L 20 RJ 158/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 194/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 158/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.02.1999 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 29.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.1996 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rentenleistungen, hilfsweise die Erstattung entrichteter Beiträge streitig.

Der am ...1941 geborene Kläger hat nach seinen Angaben den Beruf eines Stuckateurs erlernt (Prüfung 1958), hat in diesem Beruf bis 1970 versicherungspflichtig gearbeitet und war daran anschließend selbständig erwerbstätig. Im Juli 1995 wurde über seine Gesellschaft der Konkurs eröffnet (lt Angabe im Rentenantrag). Ausweislich des Versicherungsverlaufs hat der Kläger von August 1955 bis März 1970 Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet und für den Zeitraum vom 01.01.1983 bis 31.12.1985 freiwillige Beiträge geleistet. Ab 1986 sind keine Versicherungszeiten mehr nachgewiesen.

Am 18.05.1995 beantragte der Kläger über das Versicherungsamt der Stadt ... die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er legte dazu ein Attest des Allgemeinarztes Dr.K ... vom 26.06.1995 vor, nach dem er sich seit 09.01.1995 in Behandlung befinde und seitdem ununterbrochen arbeitsunfähig sei; der Kläger leide an einer sich progredient verschlechternden reaktiven Depression mit schwerwiegender psychovegetativer Disregulation. Nach einer Untersuchung des Klägers durch die Nervenärztin Dr.B ... am 13.03.1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 29.03.1996 ab. Zwar sei der Kläger ab 09.01.1995 bis voraussichtlich 31.12.1997 vorübergehend berufsunfähig; er habe auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, jedoch in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit keine Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung entrichtet. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 14.04.1996 per Fax Widerspruch ein und wollte von der Beklagten wissen, wieviel (an Beiträgen) er sofort bezahlen könne und müsse, damit er die "sofortige lebensnotwendige Rente" bekomme. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 17.06.1996 als unbegründet zurück. Nur bei Eintritt von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vor dem 01.01.1985 komme ein Rentenanspruch in Betracht, weil nur in diesem Falle neben der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit vor dem 01.01.1984 keine weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (lückenloser Nachweis anwartschaftserhaltender Zeiten ab 01.01.1984) gegeben sein müssten. Es lägen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass beim Kläger Berufsunfähigkeit vor dem 09.01.1995 (im Zusammenhang mit dem sich abzeichnenden Firmenkonkurs) eingetreten sei. Eine Nachentrichtung von Beiträgen zur Erhaltung der Rentenanwartschaft sei nicht mehr möglich.

Am 07.03.1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm ein Angebot über die gesamte Rentenauszahlung seiner Rentenbeiträge plus Zinsen zu erstellen. Die Beklagte wertete dies als Antrag auf Beitragserstattung und lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 09.04.1997 und Widerspruchsbescheid vom 16.09.1997 ab. Der Kläger habe die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt und sei zur freiwilligen Versicherung berechtigt. Im Übrigen hat die Beklagte mehrere Anfragen des Klägers betreffend Rente und Beitragserstattung mit Schreiben vom 06.10.1997 beantwortet.

Mit Schreiben vom 27.02.1998 hat die Beklagte ein per Fax eingegangenes, als "erneuter Widerspruch" bezeichnetes Schreiben des Klägers vom 29.09.1997 dem Sozialgericht als Klage zugeleitet. Mit Fax vom 25.03.1998 hat der Kläger dem SG mitgeteilt, er reiche das gerichtliche Anschreiben "als Widerspruch zur Entlastung zurück", weil er keine Klage eingereicht, sondern sich nur an die LVA gewandt habe, damit diese das für seine Existenzsicherung Notwendige veranlasse. Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der zum gerichtlichen Sachverständigen ernannte Allgemeinarzt Dr.K ... unter dem 08.07.1998 eine Stellungnahme zur Geschäftsfähigkeit des Klägers abgegeben und darin ausgeführt, für einfache Vorgänge des alltäglichen bürgerlichen Lebens wie auch für gewisse einfache rechtliche und geschäftliche Vorgänge sei der Kläger bei entsprechender vorsichtiger Behandlung sicherlich nicht als absolut geschäftsunfähig einzustufen. Auch bezüglich einer partiellen Geschäftsunfähigkeit könne beim Kläger lediglich die Möglichkeit bejaht werden, dass er unter massiver psychischer Belastung (mit vorhergegangenen auf das jeweilige Ereignis bezogenen längeren Verhandlungen) zeitweise zu einem vernunftgesteuerten Verhalten außer Stande sei. Eine Langzeitklassifizierung des Klägers als absolut geschäftsunfähig könne er nicht treffen. Zu mehreren Verhandlungsterminen vor dem Sozialgericht ist der Kläger nicht erschienen. In einem aufklärenden Schreiben vom 04.11.1998 hat das SG dem Kläger die Sachlage dargelegt, den Streitgegenstand abgegrenzt und die Erfolgsaussichten der Klage erläutert. Auch dieses Schreiben hat der Kläger (mit zahlreichen Anmerkungen versehen) per Fax an das SG zurückgesandt, die darin vom SG gestellte Frage, ob die Klage zurückgenommen werde, jedoch nicht bzw dahin beantwortet, dass die Klagerücknahme jetzt keinen Sinn ergebe. Mit Urteil vom 09.02.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Alleiniger Streitgegenstand sei der Bescheid über die Ablehnung der Beitragserstattung. In materieller Hinsicht könne die dagegen gerichtete Klage des als geschäfts- und prozessfähig anzusehenden Klägers keinen Erfolg haben, da die Voraussetzungen des § 210 SGB VI eindeutig nicht gegeben seien.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 16.03.1999 beim Sozialgericht Nürnberg "Widerspruch und Berufung" eingelegt. Er halte das Urteil für ungerecht, weil er seit 1995 nachweisbar invalide sei. Die ...-Versicherung habe dies anerkannt; von ihr bekomme er eine monatliche Rente. Er verlange für die ersten Jahre nur Teilrente und erst ab dem 60. Lebensjahr die Vollrente. Ein Anschreiben des Berichterstatters, ob die Berufung aufrecht erhalten werde, hat der Kläger mit dem Hinweis beantwortet, dass er die notwendige Rente mit Vollendung des 60. Lebensjahres fordere.

Einen ausdrücklichen Berufungsantrag hat der Kläger nicht gestellt; er beantragt jedoch sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen zu verurteilen, ihm "Frührente" wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit aufgrund der Antragstellung vom 18.05.1995, hilfsweise ab Vollendung des 60. Lebensjahres zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte des Sozialgerichts Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und im Übrigen zulässig; Ausschlussgründe des § 144 SGG liegen nicht vor. In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht geht auch der Senat davon aus, dass der Kläger geschäftsfähig iS des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und prozessfähig iS des § 71 SGG ist. Der Kläger hat das zulässige Rechtsmittel der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg eingelegt und sich erkennbar dahin geäußert, dass es ihm um die Durchsetzung von Rentenansprüchen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geht. Die von dem ärztlichen Sachverständigen Dr.K ... bestätigte Unzugänglichkeit des Klägers in Situationen, in denen er glaubt, dass ihm zustehende Rechte vorenthalten werden, hat sich auch im Berufungsverfahren gezeigt. Der Kläger ist mit einer Vielzahl von teilweise in sich widersprüchlichen Eingaben an das Gericht herangetreten, ohne sich konkret zu den gestellten Sachfragen zu äußern. Eine totale Realitätsverkennung ist diesem Verhalten jedoch nicht zu entnehmen, wie bereits Dr.K ... in seinem Gutachten vom 08.07.1998 überzeugend ausgeführt hat. Auch ist den vom Kläger im Verlaufe des Verwaltungs- und Prozessverfahrens geltend gemachten Ansprüchen eine gewisse Folgerichtigkeit nicht abzusprechen. So wird der ursprünglich erhobene Anspruch auf Durchführung medizinischer Reha-Maßnahmen (offenbar in Würdigung des Umstandes, dass eine Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit nicht mehr zu erwarten ist) vom Kläger zumindest im Berufungsverfahren nicht mehr weiter verfolgt, sondern statt dessen nur noch die Bewilligung von "Invalidenrente" begehrt. Auch das vom SG als solches gedeutete Klagebegehren auf Beitragserstattung hat der Kläger (wenn überhaupt) erst nach Ablehnung seiner Rentenansprüche erhoben und in der Berufungsinstanz nicht ausdrücklich in seinen Prozessvortrag aufgenommen, obwohl das SG in dem angefochtenen Urteil eine materiell-rechtliche Prüfung nur bezüglich des Anspruchs auf Beitragserstattung vorgenommen hat. Für dieses prozessual durchaus vernünftige Verhalten mag aus der Sicht des Klägers die Überlegung maßgebend gewesen sein, dass die Durchführung der Beitragserstattung zur Auflösung des bisherigen Versicherungsverhältnisses führt und weitere Ansprüche aus den erstatteten Beiträgen ausschließt, also auch den vorrangig geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel des Klägers unter keinem Gesichtspunkt als begründet.

Ungeachtet der Frage, ob der Anspruch auf Beitragserstattung vom Kläger in der Berufungsinstanz weiter verfolgt wurde, hat das Sozialgericht in diesem Zusammenhang zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 210 SGB VI für eine Beitragserstattung nicht vorliegen, da der Kläger die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs 1 SGB VI) erfüllt hat und zur freiwilligen Versicherung berechtigt ist.

Gegen die Ablehnung der Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit (§§ 43, 44 SGB VI) hat der Kläger in der Frist des § 87 SGG kein Rechtsmittel eingelegt. Der Bescheid der Beklagten vom 29.03.1996 idF des Widerspruchsbescheides vom 17.06.1996 hat damit Bestandskraft erlangt und kann nicht mehr Gegenstand einer Überprüfung im gegenwärtigen Berufungsverfahren sein. Da der Kläger aber den Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Klageverfahren erneut geltend gemacht und das Sozialgericht dazu keine Entschiedung getroffen hat, durfte der Senat nicht als Berufungsgericht, sondern auf Klage über den streitigen Anspruch entscheiden. Die Klage gegen den genannten Bescheid war abzuweisen, da sie nicht fristgerecht bei Gericht (§ 90 SGG) oder einer sonstigen inländischen Behörde (§ 91 SGG) eingegangen ist. Der Widerspruchsbescheid vom 17.06.1996 ist am selben Tag als Einschreiben zur Post gegeben worden. Er gilt damit als am 20.06.1996, dem dritten Tag nach der Absendung, als zugestellt. Die Frist des § 87 Abs 1 SGG begann daher am 21.06.1996 zu laufen und endete am 22.07.1996, da der 20.07.1996 ein Samstag war (§ 64 Abs 3 SGG). In dieser Frist hat der Kläger kein Rechtsmittel eingelegt. Sein späteres, als Klage zu wertendes Vorbringen war als unzulässig zurückzuweisen.

Soweit der Kläger mit der Berufung die Gewährung einer vorgezogenen Altersrente ab Vollendung des 60.Lebensjahres durchsetzen möchte, ist ihm entgegen zu halten, dass über diesen Anspruch bisher keine Entscheidung des zuständigen Versicherungsträgers vorliegt. Es fehlt daher schon an einem den Kläger belastenden Verwaltungsakt, der durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden könnte. Dem Kläger steht es frei, die entsprechende Leistung unter Beachtung des § 16 SGB I zu beantragen.

Die Berufung des Klägers war demnach zurückzuweisen. Außergerichtliche Kosten gemäß § 193 SGG sind nicht zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved