L 4 KR 1615/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 8122/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1615/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. März 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Aufwendungen für das Medikament Buscopan plus und die zukünftige Versorgung mit diesem Medikament.

Die 1927 geborene Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie leidet nach dem Attest des Internisten Dr. J. vom 28. September 2009 und ihren eigenen Angaben infolge von Bestrahlungen wegen eines Corpuskarzinoms unter einer Strahlenkolitis mit starken Bauchkrämpfen sowie einer anlagebedingten Divertikulitis. Außerdem bestehen bei ihr nach dem von Dr. J. ausgestellten Allergiepass Allergien gegen Medikamente, Baumpollen und Lebensmittel sowie eine Berührungsallergie. Wegen der Bauchkrämpfe verordneten die die Klägerin behandelnden Ärzte der Klägerin seit 1993 Buscopan plus, das nach Herstellerangaben u.a. bei krampfartigen Schmerzen bei Erkrankungen des Magens und des Darmes zur Anwendung kommt und sich im Wesentlichen aus Butylscopolaminiumbromid und Paracetamol zusammensetzt.

Am 03. September 2009 beantragte die Klägerin u.a. bei der Beklagten unter Vorlage der (vertragsärztlichen) Verordnung des Dr. J. vom 28. August 2009 sowie der Rechnung der P.-Apotheke S. vom 29. August 2009 mit einem Zahlbetrag von EUR 9,90 die Kostenübernahme für Buscopan plus. Sie benötige das Medikament immer wieder wegen der aufgrund der chronischen Strahlenkolitis auftretenden Darmkoliken. Auch habe sie Buscopan plus bisher auf Rezept erhalten. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09. September 2009 ohne Rechtsbehelfsbelehrung - u.a. die Übernahme der Kosten für das Medikament Buscopan plus ab. Bei diesem Medikament handele es sich um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, welches seit dem Jahr 2004 nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Kasse verordnet werden könne. Geregelt sei dies in § 34 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und in § 12 Abs. 11 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie - AMR -).

Die Klägerin legte hiergegen am 28. September 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, die bei ihr vorliegende chronische Strahlenkolitis sei eine schwerwiegende Erkrankung, die ihre Lebensqualität seit 1992 auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Die Beeinträchtigung bestehe in immer wieder auftretenden Darmkoliken mit starken Schmerzen. Außerdem dürfe sie eine ganze Reihe von Nahrungsmitteln, vor allem blähende Speisen, nicht essen. Bei den sehr schmerzhaften Koliken habe sich bei ihr von Anfang an das krampflösende und schmerzstillende Medikament Buscopan plus bewährt. Auch nach 2004 habe sie Buscopan plus weiter auf Kassenrezept erhalten. Erst bei der letzten ärztlichen Verordnung vom 28. August 2009 habe es die Apotheke nicht mehr einlösen können. Buscopan plus sei ihr auch bei der Krankenhausanschlussbehandlung im Januar bis Februar 2007 in der Kurklinik der Beklagten in B. M. aus akutem Anlass gegeben worden. Sie legte u.a. das bereits genannte Attest des Dr. J. vom 28. September 2009, die von Dr. J. ausgestellte Bescheinigung zum Erreichen der Belastungsgrenze bei Feststellung einer schwerwiegenden chronischen Krankheit im Sinne des § 62 SGB V vom 19. Oktober 2009, wonach bei ihr als Dauerdiagnose eine Strahlenkolitis besteht, sowie die weitere (vertragsärztliche) Verordnung des Dr. J. vom 19. Oktober 2009 über 20 Filmtabletten Buscopan plus vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2009 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Eine Kostenübernahme sei nicht möglich, weil nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien und das beantragte Präparat bei der vorliegenden Erkrankung auch nicht ausnahmsweise zu Lasten der Kasse verordnet werden dürfe. Nach Vollendung des zwölften (bei Entwicklungsstörungen des 18.) Lebensjahres hätten Versicherte grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Gesetzgeber lasse allerdings bezüglich der Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten würden, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen Ausnahmen zu. Dem GBA sei dabei die Aufgabe übertragen worden, die maßgeblichen Ausnahmeindikationen in Richtlinien festzulegen. In der AMR seien dementsprechend die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aufgeführt, die bei bestimmten Erkrankungen ausnahmsweise verordnet werden dürften (§ 12 AMR i.V.m. Anl. I zum Abschnitt F der AMR). Eine Ausnahmeindikation in diesem Sinne liege im Falle der Klägerin nicht vor. Die Behandlung mit Buscopan plus bzw. dessen Wirkstoffen sei nicht in der AMR als Therapiestandard bei schwerwiegenden Erkrankungen genannt.

Die Klägerin erhob am 02. Dezember 2009 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie trug vor, bei der bei ihr vorliegenden Strahlenkolitis handele es sich um eine schwerwiegende Erkrankung. Die Erkrankung sei lebensbedrohlich. Es bestehe die Gefahr des Darmverschlusses als Folge der Strahlenkolitis bzw. des Darmdurchbruchs in die Bauchhöhle wegen der Divertikulose. Die Einschränkung ihrer Lebensqualität bestehe zum einen in den starken Schmerzen, zum anderen in der notwendigen starken Diät. Buscopan plus entkrampfe und lindere die Schmerzen. Es sei Therapiestandard. Damit lägen die Voraussetzungen von § 12 Abs. 2 und 3 AMR vor. Die Anlage I der AMR sei auch rein willkürlich. Dies zeige sich bei Ziff. 3 der Anlage I, wonach das einfache Paracetamol nicht verschreibungspflichtig, das Paracetamol-Kompositum i.V.m. Codein jedoch verschreibungspflichtig sei. Im Übrigen seien in der Anlage I der AMR mehrere entzündliche Darmerkrankungen genannt, u.a. Divertikulose, unter der sie auch leide. Nicht genannt sei die Strahlenkolitis. Diese gehöre jedoch ebenfalls zu den schwerwiegenden entzündlichen Krankheiten des Darmes. Sie sei vielleicht nur deshalb nicht genannt, weil sie seltener vorkomme. Insoweit weise die Anlage ein Defizit auf. § 12 Abs. 2 bis 4 AMR und die Anlage I würden sich auch widersprechen. Nach der AMR fielen ihre schwerwiegenden Darmerkrankungen unter die dort genannten Krankheitssymptome, die mit nicht verschreibungspflichtigen Mitteln behandelt werden dürften, nach der Anlage I der AMR dürften in ihrem Fall wegen der Divertikulose aber nur Abführmittel gegeben werden. Des Weiteren sei darauf hinzuweisen, dass die AMR aus dem Jahr 2004, die Anlage I der AMR jedoch vom 30. Juli 2009 stammen würden. Auf die medizinische Notwendigkeit des Medikaments sei die Beklagte nicht eingegangen.

Die Beklagte trat der Klage insbesondere unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 24. November 2009 entgegen. Buscopan bzw. Buscopan plus bzw. deren Wirkstoffe seien in der Anlage I AMR nicht aufgeführt, sodass die Kosten für diese Präparate von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden dürften. Die Beschlüsse des GBA seien für die Krankenkassen und deren Versicherte gemäß § 91 Abs. 6 SGB V verbindlich. Sie - die Beklagte - könne nicht selbst zusätzliche Ausnahmeindikationen kreieren. Einzelne Versicherte könnten sich nicht aus dem Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 SGB V herausklagen. Darmkrämpfe seien keine Erkrankung, sondern ein Symptom, das auf unterschiedlichen Ursachen beruhen könne. Behandlungsansatz sei zunächst einmal die Behandlung der Grunderkrankung. Sei dies nicht bzw. nur langwierig möglich, gebe es diverse Linderungsmöglichkeiten von Wärmflasche, bestimmten pflanzlichen Mitteln über homöopathische Arzneimittel bis Buscopan. Lebensbedrohlich seien Darmkrämpfe als solche nicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 11. März 2011 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Erstattung der ihr für das selbst beschaffte Medikament Buscopan plus entstandenen Kosten noch auf Versorgung mit diesem Medikament. Buscopan plus sei nicht verschreibungspflichtig und daher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Versorgung nach § 31 SGB V grundsätzlich ausgeschlossen. Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. der AMR. Denn in der Auflistung der Anlage I zum Abschnitt F der AMR (Stand 30. Juli 2009) sei das Präparat nicht aufgeführt. Die Auflistung sei, wie sich aus der Systematik der AMR ergebe, abschließend. Die Anlage I widerspreche auch nicht den Regelungen in § 12 Abs. 2 bis 4 AMR. Letztere enthielten abstrakte Vorgaben, die für die Verordnung eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erfüllt sein müssten. Durch § 12 Abs. 5 AMR i.V.m. Anlage I würden diese Vorgaben weiter konkretisiert. Nach § 12 Abs. 10 AMR regelten die Abs. 1 bis 9 dieser Vorschrift abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig seien. § 12 Abs. 5 AMR sei damit ausdrücklich eingeschlossen.

Gegen den am 18. März 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 18. April 2011 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend trägt sie vor, es sei wichtig, das Verhältnis von AMR und Anlage I der AMR zu klären. Anlage I sei in der Vergangenheit mehrmals überarbeitet und erst 2009 in der jetzigen Form herausgebracht worden. Damit stelle sich die Frage, ob dies nicht bedeute, dass sie auch weiterhin verändert werden könne. In Bezug auf schwere Darmerkrankungen sei sie ergänzungsbedürftig. Patienten mit chronischen Darmerkrankungen benötigten nicht nur Abführmittel, sondern Mittel gegen Durchfall und Koliken. Es stelle sich auch die Frage, ob die Anlage I der AMR bei dieser Sachlage dieselbe Kompetenz beanspruchen könne wie die AMR, nachdem die AMR feststünden und die Anlage I verändert werden könne. Man frage sich auch, warum in die Anlage I Medikamente, die früher aufgrund der AMR gewährt worden seien, nicht aufgenommen worden seien. Wenn Medikamente, wie hier bei ihr Buscopan plus, vor dem Einsatz der Anlage problemlos gewährt worden seien, ergäbe sich bereits daraus, dass sie als Therapiestandard zu gelten hätten. Der Wirkstoff Butylscopolaminiumbromid werde seit Jahrzehnten gegen Bauchkrämpfen als krampflösendes Mittel verwendet. Dies könnten Ärzte verschiedener Disziplinen bestätigen und dies komme auch im Beipackzettel zum Ausdruck. Es werde auch zur Entkrampfung des Darms bei Darmspiegelungen verwendet. Außerdem sei es im Allgemeinen gut verträglich und habe keine gravierenden Nebenwirkungen wie z.B. Novalgin. Buscopan plus heile zwar nicht die Strahlenkolitis, sie lindere jedoch die Krämpfe. Die Linderung sei auch eine Therapie, denn sie bekämpfe die Kolikschmerzen. Dass die Linderung ausreiche, ergäbe sich auch daraus, dass in der Anlage I der AMR und auch in der Erwiderung der Beklagten die Schmerztherapie angeführt sei. Auch diese heile nicht, sondern lindere. Dasselbe gelte bei der Osteoporose. Auch bei ihr brächten Calzium und Vitamin D keine endgültige Heilung. Dem Aspekt, dass ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament zur Heilung beitragen sollte, widerspreche die Anlage also selbst. Abgesehen davon sei sie von den behandelnden Ärzten immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die Strahlenkolitis in ihrem Fall unheilbar sei. Strahlenschäden könnten nicht geheilt werden. Die Klägerin hat (vertragsärztliche) Verordnungen des Dr. J. über das Medikament Buscopan plus, jeweils versehen mit einem Stempel der Paracelsus-Apotheke Stuttgart, vom 19. Oktober 2009, 29. Dezember 2009, 05. Februar 2010, die jeweils einen Zahlbetrag von EUR 9,90 ausweisen, und vom 26. März 2010, 11. Juni 2010, 10. November 2010 und 27. Juni 2011, die jeweils einen Zahlbetrag von EUR 9,97 ausweisen, eingereicht.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. März 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 09. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. November 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr bislang entstandene Kosten für die Behandlung mit Buscopan plus in Höhe von EUR 69,48 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. September 2009 zu erstatten und sie künftig mit dem Medikament Buscopan plus zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids, die zutreffend seien. Ergänzend hat sie vorgetragen, dem GBA sei in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V aufgegeben worden, in den AMR erstmals bis zum 31. März 2004 festzulegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten würden, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung ausnahmsweise verordnet werden könnten. Die entsprechenden Richtlinien des GBA seien nicht erst im Jahr 2009, sondern pünktlich im Jahr 2004 in Kraft getreten. Die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente, die bei bestimmten Indikationen ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden könnten, seien nur zunächst nicht in einer gesonderten Anlage I der AMR, sondern direkt in Abschnitt F.16 AMR aufgelistet worden. Zu Beginn bestehende Mängel seien später durch mehrere Korrekturen und Überarbeitungen beseitigt worden, sodass die Auflistung heute keiner gravierenden Kritik mehr ausgesetzt sei. Auch die Angriffe der Klägerin gegen die Auflistung in Anlage I seien nicht begründet. Nach Ziff. 3 der Anlage seien Acetylsalicylsäure und Paracetamol nur zur Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen in Co-Medikation mit Opioiden verordnungsfähig. Dies sei nicht willkürlich. Ob ein Arzneimittel verschreibungspflichtig sei oder nicht, liege nicht in der Entscheidung des GBA. Die Unterscheidung zwischen dem nicht rezeptpflichtigen Paracetamol und dem rezeptpflichtigen Paracetamol-compositum sei im Übrigen gerechtfertigt, da letzteres Arzneimittel Codein enthalte, einen auch in der einschlägigen Szene bekannten Drogen-Ersatzstoff. Ob eine Strahlenkolitis stets eine schwerwiegende Erkrankung sei, könne dahingestellt bleiben. Es sei nicht ersichtlich, dass Buscopan plus bei dieser Erkrankung Therapiestandard sei. Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften hierzu seien von der Klägerin nicht vorgelegt worden und existierten auch nicht. Die Behandlung mit Buscopan plus heile auch die Strahlenkolitis selbst nicht, sondern lindere lediglich die bei der Klägerin gelegentlich auftretenden Symptome in Form von Darmkoliken. Es bestehe daher auch kein Anlass, die Entscheidung des GBA, Buscopan plus zur Anwendung bei Darmkoliken nicht in den Kreis der ausnahmsweise verordnungsfähig rezeptfreien Medikamente aufzunehmen, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu durchbrechen. Den Richtlinien des GBA sei schon nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Bedeutung untergesetzliche Rechtsnormen zugekommen. Inzwischen habe der Gesetzgeber in § 91 Abs. 6 SGB V bestimmt, dass die Beschlüsse des GBA für die Krankenkassen, die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich seien.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft. Die Berufung ist zumindest nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft, da die Klägerin zum einen begehrt, ihr über einen Zeitraum von fast zwei Jahren entstandene Kosten von EUR 69,58 für die Beschaffung von Buscopan plus zu erstatten, und zum anderen die laufende Versorgung mit Buscopan plus, so dass Sachleistungen für mehr als ein Jahr im Streit sind.

2. Die zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 09. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. November 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf die Erstattung der bereits entstandenen Kosten für die Versorgung mit dem Arzneimittel Buscopan plus zu (dazu a), noch kann sie für die Zukunft die Versorgung mit Buscopan plus verlangen (dazu b).

a) Da die Klägerin nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hatte, kommt als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die bereits erfolgte Selbstbeschaffung von Buscopan plus in Höhe von EUR 69,58 nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden (Alternative 2), sind nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Regelung setzt voraus, dass die Beklagte der Klägerin die Versorgung mit Buscopan plus als Sach- oder Dienstleistung schuldete und sie nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erfüllt bzw. rechtzeitig zu erfüllen abgelehnt hat. Nach ständiger Rechtsprechung reicht der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 11; Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - SozR 4-2500 § 13 Nr. 12; Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 10 m.w.N.). Der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V kann daher die Grenzen des Leistungssystems nicht erweitern, sondern setzt einen Leistungsanspruch voraus. Dies hat das BSG unabhängig davon entschieden, auf welche Grundlage ein Sachleistungsanspruch gestützt wurde.

Ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Versorgung mit Buscopan plus bestand jedoch zum Zeitpunkt der Anschaffung zwischen dem 29. August 2009 und 29. Juni 2011 nicht.

Nach § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen, seither unveränderten Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I, S. 2477) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Abweichendes sehen weder das Neunte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) noch das SGB V vor.

Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I, S. 2190) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGBV in der ab 01. Januar 2004 geltenden Fassung des GMG sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Der GBA legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Diese Vorgaben des Gesetzgebers hat der GBA zunächst in Abschnitt F der AMR (eingefügt mit Wirkung vom 16. März 2004 durch Beschluss vom selben Tag: Bundesanzeiger [BAnz] Nr. 77 vom 23. April 2004, S. 8905) umgesetzt, nunmehr aufgrund der am 01. April 2009 in Kraft getretenen Neufassung der AMR durch die Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 und 22. Januar 2009 (BAnz Nr. 49a vom 31. März 2009) § 12 AMR. Diese Regelung gilt nicht für versicherte Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres und versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen (§ 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Der seit 01. Januar 2004 geltende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung verstößt weder gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG oder gegen die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 oder Abs. 2 GG, jeweils i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), noch gegen Europarecht (BSG, Urteil vom 06. November 2008, B 1 KR 6/08 R, SozR 4-2500 § 34 Nr. 4; Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil anhängig 1 BvR 69/09). In jedem Fall kommt eine Arzneimittelversorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur dann in Betracht, wenn eine vertragsärztliche Verordnung (deren Erfordernis sich im Übrigen auch aus § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V ergibt) vorliegt (st. Rspr. des BSG, vgl. ausführlich Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, SozR 4-2500 § 129 Nr. 5).

Ausgehend hiervon ergab sich ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit dem Arzneimittel Buscopan plus ab 29. August 2009 nicht.

Buscopan plus ist ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel und daher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Die Verordnung von Buscopan plus ist auch nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V mit Begründung des Vertragsarztes ausnahmsweise zulässig. Der GBA hat in der nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen AMR Buscopan plus für die bei der Klägerin vorliegende Indikation Strahlenkolitis und Divertikulose zu keinem Zeitpunkt seit der Änderung des § 34 SGB V zum 01. Januar 2004 zugelassen, und zwar weder in Abschnitt F Nr. 16.4 AMR a.F. noch nach § 12 Abs. 5 i.V.m. Anlage I AMR (so genannte OTC-Übersicht) in der Fassung vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009 (BAnz Nr. 49a vom 31. März 2009), zuletzt geändert am 18. August 2011. Hierbei kann wie von der Beklagten zu Recht vorgetragen, offenbleiben, ob es sich bei der Krankheit der Klägerin um eine schwerwiegende Krankheit im Sinne von Abschnitt F Nr. 16. 2 AMR a.F.; § 12 Abs. 3 AMR n.F. handelt oder Buscopan plus ein Standardtherapeutikum (Abschnitt F Nr. 16.3 AMR a.F.; § 12 Abs. 4 AMR n.F.) darstellt, weshalb auch weder die Einschaltung des Medizinischen Dienstes durch die Beklagte erforderlich war noch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu diesen Fragen notwendig ist. Dahingestellt bleiben kann auch, dass Buscopan plus die Erkrankung "nur" lindert und nicht heilt. Denn auch wenn es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handeln und Buscopan plus ein Standardtherapeutikum darstellen würde und auch eine Linderung ausreichend wäre, lässt die AMR bei den bei der Klägerin vorliegenden Indikationen die Verordnung von Buscopan plus jedenfalls nicht zu. Für die Divertikulose kann lediglich ein Abführmittel verordnet werden (Abschnitt F Nr.16.4.1 AMR a.F.; § 12 Abs. 5 i.V.m. Anlage I Nr. 1 AMR n.F.). Der Ausschluss von Buscopan plus ist auch nicht willkürlich. Der GBA hat in der Anlage I der AMR die sich aus dem SGB V ergebenden gesetzlichen Vorgaben umgesetzt. Er fasst mit wissenschaftlicher Unterstützung, zum Beispiel durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, seine Beschlüsse. Aus der Tatsache, dass es bezüglich der Erkrankungen und Arzneimittel immer wieder neue Erkenntnisse gibt, resultiert die Notwendigkeit, die Anlage I zu korrigieren und immer wieder zu überarbeiten. Neue Erkenntnisse bezüglich Buscopan plus sind jedoch nicht ersichtlich. Sie wurden weder von der Klägerin, die sich insoweit darauf beruft, dass sie Buscopan plus schon immer erhalte, vorgetragen, noch wurde insoweit ein Beratungsantrag beim GBA gestellt (zum Antragsverfahren: Viertes Kapitel der Verfahrensordnung des GBA). In der jeweiligen Fassung ist die Anlage I der AMR, wie sich aus ihrer Einleitung ergibt, auch abschließend. Zu verneinen ist auch ein Widerspruch zwischen § 12 AMR und der Anlage I der AMR. § 12 AMR stellt die allgemeinen Vorgaben auf, diese werden durch die Anlage I der AMR konkretisiert. Letztlich ist auch die Unterscheidung zwischen dem nicht rezeptpflichtigen Paracetamol und dem rezeptpflichtigen Paracetamol-compositum gerechtfertigt, weil letzteres Arzneimittel Codein enthält.

Ein Leistungsanspruch der Klägerin lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung begründen. In seinem Beschluss vom 06. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht für vereinbar erklärt, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liegt nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 17/06 R, in Juris). Ein solcher ausnahmsweise bestehender akuter Behandlungsbedarf ergab sich im Falle der Klägerin nicht. Die Krebserkrankung, die zur Strahlenkolitis geführt hat, wurde bereits im Jahr 1992 behandelt. Seither sind keine weiteren Krebsgeschwüre aufgetreten. Die Bauchkrämpfe sind nicht lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend. Soweit aufgrund der Divertikulose die Gefahr eines Darmbruchs besteht, besteht die Möglichkeit eines operativen Eingriffs, womit die Lebensgefahr bzw. der Tod abgewandt werden kann.

b) Mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen kann die Klägerin im Übrigen auch für die Zukunft nicht die von ihr begehrte Versorgung mit Buscopan plus verlangen, weil aus sachlich-rechtlichen Gründen ein entsprechender Versorgungsanspruch der Klägerin nicht in Betracht kommt.

Auch nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen (§§ 27, 31 und 34 SGB V i.V.m. der jetzt gültigen Fassung der AMR vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009, zuletzt geändert am 18. August 2011) ist eine Versorgung mit Buscopan plus nicht vorgesehen. § 12 AMR i.V.m. Anlage I der AMR schließen eine Versorgung mit diesem Arzneimittel nach wie vor aus.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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