L 20 RJ 155/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 Ar 66/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 155/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.11.1995 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, in welchem Umfang in Rumänien zurückgelegte Versicherungszeiten der Klägerin nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen sind.

Die am ...1935 geborene Klägerin ist am 13.05.1990 aus Rumänien nach Deutschland übergesiedelt; sie ist Inhaberin des Vertriebenenausweises A. Auf ihren Antrag vom 03.12.1990 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 09.09.1994 die in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten im Umfang von 5/6 fest. Grundlage für die Anerkennung dieser Zeiten war ua die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung (Adeverinta) der "R ... AG" in Arad Nr 53/2701 vom 16.06.1992. Diese Bescheinigung nannte die einzelnen Betriebe bzw Behörden, bei denen die Klägerin seit Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit ab 1954 beschäftigt war. Die Adeverinta enthält keine Angaben über Fehlzeiten wegen Krankheit, unentschuldigten Fehlens oder unbezahlten Urlaubs. Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie während ihrer Beschäftigungszeit vom 29.12.1966 bis 11.10.1984 nie krank gewesen sei. Sie wolle diesbezüglich eine Bescheinigung aus Rumänien nachreichen. Mit Bescheid vom 19.01.1995 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die angekündigten weiteren rumänischen Arbeitsbescheinigungen bräuchten nicht abgewartet zu werden, da hiervon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien. Den Bescheinigungen komme in der Regel schon deshalb kein hinreichender Beweiswert zu, weil es in Rumänien nicht erforderlich gewesen sei, die Fehltage von der Arbeit zu dokumentieren.

Dagegen hat die Klägerin am 08.02.1995 Klage beim Sozialgericht Nürnberg erhoben. Sie hat eine weitere Adeverinta der Firma "R ..." Nr 53/4234 vom 14.10.1994 vorgelegt, die ihr über die Landesversicherungsanstalt Unterfranken als damals zuständige Verbindungsstelle für das deutsch-rumänische Sozialversicherungsabkommen zugegangen war. In dieser Bescheinigung sind für den Zeitraum von 1966 bis 1984 die einzelnen Arbeits-, Krankheits- und Urlaubstage, aufgeschlüsselt nach Jahren und Monaten, wiedergegeben; darüber hinaus besagt die Bescheinigung, dass die Angaben den im Archiv lagernden Lohnunterlagen entnommen worden seien. Nach dieser Bescheinigung war die Klägerin im Jahre 1969 9 Tage lang, im Jahre 1982 30 Tage und im Jahre 1984 146 Tage krank gewesen. Mit Urteil vom 15.11.1995 hat das SG die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 29.12.1966 bis 11.10.1984 in vollem Umfang auf der Grundlage der Adeverinta vom 14.10.1994 zu berücksichtigen. Zur Begründung war ausgeführt, die Bescheinigung sei auf dem offiziellen Weg übermittelt worden. Sie enthalte detaillierte Angaben der einzelnen Arbeitstage für jeden einzelnen Monat, bezogen auf den Zeitraum 1966 bis 1984. Daraus sei ersichtlich, in welchen Monaten Urlaubs- bzw Krankheitstage angefallen seien. Die Klägerin habe dem Gericht in der mündlichen Verhandlung überzeugende und plausible Angaben darüber machen können, wegen welcher Erkrankungen sie jeweils der Arbeit habe fern bleiben müssen. Die neue Bescheinigung stehe auch nicht im Widerspruch zu der bereits früher vorgelegten Adeverinta vom 16.06.1992. Es sei in der "alten Bescheinigung" weder im positiven noch im negativen Sinne irgendeine Aussage zu Fehlzeiten, Urlaubs- oder Krankheitstagen getroffen worden. Das Gericht habe keine vernünftigen Zweifel am Wahrheitsgehalt der nun vorgelegten Bescheinigung vom 14.10.1994.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 08.01.1996 beim Bayer. Landessozialgericht eingelegte Berufung der Beklagten. Diese macht geltend, die Bescheinigung vom 14.10.1994 stelle auch in Verbindung mit den Angaben der Klägerin keinen Nachweis für eine ungekürzte Anrechnung der Entgeltpunkte dar, da das rumänische Rentenrecht lediglich auf die Beschäftigungsdauer abstelle. Dabei komme es nicht auf die echte Beitragszahlung zur Versicherung, sondern auf die arbeitsrechtliche Beschäftigungsdauer an. In diese seien auch Krankheitszeiten einbezogen. Zur Dokumentation von Krankheits- oder sonstigen Fehlzeiten habe aus rumänischer Sicht kein Grund vorgelegen. Mit Bescheid vom 14.02.1996 hat die Beklagte der Klägerin Altersrente für Frauen ab 01.03.1996 bewilligt. In der mündlichen Verhandlung am 04.06.1997 haben die Beteiligten erklärt, dass sich der Prozess lediglich auf die streitige 5/6-Kürzung der Entgeltpunkte erstrecken soll.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.11.1995 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.02.1996 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten (mit Beitrags- und Rententeil) und die Prozessakte des Sozialgerichts Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel der Beklagten erweist sich als nicht begründet. Die von der Klägerin geltend gemachte Beitragszeit von 1966 bis 1984 ist entgegen der Auffassung der Beklagten als nachgewiesen anzusehen und daher bei der Berechnung der Altersrente mit den vollen Tabellenwerten nach dem FRG zu berücksichtigen. Der Nachweis einer Beitragszeit iS des § 22 Abs 3 FRG bedeutet die Führung des vollen Beweises, der - wie in anderen Rechtsgebieten auch - im Sozialversicherungsrecht mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, soweit nicht der Kreis zulässiger Beweismittel gesetzlich eingeschränkt ist. Eine solche Beschränkung auf bestimmte Beweismittel findet aber im Rahmen der Prüfung, ob Zeiten nach §§ 15, 16 FRG nachgewiesen oder nur glaubhaft gemacht sind, nicht statt. Nachgewiesen sind Zeiten dann, wenn mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie ohne relevante Unterbrechung zurückgelegt sind. Dies kann angenommen werden, wenn eine Arbeitsbescheinigung nicht nur konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungs- bzw Beitragszeiten, sondern auch über dazwischenliegende Ausfallzeiten enthält. Der Beweis einer (gemessen am Monatsprinzip) lückenlosen Beitragsleistung zur Rentenversicherung eines nichtdeutschen Versicherungsträgers wird in erster Linie durch Urkunden, amtliche Auskünfte und Zeugenaussagen geführt. Dabei wird der Urkundenbeweis regelmäßig als das zuverlässigste Beweismittel gelten können. Sowohl schriftliche Urkunden als auch die von früheren Arbeitgebern ausgestellten Bescheinigungen (in Rumänien: Adeverintas) sind in der Regel geeignet, den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen zu erbringen. Dies gilt nach der Überzeugung des Senats auch für die hier maßgebliche Adeverinta Nr 53/4234 vom 14.10.1994 der Firma "R ...". Diese Bescheinigung, die der Klägerin auf dem Weg über die LVA Unterfranken zugegangen ist, entspricht in vollem Umfange den Anforderungen, die der Senat bisher an den Nachweis rumänischer Beitragszeiten gestellt hat. Insbesondere enthält sie Aussagen über alle denkbaren, während des Arbeitslebens auftretenden Fehlzeiten, aufgeschlüsselt nach Jahren, Monaten und einzelnen Tagen. Es sind verteilt über den Gesamtzeitraum die Fehlzeiten der Klägerin wegen Krankheit, Erholungsurlaubs und unbezahlten Urlaubs vermerkt. Ein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit dieser Bescheinigung besteht für den Senat nicht; es findet sich auch kein Hinweis darauf, dass die Bescheinigung zu Gunsten der Klägerin gefälscht oder verfälscht sein könnte. Die Adeverinta Nr 53/4234 erfüllt insgesamt die Anforderungen an einen Nachweis der darin bestätigten Versicherungszeiten. Fehlzeiten haben zur Überzeugung des Senats nur in dem Umfang vorgelegen, wie sie bescheinigt wurden. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg war deshalb zurückzuweisen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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