L 20 RJ 102/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 790/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 102/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.01.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Vergabe einer neuen Versicherungsnummer an den Kläger mit einem auf den 1952 geänderten Geburtsdatum.

Der in der Türkei geborene Kläger, der inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, arbeitet seit 29.02.1972 versicherungspflichtig in Deutschland. Beim Eintritt in die deutsche gesetzliche Rentenversicherung wurde der Versicherungsnummer das vom Kläger angegebene Geburtsdatum vom 1957 zugrunde gelegt.

Am 12.03.1999 teilte die AOK Mittelfranken der Beklagten mit, der Kläger sei tatsächlich am 1952 geboren; es werde um Mitteilung der nunmehr gültigen Versicherungsnummer gebeten. Mit Bescheid vom 21.10.1999 lehnte die Beklagte dem Kläger gegenüber die Änderung der Versicherungsnummer ab. Es liege weder ein Schreibfehler vor noch ergebe sich aus einer im Original vor Eintritt in die deutsche Rentenversicherung ausgestellten Urkunde ein anderes Geburtsdatum.

Zur Begründung des dagegen erhobenen Widerspruchs legte der Kläger ua die Hauptverhandlungsprotokolle zum Altersberichtigungsverfahren vor dem Zivilgericht Tire (Türkei) aus dem Jahre 1966 vor. Daraus sei zu entnehmen, dass er sich durch seinen Vater bereits vor Eintritt in die deutsche Rentenversicherung um die Berichtigung seines Geburtsdatums bemüht habe. Dieses Verfahren sei eingestellt worden, weil der Vater den Verhandlungen unentschuldigt ferngeblieben sei. Der Grund dafür sei die Ausreise seiner ganzen Familie nach Deutschland gewesen. Der Klage wäre aber mit Sicherheit stattgegeben worden. Allein der das Altersberichtigungsverfahren einleitende Antrag seines Vaters vom 26.03.1966 sei als Urkunde geeignet, die Beklagte zur Feststellung des zutreffenden Geburtsdatums (1952) zu veranlassen. Mit Bescheid vom 25.07.2000 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen.

Mit der dagegen erhobenen Klage wiederholte der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Die in den Gerichtsprotokollen des Jahres 1966 verkörperten Erklärungen seines Vaters seien als "Urkunden" iS des § 33 a Abs 2 SGB I aufzufassen. Das Urteil des türkischen Zivilgerichts vom 11.06.1998 verdeutliche, dass bei Fortsetzung des 1966 eingeleiteten Verfahrens schon damals eine gleichartige Entscheidung ergangen wäre.

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die am 24.08.2000 erhobene Klage mit Urteil vom 25.01.2001 abgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 33 a Abs 2 SGB I nicht erfüllt seien. Die Gründe, die den Vater des Klägers 1966 an der Weiterführung des gerichtlichen Altersberichtigungsverfahrens gehindert hätten, führten nach dem Zweck der gesetzlichen Regelung zu keiner anderweitigen Beurteilung. Auch das türkische Recht enthalte im Übrigen eine dem § 33 a SGB I entsprechende Regelung. Ferner habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass § 33 a SGB I weder in verfassungsrechtlicher Hinsicht noch hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Vorschriften (wie dem Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei) rechtlichen Bedenken unterliege.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er weitgehend das Klagevorbringen wiederholt. Weiter lässt er vortragen, in seinem Fall würde das absurde Resultat erzielt, dass er, um die Altersrente zu erhalten, noch bis zum Jahre 2017 arbeiten müsste und damit insgesamt 45 Arbeitsjahre abzuleisten hätte. Ein verfrühter Bezug von Altersrente mit der Folge einer unberechtigten Inanspruchnahme von Sozialleistungen sei selbst bei antragsgemäßer Berichtigung des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer auszuschließen, da er auch in diesem Fall 40 beitragspflichtige Arbeitsjahre zurückgelegt hätte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.01.2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.10.1999 idG des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Versicherungsnummer dahingehend zu ändern, dass der 18.02.1952 hieraus als Geburtsdatum ersichtlich ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie geht in Übereinstimmung mit dem SG davon aus, dass aufgrund der vom Kläger vorgelegten Unterlagen die Voraussetzungen des § 33 a Abs 2 SGB I selbst dann nicht erfüllt sind, wenn sie als "Urkunden" interpretiert werden. Aus diesen Unterlagen ergebe sich lediglich, dass vor Eintritt in die deutsche Rentenversicherung in der Türkei ein Verfahren über die Berichtigung des Geburtsdatums anhängig war, nicht jedoch dass die damals vom Vater des Klägers in den Prozess eingeführte Behauptung eines anderen Geburtsdatums tatsächlich zutrifft, zumal eine Entscheidung in der Sache nicht erfolgt sei.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die beigezogenen Unterlagen der Beklagten und die Streitakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes = SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel des Klägers ist sachlich nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vielmehr zu Recht festgestellt, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Änderung seiner Versicherungsnummer hat.

Nach dem am 01.01.1998 in Kraft getretenen § 33 a SGB I (eingefügt durch das Erste SGB III-Änderungsgesetz vom 16.12.1997, BGBl S 2970, 2981 und 2992) ist für die Feststellung von Rechten und Pflichten, die davon abhängig sind, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist, das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder - soweit es um die nach dem Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) erforderlichen Meldungen geht - gegenüber dem Arbeitgeber ergibt. Da der Kläger lediglich in die Zukunft gerichtete Ansprüche geltend macht, kann offen bleiben, ob die auf Erteilung einer neuen Versicherungsnummer gemäß § 2 Abs 1 Nr 2 VNrV gerichtete Klage daneben als Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Vormerkung des (neuen) Geburtsdatums oder auf Erteilung einer Zusicherung (§ 34 SGB X) auszulegen ist, für einen Anspruch auf Altersrente das neue Geburtsdatum zugrunde zu legen. Unter Geltung des § 33 a SGB I führt keine dieser denkbaren Varianten zum Erfolg.

Von dem nach § 33 a Abs 1 SGB I maßgebenden Geburtsdatum darf nach dessen Abs 2 nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass 1. ein Schreibfehler vorliegt oder 2. sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Abs 1 ausgestellt worden ist, ein anderes Ge burtsdatum ergibt. Das SG hat die Voraussetzungen des streitigen Anspruchs auf Berichtigung des Geburtsdatums als Bestandteil der an den Kläger vergebenen Versicherungsnummer mit zutreffenden Erwägungen verneint. Aus denselben Gründen erweist sich das Rechtsmittel des Klägers als unbegründet, so dass der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absieht und statt dessen auf die schriftlichen Ausführungen des angefochtenen Urteils vom 25.01.2001 verweist (§ 153 Abs 2 SGG).

Nicht zu beanstanden ist insbesondere die Auffassung des Erstgerichtes zur Beweiskraft der Unterlagen aus dem 1966 ohne streitige Entscheidung eingestellten Verfahren vor dem türkischen Zivilgericht Tire, das ebenfalls eine den Kläger betreffende "Altersberichtigung" zum Gegenstand hatte. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei den vor einem ausländischen Gericht aufgenommenen Verhandlungsprotokollen um öffentliche Urkunden iS des § 415 Abs 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) handelt. Auch nach deutschem Recht erstreckt sich die formelle Beweiskraft öffentlicher (dh durch Behörden, Gerichte oder sonst mit öffentlichem Glauben versehene Personen im Rahmen ihrer Amtsbefugnisse und in der vorgeschriebenen Form aufgenommener) Urkunden lediglich auf die Richtigkeit der Beurkundung des Vorgangs, also darauf, dass die Erklärungen nach Inhalt und Begleitumständen (Zeit, Ort) abgegeben wurden, nicht aber auf den Erklärungsinhalt, dh die Richtigkeit und Wirksamkeit der abgegebenen (und dementsprechend protokollierten) Erklärungen (vgl Thomas-Putzo, ZPO, 19.Aufl RdNrn 1 - 5 zu § 415; BGH Amtl. Sammlung Bd 37 S 86 zur Beweiskraft der öffentlichen Beglaubigung nach § 129 Abs 1 BGB, die sich ebenfalls nur auf den Beglaubigungsvermerk, nicht dagegen auf den Erklärungsinhalt bezieht). Ungeachtet dessen kommt es auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der vom Vater des Klägers gegenüber dem Zivilgericht Tire abgegebenen Erklärungen zum wirklichen Geburtsdatum des Klägers nicht an. Sie sind unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt geeignet, das zutreffende Geburtsdatum des Klägers rückwirkend in Abweichung von seiner ersten Angabe gegenüber einem deutschen Sozialleistungsträger bzw dem Arbeitgeber festzustellen. Nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland werden die Abstammung und die dafür maßgebenden Umstände (Geburt, Heirat, Tod, Adoption, Scheidung) urkundlich durch das Personenstandsgesetz (PStG) geregelt und der Beweis für die genannten Tatbestände durch die standesamtliche Führung des Geburts- und Familienbuches (§ 60 PStG) sowie durch beglaubigte Abschriften hieraus, ferner durch standesamtliche Urkunden (§ 61 a, 66 PStG) erbracht; allerdings ist gemäß § 60 Ab 2 S 1 PStG der Nachweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen zulässig (vgl Palandt BGB 54.Aufl Einfg vor § 1591 RdNr 4).

Die Geburt eines Kindes ist dem örtlich zuständigen Standesbeamten binnen 1 Woche anzuzeigen (§ 16 PStG). Um alle Geburten zu erfassen, ist die Anzeigepflicht eingehend geregelt (§§ 17 - 19 a PStG). Die Eintragungen im Geburtenbuch erstrecken sich auf Vor- und Familiennamen der Eltern, deren Beruf, Wohnort und religiöses Bekenntnis, Ort, Tag und Stunde der Geburt, Geschlecht und Vorname(n) des Kindes sowie auf Vor- und Familienname des Anzeigenden nebst dessen Beruf und Wohnort (§ 21 PStG). Bei ordnungsgemäßer Führung beweisen die Personenstandsbücher und die auf Grund ihres Inhalts ausgestellten Personenstandsurkunden Eheschließung, Geburt und Tod einschließlich der darüber gemachten näheren Angaben (§§ 60 Abs 1 S 1 und 66 PStG). Es handelt sich demnach um öffentliche Urkunden iS von § 418 Abs 1 ZPO (Beurkundung anderer Tatsachen als Erklärungen).

In der bis zum 31.12.1997 maßgebenden Rechtsprechung des BSG war geklärt, dass die deutschen Sozialversicherungsträger und Gerichte nicht an ausländische Urteile jener Art wie das vom Kläger zum Nachweis eines früheren Geburtsdatums vorgelegte Urteil des Amtsgerichts Tire vom 11.06.1998 gebunden sind. Vielmehr war ein früheres als bisher in den Unterlagen des RV-Trägers verzeichnetes Geburtsdatum im Leistungsfall ebenso wie sämtliche anderen Leistungsvoraussetzungen ggf vom Berechtigten im Einzelfall zu beweisen. Hierzu waren sämtliche erreichbaren und tauglichen Beweismittel von Amts wegen auszuschöpfen (vgl BSG Urt vom 19.10.2000 - B 8 KN 3/00 R - unter Hinweis auf BSGE 77, 140 = SozR 3-2200, 1249 Nr 12).

Der Senat kann offen lassen, ob sich unter der Geltung des am 01.01.1998 in Kraft getretenen § 33 a SGB I insoweit eine Änderung gegenüber dem bis 31.12.1997 bestehenden Rechtszustand ergeben hat, als nunmehr an den durch Originalurkunden (aus der Zeit vor der "ersten Angabe" iS des § 33 a Abs 1 SGB I) zu führenden Nachweis geringere als dem deutschen Personenstandsrecht entsprechende Anforderungen zu stellen seien. Davon ist der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seinem Urteil vom 14.03.2000 - Rechtssache K. Az C 102/98 - offensichtlich ausgegangen, wenn er (trotz der vom BSG im Vorlagebeschluss vom 31.03.1998 - B KN 7/95 N - formulierten Bedenken bezüglich einer mittelbaren Diskriminierung türkischer Wanderarbeitnehmer) darauf hinweist (vgl RdNrn 41 und 42 des Urteils), dass den zum Nachweis einer Änderung gemäß § 33 a Abs 2 SGB I vorzulegenden Urkunden die gleiche Beweiskraft zukomme, unabhängig davon, woher sie stammten; die Vorschrift unterscheide weder nach dem Ausstellungsstaat noch nach der Art der vorgelegten Urkunde und spreche - in Übereinstimmung mit dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der deutschen Regierung - nicht nur Personenstandsurkunden, sondern auch anderen Urkunden Beweiskraft zu, die Rückschlüsse auf das Geburtsdatum des Betroffenen zulassen, zB solche, die anlässlich des Schulbesuchs oder des Wehrdienstes ausgestellt worden sind.

Als Mindeststandard für die Beweiskraft ausländischer Urkunden, die personenstandsrechtlich relevante Tatsachen bestätigen, sieht der Senat jedoch an, dass als Aussteller Behörden (insbesondere die Standesämter), Gerichte und sonstige Stellen fungieren, die erkennbar für die Feststellung und Bescheinigung solcher Daten zuständig sind. Diesen Anforderungen entsprechen die vom Kläger eingereichten Unterlagen in keiner Weise, da es sich lediglich um den (im Rahmen der Antragstellung und weiterer Anhörungen protokollierten) Prozessvortrag seines Vaters in dem Ende 1966 ohne Entscheidung "eingestellten" Altersberichtigungsverfahren vor dem Zivilgericht Tire handelte.

Das SG hat auch zu Recht auch darauf hingewiesen, dass die Bestimmung des § 33 a SGB I mit dem Assoziierungsabkommen EWG - Türkei vom 12.09.1963 und dem darin enthaltenen Verbot der Diskriminierung türkischer Wanderarbeiter vereinbar ist. Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörige verwehrt es der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft nicht, auf türkische Arbeitnehmer eine dem § 33 a SGB I entsprechende Regelung anzuwenden (EuGH vom 14.03.2000 aaO). Letzteres ist hier jedoch nicht der Fall.

Die Vorschrift des § 33 a SGB I verstößt nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-1200 § 33 a Nr 1 und Nr 2 und Urteil vom 19.10.2000 - B 8 KN 3/00 R -), der sich der erkennende Senat anschließt, weder gegen das durch Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) geschützte Eigentum noch gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 25.01.2001 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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