L 20 RJ 181/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 4/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 181/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.01.2000, der Bescheid der Beklagten vom 16.12.1991 und der Bescheid vom 08.09.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.1999 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, die bescheinigten Versicherungszeiten des Klägers vom 01.09.1950 bis 31.03.1989 als nachgewiesen mit den vollen Tabellenwerten bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Anerkennung und Bewertung von Versicherungszeiten des Klägers in Rumänien vom 01.09.1950 bis 01.04.1989 nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Der am 1928 geborene Kläger übersiedelte am 19.08.1990 aus Rumänien in die Bundesrepublik. Er ist Inhaber des Vertriebenenausweises "A".

Mit Bescheid vom 16.12.1991 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 01.09.1991 vorgezogenes Altersruhegeld. Bei der Rentenberechnung wurden die Angaben des Klägers im Kontenklärungsverfahren und ein Auszug des vorgelegten rumänischen Arbeitsbuches, wonach der Kläger vom 01.09.1950 bis zu seiner Berentung in Rumänien (01.04.1989) als Kraftfahrer tätig war, als glaubhaft gemachte Beitragszeiten zugrundegelegt. Entsprechend der ab 01.07.1990 geltenden Fassung des § 19 Abs 2 FRG wurden für jedes Jahr der "nicht nachgewiesenen" Zeiten der Beschäftigung nur 5/6 (10 Monate als Beitragszeit) angerechnet.

Am 15.06.1998 beantragte der Kläger die Überprüfung seines Rentenvorganges auf Grund neuer Beweismittel. Zur Begründung legte er die Adeverinta der Handelsgesellschaft "C. " Nr 52 vom 22.08.1996 vor, in der für seine Beschäftigungszeit vom 01.09.1950 bis 01.08.1974 die einzelnen Jahre in tabellarischer Form mit Arbeits- und Urlaubstagen sowie Arbeitsunterbrechungen durch unbezahlten Urlaub, unentschuldigte Abwesenheit oder Krankenurlaub aufgelistet waren. Aus einer weiteren Adeverinta der Handelsgesellschaft "C." Nr 1333 vom 09.08.1996 ging hervor, dass der Kläger im Jahr 1978 fünf Tage Urlaub ohne Bezahlung genommen und im Jahr 1982 an acht Tagen Krankenurlaub hatte. Nach beiden Bescheinigungen waren die Aufstellungen entsprechend den im Archiv befindlichen Daten des Personaldossiers und den "Zahlungslisten sowie Kontrolluhren" der Gesellschaften entnommen worden.

Mit Bescheid vom 08.09.1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf Anerkennung der in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten und die Rücknahme des Bescheides vom 16.12.1991 ab. Den vorgelegten Arbeitgeberbescheinigungen könne ein zur Erbringung des erforderlichen Vollbeweises notwendiger Beweiswert nicht zuerkannt werden, da erhebliche Zweifel bestünden, ob eine lückenlose Archivierung der Personalunterlagen in Rumänien erfolgt sei, ob diese korrekt geführt wurden und ob die personelle Ausstattung der Beschäftigungsbetriebe die zeitaufwändige Durchsicht der Unterlagen überhaupt ermöglicht habe. Es sei deshalb - ungeachtet von Widersprüchen bei den für das Jahr 1976 mitgeteilten Daten - nicht zweifelsfrei feststellbar, ob die schriftlichen Darlegungen den tatsächlichen Gegebenheiten entsprächen.

Der hiergegen am 12.10.1998 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 04.01.1999).

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Nürnberg (SG) mit Urteil vom 13.01.2000 abgewiesen. Bezüglich der Zeit von 1950 bis 1974 sei eine Beitragsentrichtung lediglich glaubhaft gemacht worden. Die vom Kläger vorgelegten Arbeitsbescheinigungen der Handelsgesellschaft "C. " Nr 52 vom 22.08.1996 und der Handelsgesellschaft "C." Nr 1333 vom 09.08.1996 genügten nicht den Anforderungen an einen vollen Nachweis der geltend gemachten Beitragszeiten. Die Bescheinigung der Handelsgesellschaft "C." Nr 52 vom 22.08.1996 enthalte keine rationale Begründung dafür, weshalb der bescheinigte, dem Kläger zustehende gesetzliche und in Anspruch genommene jährliche Erholungsurlaub in nahezu jedem Beschäftigungsjahr mit unterschiedlicher Dauer angefallen sei. Die Bescheinigung der Handelsgesellschaft "C." Nr 1333 vom 09.08.1996 könne nicht erklären, warum dem Kläger zB 1976 ein gesetzlicher Urlaub von 48 Tagen, im Jahr 1980 hingegen kein Urlaub zugestanden haben soll. Darüber hinaus werde auch in mehreren Beschäftigungsjahren (zB 1975 bis 1980 und 1983) die jährlich mögliche Zahl von Werktagen erheblich überschritten. Auf Grund dieser Zweifel sei der erforderliche Nachweis iS des Fremdrentengesetzes nicht geführt worden.

Gegen das am 17.03.2000 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 03.04.2000 beim Bayer.Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Die vorgelegten Bescheinigungen nähmen auf kleinere Unterbrechungen seines Arbeitslebens keine Rücksicht. Der ihm 1976 gewährte Urlaub von 48 Tagen entspreche insgesamt 6 Wochen (6 x 8 Tage = 48 Tage). Nach dem Wechsel in eine neue Arbeitsstelle im August 1974 habe er in diesem und im Folgejahr seinen Urlaub nicht mehr nehmen können. In der Autobasis, bei der er anschließend gearbeitet habe, seien für die 30 dort stationierten Busse nur 30 Fahrer vorhanden gewesen, einer für jeden Bus. Erst zum Jahreswechsel 1976/1977 habe er seinen rückständigen und neuen Urlaub in einem Stück nehmen können, da in den Wintermonaten regelmäßig etwas weniger Arbeit angefallen sei. In dieser Zeit habe ein anderer Fahrer den Bus übernommen. 1980 sei ihm kein Urlaub gewährt worden, da er in diesem Jahr einen neuen Bus erhalten habe, für den kein Ersatzmann zur Verfügung stand.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 13.01.2000 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 16.12.1991 und 08.09.1998, letzterer in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.1999, zu verurteilen, die Beitragszeiten vom 01.09.1950 bis 01.04.1989 als nachgewiesene Beitragszeiten zu berücksichtigten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 13.01.2000 zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes = SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel ist begründet, denn die Versicherungszeiten des Klägers in Rumänien vom 01.09.1950 bis 01.04.1989 sind im Wege einer Zugunstenentscheidung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in vollem Umfang bei der Berechnung der Altersrente des Klägers zu berücksichtigen.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes (hier des Rentenbescheides vom 16.12.1991) das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X).

Bei zutreffener Würdigung der nachträglich vorgelegten Bescheinigung Nr 52 der Handelsgesellschaft "C. " vom 22.08.1996 und der Adeverinta Nr 1333 der Handelsgesellschaft "C." vom 09.08.1996 ist der Rentenbescheid vom 16.12.1991 objektiv unrichtig.

Nachweis iS des § 22 Abs 3 FRG bedeutet die Führung des vollen Beweises, der - wie in anderen Rechtsgebieten - auch im Sozialversicherungsrecht mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, soweit nicht der Kreis zulässiger Beweismittel gesetzlich eingeschränkt ist. Eine solche Beschränkung auf bestimmte Beweismittel findet aber im Rahmen der Prüfung, ob Zeiten nach §§ 15, 16 FRG nachgewiesen oder nur glaubhaft gemacht sind, nicht statt (BSGE 20, 255).

Nachgewiesen sind Zeiten nur dann, wenn mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie ohne relevante Unterbrechungen zurückgelegt sind. Dies kann angenommen werden, wenn eine Arbeitsbescheinigung nicht nur konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungs- bzw Beitragszeiten, sondern auch über dazwischenliegende Fehlzeiten enthält. Der Beweis einer (gemessen am Monatsprinzip) lückenlosen Beitragsleistung an einen nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung wird in erster Linie durch Urkunden, amtliche Auskünfte und Zeugenaussagen geführt. Dabei wird der Urkundenbeweis regelmäßig als das zuverlässigste Beweismittel gelten können. Sowohl schriftliche Urkunden als auch die von früheren Arbeitgebern ausgestellten Bescheinigungen (in Rumänien: Adeverintas) sind in der Regel geeignet, den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen zu erbringen.

Dies gilt nach Überzeugung des Senats auch für die hier maßgeblichen Adeverintas der Handelsgesellschaft "C." Nr.52 vom 22.08.1996 und der Handelsgesellschaft "C." Nr 1333 vom 09.08.1996. Diese Bescheinigungen sind erkennbar von den rumänischen Arbeitgebern des Klägers ausgestellt und der Beklagten im Original vorgelegt worden. Die Adeverintas entsprechen im vollen Umfang den Anforderungen, die der Senat schon bisher an den Nachweis rumänischer Beitragszeiten gestellt hat. Insbesondere enthalten sie Angaben über alle denkbaren, während des Arbeitslebens aufgetretenen Fehlzeiten, aufgeschlüsselt nach Jahren, Monaten und einzelnen Tagen. Es sind verteilt über den Gesamtzeitraum sowohl die effektiven Arbeitstage des Klägers wie auch die Fehlzeiten wegen Krankheit, Erholungsurlaub, unbezahlten Urlaubs und unentschuldigter Fehltage vermerkt.

Ein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit dieser Bescheinigungen besteht für den Senat nicht; es findet sich auch kein Hinweis darauf, dass die Bescheinigung zugunsten des Klägers gefälscht oder verfälscht sein könnte. Die vom Sozialgericht geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigungen teilt der Senat nicht. Auch wenn die Unterlagen auf Initiative des Klägers und auf privatem Wege nach Deutschland gelangt sind, lässt dies nicht den Schluss zu, dass sie in Rumänien von einer dazu nicht legitimierten Stelle erstellt und die betreffenden Zeiten willkürlich (ohne Zuhilfenahme der Originalbetriebsunterlagen) bestätigt worden sein könnten. Seine Urlaubstage in den Jahren 1976 und 1980 hat der Kläger schlüssig erklärt.

Die vorgenannten Adeverintas erfüllen demnach die Anforderungen an einen Nachweis der urkundlich bestätigten Versicherungszeiten. Fehlzeiten haben zur Überzeugung des Senates nur in dem Umfang vorgelegen, wie sie bescheinigt wurden.

Auf die Berufung des Klägers waren deshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rentenbescheide der Beklagten in dem zuletzt beantragten Umfang abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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