L 16 RJ 189/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 RJ 804/93
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 189/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Februar 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab Juni 1981 bis 31.12.1983. Der am ...1951 geborene Kläger hat eine kaufmännische Berufsfachschule besucht und erfolgreich beendet. Nach einer Spenglerlehre war er bis 1981 als Spengler und Dachdecker tätig. Am 18.06.1981 unternahm er im Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit ein versuchtes Tötungsdelikt gegen seine frühere Freundin. Nach der Untersuchungshaft wurde er gemäß § 63 StGB vom 13.08.1982 bis 23.12.1989 im Bezirkskrankenhaus H ... untergebracht. Am 20.01.1984 beantragte er die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente. Er stellte seine Beschäftigungen ausführlich dar und machte die Handelsschulausbildung als Ausfallzeit geltend. Eine Nachfrage beim Bezirkskrankenhaus H ... ergab, dass der Kläger weder einen Vormund noch Pfleger hatte und sein Geld selbst verwalten konnte. Mit Bescheid vom 25.08.1984 gewährte die Beklagte dem Kläger vom 01.01.1984 bis 30.06.1985 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalls am 13.08.1982 beginne die Leistung am 01.01.1984, weil der Antrag später als drei Monate nach Ablauf der 26. Woche nach Eintritt der vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit gestellt worden sei. Am 01.03.1985 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den 30.06.1985 hinaus. In der Folge eines Telefonats des Klägers mit der Beklagten entwickelte sich ein Schriftverkehr zwischen den Beteiligten über die Zahlungsmodalitäten. Nach einer Verlängerung der Zeitrente bis Juni 1986 waren auch die Weitergewährungsanträge vom 03.02.1986, 17.09.1986 und 29.01.1988 erfolgreich, so dass der Kläger bis Mai 1989 Zeitrente erhielt. Am 29.01.1988 machte der Kläger geltend, dass im Bescheid vom 25.08.1984 die Ausfallzeit nach Vollendung des 16. Lebensjahres bis zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit am 24.07.1969 nicht berücksichtigt worden sei. Im Fall der Anerkennung der 25 Monate Ausfallzeit müsse auch eine höhere Rente gewährt werden. Diesem Begehren wurde mit Bescheid vom 20.06.1988 entsprochen. Im Gerichtsverfahren wegen der Ablehnung der Weitergewährung von Rente am 14.04.1989 ließ das Sozialgericht München ein Gutachten durch den Neurologen und Psychiater Dr.P ... erstellen. Dieser stellte am 08.10.1991 Persönlichkeitsstörungen und eine neurotische Fehlentwicklung jeweils mittleren bis ausgeprägten Schweregrades fest und verneinte eine vollschichtige Leistungsfähigkeit wegen erheblicher Abweichungen im Bereich der Affektivität. Mit Bescheid vom 24.03.1992 bewilligte die Beklagte Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer ab 01.06.1989 und legte als Versicherungsfall den 13.08.1982 zugrunde. Mit Schreiben vom 16.02.1992 beantragte der Kläger, ihm die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 18.06.1981 bis 31.12.1983 nachzuzahlen, da der Versicherungsfall bereits am 18.06.1981 eingetreten sei. Er beantragte vorsorglich die Wiedereinsetzung in den alten Stand, weil er durch Krankheit bis einschließlich heute außerstande gewesen sei, seine Rechte zu sehen und geltend zu machen. Er habe bereits im Herbst 1982 aus dem Bezirkskrankenhaus H ... heraus versucht, einen Rentenantrag zu stellen, sei aber von der damals zuständigen Sozialarbeiterin und dem zuständigen Stationsarzt irre geleitet worden, weil behauptet worden sei, dass er nicht erwerbsunfähig sei. Der Rentenantrag von 1984 sei mit Hilfe eines Mitpatienten erstellt worden. Durch den den psychischen und seelischen Stress im Bezirkskrankenhaus H ... sei er außerstande gewesen, rechtzeitig sein Recht in vollem Umfang zu verlangen. Die Beklagte lehnte den Antrag vom 08.04.1992 mit der Begründung ab, eine Pflegerbestellung sei nach Rücksprache beim Bezirkskrankenhaus H ... nicht angezeigt gewesen. Das Fehlverhalten des Personals des Bezirkskrankenhauses könne nicht zugerechnet werden und im übrigen sei eine Nachzahlung wegen § 44 Abs.4 SGB X ausgeschlossen. Den Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 01.07.1993 zurück. Der Kläger sei voll geschäftsfähig gewesen. Er habe während seines Aufenthalts in H ... die Meisterprüfung im Klempnerhandwerk, die Prüfung als Betriebswirt des Handwerks und nach der Entlassung eine von der Beklagten finanzierte Weiterbildungsmaßnahme am 11.08.1990 mit der Meisterprüfung im Dachdeckerhandwerk abgeschlossen. Der vom Kläger persönlich gestellte Reha-Antrag vom Dezember 1986 ist durch ihn selbst im Klageverfahren weiterverfolgt worden. Gegen den Bescheid vom 08.04.1992 erhob der Kläger am 11.07.1993 Klage und machte geltend, allein schon die Verwahrung im Bezirkskrankenhaus H ... spreche dafür, dass er nicht geschäftsfähig gewesen sei. Er verwies auf ein nervenärztliches Gutachten des Dr.W ... vom 02.04.1982, das sich mit der strafrechtlichen Schuldfähigkeit im Rahmen des Strafverfahrens und des § 63 StGB befasste. Das Amtsgericht München hat dem Kläger am 16.06.1993 zur Vertretung im Rechtsstreit gegen seinen Vater aufgrund eines Gutachtens Dr.Sch ... vom 06.05.1993 einen Betreuer bestellt. Der Sachverständige hielt eine Vertretung im Rechtsstreit für erforderlich, weil durch das Verfahren eine spezielle Vater-Sohn-Problematik berührt werde. Zum gleichen Ergebnis kam der Psychiater Prof.Dr.G ... in seinem Gutachten vom 14.09.1994, das im Auftrag des Landgerichts Darmstadt erstellt worden ist und ein Gutachten des Psychologen Dr.Gu ... vom 10.09.1994 berücksichtigte. Vom 24.07.1995 bis 28.11.1995 wurde der Kläger im Fachkrankenhaus B ... stationär behandelt. Gestützt auf die Untersuchungen während dieses Aufenthalts erstellte Prof.Dr.St ..., Ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses B ..., gemäß § 109 SGG am 22.12.1995 ein Gutachten. Er diagnostizierte eine schizoide Persönlichkeitsstörung, die es dem Kläger im Zeitraum von Juni 1981 bis Dezember 1983 nicht möglich gemacht habe, die Belange der gesetzlichen Rentenversicherung oder den allgemeinen Bereich von Sozialleistungen richtig zu erfassen. Für diesen Bereich sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine Willensbestimmung ausgeschlossen gewesen. Mit Sicherheit sei er nicht ausreichend geschäftsfähig gewesen. Der Beklagten erschien die Beweisführung im Gutachten des Dr.St ... nicht schlüssig, da vor allem die positive Beweisführung fehle. Das Unterlassen der Antragstellung genüge nicht. Das Sozialgericht München wies die Klage am 13.02.1998 ab. Selbst wenn der Bescheid vom 25.08.1984 als rechtswidrig zurückzunehmen wäre, wäre eine Nachzahlung gemäß § 44 Abs.4 SGB X im Hinblick auf die späte Antragstellung 1992 ausgeschlossen. Eine Wiedereinsetzung gemäß § 27 SGB X sei nicht zu gewähren, da der Kläger nicht durch Geschäftsunfähigkeit gehindert gewesen sei, einen Rentenantrag zu stellen. Die Auffassung von Prof.St ... sei nicht plausibel, weil laut Gutachten von Dr.G ... und Dr.Gu ... der Kläger nur im Bereich emotionaler, zwischenmenschlicher Beziehungen schwer beeinträchtigt sei. Der Kläger trage selbst vor, er habe bereits 1982 einen Rentenantrag stellen wollen, was beweise, dass er nicht durch seine innere Situation daran gehindert war. Zudem gelte der Ausschluss einer Nachzahlung von Sozialleistungen für einen mehr als vier Jahre zurückliegenden Zeitraum auch für die nachträgliche Leistungsgewährung infolge eines Herstellungsanspruchs. Gegen das am 14.08.1998 zugestellte Urteil legte der Kläger am 14.08.1998 Berufung ein. Wegen Geschäftsunfähigkeit sei er außerstande gewesen, rechtzeitig den Antrag gemäß § 1290 RVO zu stellen. Dem beigezogenen Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses H ... vom 27.12.1988 ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Dezember 1986 auf der "halboffenen" Station für strafrechtlich untergebrachte Personen behandelt worden ist. Im Auftrag des Gerichts erstellte der Neurologe und Psychiater Dr.K ... am 01.02.1999 ein Gutachten nach Aktenlage. Seines Erachtens ergeben sich aus dem Gutachten von Prof.St ... keinerlei plausible Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Zeitraum von 1981 bis 1984 für den Bereich der Rentenversicherung geschäftsunfähig gewesen sei. Es lägen keine Gründe dafür vor, dass der Kläger in diesem Zeitraum bzw. im Zeitraum vom 01.01.1984 bis 16.02.1992 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gewesen sei. Von Klägerseite wurde das Gutachten als methodisch unzureichend bemängelt. Verwiesen wurde auf ein Attest des seit 1989 behandelnden Arztes Dr.Ku ... Nachdem Dr.K ... in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.1999 keinerlei Anlass zur Änderung seiner Beurteilung gesehen hatte, wurde gemäß § 109 SGG erneut Prof.Dr.St ... gehört. Dieser führte in seinem Gutachten vom 20.11.2000 aus, die am 18.06.1981 vorliegende psychische Krankheit sei so schwer gewesen, dass eine partielle Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit vorgelegen haben könnte beim Beantragen von Renten- und Krankenversicherungsmaßnahmen. Anknüpfungstatsachen seien die schwere psychische Erkrankung, die schweren psychosozialen Umgebungseinflüsse und die extreme Abneigung des Klägers gegenüber Verwaltungsakten. Seine eigene Spekulation werde durch die Ausführungen des Dr.W ... gestützt. Der von Prof.G ... geschilderte Vaterkonflikt mit verbundener partieller Geschäftsunfähigkeit könne sich auch übertragenderweise auf ganz andere Gebiete ausweiten. Dieser Generalisierungseffekt sei oft anzutreffen. Im vorliegenden Fall sei die Wahrscheinlichkeit außerordentlich hoch, weil sich der Kläger in einer Maßregelvollzugseinrichtung und damit in einer totalen Abhängigkeit befunden habe, was ihn in seiner Aggressivität gegenüber allem Verwaltungstechnischen verstärkt unterstützt habe. Durch den Maßregelvollzug sei es durchaus möglich, ohne dass man einen Beweis führen könne, dass die Handlungsfähigkeit massiv gestört war. Diese Unfähigkeit sei höchstwahrscheinlich gegeben gewesen. Die Beklagte sah nach wie vor keinen Beleg dafür, dass eine Wahrnehmung von Versorgungsaspekten im rentenrelevanten Zeitraum nicht möglich war.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.02.1998 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 08.04.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.07.1993 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 18.06.1981 bis 31.12.1983 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger hat den bis 31.12.1999 zuständigen Berichterstatter Spiegl wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil dieser Dr.K ... zum Gutachter bestellt hatte. Mit Beschluss vom 02.07.1999 hat der 16. Senat das Gesuch mit der Begründung zurückgewiesen, Dr.K ... sei wegen seiner bekannten fachlichen Qualifikation berufen worden. Am 09.05.2001 stellte der Kläger gegen die drei planmäßigen Richter des 16. Senats einen Befangenheitsantrag und begründete ihn damit, Dr.K ... sei der Hausgutachter des Bayer. Landessozialgerichts und dessen Gutachten unrichtig. Mit Beschluss vom 11.05.2001 hat der 16. Senat in seiner Vertretungsbesetzung die Ablehnungsgesuche als unbegründet zurückgewiesen. Keiner der Richter - soweit überhaupt an der anstehenden Entscheidung beteiligt - begründe die Besorgnis, nicht unparteiisch über die Wertung des strittigen Gutachtens zu entscheiden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München, der Berufungsakten sowie der Akten der Staatsanwaltschaft Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.02.1998 ist im Ergebnis ebenso wenig zu beanstanden, wie der Bescheid der Beklagten vom 08.04.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom vom 01.07.1993. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 18.06.1981 bis 31.12.1983. Ausgangspunkt der rechtlichen Würdigung ist der Umfang der Bestandskraft des ersten rentenbewilligenden Bescheids vom 25.08.1984. Darin ist dem Kläger unter Zugrundelegung des Eintritts des Versicherungsfalls am 13.08.1982 Rente ab 01.01.1984 bewilligt worden. Vorausgegangen war der Antrag des Klägers vom 20.01.1984. Zum Leistungsbeginn wurde ausgeführt, die Rente beginne am 01.01.1984, weil der Antrag später als drei Monate nach Ablauf der 26. Woche nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit gestellt worden sei (§ 1290 Abs.2 RVO). Dieser Bescheid ist in Abänderung durch den Bescheid vom 20.06.1988 als Leistungsgrundlage für die Rente bis 30.06.1985 rechtsverbindlich. Die Bestandskraft des Verwaltungsaktes im Sinn des § 39 SGB X erstreckt sich bei Rentenbescheiden der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich auf den Verfügungssatz, d.h. die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe der Rente (BSGE vom 26.06.1990 in SozR 3-1500 § 77 Nr.1 m.w.N.). Mit dem Bescheid vom 25.08.1984 ist daher rechtsverbindlich geregelt worden, dass dem Kläger vor dem 01.01.1984, also im strittigen Zeitraum, keine Rente zusteht. Dieser Bescheid ist mit seiner Bekanntgabe an den Kläger wirksam geworden. Der Senat hegt keinen Zweifel, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Übermittlung des Rentenbescheids Ende August 1984 handlungsfähig im Sinne des § 11 SGB X gewesen ist. Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen sind natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht geschäftsfähig sind. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt partiell geschäftsunfähig gewesen ist, wie dies Prof.Dr.St ... für den Zeitraum von Juni 1981 bis Dezember 1983 in seinem Gutachten vom 22.12.1995 behauptet. Tatsächlich hatte der Kläger ja im Januar 1984 einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente gestellt, die hierfür erforderlichen Formblätter ausgefüllt und darüber hinaus sachkundig einen Antrag auf Anerkennung einer Ausfallzeit gestellt. Auch wenn dies unter Mithilfe eines Mitpatienten geschehen ist, wie dies vom Kläger behauptet wird, ändert dies nichts an der Tatsache, dass der Kläger Mittel und Wege gefunden hat, seine Rechte gegenüber der Beklagten wahrzunehmen. Auch die in der Folgezeit bis 1992 gestellten Anträge und vom Kläger selbst betriebenen Verfahren gegen die Beklagte belegen, dass er sich mit seinen Ansprüchen gegenüber dem Rentenversicherungsträger befassen konnte. Damit folgt der Senat im Ergebnis den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr.K ..., der sämtliche vorhandene Vorbefunde sorgfältig gewürdigt und seine Ausführungen schlüssig begründet hat. Bei ihm handelt es sich um einen durch langjährige Erfahrung im Bereich der bayerischen Sozialgerichtsbarkeit versierten Sachverständigen, der die Einwände des Klägerbevollmächtigten bzw. des Klägers gegen sein Gutachten vom 01.02.1999 überzeugend zurückgewiesen hat. Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es letztlich nicht auf die korrekte diagnostische Einordnung der Persönlichkeitsstörung an. Die tatsächliche Auseinandersetzung des Klägers mit der Beklagten hat vielmehr eine so starke Indizwirkung, dass Zweifel an der Geschäftsfähigkeit in Rentenangelegenheiten jedenfalls im maßgeblichen Zeitraum ab August 1984 nicht angebracht sind. Wenn es demgegenüber im Attest des Dr.Ku ... heißt, der Kläger sei nach dem 29.08.1990 unfähig gewesen, seine Geschäftsinteressen in vollem Umfang wahrzunehmen, so betrifft diese Aussage nur einen eingegrenzten Zeitraum und basiert auf einer falschen Diagnose. Von einer endogenen psychischen Erkrankung spricht auch Prof.Dr.St ... nicht. Dessen Ausführungen in dem Gutachten vom 20.11.2000 können durchaus dahin verstanden werden, dass er die auf die Rentenversicherung bezogene partielle Geschäftsunfähigkeit bis zum Ende des Maßregelvollzugs 1988 bejaht. Anschließen kann sich der Senat dieser Beurteilung deshalb nicht, weil der gemäß § 109 gehörte Sachverständige im Gegensatz zu seinen Ausführungen im Klageverfahren die dort vermittelte Sicherheit der Überzeugung nicht wiederholt. Mehrmals ist in der ergänzenden Stellungnahme vom 20.11.2000 von Spekulation und Möglichkeit die Rede, und häufig verwendet er im Zusammenhang mit der Übertragung der mit dem Vaterkonflikt verbundenen partiellen Geschäftsunfähigkeit auf die Verhältnisse im Maßregelvollzug den Konjunktiv. Hinzu kommt, dass er als Anknüpfungstatsachen bezüglich der partiellen Geschäftsunfähigkeit neben der schweren psychischen Erkrankung und der schweren psychosozialen Umgebungseinflüsse die extreme Abneigung des Klägers gegenüber Verwaltungsakten und Verwaltungsaktivitäten nennt. Dies sind aber keine Tatsachen, die im strittigen Zeitraum bis August 1984 festgehalten worden wären, sondern dies sind Tatsachen, die erstmals in der Anamnese zum Gutachten des Sachverständigen von 1995 auftauchen. Angesichts der eindeutigen Interessen des Klägers, die auch im Entlassungsbericht des Fachkrankenhauses B ... vom 12. September 1996 deutlich werden, erscheinen dessen Angaben wenig tragfähig. Jedenfalls ergeben sich weder aus dem Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses H ... noch aus den Akten der Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine große Abneigung gegen alles hatte, was mit Formularen, Beantragung etc. zu tun hatte. Beispielsweise hat er sich wiederholt 1982 handschriftlich bei der Staatsanwaltschaft um die Herausgabe von ihm gehörenden Gegenständen bemüht. Die übrigen nervenärztlichen Befunde und Gutachten, insbesondere das Gutachten von Dr.P ... und von Prof.Dr.G ..., die sich ebenfalls recht konkret mit der seelischen Störung des Klägers beschäftigen, enthalten keine Hinweise dafür, dass eine partielle Geschäftsunfähigkeit betreffend die Rentenangelegenheiten hätte angenommen werden können. Ebenso wenig finden sich im Gutachten des Dr.W ... Anhaltspunkte dafür, dass sich Defektleistungen im Zusammenhang mit der unstreitig schweren psychischen Erkrankung auf Rentenangelegenheiten erstrecken.

Angesichts der Bestandskraft des Bescheids vom 25.08.1984 ist für das Leistungsbegehren des Klägers maßgeblich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 SGB X erfüllt sind. Von vornherein kein Überprüfungsanspruch besteht allerdings, wenn die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts keine Auswirkungen mehr haben kann, z.B. wegen Ablaufs der Vierjahresfrist des § 44 Abs.4 (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X Rdz.6). Danach werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn der rechtswidrige Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs.4 SGB X). Den Antrag auf Rücknahme des Bescheides von 1984 hat der Kläger aber erst 1992 gestellt. Zwar soll mit § 44 SGB X die materielle Gerechtigkeit zugunsten des Bürgers auf Kosten der Bindungswirkung von zu seinen Ungunsten ergangenen Verwaltungsakten weitgehend verwirklicht werden, nicht jedoch ist damit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei versäumten Rechtsmittelfristen bezweckt. Der Kläger hat seinen Überprüfungsantrag erst 1992 gestellt. Selbst bei Annahme einer Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids von 1984 ist damit eine Nachzahlung für Zeiten vor dem 01.01.1988 ausgeschlossen. Es kann daher ungeprüft bleiben, ob der Kläger im Zeitraum vom 10.07.1981 bis 31.12.1983 partiell geschäftsunfähig gewesen ist und deswegen die Dreimonatsfrist des § 1290 Abs.2 in entsprechender Anwendung des § 206 Abs.1 BGB bis zum Wiedereintritt der Geschäftsfähigkeit im Januar 1984 (Datum der Antragstellung) gehemmt war. Für die Antragsfrist des § 1290 Abs.2 RVO ist die Hemmung des Fristablaufs bei Geschäftsunfähigkeit in entsprechender Anwendung des § 206 Abs.1 BGB anerkannt (BSGE vom 08.09.1983, Az.: 5b RJ 56/82). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erscheint schon im Hinblick auf das Verstreichen der Einjahresfrist des § 27 Abs.3 SGB X nach Wegfall des Hindernisses der fiktiven Geschäftsunfähigkeit Ende 1983 ausgeschlossen. Im Hinblick auf § 44 Abs.4 SGB X ist auch nicht im Einzelnen zu prüfen, ob im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine bislang nicht verbeschiedene Antragstellung aus dem Jahr 1981 oder 1982 fingiert werden kann. Zu denken wäre daran, weil der Kläger geltend macht, durch Fehler der Bediensteten des Bezirkskrankenhauses H ... an einer früheren Rentenantragstellung gehindert worden zu sein. § 44 Abs.4 SGB X gilt auch in Fällen, in denen die rückwirkende Gewährung vorenthaltener Leistungen auf einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beruht (BSGE vom 21. Januar 1987 in SozR 1300 § 44 Nr.25). Sachlich rechtfertigende Gründe hierfür sind darin zu sehen, dass Sozialleistungen im Wesentlichen dem laufenden Unterhalt des Berechtigten dienen sollen und dass die Leistungsträger ein schutzwürdiges Interesse an einer Überschaubarkeit ihrer Leistungsverpflichtungen haben. Das Bundessozialgericht ist mit seiner Entscheidung vom 28. Januar 1999 (SozR 3-1200 § 14 Nr.26) sogar noch weiter gegangen, als es eine nachträgliche Leistungsverpflichtung auch für den Fall ausgeschlossen hat, dass die Versäumung der Frist des § 44 Abs.4 SGB X auf einem Fehlverhalten der Verwaltung beruht. Auch wenn der Kläger im Wege des Herstellungsanspruchs so gestellt werden müsste, dass sein erst 1992 gestellter Zugunstenantrag bereits als 1985 gestellt gilt, führt dies nicht dazu, dass ihm Leistungen rückwirkend ab 1981 zu gewähren wären. Denn es ist, wie das Bundessozialgericht bereits geklärt hat, auf den Herstellungsanspruch die eine rückwirkende Leistungsverpflichtung begrenzende Leistungsverpflichtung des § 44 Abs.4 SGB X entsprechend anwendbar, so dass hier eine nachträgliche Leistung für die Zeit vor 1988 nicht mehr in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved