Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 837/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 109/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. Januar 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 1997 abgeändert.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Käger ab 1. Januar 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist nach dem Abschluss des Teilvergleichs in der mündlichen Verhandlung am 21.02.2001 lediglich die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente ab 01.01.1999.
Der am 1958 geborene Kläger hat nach einer Hirnhautentzündung im Kleinkindalter eine Behindertenklasse besucht. Nach bestandener Prüfung als Geselle im Maler- und Lackiererhandwerk war er von 1975 bis Juni 1991 als Maler und Lackierer versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er kurzzeitig als Lagerarbeiter und schließlich von Dezember 1991 bis 30.04.1993 als Oberflächenbeschichter tätig. Seit der Beendigung des Arbeitslosengeldbezugs 1995 ist er in einem Spielwarengeschäft geringfügig beschäftigt. Sein Antrag auf berufliche Rehabilitation ist am 10.01.1995 mangels Einschränkung im Lernberuf abgelehnt worden. Sein Rentenantrag vom 26.09.1996 wurde am 10.01.1997 mangels relevanter Einschränkung der Einsatzfähigkeit abgelehnt, der Widerspruch hiergegen vom 22.01.1997 am 26.08.1997 zurückgewiesen.
Im Rahmen des am 02.09.1997 eingeleiteten Klageverfahrens wurde der Kläger von dem Orthopäden Dr.B, nach ambulanter Untersuchung am 25.03.1998 von Amts wegen begutachtet. Der Sachverständige diagnostizierte u.a. ein wiederkehrendes Halswirbelsäulensyndrom, rezidivierende Lumbalgien, teilweise auch Lumboischialgien bei Spondylolysthesis, beginnende Coxarthrose beidseits, Metatarsalgie beidseits und Schreib-Leseschwäche, Lernbehinderung, Neurasthenie. Seines Erachtens können nur noch leichte Arbeiten ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne erhöhten Zeitdruck, ohne Nacht- und Wechselschicht im Wechselrhythmus erbracht werden. Ausgeschlossen sind Arbeiten an laufenden Maschinen, Klettern und Steigen, Arbeiten unter Einfluss von Reizstoffen für die Haut oder unter Kälte, Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, das Konzentrations- und Reaktionsvermögens sowie die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Im Übrigen besteht vollschichtiges Leistungsvermögen. Dieser Beurteilung schloss sich Dr.M. in seinem internistischen Gutachten vom 15.10.1998 nach der Diagnose von Oesophagitis bei Hiatusgleithernie, chronischer Gastritis und Übergewicht an. Auf Antrag des Klägers wurde Prof.S. , Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin im Universitätsklinikum U. gehört. Dieser schrieb in seinem Gutachten vom 12.10.1999, die wesentlichen Gesundheitsstörungen seien zutreffend erfasst. Der Kläger könne leichte und überwiegend mechanische Männerarbeiten mit niedrigen Anforderungen an die Dokumentation und gering bis mittleren Anforderungen an das Heben und Tragen vollschichtig verrichten. Überschaubare Aufgaben seien unter Anleitung oder in einem kleinen Verantwortungsfeld möglich, soweit es in seinem derzeitigen Beschäftigungsfeld der Fall sei. Bürotätigkeiten oder solche als Pförtner seinen ausgeschlossen. Das Sozialgericht Augsburg wies die Klage am 25.01.2000 mit der Begründung ab, der Kläger genieße keinen Berufsschutz und sei trotz Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen als Warenaufmacher noch vollschichtig einsatzfähig. Hiergegen legte der Kläger am 24.02.2000 Berufung ein und machte u.a. geltend, die Tätigkeit als Warenaufmacher erfolge im Akkord und sei mit Schriftverkehr verbunden. Ausweislich der beigezogenen Schwerbehindertenakte bedingt die Lernbehinderung des Klägers laut nervenärztlichem Gutachten Dr.H. vom 13.01.1992 einen GdB von 30 v.H ... Gemäß § 109 SGG erstellte Dr.S. am 02.11.2000 erneut ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Zumutbar ist seines Erachtens mittelschwere Arbeit mit der Gelegenheit zu Pausen, in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen, nicht auf Leitern oder Gerüsten, ohne Publikumsverkehr und Zeitdruck. Der Kläger verfüge über keine Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf technischen Wandel und einen anderen Beruf. Nach der Übersendung berufskundlicher Unterlagen zum Warenaufmacher wiederholte der Kläger seine Behauptung, derartige Tätigkeiten würden nur im Akkord geleistet, was dem Kläger nicht zumutbar sei. Unter Berufung auf ihre sozialmedizinische Stellungnahme vom 30.11.2000 entgegnete die Beklagte, als Montierer und Warenaufmacher sei der Kläger vollschichtig einsatzfähig, sofern die Tätigkeiten ohne Zeitdruck und ohne Bedienung eines PC zu verrichten seien. Nach der Übersendung berufskundlicher Stellungnahmen des Landesarbeitsamtes Bayern vom 04.01.2001 zum Warenaufmacher und vom 13.01.2000 zum Montierer teilte die Beklagte am 24.01.2001 mit, es gebe keinen plausiblen Grund dafür, weshalb die Tätigkeit als Warenaufmacher generell unter Zeitdruck erfolgen solle. Das Landesarbeitsamt Bayern habe keine Begründung für seine abweichende Auffassung gegeben. Aus der Sitzungsniederschrift des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 08.11.2000 über eine Sachverständigenanhörung ergebe sich kein Anhaltspunkt für die Aussage des Landesarbeitsamts Bayern.
In der mündlichen Verhandlung am 21.02.2001 erklärte sich die Beklagte vergleichsweise bereit, dem Kläger ab 01.09.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Dauer dem Grunde nach zu gewähren. Insoweit erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt.
Im Übrigen beantragt der Kläger,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.01.2000 mit der Maßgabe abzuändern, dass die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 10.01.1997 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 26.08.1997 zur Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.01.1999 zu verurteilen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung insoweit zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Augsburg, der Schwerbehindertenakten und der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.01.2000 ist ebenso abzuändern wie der Bescheid der Beklagten vom 10.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.08.1997. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Er ist sowohl erwerbsunfähig als auch berufsunfähig. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs.2 Satz 1 in der ab 08.05.1996 bis 31.03.1999 gültigen Fassung). Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann (§ 44 Abs.2 Satz 2 Ziffer 2 SGB VI). Trotz vollschichtiger Einsatzfähigkeit liegt Erwerbsunfähigkeit vor, wenn die Arbeitsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonderes einschneidende Behinderung gemindert ist und eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht benannt werden kann (BSG Band 80, 24, 33). Das Restleistungsvermögen des Klägers erscheint soweit eingeschränkt, dass ernstliche Zweifel daran aufkommen, ob er damit in einem Betrieb einsetzbar ist. Es wurde keine Verweisungstätigkeit benannt, die für den Kläger unter Berücksichtigung seiner qualitativen Leistungseinschränkungen in Betracht käme. Die Art der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen ist unstrittig. Entsprechend den unangegriffenen Feststellungen Dr.B. leidet der Kläger auf orthopädischem Fachgebiet unter degenerativen Veränderungen an Wirbelsäule, Hüften und unteren Extremitäten. Neben einem wiederkehrenden Halswirbelsäulensyndrom ohne Funktionsdefizit und ohne radikuläre Symptomatik leidet der Kläger unter rezidivierenden belastungsabhängigen Lumbalgien und Lumboischialgien bei Spondylolysthesis Grad Meierding I des Lendenwirbelkörpers 5. Diese Veränderung ergibt im Zusammenhang mit der erheblichen Adipositas eine deutliche Einschränkung der Belastbarkeit. Im Bereich der Hüften ist eine beginnende bis mäßige Coxarthrose beiderseits feststellbar, die eine Einschränkung der Innenrotation und Belastungsschmerzen bedingt. An den unteren Extremitäten ist eine deutlich entwickelte Senk-Spreizfußdeformität und eine beginnende Hallux-valgus-Fehlstellung auf beiden Seiten zu eruieren. Auf internistischem Fachgebiet ist als Hauptleiden eine Oesophagitis bei Hiatusgleithernie zu nennen. Ferner zeigte sich eine geringgradige Magenschleimhautentzündung, die ebenfalls adäquat behandelt wird. Weiter liegen ein Perianalekzem und ein geringgradiges Hämorrhoidalleiden, ein therapiefähiger Bluthochdruck und chronisch-rezidivierende Urticaria vor. Neben dem im Vordergrund stehenden Übergewicht (bei einer Körpergröße von 193 cm 120 bzw. 127 kg Körpergewicht) mit seinen Auswirkungen auf Lendenwirbelsäule und untere Extremitäten ist die seit früher Kindheit bestehende Lernschwäche zu berücksichtigen. Diese ist aufgrund eines Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr.H. vom 13.01.1992 mit einem GdB von 30 v.H. als Behinderung festgestellt. Trotz der seit 1979 bestandenen Prüfung als Geselle im Maler- und Lackiererhandwerk hat keiner der Sachverständigen Zweifel an dieser Behinderung geäußert. Erstmals im Januar 1999 ist die lungenärztliche Feststellung eines hyperreagiblen Bronchialsystems erfolgt. Demgegenüber war der lungenärztliche Befund bei der Untersuchung durch Dr.M. unauffällig gewesen und auch der Hausarzt gibt rezidivierende Bronchitiden erstmals im Befundbericht vom 12.05.2000 an. Mangels Angabe von Beschwerden bei der Untersuchung im Auftrag des Versorgungsamts 1996 erscheint auch die dortige Feststellung von Bronchitis als Behinderung erst ab Januar 1999 relevant. Die genannten Gesundheitsstörungen haben vielfältige Leistungseinschränkungen zur Folge. Nach den überzeugenden Ausführungen Dr.B. , die von den Dres.M. und S. wiederholt und von Beklagtenseite nicht angegriffen sind, kann der Kläger nur noch leichte Arbeiten verrichten. Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg ist nur noch gelegentlich möglich und Tätigkeiten in Zwangshaltungen für den Rumpf und die Wirbelsäule scheiden ebenso aus wie häufiges Bücken. Die Arbeiten sollten im Wechselrhythmus zwischen Sitzen, Gehen und Stehen erbracht werden können, kein Klettern und Steigen erfordern und nicht unter erhöhtem Zeitdruck erfolgen. Nacht- und Wechselschichtarbeit erscheint ebenso ausgeschlossen wie Akkord, taktgebundene Arbeit und Arbeit an laufenden Maschinen. Auch ist von Tätigkeiten mit vermehrten inhalativen Belastungen und Hautreizstoffen ebenso abzusehen wie Tätigkeiten unter ungünstigen Witterungsverhältnissen. Schließlich können keine besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit gestellt werden. Insbesondere erscheint die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf technischen Wandel und einen anderen Beruf ausgeschlossen. Dieser vor allem von Prof.Dr.S. nach zweimaliger Untersuchung bekräftigten Ansicht hat sich Dr.N. in ihrer Stellungnahme vom 30.11.2000 ausdrücklich angeschlossen. Im Positiven kann der Kläger noch leichte und ruhige gewerbliche Arbeiten in geschlossenen, temperierten und sauberen Räumen zu ebener Erde in wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichten. Diese Tätigkeiten müssen den bisher verrichteten Tätigkeiten als Maler, Lackierer, Oberflächenbeschichter, Montierer und Verpacker ähnlich sein. Wegen der Beschränkung des Klägers auf die ihm geläufige Arbeitswelt, auf mechanische Tätigkeiten mit niedrigen Anforderungen an die Dokumentation in einem überschaubaren Rahmen und unter Anleitung oder in einem kleinen Verantwortungsfeld, bestehen ernste Zweifel, dass der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist. Zwar sind die typischerweise von ungelernten Arbeitern geforderten Fähigkeiten wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen noch vorhanden. Nachdem von Klägerseite eingewandt worden ist, diese Tätigkeiten seien mit weiteren Anforderungen verbunden, denen er nicht gewachsen sei, ist zu prüfen, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl. BSG Urteil vom 09.09.1998 B 13 RJ 35/97 R und BSG vom 11.05.1999 in SozR 3-2600 § 43 Nr.21). Angesichts des Grads der Behinderung von 30 v.H. erscheint die Schreib-Leseschwäche bzw. Lernbehinderung nicht vergleichbar mit Einarmigkeit oder Einäugigkeit, Tatbeständen, die laut höchstrichterlicher Rechtsprechung als schwere spezifische Leistungsbehinderung einzustufen sind (BSG vom 12.05.1982 - 5 b/5 RJ 170/80, BSG vom 14.09.1995 - 5 RJ 50/94). Hingegen liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Bei der Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden (BSG vom 11.05.1999 a.a.O.). Dazu ist die notwendige Rücksichtnahme auf die Arbeitsumgebung (hier: Schutz vor Stäuben, Gasen, Dämpfen, Rauch, ungünstige Witterungsverhältnisse wie Kälte, Hitze, Zugluft), Beschränkung auf Arbeit zu ebener Erde (hier: Ausschluss von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten) und eine begrenzte Umstellungsfähigkeit (hier: Beschränkung auf überwiegend mechanische Tätigkeiten mit niedrigen Anforderungen an die Dokumentation in einem kleinen Verantwortungsfeld oder unter Anleitung) zu zählen. Beim gleichzeitigen Vorliegen derartiger zusätzlicher Leistungseinschränkungen bejaht das Bundessozialgericht eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkungen (vgl. BSG vom 19.04.1978 in SozR 2200 § 1246 Nr.30). Trotz vollschichtiger Einsatzfähigkeit ist dem Kläger daher zur Konkretisierung der ihm verbleibenden Fähigkeit, Erwerbseinkommen zu erzielen, eine mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts zu benennen (BSGE vom 14.09.1995 in SozR 3-2200 § 1246 Nr.50). Entgegen dem Sozialgericht Augsburg sieht sich der Senat nicht in der Lage, dem Kläger eine Erwerbstätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts zu benennen, die dieser mit seinen vielfältigen Einschränkungen ausüben kann. Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit des Warenaufmachers, die das Sozialgericht als Verweisungstätigkeit benannt hat. Dabei handelt es sich zwar um körperlich leichte Arbeit, die überwiegend im Sitzen verrichtet wird, in geschlossenen, temperierten und staubfreien Produktionshallen erbracht wird und in nennenswertem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Entscheidend ist jedoch, dass diese Arbeiten nach der jüngsten Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern vom 04.01.2001 durch Zeitdruck geprägt sind.
Die Anfrage war zu einem Parallelverfahren gestellt worden, weil auch dort bestritten worden war, dass Tätigkeiten als Warenaufmacher ohne Zeitdruck ausgeübt werden. Wörtlich schrieb das LAA Bayern, die Arbeiten erfolgten normalerweise unter Zeitdruck, zum Teil am Band. Plausibel wird dies nach einem Blick in das Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen (gabi), wo es unter 522 A, Ziffer A 3.13 in Verbindung mit B 2 und B 3 heißt, wegen Auftragsterminen werde vom Handelsfachpacker vielfach Arbeit unter Zeitdruck abverlangt, was eine ausreichende neurovegetative Belastbarkeit voraussetze. Der Warenaufmacher übt einen Teil der Kerntätigkeit des Handelsfachpackers aus (B 6 a). Die Sachverständigenanhörung vor dem LSG Niedersachsen entkräftet die Auskunft des LAA Bayern in keiner Weise. Der Kläger zu jenem Verfahren wies nicht die hier strittige Leistungseinschränkung der Zeitdruck-Arbeit auf, so dass der gehörte Sachverständige keine Veranlassung hatte, auf die notwendigen psychischen Merkmale des Warenaufmachers einzugehen. Auch die vom Erstgericht zu Grunde gelegte Stellungnahme des LAA Hessen enthält keine Diskussion der Frage, ob Zeitdruck auszuschließen sei. Hingegen ist die aktuelle Aussage des LAA Bayern vom 04.01.2001 eindeutig.
Arbeiten unter Zeitdruck werden jedoch von allen Sachverständigen für unzumutbar gehalten. Deshalb scheidet auch die Verweisung auf die in der industriellen Fertigung vorkommenden Tätigkeiten wie Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten aus. Wie das Landesarbeitsamt Bayern in seiner berufskundlichen Stellungnahme vom 13.01.2000 dargelegt hat, werden diese Tätigkeiten in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet und erfordern nicht selten Schichtarbeit. Darüber hinaus sind sie weitgehend in einseitiger Körperhaltung zu verrichten, so dass der vom Orthopäden geforderte Wechsel der Körperhaltung nicht gewährleistet ist. Verpackungs- und Montierarbeiten im Handel, wie der Kläger sie zuletzt auf 630,00-DM-Basis ausgeübt hat, werden erfahrungsgemäß nicht als Vollzeittätigkeiten angeboten, vielmehr von gelernten Fachkräften mitverrichtet bzw. an Aushilfskräfte vergeben. Andere leichte Männerarbeiten wie Museumswärter, Wachtätigkeiten, Reinigungsarbeiten und als Bote sind dem Kläger deshalb nicht möglich, weil sie überwiegend im Gehen und Stehen ausgeübt werden. Einfache Bürohilfsarbeiten oder auch Tätigkeiten als einfacher Pförtner scheitern schließlich an seiner Grundbehinderung, die sich z.B. in einer Lese- und Schreibschwäche äußert. Die damit verbundene Kontrolle von Dokumenten, Registrierungen usw. ist dem Kläger nicht möglich. Dem Kläger ist daher Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.01.1999 zuzubilligen. Erst ab diesem Zeitpunkt ist auch eine Tätigkeit im Freien ausgeschlossen, so dass erst dann von einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ausgegangen werden kann.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind beim Versicherungsfall am 31.12.1998 erfüllt, da sich der maßgebliche Fünf-Jahres-Zeitraum des § 44 I Ziffer 2 SGB VI wegen der Zubilligung von Berufsunfähigkeitsrente ab 01.09.1996 in der Zeit zwischen dem 31.08.1991 und dem 31.08.1996 befindet, die lückenlos mit Beiträgen bzw. Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Es besteht keine Rechtsgrundlage für die Befristung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. § 102 Abs.2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 findet keine Anwendung, weil nach dem Grundsatz des § 300 Abs.2 SGB VI aufgehobene Vorschriften des SGB VI auch nach dem Zeiptunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Nachdem der Rentenanspruch seit 1996 anhängig ist, ist § 102 Abs.2 SGB VI in der vor dem 01.01.2001 geltenden Fassung maßgeblich, wonach Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet werden, wenn begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann. Die Beklagte hat nach der zu Unrecht erfolgten Ablehnung des Rehabilitationsantrags von 1995 bislang nicht geprüft, ob derartige Maßnahmen Aussicht auf Erfolg haben. Angesichts der ausgeprägten Anpassungs- und Umstellungsunfähigkeit bestehen hierfür nur vage Aussichten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Käger ab 1. Januar 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist nach dem Abschluss des Teilvergleichs in der mündlichen Verhandlung am 21.02.2001 lediglich die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente ab 01.01.1999.
Der am 1958 geborene Kläger hat nach einer Hirnhautentzündung im Kleinkindalter eine Behindertenklasse besucht. Nach bestandener Prüfung als Geselle im Maler- und Lackiererhandwerk war er von 1975 bis Juni 1991 als Maler und Lackierer versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er kurzzeitig als Lagerarbeiter und schließlich von Dezember 1991 bis 30.04.1993 als Oberflächenbeschichter tätig. Seit der Beendigung des Arbeitslosengeldbezugs 1995 ist er in einem Spielwarengeschäft geringfügig beschäftigt. Sein Antrag auf berufliche Rehabilitation ist am 10.01.1995 mangels Einschränkung im Lernberuf abgelehnt worden. Sein Rentenantrag vom 26.09.1996 wurde am 10.01.1997 mangels relevanter Einschränkung der Einsatzfähigkeit abgelehnt, der Widerspruch hiergegen vom 22.01.1997 am 26.08.1997 zurückgewiesen.
Im Rahmen des am 02.09.1997 eingeleiteten Klageverfahrens wurde der Kläger von dem Orthopäden Dr.B, nach ambulanter Untersuchung am 25.03.1998 von Amts wegen begutachtet. Der Sachverständige diagnostizierte u.a. ein wiederkehrendes Halswirbelsäulensyndrom, rezidivierende Lumbalgien, teilweise auch Lumboischialgien bei Spondylolysthesis, beginnende Coxarthrose beidseits, Metatarsalgie beidseits und Schreib-Leseschwäche, Lernbehinderung, Neurasthenie. Seines Erachtens können nur noch leichte Arbeiten ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne erhöhten Zeitdruck, ohne Nacht- und Wechselschicht im Wechselrhythmus erbracht werden. Ausgeschlossen sind Arbeiten an laufenden Maschinen, Klettern und Steigen, Arbeiten unter Einfluss von Reizstoffen für die Haut oder unter Kälte, Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, das Konzentrations- und Reaktionsvermögens sowie die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Im Übrigen besteht vollschichtiges Leistungsvermögen. Dieser Beurteilung schloss sich Dr.M. in seinem internistischen Gutachten vom 15.10.1998 nach der Diagnose von Oesophagitis bei Hiatusgleithernie, chronischer Gastritis und Übergewicht an. Auf Antrag des Klägers wurde Prof.S. , Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin im Universitätsklinikum U. gehört. Dieser schrieb in seinem Gutachten vom 12.10.1999, die wesentlichen Gesundheitsstörungen seien zutreffend erfasst. Der Kläger könne leichte und überwiegend mechanische Männerarbeiten mit niedrigen Anforderungen an die Dokumentation und gering bis mittleren Anforderungen an das Heben und Tragen vollschichtig verrichten. Überschaubare Aufgaben seien unter Anleitung oder in einem kleinen Verantwortungsfeld möglich, soweit es in seinem derzeitigen Beschäftigungsfeld der Fall sei. Bürotätigkeiten oder solche als Pförtner seinen ausgeschlossen. Das Sozialgericht Augsburg wies die Klage am 25.01.2000 mit der Begründung ab, der Kläger genieße keinen Berufsschutz und sei trotz Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen als Warenaufmacher noch vollschichtig einsatzfähig. Hiergegen legte der Kläger am 24.02.2000 Berufung ein und machte u.a. geltend, die Tätigkeit als Warenaufmacher erfolge im Akkord und sei mit Schriftverkehr verbunden. Ausweislich der beigezogenen Schwerbehindertenakte bedingt die Lernbehinderung des Klägers laut nervenärztlichem Gutachten Dr.H. vom 13.01.1992 einen GdB von 30 v.H ... Gemäß § 109 SGG erstellte Dr.S. am 02.11.2000 erneut ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Zumutbar ist seines Erachtens mittelschwere Arbeit mit der Gelegenheit zu Pausen, in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen, nicht auf Leitern oder Gerüsten, ohne Publikumsverkehr und Zeitdruck. Der Kläger verfüge über keine Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf technischen Wandel und einen anderen Beruf. Nach der Übersendung berufskundlicher Unterlagen zum Warenaufmacher wiederholte der Kläger seine Behauptung, derartige Tätigkeiten würden nur im Akkord geleistet, was dem Kläger nicht zumutbar sei. Unter Berufung auf ihre sozialmedizinische Stellungnahme vom 30.11.2000 entgegnete die Beklagte, als Montierer und Warenaufmacher sei der Kläger vollschichtig einsatzfähig, sofern die Tätigkeiten ohne Zeitdruck und ohne Bedienung eines PC zu verrichten seien. Nach der Übersendung berufskundlicher Stellungnahmen des Landesarbeitsamtes Bayern vom 04.01.2001 zum Warenaufmacher und vom 13.01.2000 zum Montierer teilte die Beklagte am 24.01.2001 mit, es gebe keinen plausiblen Grund dafür, weshalb die Tätigkeit als Warenaufmacher generell unter Zeitdruck erfolgen solle. Das Landesarbeitsamt Bayern habe keine Begründung für seine abweichende Auffassung gegeben. Aus der Sitzungsniederschrift des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 08.11.2000 über eine Sachverständigenanhörung ergebe sich kein Anhaltspunkt für die Aussage des Landesarbeitsamts Bayern.
In der mündlichen Verhandlung am 21.02.2001 erklärte sich die Beklagte vergleichsweise bereit, dem Kläger ab 01.09.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Dauer dem Grunde nach zu gewähren. Insoweit erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt.
Im Übrigen beantragt der Kläger,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.01.2000 mit der Maßgabe abzuändern, dass die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 10.01.1997 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 26.08.1997 zur Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.01.1999 zu verurteilen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung insoweit zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Augsburg, der Schwerbehindertenakten und der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.01.2000 ist ebenso abzuändern wie der Bescheid der Beklagten vom 10.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.08.1997. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Er ist sowohl erwerbsunfähig als auch berufsunfähig. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs.2 Satz 1 in der ab 08.05.1996 bis 31.03.1999 gültigen Fassung). Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann (§ 44 Abs.2 Satz 2 Ziffer 2 SGB VI). Trotz vollschichtiger Einsatzfähigkeit liegt Erwerbsunfähigkeit vor, wenn die Arbeitsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonderes einschneidende Behinderung gemindert ist und eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht benannt werden kann (BSG Band 80, 24, 33). Das Restleistungsvermögen des Klägers erscheint soweit eingeschränkt, dass ernstliche Zweifel daran aufkommen, ob er damit in einem Betrieb einsetzbar ist. Es wurde keine Verweisungstätigkeit benannt, die für den Kläger unter Berücksichtigung seiner qualitativen Leistungseinschränkungen in Betracht käme. Die Art der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen ist unstrittig. Entsprechend den unangegriffenen Feststellungen Dr.B. leidet der Kläger auf orthopädischem Fachgebiet unter degenerativen Veränderungen an Wirbelsäule, Hüften und unteren Extremitäten. Neben einem wiederkehrenden Halswirbelsäulensyndrom ohne Funktionsdefizit und ohne radikuläre Symptomatik leidet der Kläger unter rezidivierenden belastungsabhängigen Lumbalgien und Lumboischialgien bei Spondylolysthesis Grad Meierding I des Lendenwirbelkörpers 5. Diese Veränderung ergibt im Zusammenhang mit der erheblichen Adipositas eine deutliche Einschränkung der Belastbarkeit. Im Bereich der Hüften ist eine beginnende bis mäßige Coxarthrose beiderseits feststellbar, die eine Einschränkung der Innenrotation und Belastungsschmerzen bedingt. An den unteren Extremitäten ist eine deutlich entwickelte Senk-Spreizfußdeformität und eine beginnende Hallux-valgus-Fehlstellung auf beiden Seiten zu eruieren. Auf internistischem Fachgebiet ist als Hauptleiden eine Oesophagitis bei Hiatusgleithernie zu nennen. Ferner zeigte sich eine geringgradige Magenschleimhautentzündung, die ebenfalls adäquat behandelt wird. Weiter liegen ein Perianalekzem und ein geringgradiges Hämorrhoidalleiden, ein therapiefähiger Bluthochdruck und chronisch-rezidivierende Urticaria vor. Neben dem im Vordergrund stehenden Übergewicht (bei einer Körpergröße von 193 cm 120 bzw. 127 kg Körpergewicht) mit seinen Auswirkungen auf Lendenwirbelsäule und untere Extremitäten ist die seit früher Kindheit bestehende Lernschwäche zu berücksichtigen. Diese ist aufgrund eines Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr.H. vom 13.01.1992 mit einem GdB von 30 v.H. als Behinderung festgestellt. Trotz der seit 1979 bestandenen Prüfung als Geselle im Maler- und Lackiererhandwerk hat keiner der Sachverständigen Zweifel an dieser Behinderung geäußert. Erstmals im Januar 1999 ist die lungenärztliche Feststellung eines hyperreagiblen Bronchialsystems erfolgt. Demgegenüber war der lungenärztliche Befund bei der Untersuchung durch Dr.M. unauffällig gewesen und auch der Hausarzt gibt rezidivierende Bronchitiden erstmals im Befundbericht vom 12.05.2000 an. Mangels Angabe von Beschwerden bei der Untersuchung im Auftrag des Versorgungsamts 1996 erscheint auch die dortige Feststellung von Bronchitis als Behinderung erst ab Januar 1999 relevant. Die genannten Gesundheitsstörungen haben vielfältige Leistungseinschränkungen zur Folge. Nach den überzeugenden Ausführungen Dr.B. , die von den Dres.M. und S. wiederholt und von Beklagtenseite nicht angegriffen sind, kann der Kläger nur noch leichte Arbeiten verrichten. Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg ist nur noch gelegentlich möglich und Tätigkeiten in Zwangshaltungen für den Rumpf und die Wirbelsäule scheiden ebenso aus wie häufiges Bücken. Die Arbeiten sollten im Wechselrhythmus zwischen Sitzen, Gehen und Stehen erbracht werden können, kein Klettern und Steigen erfordern und nicht unter erhöhtem Zeitdruck erfolgen. Nacht- und Wechselschichtarbeit erscheint ebenso ausgeschlossen wie Akkord, taktgebundene Arbeit und Arbeit an laufenden Maschinen. Auch ist von Tätigkeiten mit vermehrten inhalativen Belastungen und Hautreizstoffen ebenso abzusehen wie Tätigkeiten unter ungünstigen Witterungsverhältnissen. Schließlich können keine besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit gestellt werden. Insbesondere erscheint die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf technischen Wandel und einen anderen Beruf ausgeschlossen. Dieser vor allem von Prof.Dr.S. nach zweimaliger Untersuchung bekräftigten Ansicht hat sich Dr.N. in ihrer Stellungnahme vom 30.11.2000 ausdrücklich angeschlossen. Im Positiven kann der Kläger noch leichte und ruhige gewerbliche Arbeiten in geschlossenen, temperierten und sauberen Räumen zu ebener Erde in wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichten. Diese Tätigkeiten müssen den bisher verrichteten Tätigkeiten als Maler, Lackierer, Oberflächenbeschichter, Montierer und Verpacker ähnlich sein. Wegen der Beschränkung des Klägers auf die ihm geläufige Arbeitswelt, auf mechanische Tätigkeiten mit niedrigen Anforderungen an die Dokumentation in einem überschaubaren Rahmen und unter Anleitung oder in einem kleinen Verantwortungsfeld, bestehen ernste Zweifel, dass der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist. Zwar sind die typischerweise von ungelernten Arbeitern geforderten Fähigkeiten wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen noch vorhanden. Nachdem von Klägerseite eingewandt worden ist, diese Tätigkeiten seien mit weiteren Anforderungen verbunden, denen er nicht gewachsen sei, ist zu prüfen, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl. BSG Urteil vom 09.09.1998 B 13 RJ 35/97 R und BSG vom 11.05.1999 in SozR 3-2600 § 43 Nr.21). Angesichts des Grads der Behinderung von 30 v.H. erscheint die Schreib-Leseschwäche bzw. Lernbehinderung nicht vergleichbar mit Einarmigkeit oder Einäugigkeit, Tatbeständen, die laut höchstrichterlicher Rechtsprechung als schwere spezifische Leistungsbehinderung einzustufen sind (BSG vom 12.05.1982 - 5 b/5 RJ 170/80, BSG vom 14.09.1995 - 5 RJ 50/94). Hingegen liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Bei der Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden (BSG vom 11.05.1999 a.a.O.). Dazu ist die notwendige Rücksichtnahme auf die Arbeitsumgebung (hier: Schutz vor Stäuben, Gasen, Dämpfen, Rauch, ungünstige Witterungsverhältnisse wie Kälte, Hitze, Zugluft), Beschränkung auf Arbeit zu ebener Erde (hier: Ausschluss von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten) und eine begrenzte Umstellungsfähigkeit (hier: Beschränkung auf überwiegend mechanische Tätigkeiten mit niedrigen Anforderungen an die Dokumentation in einem kleinen Verantwortungsfeld oder unter Anleitung) zu zählen. Beim gleichzeitigen Vorliegen derartiger zusätzlicher Leistungseinschränkungen bejaht das Bundessozialgericht eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkungen (vgl. BSG vom 19.04.1978 in SozR 2200 § 1246 Nr.30). Trotz vollschichtiger Einsatzfähigkeit ist dem Kläger daher zur Konkretisierung der ihm verbleibenden Fähigkeit, Erwerbseinkommen zu erzielen, eine mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts zu benennen (BSGE vom 14.09.1995 in SozR 3-2200 § 1246 Nr.50). Entgegen dem Sozialgericht Augsburg sieht sich der Senat nicht in der Lage, dem Kläger eine Erwerbstätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts zu benennen, die dieser mit seinen vielfältigen Einschränkungen ausüben kann. Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit des Warenaufmachers, die das Sozialgericht als Verweisungstätigkeit benannt hat. Dabei handelt es sich zwar um körperlich leichte Arbeit, die überwiegend im Sitzen verrichtet wird, in geschlossenen, temperierten und staubfreien Produktionshallen erbracht wird und in nennenswertem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Entscheidend ist jedoch, dass diese Arbeiten nach der jüngsten Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern vom 04.01.2001 durch Zeitdruck geprägt sind.
Die Anfrage war zu einem Parallelverfahren gestellt worden, weil auch dort bestritten worden war, dass Tätigkeiten als Warenaufmacher ohne Zeitdruck ausgeübt werden. Wörtlich schrieb das LAA Bayern, die Arbeiten erfolgten normalerweise unter Zeitdruck, zum Teil am Band. Plausibel wird dies nach einem Blick in das Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen (gabi), wo es unter 522 A, Ziffer A 3.13 in Verbindung mit B 2 und B 3 heißt, wegen Auftragsterminen werde vom Handelsfachpacker vielfach Arbeit unter Zeitdruck abverlangt, was eine ausreichende neurovegetative Belastbarkeit voraussetze. Der Warenaufmacher übt einen Teil der Kerntätigkeit des Handelsfachpackers aus (B 6 a). Die Sachverständigenanhörung vor dem LSG Niedersachsen entkräftet die Auskunft des LAA Bayern in keiner Weise. Der Kläger zu jenem Verfahren wies nicht die hier strittige Leistungseinschränkung der Zeitdruck-Arbeit auf, so dass der gehörte Sachverständige keine Veranlassung hatte, auf die notwendigen psychischen Merkmale des Warenaufmachers einzugehen. Auch die vom Erstgericht zu Grunde gelegte Stellungnahme des LAA Hessen enthält keine Diskussion der Frage, ob Zeitdruck auszuschließen sei. Hingegen ist die aktuelle Aussage des LAA Bayern vom 04.01.2001 eindeutig.
Arbeiten unter Zeitdruck werden jedoch von allen Sachverständigen für unzumutbar gehalten. Deshalb scheidet auch die Verweisung auf die in der industriellen Fertigung vorkommenden Tätigkeiten wie Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten aus. Wie das Landesarbeitsamt Bayern in seiner berufskundlichen Stellungnahme vom 13.01.2000 dargelegt hat, werden diese Tätigkeiten in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet und erfordern nicht selten Schichtarbeit. Darüber hinaus sind sie weitgehend in einseitiger Körperhaltung zu verrichten, so dass der vom Orthopäden geforderte Wechsel der Körperhaltung nicht gewährleistet ist. Verpackungs- und Montierarbeiten im Handel, wie der Kläger sie zuletzt auf 630,00-DM-Basis ausgeübt hat, werden erfahrungsgemäß nicht als Vollzeittätigkeiten angeboten, vielmehr von gelernten Fachkräften mitverrichtet bzw. an Aushilfskräfte vergeben. Andere leichte Männerarbeiten wie Museumswärter, Wachtätigkeiten, Reinigungsarbeiten und als Bote sind dem Kläger deshalb nicht möglich, weil sie überwiegend im Gehen und Stehen ausgeübt werden. Einfache Bürohilfsarbeiten oder auch Tätigkeiten als einfacher Pförtner scheitern schließlich an seiner Grundbehinderung, die sich z.B. in einer Lese- und Schreibschwäche äußert. Die damit verbundene Kontrolle von Dokumenten, Registrierungen usw. ist dem Kläger nicht möglich. Dem Kläger ist daher Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.01.1999 zuzubilligen. Erst ab diesem Zeitpunkt ist auch eine Tätigkeit im Freien ausgeschlossen, so dass erst dann von einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ausgegangen werden kann.
Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind beim Versicherungsfall am 31.12.1998 erfüllt, da sich der maßgebliche Fünf-Jahres-Zeitraum des § 44 I Ziffer 2 SGB VI wegen der Zubilligung von Berufsunfähigkeitsrente ab 01.09.1996 in der Zeit zwischen dem 31.08.1991 und dem 31.08.1996 befindet, die lückenlos mit Beiträgen bzw. Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Es besteht keine Rechtsgrundlage für die Befristung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. § 102 Abs.2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 findet keine Anwendung, weil nach dem Grundsatz des § 300 Abs.2 SGB VI aufgehobene Vorschriften des SGB VI auch nach dem Zeiptunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Nachdem der Rentenanspruch seit 1996 anhängig ist, ist § 102 Abs.2 SGB VI in der vor dem 01.01.2001 geltenden Fassung maßgeblich, wonach Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet werden, wenn begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann. Die Beklagte hat nach der zu Unrecht erfolgten Ablehnung des Rehabilitationsantrags von 1995 bislang nicht geprüft, ob derartige Maßnahmen Aussicht auf Erfolg haben. Angesichts der ausgeprägten Anpassungs- und Umstellungsunfähigkeit bestehen hierfür nur vage Aussichten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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