Empfang genommenen Betrags" absehen. Sie habe damit nicht ausschließlich zum Ausdruck bringen wollen, daß im Falle der bösgläubigen Entgegennahme einer Doppelzahlung das in § 45 SGB X vorgeschriebene Ermessen auf Null geschrumpft sei. Das in diesem Zusammenhang gebrachte Füllwort "auch" habe vielmehr darauf hinweisen sollen, daß neben der im Erstattungsbescheid vom November 1994 angestellten Ermessensabwägung eine Reduzierung der Erstattungsforderung auch wegen der Bösgläubigkeit der Klägerin ausgeschlossen sei. Hätte sich die Beklagte ausschließlich auf die Rechtsprechung des 4. Senats im Urteil vom 25.01.1994 (Az.: 4 RA 16/92) stützen wollen, hätte sie auf die vorgenommene Ermessensabwägung verzichten und sich gleich auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten BSG-Urteils beziehen können. Im übrigen habe die Beklagte aber kein Ermessen ausüben müssen. Dies ergebe sich aus dem Urteil vom 25.01.1994 sowie dem weiteren Urteil vom 26.10.1996 (Az.: 4 RA 97/95). Denn das Ermessen sei wegen der Bösgläubigkeit der Klägerin auf Null reduziert gewesen. Soweit sich das Sozialgericht auf ein Urteil des 8. Senats vom 24.01.1995 (Az.: 8 RKn 11/93 in SozR 3-1300 § 50 Nr.17) glaube berufen zu können, verkenne es, daß in diesem Urteil die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Frage nicht beantwortet worden sei.
Die Beklagte stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.08.1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin nimmt dabei auf die Gründe des Urteils des Sozialgerichts Augsburg Bezug.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Augsburg sowie die Akte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, die im Hinblick auf die Höhe des Rückforderungsbetrags nicht der Zulassung bedarf (§ 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Recht als rechtswidrig wegen fehlenden Ermessensgebrauch angesehen und deswegen aufgehoben. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich nicht bereits wegen einer Verletzung der Anhörungspflicht gemäß § 24 SGB X. Das Schreiben der Beklagten vom 13.09.1994 genügte zwar den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung nicht, da die Frist dafür zu knapp bemessen war. Als Mangel ist ebenfalls anzusehen, daß der zu erstattende Betrag der Höhe nach nicht beziffert war; die fehlerhafte Anhörung wurde aber im Laufe des Widerspruchsverfahrens geheilt (SozR 3-1300 § 24 Nr.13). Die Klägerin konnte sich - und hat davon auch tatsächlich Gebrauch gemacht - zu den für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten äußern.
Zutreffend hat die Beklagte die Verpflichtung zur Erstattung auf § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 SGB X gestützt. Nach § 50 Abs.2 sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. Darüber, daß der Klägerin zusätzlich zu der mit Bescheid vom 17.05.1988 neu berechneten Witwenrente über den 30.06.1988 hinaus der weitergezahlte Betrag in Höhe von 1.307,60 DM nicht zugestanden hat, besteht kein Streit. Zweifel an der Anwendbarkeit des § 50 Abs.2 SGB X ergaben sich insofern, als die Zahlung der monatlichen Rente in Höhe von 1.307,60 DM ursprünglich nicht ohne Verwaltungsakt erfolgt war, da Grundlage der Zahlung der Rentenbescheid vom 29.06.1962 war. Dieser Bescheid wurde jedoch durch den Bescheid vom 17.05.1988 teilweise aufgehoben und die Rente ab 01.07.1987 neu festgestellt. Daß die bloße Anpassung in der Regel nicht durch Verwaltungsakt erfolgt, schließt nicht aus, daß bei einer bewußten und für die Versicherte nachvollziehbaren Entscheidung eine verbindliche Regelung über die neue Rentenzahlung getroffen wird. Ab 01.07.1987 erfolgte die Zahlung aufgrund der im Bescheid vom 17.05.1988 getroffenen Regelung; für die weitere Zahlung des Betrags von 1.307,60 DM fehlte es wegen der teilweisen Aufhebung des Witwenrentenbescheides an einem Verwaltungsakt. Die Überzahlung geschah demnach, wie eine Erstattung nach § 50 Abs.2 SGB X voraussetzt, ohne Verwaltungsakt. Im übrigen hat das BSG in mehreren Urteilen entschieden, daß es für eine Doppelzahlung in der Regel keinen Rechtsgrund gibt (SozR 1300 § 50 Nr.16, Urteil vom 24.10.1996, Az.: 4 RA 27/95). Als Rechtsgrundlage für die Rückforderung wurde deswegen zutreffend § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 SGB X herangezogen.
Gemäß § 50 Abs.2 SGB X i.V.m. § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X muß die Behörde die zu Unrecht gezahlte Leistung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurückfordern, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Diese Jahresfrist wurde von der Beklagten gewahrt. Zweifel ergeben sich deswegen, weil die Beklagte im Hinblick auf den Kontospiegel vom 12.06.1991 und 17.07.1991 die doppelte Zahlung hätte bemerken können und zudem bereits am 07.08.1989 offensichtlich mit der Anweisung der Rente befaßt war. Denn es ist in der Akte festgehalten, daß der ZA vom 17.05.1988 zum 30.09.1989 weggefallen und ab 01.10.1989 eine erneute Anweisung vorgenommen worden ist. Das bloße Kennenmüssen reicht aber nicht aus, da die Regelung des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X eine positive Kenntnis des Versicherungsträgers bezüglich der Tatsachen voraussetzt, die die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen. Diese Kenntnis lag aber erst im September 1994 vor, mit der Folge, daß die Jahresfrist gewahrt ist. Bei dieser Fallgestaltung kommt es nicht darauf an, ob Kenntnis im Sinne des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X überhaupt erst dann angenommen werden könnte, nachdem eine Anhörung durchgeführt worden ist.
Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistung gemäß § 50 Abs.2 i.V.m. § 45 Abs.4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X liegen ebenfalls vor. Danach hat die Erstattung einer in der Vergangenheit zu Unrecht erbrachten Leistung zur Voraussetzung, daß der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die die Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder daß die Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Regelung des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X kommt nicht zum Tragen, da die zu Unrecht erbrachte Zahlung nicht auf einem Verhalten der Klägerin beruhte, sondern eindeutig aufgrund eines Fehlers der Beklagten vorgenommen wurde. Zu Recht gingen aber sowohl die Beklagte als auch das Sozialgericht davon aus, die Klägerin habe sich grob fahrlässig im Sinn des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X verhalten. Dieser Vorwurf hat zur Voraussetzung, daß die Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X). Ein Argument gegen diese besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung könnte ein hohes Alter der Begünstigten sein; andererseits lagen aber im Falle der Klägerin geistig noch keine - jedenfalls aufgrund der Behandlungsdiagnosen faßbare - Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten vor. Die laut Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin ... nunmehr bestehende Einschränkung kann nicht bis ins Jahr 1988 zurückgeführt werden, zumal die Behandlung durch Dr ... erst seit Juli 1990 erfolgt. Zugunsten der Klägerin kann allerdings herangezogen werden, daß sie die Mitteilungen über die Rentenanpassung, auch soweit es ihren Vorteil betraf, nicht aufmerksam verfolgte. Denn es ist ihr offensichtlich nicht aufgefallen, daß die Rente ab 01.07.1987 nicht angepaßt worden war, ebensowenig hat sie eine fehlende Verzinsung der Nachzahlung, die bis heute nicht erfolgt sein dürfte, reklamiert. Diese Gesichtspunkte schwächen zwar den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit etwas ab, können ihn aber nicht beseitigen, da die fehlerhafte doppelte Anweisung ein nicht schwer zu bemerkender Fehler war. Auch wenn die Anpassung mit Bescheid, statt formlos mit Rentenmitteilung, zu einer gewissen Verunsicherung geführt haben mag, rechtfertigt dies nicht die Annahme, die Klägerin habe die Sorgfaltspflicht nicht in besonders schwerem Maße verletzt.
Die Beklagte hat auch zu Recht einen Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X verneint. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (SozR 3-1300 § 45 Nr.37 m.w.N.) ist vor der Prüfung der Ermessensausübung festzustellen, ob die Vertrauensschutzregelung des § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X eingreift. Diese Prüfung hat die Beklagte zutreffend vorgenommen und im Interesse der Versichertengemeinschaft einen Vertrauensschutz abgelehnt. Ob tatsächlich in allen Fällen vor der Ausübung des Ermessens eine Vertrauensschutzprüfung nach § 45 Abs.2 Satz 1 SGB X vorzunehmen ist, mag zweifelhaft erscheinen, da verschiedene Gesichtspunkte für die Prüfung des Vertrauensschutzes und für die Ermessensausübung häufig nicht ersichtlich sein dürften. Auch setzt die Entscheidung nach § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X jedenfalls gedanklich die Verneinung des Vertrauensschutzes voraus, da nur dann die Rückforderung zum Tragen kommt. Jedenfalls wurde von der Beklagten ausdrücklich eine Interessenabwägung, wenn auch knapp, vorgenommen.
Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ergibt sich aber daraus, daß die Beklagte das Ermessen, das ihr in § 45 Abs.2 Satz 3, Abs.3, Abs.4 SGB X eingeräumt ist, nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Auf die Ausführungen des Sozialgerichts wird insofern gemäß § 153 Abs.2 SGG Bezug genommen.
Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen: Die im Berufungsverfahren von der Beklagten unter Bezugnahme auf die Urteile des BSG vom 25.01.1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr.16) und vom 24.10.1996, Az.: 4 RA 27/95 vertretene Ansicht, bei bösgläubigen Versicherten sei kein Ermessen auszuüben, widerspricht zum einen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. SozR 3-1300 § 45 Nrn.4, 5, § 50 Nr.17 mit zahlreichen Hinweisen) und stimmt auch mit der gesetzlichen Regelung des § 45 Abs.2, 3 und 4 SGB X nicht überein. Denn entfiele bei jedem Grad der Bösgläubigkeit die Ermessensprüfung, so wäre in jedem Fall die Rückforderung für die Vergangenheit ohne Ermessensausübung vorzunehmen. Eine Rücknahme für die Vergangenheit setzt nämlich immer Bösgläubigkeit voraus, d.h. die Bösgläubigkeit ist ein Tatbestandsmerkmal, von welchem aus erst die Rechtsfolgenseite mit dem unstreitig grundsätzlich eingeräumten Ermessen (vgl. auch Urteil vom 25.01.1994 a.a.O.) zu klären ist. Daß das BSG von einer Ermessensreduzierung auf Null spricht, besagt gerade, daß grundsätzlich die Rückforderung - auch bei bösgläubigen Versicherten - im Ermessen des Versicherungsträgers steht. Im Einzelfall kann dann eine Ermessensreduzierung auf Null eintreten. Würde bei jedem Fall der Bösgläubigkeit diese Reduzierung ohne weitere Prüfung zum Tragen kommen, so wäre die gebundene Entscheidung der Regelfall, was aber im Gesetz gerade nicht vorgesehen ist und zwar weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit.
Durch die vom Senat vertretene Ansicht wird auch dem bei grundsätzlich bestehender Bösgläubigkeit doch teilweise sehr unterschiedlichem Unrechtsgehalt Rechnung getragen. Denn ob ein Versicherter ein Merkblatt nicht liest und sich damit unter Umständen grob fahrlässig verhält oder ob ein Versicherter falsche Angaben macht und die Unrechtmäßigkeit selbst herbeiführt, ergibt ein unterschiedliches Maß an Bösgläubigkeit, das nicht zwangsläufig gleich zu behandeln ist. Diese beiden Möglichkeiten der Bösgläubigkeit zeigen im übrigen auch die Notwendigkeit auf, durch gesetzliche Regelung diesem verschiedenen Unrechtsgehalt Rechnung zu tragen, wie dies vorliegend durch die Einräumung eines Ermessens auch geschehen ist.
Die vom 8. Senat in SozR 3-1300 § 50 Nr.17 zur Entscheidung des BSG vom 25.01.1994 geäußerten Bedenken sind deswegen überzeugend, auch wenn der Senat diese Frage konkret nicht zu entscheiden hatte. Dasselbe gilt für den Hinweis des 8. Senats, daß in einem Fall, wie der 4. Senat ihn zu entscheiden hatte, eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen sein dürfte, da der Kläger eine Rentendoppelzahlung abgeleugnet und eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Der 4. Senat nimmt auch gerade auf diese Feststellung des 8. Senats Bezug, so daß die Annahme naheliegt, der 4. Senat wolle von der Ermessensreduzierung auf Null in Fällen besonders schwerwiegender Bösgläubigkeit ausgehen. Diese Interpretation liegt zudem deswegen nahe, weil der 4. Senat sonst den Großen Senat angerufen hätte. Auch der 13. Senat ist im Urteil vom 09.09.1998, Az.: B 13 RJ 41/97 R trotz Bösgläubigkeit des Begünstigten nicht von einer zwingenden Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen.
Im Falle der Klägerin kann die Ermessensreduzierung auf Null nicht angenommen werden. Dabei ist abzuwägen, daß der Fehler, der zur Überzahlung geführt hat, allein im Verantwortungsbereich der Beklagten liegt und daß es sich nicht nur um ein einmaliges Versehen handelte, sondern daß die Beklagte spätere "Chancen" der Berichtigung nicht genutzt hat. So war die Akte im August 1989 offensichtlich in Bearbeitung, der ZA vom 17.05.1988 wurde aufgehoben, ohne daß die doppelte Zahlung auffiel. Noch deutlicher scheint dies im Jahr 1991 auf, in dem auf zwei Seiten hintereinander die Zahlungen aufgeführt waren. Daß bei einer Massenverwaltung wie bei der Beklagten solche Fehler vorkommen, mag unvermeidbar sein. Im Rahmen einer Ermessensausübung sollte der Gedanke des Verschuldens seitens der Beklagten aber zumindest erwogen werden (vgl. SozR 3-1300 § 45 Nr.37). Bei Vorsatz der Begünstigten mag dies anders sein, nicht aber bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden.
Hinzu kommt, daß die Beklagte keinen der anderen, von der Klägerin konkret angesprochenen Gesichtspunkte in eine Ermessensausübung miteinbezogen hat, wie etwa die Frage der langen Dauer der falschen Zahlung, des Alters der Klägerin, der Belastung mit der Rückforderung der Summe aufeinmal. Die Entscheidungen der Beklagten lassen keine Ermessensgesichtspunkte erkennen. Die im Widerspruchsbescheid gewählte Formulierung spricht entgegen dem Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren nicht für eine Ausübung des Ermessens. Denn es wird dort nur auf die Bösgläubigkeit abgestellt, die aber bloße Voraussetzung der Ermessensausübung ist. Selbst wenn der Senat den Hinweis der Beklagten auf die Interessen der Versichertengemeinschaft als Ermessensausübung und nicht bloße Interessenabwägung ansähe, wäre diese nicht ausreichend, da naheliegende Ermessensgesichtspunkte überhaupt nicht in Betracht gezogen wurden.
Die angefochtenen Bescheide sind demnach wegen unzureichender Ermessensausübung rechtswidrig und aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, da es sich bei der Frage der Ermessensreduzierung auf Null bei Bösgläubigkeit der Versicherten um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt (§ 160 Abs.2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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