Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 1094/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 216/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.03.2001 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 06.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.1998 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Die am 1974 geborene Klägerin hat eine am 01.09.1992 begonnene Lehre als Bäckereifachverkäuferin am 30.09.1993 abgebrochen. Anschließend arbeitete sie bis 15.12.1994 versicherungspflichtig; danach war sie krank und arbeitslos (Bezug von Arbeitslosenhilfe bis 30.05.1998). Seit November 1994 sind durch Bescheid des AVF Nürnberg ein GdB von 70 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G und RF anerkannt. Ab 06.11.1998 beträgt der GdB 90 (Bescheid vom 12.04.1999).
Wegen einer (seit dem 6.Lebensjahr bekannten) Augenkrankheit ("Retinitis pigmentosa") beantragte die Klägerin am 23.06.1998 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte nahm die Unterlagen des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Weißenburg und die Unterlagen des Allgemeinmediziners Dr.M. bei und ließ die Klägerin durch den Sozialmediziner Dr.H. untersuchen, der im Gutachten vom 29.07.1998 leichte bis mittelschwere Arbeiten für möglich hielt. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Näherin könne nicht mehr verrichtet werden; denkbar seien aber sich wiederholende Arbeitsverrichtungen (zB Kontrolle großer Werkstücke) sowie Arbeiten an Bildschirmgeräten oder ähnliches. Gleichzeitig empfahl Dr.H. die Ausbildung in einem Beruf für Sehbehinderte. Im Anschluss an dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 06.08.1998 und Widerspruchsbescheid vom 09.11.1998 mit der Begründung ab, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten ohne Nachtschicht vollschichtig verrichten.
Das Sozialgericht Nürnberg (SG) hat Befundberichte des Neurologen und Psychiaters Dr.K. sowie des Allgemeinmediziners Dr.M. (Augenbefund rechts 0,2 - links 0,05) zum Verfahren beigezogen und die Klägerin durch den Augenarzt Dr.H. untersuchen lassen. Dieser hat im Gutachten vom 25.07.2000 festgestellt, während der letzten Jahre sei ein nur relativ langsames Fortschreiten der Erkrankung zu erkennen. Eine massive Einschränkung des Gesichtsfeldes liege noch nicht vor. Die Klägerin sei weiterhin in der Lage, Tätigkeiten für Sehbehinderte auszuführen. Generell ausgeschlossen seien Tätigkeiten, die gutes Sehvermögen oder das Führen eines Kfz erfordern. Wegen des eingeschränkten Gesichtsfeldes scheide ein Arbeitseinsatz auf Leitern, Gerüsten, Podesten und an laufenden Maschinen aus. Wegen Störung der Dunkelanpassung seien ferner Tätigkeiten bei schwierigen bzw reduzierten, stark wechselnden Beleuchtungsverhältnissen nicht zumutbar. In ihrer Wegefähigkeit sei die Klägerin insofern eingeschränkt, als sie (bei Dunkelheit oder Dämmerung) Arbeitsplätze nicht erreichen könne und ihr das Führen von Kraftfahrzeugen nicht möglich sei; auch vom Radfahren müsse ihr abgeraten werden.
Ausgehend von der Einschätzung Dr.H. , dass die Klägerin bei Dunkelheit oder Dämmerung nicht mehr in der Lage sei, einen Arbeitsplatz ohne Begleitung zu erreichen, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.12.2000 die Übernahme der Beförderungskosten für erforderliche Vorstellungs-/Bewerbungsgespräche bei einem künftigen Arbeitgeber zugesagt. Wegen des Grundsatzes "Rehabilitation vor Rente" bestehe auf Grund der eingeschränkten Wegefähigkeit kein Anspruch auf Rente. Weiter erklärte sich die Beklagte bereit, im Falle der Aufnahme einer Beschäftigung Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) zu gewähren. Ein Zuschuss für die Beförderung komme ferner dann in Betracht, wenn ein Kraftfahrzeug nicht selbst geführt werden könne und auch nicht gewährleistet sei, dass ein Dritter das Kraftfahrzeug führt oder die Übernahme der Beförderungskosten anstelle von Kfz-Hilfe wirtschaftlicher und für die Klägerin zumutbar ist.
Mit Urteil vom 08.03.2001 hat das SG die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab 01.07.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zu gewähren. Die Beklagte habe versäumt, der Klägerin eine konkrete, ihrem Restleistungsvermögen entsprechende Tätigkeit zu benennen. Der Arbeitsmarkt sei der Klägerin praktisch verschlossen, da sie gehindert sei, von ihrer Wohnung aus entsprechende Arbeitsplätze aufzusuchen. Die Zusage der Beklagten stelle keine geeignete Maßnahme für eine dauerhafte Wiedereingliederung in das Erwerbsleben dar. Erforderlich seien konkrete Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes, welche hier weder eingeleitet noch angeboten worden seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, auch bezüglich einer eingeschränkten Wegefähigkeit gelte der Grundsatz "Reha vor Rente". Bei ihrem Angebot handle es sich um die verbindliche Zusage von Leistungen. Eine zeitliche Befristung ergebe sich aus den Kfz-Hilfe-Richtlinien nicht; denn bei Bedarf würden die Leistungen jeweils um zwei weitere Jahre verlängert. Im Übrigen sei durchaus schon die Einleitung beruflicher Reha-Maßnahmen erfolgt. Das damals zuständige Arbeitsamt Ansbach habe bereits im Januar 1995 ein psychologisches Gutachten erstellen lassen. Allein wegen fehlender Motivation und aus privaten Gründen (Ablehnung einer auswärtigen internatsmäßigen Unterbringung) sei die Maßnahme unterblieben und das Reha-Verfahren abgeschlossen worden (Verzichtserklärung der Klägerin vom 02.04.1998 gegenüber dem Arbeitsamt). Da die Klägerin seit November 1999 ein Kind zu erziehen habe, sei auch kein weiterer Reha-Antrag erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 08.03.2001 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 06.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.1998 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 08.03.2001 zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung ihres Antrags macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, bei Blinden sei generell, also selbst dann von Wegeunfähigkeit auszugehen, wenn sie einen Blindenberuf erlernt haben. Ebenso stehe ihr ein Arbeitsplatz nicht zur Verfügung; ein solcher sei auch nicht ersichtlich. Das frühere Reha-Verfahren sei von der Beklagten nicht wieder aufgenommen worden. Es sei deshalb unzulässig, wenn die Beklagte nunmehr vortrage, sie (die Klägerin) habe Reha-Leistungen ohne hinreichenden Grund abgelehnt. Die dem Arbeitsamt gegenüber abgegebene Verzichtserklärung vom 02.04.1998 sei drei Jahre nach Erstellung des Gutachtens im Reha-Verfahren unterschrieben worden, ohne dass substantiell an dem Problem gearbeitet worden wäre. Das SG habe im Ergebnis zu Recht auf Zuerkennung der EU-Rente entschieden.
Mit Beschluss vom 15.10.2001 hat der Senat die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil ausgesetzt. Zur ergänzenden Sachaufklärung wurde ein Befundbericht des Augenarztes Dr.R. vom 08.04.2002 beigezogen. Er hat die Klägerin bis 1999 behandelt. Die Sehfähigkeit betrug zuletzt (mit Korrektur): rechts 0,4, links 0,3.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die beigezogenen Unterlagen der Beklagten, die Leistungsunterlagen des Arbeitsamtes Weißenburg i.B. und die Streitakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel auch als begründet. Auf den Antrag der Beklagten war das angefochtene Urteil vom 08.03.2001 aufzuheben, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Ein solcher Anspruch steht der Klägerin weder nach dem bis 31.12.2000 geltenden und für Leistungsfälle vor dem 01.12.2000 weiter anzuwendenden Recht (§§ 300 Abs 1, 302 b Abs 1 SGB VI, letzterer in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des EM-Reformgesetzes vom 20.12.2000 - BGBl I S 1835 -, iVm §§ 43, 44 SGB VI idF bis 31.12.2000) noch für die Zeit ab 01.01.2001 nach den §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 gültigen Fassung zu.
Nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung des § 44 Abs 1 SGB VI erhalten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) Versicherte, die erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der EU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Was die so genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des streitigen Anspruchs angeht, fordert das Gesetz sowohl für die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit als auch für den Nachweis von "drei Jahren Pflichtbeiträgen in den letzten fünf Jahren", dass die entsprechenden Versicherungszeiten vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (EU) zurückgelegt sind. Dies macht es notwendig, zunächst den Versicherungsfall (VF) der EU zu bestimmen. Das SG hat sich insoweit nicht eindeutig festgelegt. So wird auf Seiten 7 und 8 der Urteilsgründe in diesem Zusammenhang ausgeführt, bei der Klägerin liege ein (von der Rechtsprechung anerkannter) Ausnahmefall von dem gesetzlich normierten Grundsatz vor, dass vollschichtiges Leistungsvermögen - unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage - EU ausschließt (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI), weil sie auf Grund der Auswirkungen ihres Augenleidens seit November 1995 für die (nach Auffassung der Kammer unabdingbar auch bei Dämmerung oder Dunkelheit anfallenden) Arbeitswege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz eine Begleitperson benötige und ihr deshalb der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen sei. Abweichend davon wird auf Seite 11 des schriftlichen Urteils festgestellt, dass die Klägerin aus den genannten (gesundheitlichen) Gründen seit 23.06.1998 erwerbsunfähig ist. Im ersteren Falle (EU seit November 1995) fehlt es bereits an der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit, weil die Klägerin nach dem aktenkundigen und unbestrittenen Versicherungsverlauf vom 04.01.1999 erst im September 1992 (mit Beginn ihrer Lehre als Bäckereifachverkäuferin) in die gesetzliche Rentenversicherung eingetreten ist und bis Oktober 1995 lediglich 32 Pflichtbeiträge zurückgelegt hatte. Die allgemeine Wartezeit für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beträgt aber nach § 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI fünf Jahre und kann gemäß §§ 51, 55 SGB VI nur mit Beitragszeiten erfüllt werden.
Ist dagegen bei der Klägerin EU erst am 23.06.1998 (= Rentenantrag) eingetreten, hat das SG zu Recht beide versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen (§ 44 Abs 1 Nrn 1 u n d 2 SGB VI) als erfüllt angesehen. Zwar wurden für die Klägerin seit 01.01.1995 nur noch Pflichtbeiträge auf Grund des Bezugs von Arbeitslosengeld bzw Arbeitslosenhilfe entrichtet; diese stehen jedoch nach § 44 Abs 1 Satz 2 iVm § 38 Satz 2 Nr 2 SGB VI (beide in der ab 01.01.1996 geltenden Fassung des SGB-VI-Änderungsgesetzes vom 15.12.1995 - BGBl I S 1824 -) sowie nach der in § 38 in Bezug genommenen Bestimmung des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI den Pflichtbeiträgen für eine "versicherte Beschäftigung" gleich.
Selbst wenn die nach Auffassung des SG maßgebliche Leistungseinschränkung bei der Klägerin erst im Zeitpunkt der Rentenantragstellung eingetreten ist, liegt EU im Sinne des § 44 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 SGB VI noch nicht vor. Nach den im Renten- und Klageverfahren erhobenen Befunden ist davon auszugehen - darüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit -, dass die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist, Tätigkeiten von täglich acht Stunden nachgehen kann. Der vom SG gehörte Sachverständige Dr.H. hat dazu ausgeführt, dass die Klägerin beispielsweise noch in der Lage ist, Tätigkeiten in einer Küche (bei der Lebensmittelzubereitung), in der Kinderpflege sowie als Hauswirtschafterin zu verrichten, ebenso Tätigkeiten in der Landwirtschaft, im Gartenbau und in der Floristik. Dr.H. stützt sich dabei auf die Ergebnisse seiner eingehenden klinischen und apparatemedizinischen Untersuchungen der Sehschärfe für die Ferne und im Nahbereich (unter Einbeziehung bestehender Korrekturmöglichkeiten), der Augenstellung (räumliches Sehen), des Farbsehens, der Konvergenz und Motilität sowie des Gesichtsfeldes und gelangte insgesamt zu dem Ergebnis, dass die diagnostisch gesicherte Erkrankung aus dem Formenkreis der Retinitis pigmentosa noch zu keiner massiven Einschränkung geführt habe, auf lange Sicht aber mit einer Verschlechterung zu rechnen sei. Nicht zumutbar sind der Klägerin schon jetzt Arbeiten, die gutes Sehvermögen verlangen oder die Führung eines Kfz erfordern. Wegen des eingeschränkten Gesichtsfeldes ist der Einsatz auf Leitern, Gerüsten, Podesten und an laufenden Maschinen nicht möglich. Die im Wesentlichen anamnestisch (durch Befragen der Klägerin und ihrer Schwiegermutter) festgestellte Störung der Dunkelanpassung steht einem Arbeitseinsatz unter schwierigen oder reduzierten, stark wechselnden Beleuchtungsverhältnissen entgegen. Damit steht fest, dass die Klägerin bei Beachtung der von Dr.H. geforderten Einschränkungen - im Hinblick auf den jetzt vorliegenden Augenbefund - vollschichtig einsatzfähig ist.
Auch die teilweise eingeschränkte "Wegefähigkeit", die nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein Teil der Erwerbsfähigkeit ist, führt unter den gegebenen Umständen und selbst auf der Grundlage des vom SG angenommenen Leistungsfalles nicht zur Annahme einer seit Juni 1998 durchgehend bestehenden EU der Klägerin. Deren Fähigkeit, eine Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel oder einen Arbeitsplatz zu Fuß zu erreichen, ist nach den Ermittlungen des SG dahingehend eingeschränkt, dass sie bei Dämmerung oder Dunkelheit die notwendigen Gehstrecken nicht alleine, dh ohne Begleitung zurücklegen kann. Ebenso wie körperliche Gesundheitsstörungen, welche die Mobilität des Versicherten unmittelbar einschränken (zB massive Beindurchblutungsstörungen, Querschnittslähmung, Verlust beider Beine, exzessives Übergewicht uä), können - wie das SG zutreffend erkannt hat - auch Sehbeeinträchtigungen, wie sie bei der Klägerin vorliegen bzw bei fortschreitender Entwicklung zu befürchten sind, wegen der damit verbundenen Orientierungsstörungen eine so weitgehende Leistungseinschränkung bedeuten, dass sie der Klägerin die Erreichung eines Arbeitsplatzes unzumutbar machen. Bei dem nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1247 Nr 56) anzuwendenden generalisierenden Maßstab hätte dies in der Regel EU im Sinne des Gesetzes zur Folge. Etwas anderes gilt nur, wenn der Versicherte einen Arbeitsplatz inne hat, der die zumutbaren Wegebedingungen aufweist oder mit einem vorhandenen Kraftfahrzeug erreichbar ist oder wenn ihm ein solcher Arbeitsplatz tatsächlich angeboten wird oder der Versicherungsträger diesbezügliche Leistungen zur Reha anbietet (BSG in SozR 3-2600 § 44 Nr 10).
Ungeachtet der Frage, ob auf einem bekannten, über längere Zeit eingeübten Arbeitsweg (bei Dämmerung oder Dunkelheit) überhaupt eine Orientierungshilfe durch Begleitpersonen erforderlich ist, liegt der zuletzt genannte Ausnahmefall bei der Klägerin vor, da ihr die Beklagte nach Auffassung des Senats mit dem an das SG gerichteten Schriftsatz vom 21.12.2000 geeignete Rehabilitationsleistungen angeboten hat. Damit steht einer Rentenzahlung wegen EU der Grundsatz "Reha vor Rente" entgegen (§ 7 Reha-Angleichungsgesetz, § 9 Abs 1 S 1 SGB VI in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung). Das von der Beklagten im Klageverfahren abgegebene Angebot von Rehabilitationsleistungen entspricht den vom BSG (aaO) aufgestellten Kriterien und reicht aus, die durch die eingeschränkte Wegefähigkeit der Klägerin bedingte Erwerbsminderung auszugleichen. Denn ihr war nicht nur die Übernahme der Beförderungskosten für erforderliche Vorstellungs-/Bewerbungsgespräche bei einem künftigen Arbeitgeber, sondern für den Fall der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses auch Leistungen zur Erreichung dieses Arbeitsplatzes nach der Kfz-HV angeboten; dazu gehörten auch Zuschüsse zum Transport durch Beförderungsdienste, soweit die Klägerin ein Kraftfahrzeug nicht selbst führen oder durch einen Dritten führen lassen könne. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, bei ihrem "Angebot" handle es sich bereits um die verbindliche Bewilligung der Leistungen und nicht lediglich um eine Prüfungszusage. Insgesamt entspricht das Angebot der Beklagten den Anforderungen, welche die Rechtsprechung an die konkrete und verbindliche Zusage solcher Leistungen stellt, weshalb zumindest seit September 2001 (wegen des Vorrangs der Rehabilitation vor von Rentenleistungen) bei der Klägerin EU nicht (mehr) vorliegt.
Ob das Angebot der Beklagten auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung zurückreicht oder entsprechende Rechtswirkungen (im Sinne des Wegfalls einer schweren Leistungseinschränkung durch Eröffnung der Möglichkeit, auch in größerer Entfernung als 500 Meter von der eigenen Wohnung eine Arbeitsstelle aufzusuchen) erst mit Zugang des Schriftsatzes vom 21.12.2000 bzw der Berufungsbegründungsschrift vom 12.09.2001 an den Klägerbevollmächtigten entfaltet, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Abweichend vom Erstgericht geht der Senat davon aus, dass die im angefochtenen Urteil festgestellte Erwerbsminderung mit dem dort als maßgeblich angesehenen Verlust der Fähigkeit, während der dunklen Jahreszeit (etwa von Mitte Oktober bis Ende Februar) die notwendigen Wegstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsplatz selbstständig zurückzulegen, nicht erst mit Antragstellung, sondern bereits wesentlich früher (im November 1994), mithin bereits zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, in dem die allgemeine Wartezeit noch nicht erfüllt war.
Die genannte Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin geht unstreitig auf ein sog "Vorversicherungsleiden" zurück. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine genetisch angelegte (angeborene) Sehstörung, die der Klägerin nach eigenen Angaben seit dem sechsten Lebensjahr bekannt ist und als "Retinitis pigmentosa" erstmals bei ihrer Einschulung diagnostiziert wurde. Es handelt sich um eine langsam fortschreitende Retinadegeneration. Dabei sind meist die Stäbchen der Netzhaut betroffen, was zur Nachtblindheit führt und sich schon im frühen Kindesalter bemerkbar machen kann. Ein Ringskotom (Gesichtsfeldausfall) weitet sich langsam aus, so dass schließlich auch die zentrale Sehschärfe abnimmt (vgl MSD Manual der Diagnostik und Therapie 5. Auflage 1993 S 34/35). Lag bei der Klägerin schon vor Beginn der Beitragsleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung (01.09.1992) bezüglich ihres Augenleidens der gleiche Beeinträchtigungsgrad vor wie im Juni 1998, bedeutet dies, dass sie mit den später entrichteten Pflichtbeiträgen insoweit einen Versicherungsschutz gegen die Risiken der BU bzw EU nicht erwerben konnte. Dieser Grundsatz gilt nicht uneingeschränkt: War die Klägerin zu Beginn ihrer versicherungspflichtigen Lehrzeit als Bäckereiverkäuferin in der Lage, einer Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Wettbewerbs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen (die relativ kurzen Zeiten ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung vom 01.09.1992 bis 06.09.1993, 01. bis 05., 20. bis 24., 29. bis 30.09.1993 sowie vom 10.01. bis 31.03., 01.07. bis 05.10. und 01. bis 15.12.1994 sprechen nicht dafür) und ist erst nach Erfüllung der Wartezeit von fünf Jahren eine so nachhaltige Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eingetreten, dass erst dadurch auch die medizinischen Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 SGB VI gegeben sind, so steht das Vorerwerbsleiden der Gewährung von Rentenleistungen nicht entgegen.
Im Arbeitsamtsgutachten vom 21.12.1994/19.01.1995 bestätigte der Allgemeinarzt Dr.S. ohne nähere Spezifizierung einen deutlich eingeschränkten Nah- und Fernvisus sowie ein noch ausreichendes räumliches Sehen und Farbsehen. Da eine weitere Verschlechterung der Sehschärfe wahrscheinlich sei und die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sowie der "erlernte Beruf" auf Dauer nicht verrichtet werden könnten, sollte die Versichterte unbedingt einen Sehbehindertenberuf erlernen. Die ortsüblichen Fußwege zum Arbeitsplatz und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel seien zumutbar. Bei diesen Aussagen konnte sich Dr.S. zwar auf einen Kurzbericht der Augenklinik N. vom 10.08.1994 stützen (korrigierter Visus: rechts 0,3, links 0,2; konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes auf 25 bis 30°), die Frage der Dämmerungs- und Nachtblindheit sowie der Akkommodation an ungenügende Lichtverhältnisse ist aber weder in seinem Gutachten noch in dem genannten Klinikbericht auch nur andeutungsweise angesprochen. Das gilt auch für das von der Beklagten beigezogene, am 03.11.1995 beim MDK Nürnberg von dem Gynäkologen Dr.B. erstatteten Gutachten.
Der behandelnde Augenarzt Dr.R. bestätigte dem Ärztlichen Dienst des Arbeitsamts Weißenburg mit Schreiben vom 27.01.1998, dass sich das am 28.08.1997 festgestellte Sehvermögen (rechts/links = 0,3/0,2) gegenüber der letzten Untersuchung vom 08.07.1996 nicht verändert habe. Desgleichen brachte er im Arztbrief vom 25.06.1998 zum Ausdruck, dass die Untersuchung vom 02.04.1994 insoweit keine neuen Erkenntnisse ergeben habe (wenn auch auf dem linken Auge mit 0,15 ein geringfügig abweichender Visus festgehalten wurde). Dementsprechend stellte der Sozialmediziner Dr.H. im Rentengutachten vom 29.07.1998 fest, dass die Verlaufsdokumentation der letzten vier Jahre nur "eine gering fortschreitende Einengung des Gesichtsfeldes" ergeben habe.
In Auswertung der Vorbefunde Dr.R. wird diese Einschätzung auch von dem erstgerichtlichen Sachverständigen Dr.H. geteilt. Dessen Befunderhebungen enthalten zum Teil wesentlich differenziertere Hinweise zum Sehvermögen der Klägerin und belegen im Vergleich mit den Angaben des behandelnden Augenarztes zumindest keine Verschlechterung der Sehfähigkeit gegenüber 1995/96, da sie im Untersuchungszeitpunkt (21.07.2000) für das (besonders beeinträchtigte) Sehen in die Ferne sogar günstigere als die von Dr.R. dokumentierten Werte ergab. Nach den Feststellungen Dr.H. betrug die Sehschärfe rechts ohne Brille 0,3 und links 0,25; eine messbare Verbesserung durch korrigierende Gläser war objektiv nicht darstellbar. Im Nahsehbereich (für den bisher keine Vergleichswerte zur Verfügung standen) konnte bei Annäherung auf 25 cm mit dem rechten Auge feinster Druck (Nieden 1) und links feiner Druck (Nieden 2) gelesen werden. Auf Grund dieser Visusangaben geht der Senat zwar nicht davon aus, dass beim Sehvermögen der Klägerin für die Ferne tatsächlich eine Besserung eingetreten ist. Dagegen spricht schon die fachärztliche Erfahrung, dass bei gesicherter Diagnose einer "Retinopathia Pigmentosa" (von anderen Netzhautveränderungen, die eine Pigmentdegeneration vortäuschen können, abgesehen) die Rückbildung eines bereits eingetretenen Gesichtsfeldsausfalls nicht zu erwarten ist. Andererseits kann die Ausdehnung des Ringskotoms sehr langsam fortschreiten, so dass über lange Zeit keine ins Gewicht fallende Leidensverschlimmerung eintritt. Andererseits ist durch das Gutachten vom 25.07.2000 die im Befundbericht Dr.R. vom 05.06.2000 mitgeteilte Sehverschlechterung ebenso widerlegt wie eine vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus dem Arztbrief des Klinikums N. vom 01.03.1999 abgeleitete.
Auch die von Dr.H. vorgenommene Gesichtsfeldprüfung vermag von einer wesentlichen Verschlechterung des Augenleidens in den letzten Jahren vor der Rentenantragstellung nicht zu überzeugen. Die im Kurzbericht der Augenklinik N. vom 10.08.1994 mitgeteilte Gesichtsfeldeinengung auf 25 bis 30° hat sich nach den am 21.07.2000 von Dr.H. erhobenen Befunden nicht wesentlich geändert. Zwar hat die Klägerin bei der (weitgehend von der Mitwirkung der Patientin abhängigen) Untersuchung zunächst eine Einschränkung auf 20° am rechten und 15° am linken Auge angegeben; für die gleiche Prüfmarke wurden jedoch bei Wiederholung des Untersuchungsvorgangs höchstens Einschränkungen auf 30 bzw 20° genannt. Unter Benutzung einer größeren Prüfmarke hat die Klägerin mit beiden Augen noch wesentlich weitere Außengrenzen erreicht.
Besonders auffällig erscheint aber im Zusammenhang mit der Feststellung der von Dr.H. bestätigten Nachtblindheit, dass der Klägerin mit Bescheid des Versorgungsamts Nürnberg vom 26.01.1995 bereits ab November 1994 wegen "nachgewiesener Notwendigkeit ständiger Begleitung" das Merkzeichen "B" zugebilligt wurde. Dieser Umstand belegt, dass - ebenso wie im Rahmen der Anamneseerhebung durch Dr.H. - von der Klägerin bzw den behandelnden Ärzten schon in dem 1994 eingeleiteten Verfahren zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auf diese häufige und in vielen Fällen schon im Anfangsstadium auftretende Begleiterscheinung der "Retinitis pigmentosa" hingewiesen wurde.
Damit steht fest, dass die maßgebliche Leistungsbeeinträchtigung (die allein darin zu sehen ist, dass die Klägerin für die üblicherweise anfallenden Fußwegstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsplatz bzw zu und von den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel wegen ihrer Dämmerungs- und Nachblindheit zumindest in der "dunklen Jahreszeit" auf eine Begleitperson angewiesen ist) auf die seit dem sechsten Lebensjahr bekannte Grunderkrankung und deren möglicherweise schon seit Versicherungsbeginn (September 1992) spätestens aber seit November 1994 nahezu unverändert gebliebene Folgen zurück geht.
Gegenstand der Versicherung gegen das Risiko der EU nach § 44 SGB VI ist die gesundheitliche Eignung und Fähigkeit der Versicherten, in ihrer bisher ausgeübten oder einer anderen Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes wettbewerbsfähig eingesetzt zu werden. Dass ein dazu ausreichendes Leistungsvermögen im Regelfall zunächst vorhanden gewesen sein muss und erst nachträglich (durch den Eintritt des versicherten Risikos: Krankheit oder Behinderung) verloren gegangen sein darf, machen § 44 Abs 2 und (nach seinem Wortlaut noch wesentlich klarer) § 43 Abs 2 SGB VI a.F. deutlich. Das dort angesprochene "Absinken" der Erwerbsfähigkeit setzt nämlich voraus, dass sie zunächst bestanden und sich erst im Laufe der Zeit verringert hat (vgl BSGE 25/227, 230).
Wie bereits ausgeführt, braucht im Berufungsverfahren nicht abschließend entschieden zu werden, ob das SG im Hinblick auf die erheblich eingeschränkte Wegefähigkeit der Klägerin zu Recht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt ausgegangen ist; denn nach Auffassung des Senats gewinnt die Frage, ob die Klägerin zum Kreis der Versicherten gehört, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen oder in besonders starkem Maße erschwert ist (von einem die Mobilität wieder herstellenden Reha-Angebot der Beklagten abgesehen), entscheidungserhebliche Bedeutung für den streitigen Anspruch nur unter der weiteren Voraussetzung, dass eine dadurch hervorgerufene EU nicht ursächlich auf die "eingebrachten" Gesundheitsstörungen zurück geht. Die Feststellung, dass jetzt oder seit Juni 1998 EU vorliegt, weil die Klägerin im Sinne der konkreten Betrachtungsweise der in § 44 Abs 2 Satz 1 SGB VI normierten Tatbestandsvoraussetzungen von der Verwertung des ihr verbliebenen Restleistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, reicht also allein zur Anspruchsbegründung nicht aus; vielmehr ist (bei unzweifelhaft fehlender Wartezeit nach § 44 Abs 3 SGB VI) nach den Grundsätzen über die versicherungsrechtliche Behandlung von "Vorerwerbsleiden" ein Rentenanspruch auch dann nicht gegeben, wenn EU lediglich deshalb angenommen werden muss, weil der Versicherten der Zugang zum Arbeitsmarkt nur wegen solcher Krankheiten und Gebrechen verschlossen ist, die ihr objektives Leistungsvermögen unverändert bereits seit einem Zeitpunkt vor dem Eintritt in das versicherte Erwerbsleben oder (was vorliegend im Hinblick auf die spätestens im November 1994 - damals hatte die Klägerin statt der erforderlichen fünf Jahre erst 21 Pflichtbeitragsmonate zurückgelegt - nachgewiesene Nachtblindheit in Betracht kommt) vor Erfüllung der Wartezeit nach § 44 Abs 1 Nr 3 SGB VI entscheidend bestimmt haben und noch bestimmen.
Unterstellt, die im November 1994 und im Juni 1998 gleichwertig bestehende Einschränkung der Wegefähigkeit reiche zur Feststellung einer schweren, den Zugang zum Arbeitsmarkt praktisch ausschließenden Leistungsbehinderung nicht aus, ist nach Überzeugung des Senats ein derartiger Zustand vor Schluss der mündlichen Verhandlung des SG (am 08.03.2001) nicht eingetreten. In diesem Zeitpunkt erfüllte die Klägerin aber auch nicht die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI, weil von August 1998 bis Februar 2001 weder Beitragszeiten noch Anrechnungszeiten nachgewiesen sind und deshalb der (um zwei Monate Arbeitslosigkeit erweiterte) Fünfjahreszeitraum vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 nicht für wenigstens drei Jahre (sondern nur für 28 Monate) Pflichtbeiträge aufweist.
Das angefochtene Urteil musste daher aufgehoben und die Klage gegen die ablehnenden Bescheide abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Die am 1974 geborene Klägerin hat eine am 01.09.1992 begonnene Lehre als Bäckereifachverkäuferin am 30.09.1993 abgebrochen. Anschließend arbeitete sie bis 15.12.1994 versicherungspflichtig; danach war sie krank und arbeitslos (Bezug von Arbeitslosenhilfe bis 30.05.1998). Seit November 1994 sind durch Bescheid des AVF Nürnberg ein GdB von 70 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G und RF anerkannt. Ab 06.11.1998 beträgt der GdB 90 (Bescheid vom 12.04.1999).
Wegen einer (seit dem 6.Lebensjahr bekannten) Augenkrankheit ("Retinitis pigmentosa") beantragte die Klägerin am 23.06.1998 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte nahm die Unterlagen des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Weißenburg und die Unterlagen des Allgemeinmediziners Dr.M. bei und ließ die Klägerin durch den Sozialmediziner Dr.H. untersuchen, der im Gutachten vom 29.07.1998 leichte bis mittelschwere Arbeiten für möglich hielt. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Näherin könne nicht mehr verrichtet werden; denkbar seien aber sich wiederholende Arbeitsverrichtungen (zB Kontrolle großer Werkstücke) sowie Arbeiten an Bildschirmgeräten oder ähnliches. Gleichzeitig empfahl Dr.H. die Ausbildung in einem Beruf für Sehbehinderte. Im Anschluss an dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 06.08.1998 und Widerspruchsbescheid vom 09.11.1998 mit der Begründung ab, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten ohne Nachtschicht vollschichtig verrichten.
Das Sozialgericht Nürnberg (SG) hat Befundberichte des Neurologen und Psychiaters Dr.K. sowie des Allgemeinmediziners Dr.M. (Augenbefund rechts 0,2 - links 0,05) zum Verfahren beigezogen und die Klägerin durch den Augenarzt Dr.H. untersuchen lassen. Dieser hat im Gutachten vom 25.07.2000 festgestellt, während der letzten Jahre sei ein nur relativ langsames Fortschreiten der Erkrankung zu erkennen. Eine massive Einschränkung des Gesichtsfeldes liege noch nicht vor. Die Klägerin sei weiterhin in der Lage, Tätigkeiten für Sehbehinderte auszuführen. Generell ausgeschlossen seien Tätigkeiten, die gutes Sehvermögen oder das Führen eines Kfz erfordern. Wegen des eingeschränkten Gesichtsfeldes scheide ein Arbeitseinsatz auf Leitern, Gerüsten, Podesten und an laufenden Maschinen aus. Wegen Störung der Dunkelanpassung seien ferner Tätigkeiten bei schwierigen bzw reduzierten, stark wechselnden Beleuchtungsverhältnissen nicht zumutbar. In ihrer Wegefähigkeit sei die Klägerin insofern eingeschränkt, als sie (bei Dunkelheit oder Dämmerung) Arbeitsplätze nicht erreichen könne und ihr das Führen von Kraftfahrzeugen nicht möglich sei; auch vom Radfahren müsse ihr abgeraten werden.
Ausgehend von der Einschätzung Dr.H. , dass die Klägerin bei Dunkelheit oder Dämmerung nicht mehr in der Lage sei, einen Arbeitsplatz ohne Begleitung zu erreichen, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.12.2000 die Übernahme der Beförderungskosten für erforderliche Vorstellungs-/Bewerbungsgespräche bei einem künftigen Arbeitgeber zugesagt. Wegen des Grundsatzes "Rehabilitation vor Rente" bestehe auf Grund der eingeschränkten Wegefähigkeit kein Anspruch auf Rente. Weiter erklärte sich die Beklagte bereit, im Falle der Aufnahme einer Beschäftigung Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) zu gewähren. Ein Zuschuss für die Beförderung komme ferner dann in Betracht, wenn ein Kraftfahrzeug nicht selbst geführt werden könne und auch nicht gewährleistet sei, dass ein Dritter das Kraftfahrzeug führt oder die Übernahme der Beförderungskosten anstelle von Kfz-Hilfe wirtschaftlicher und für die Klägerin zumutbar ist.
Mit Urteil vom 08.03.2001 hat das SG die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab 01.07.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zu gewähren. Die Beklagte habe versäumt, der Klägerin eine konkrete, ihrem Restleistungsvermögen entsprechende Tätigkeit zu benennen. Der Arbeitsmarkt sei der Klägerin praktisch verschlossen, da sie gehindert sei, von ihrer Wohnung aus entsprechende Arbeitsplätze aufzusuchen. Die Zusage der Beklagten stelle keine geeignete Maßnahme für eine dauerhafte Wiedereingliederung in das Erwerbsleben dar. Erforderlich seien konkrete Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes, welche hier weder eingeleitet noch angeboten worden seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, auch bezüglich einer eingeschränkten Wegefähigkeit gelte der Grundsatz "Reha vor Rente". Bei ihrem Angebot handle es sich um die verbindliche Zusage von Leistungen. Eine zeitliche Befristung ergebe sich aus den Kfz-Hilfe-Richtlinien nicht; denn bei Bedarf würden die Leistungen jeweils um zwei weitere Jahre verlängert. Im Übrigen sei durchaus schon die Einleitung beruflicher Reha-Maßnahmen erfolgt. Das damals zuständige Arbeitsamt Ansbach habe bereits im Januar 1995 ein psychologisches Gutachten erstellen lassen. Allein wegen fehlender Motivation und aus privaten Gründen (Ablehnung einer auswärtigen internatsmäßigen Unterbringung) sei die Maßnahme unterblieben und das Reha-Verfahren abgeschlossen worden (Verzichtserklärung der Klägerin vom 02.04.1998 gegenüber dem Arbeitsamt). Da die Klägerin seit November 1999 ein Kind zu erziehen habe, sei auch kein weiterer Reha-Antrag erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 08.03.2001 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 06.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.1998 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 08.03.2001 zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung ihres Antrags macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, bei Blinden sei generell, also selbst dann von Wegeunfähigkeit auszugehen, wenn sie einen Blindenberuf erlernt haben. Ebenso stehe ihr ein Arbeitsplatz nicht zur Verfügung; ein solcher sei auch nicht ersichtlich. Das frühere Reha-Verfahren sei von der Beklagten nicht wieder aufgenommen worden. Es sei deshalb unzulässig, wenn die Beklagte nunmehr vortrage, sie (die Klägerin) habe Reha-Leistungen ohne hinreichenden Grund abgelehnt. Die dem Arbeitsamt gegenüber abgegebene Verzichtserklärung vom 02.04.1998 sei drei Jahre nach Erstellung des Gutachtens im Reha-Verfahren unterschrieben worden, ohne dass substantiell an dem Problem gearbeitet worden wäre. Das SG habe im Ergebnis zu Recht auf Zuerkennung der EU-Rente entschieden.
Mit Beschluss vom 15.10.2001 hat der Senat die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil ausgesetzt. Zur ergänzenden Sachaufklärung wurde ein Befundbericht des Augenarztes Dr.R. vom 08.04.2002 beigezogen. Er hat die Klägerin bis 1999 behandelt. Die Sehfähigkeit betrug zuletzt (mit Korrektur): rechts 0,4, links 0,3.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die beigezogenen Unterlagen der Beklagten, die Leistungsunterlagen des Arbeitsamtes Weißenburg i.B. und die Streitakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel auch als begründet. Auf den Antrag der Beklagten war das angefochtene Urteil vom 08.03.2001 aufzuheben, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Ein solcher Anspruch steht der Klägerin weder nach dem bis 31.12.2000 geltenden und für Leistungsfälle vor dem 01.12.2000 weiter anzuwendenden Recht (§§ 300 Abs 1, 302 b Abs 1 SGB VI, letzterer in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des EM-Reformgesetzes vom 20.12.2000 - BGBl I S 1835 -, iVm §§ 43, 44 SGB VI idF bis 31.12.2000) noch für die Zeit ab 01.01.2001 nach den §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 gültigen Fassung zu.
Nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung des § 44 Abs 1 SGB VI erhalten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) Versicherte, die erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der EU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Was die so genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des streitigen Anspruchs angeht, fordert das Gesetz sowohl für die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit als auch für den Nachweis von "drei Jahren Pflichtbeiträgen in den letzten fünf Jahren", dass die entsprechenden Versicherungszeiten vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (EU) zurückgelegt sind. Dies macht es notwendig, zunächst den Versicherungsfall (VF) der EU zu bestimmen. Das SG hat sich insoweit nicht eindeutig festgelegt. So wird auf Seiten 7 und 8 der Urteilsgründe in diesem Zusammenhang ausgeführt, bei der Klägerin liege ein (von der Rechtsprechung anerkannter) Ausnahmefall von dem gesetzlich normierten Grundsatz vor, dass vollschichtiges Leistungsvermögen - unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage - EU ausschließt (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI), weil sie auf Grund der Auswirkungen ihres Augenleidens seit November 1995 für die (nach Auffassung der Kammer unabdingbar auch bei Dämmerung oder Dunkelheit anfallenden) Arbeitswege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz eine Begleitperson benötige und ihr deshalb der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen sei. Abweichend davon wird auf Seite 11 des schriftlichen Urteils festgestellt, dass die Klägerin aus den genannten (gesundheitlichen) Gründen seit 23.06.1998 erwerbsunfähig ist. Im ersteren Falle (EU seit November 1995) fehlt es bereits an der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit, weil die Klägerin nach dem aktenkundigen und unbestrittenen Versicherungsverlauf vom 04.01.1999 erst im September 1992 (mit Beginn ihrer Lehre als Bäckereifachverkäuferin) in die gesetzliche Rentenversicherung eingetreten ist und bis Oktober 1995 lediglich 32 Pflichtbeiträge zurückgelegt hatte. Die allgemeine Wartezeit für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beträgt aber nach § 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI fünf Jahre und kann gemäß §§ 51, 55 SGB VI nur mit Beitragszeiten erfüllt werden.
Ist dagegen bei der Klägerin EU erst am 23.06.1998 (= Rentenantrag) eingetreten, hat das SG zu Recht beide versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen (§ 44 Abs 1 Nrn 1 u n d 2 SGB VI) als erfüllt angesehen. Zwar wurden für die Klägerin seit 01.01.1995 nur noch Pflichtbeiträge auf Grund des Bezugs von Arbeitslosengeld bzw Arbeitslosenhilfe entrichtet; diese stehen jedoch nach § 44 Abs 1 Satz 2 iVm § 38 Satz 2 Nr 2 SGB VI (beide in der ab 01.01.1996 geltenden Fassung des SGB-VI-Änderungsgesetzes vom 15.12.1995 - BGBl I S 1824 -) sowie nach der in § 38 in Bezug genommenen Bestimmung des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI den Pflichtbeiträgen für eine "versicherte Beschäftigung" gleich.
Selbst wenn die nach Auffassung des SG maßgebliche Leistungseinschränkung bei der Klägerin erst im Zeitpunkt der Rentenantragstellung eingetreten ist, liegt EU im Sinne des § 44 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 SGB VI noch nicht vor. Nach den im Renten- und Klageverfahren erhobenen Befunden ist davon auszugehen - darüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit -, dass die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist, Tätigkeiten von täglich acht Stunden nachgehen kann. Der vom SG gehörte Sachverständige Dr.H. hat dazu ausgeführt, dass die Klägerin beispielsweise noch in der Lage ist, Tätigkeiten in einer Küche (bei der Lebensmittelzubereitung), in der Kinderpflege sowie als Hauswirtschafterin zu verrichten, ebenso Tätigkeiten in der Landwirtschaft, im Gartenbau und in der Floristik. Dr.H. stützt sich dabei auf die Ergebnisse seiner eingehenden klinischen und apparatemedizinischen Untersuchungen der Sehschärfe für die Ferne und im Nahbereich (unter Einbeziehung bestehender Korrekturmöglichkeiten), der Augenstellung (räumliches Sehen), des Farbsehens, der Konvergenz und Motilität sowie des Gesichtsfeldes und gelangte insgesamt zu dem Ergebnis, dass die diagnostisch gesicherte Erkrankung aus dem Formenkreis der Retinitis pigmentosa noch zu keiner massiven Einschränkung geführt habe, auf lange Sicht aber mit einer Verschlechterung zu rechnen sei. Nicht zumutbar sind der Klägerin schon jetzt Arbeiten, die gutes Sehvermögen verlangen oder die Führung eines Kfz erfordern. Wegen des eingeschränkten Gesichtsfeldes ist der Einsatz auf Leitern, Gerüsten, Podesten und an laufenden Maschinen nicht möglich. Die im Wesentlichen anamnestisch (durch Befragen der Klägerin und ihrer Schwiegermutter) festgestellte Störung der Dunkelanpassung steht einem Arbeitseinsatz unter schwierigen oder reduzierten, stark wechselnden Beleuchtungsverhältnissen entgegen. Damit steht fest, dass die Klägerin bei Beachtung der von Dr.H. geforderten Einschränkungen - im Hinblick auf den jetzt vorliegenden Augenbefund - vollschichtig einsatzfähig ist.
Auch die teilweise eingeschränkte "Wegefähigkeit", die nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein Teil der Erwerbsfähigkeit ist, führt unter den gegebenen Umständen und selbst auf der Grundlage des vom SG angenommenen Leistungsfalles nicht zur Annahme einer seit Juni 1998 durchgehend bestehenden EU der Klägerin. Deren Fähigkeit, eine Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel oder einen Arbeitsplatz zu Fuß zu erreichen, ist nach den Ermittlungen des SG dahingehend eingeschränkt, dass sie bei Dämmerung oder Dunkelheit die notwendigen Gehstrecken nicht alleine, dh ohne Begleitung zurücklegen kann. Ebenso wie körperliche Gesundheitsstörungen, welche die Mobilität des Versicherten unmittelbar einschränken (zB massive Beindurchblutungsstörungen, Querschnittslähmung, Verlust beider Beine, exzessives Übergewicht uä), können - wie das SG zutreffend erkannt hat - auch Sehbeeinträchtigungen, wie sie bei der Klägerin vorliegen bzw bei fortschreitender Entwicklung zu befürchten sind, wegen der damit verbundenen Orientierungsstörungen eine so weitgehende Leistungseinschränkung bedeuten, dass sie der Klägerin die Erreichung eines Arbeitsplatzes unzumutbar machen. Bei dem nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1247 Nr 56) anzuwendenden generalisierenden Maßstab hätte dies in der Regel EU im Sinne des Gesetzes zur Folge. Etwas anderes gilt nur, wenn der Versicherte einen Arbeitsplatz inne hat, der die zumutbaren Wegebedingungen aufweist oder mit einem vorhandenen Kraftfahrzeug erreichbar ist oder wenn ihm ein solcher Arbeitsplatz tatsächlich angeboten wird oder der Versicherungsträger diesbezügliche Leistungen zur Reha anbietet (BSG in SozR 3-2600 § 44 Nr 10).
Ungeachtet der Frage, ob auf einem bekannten, über längere Zeit eingeübten Arbeitsweg (bei Dämmerung oder Dunkelheit) überhaupt eine Orientierungshilfe durch Begleitpersonen erforderlich ist, liegt der zuletzt genannte Ausnahmefall bei der Klägerin vor, da ihr die Beklagte nach Auffassung des Senats mit dem an das SG gerichteten Schriftsatz vom 21.12.2000 geeignete Rehabilitationsleistungen angeboten hat. Damit steht einer Rentenzahlung wegen EU der Grundsatz "Reha vor Rente" entgegen (§ 7 Reha-Angleichungsgesetz, § 9 Abs 1 S 1 SGB VI in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung). Das von der Beklagten im Klageverfahren abgegebene Angebot von Rehabilitationsleistungen entspricht den vom BSG (aaO) aufgestellten Kriterien und reicht aus, die durch die eingeschränkte Wegefähigkeit der Klägerin bedingte Erwerbsminderung auszugleichen. Denn ihr war nicht nur die Übernahme der Beförderungskosten für erforderliche Vorstellungs-/Bewerbungsgespräche bei einem künftigen Arbeitgeber, sondern für den Fall der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses auch Leistungen zur Erreichung dieses Arbeitsplatzes nach der Kfz-HV angeboten; dazu gehörten auch Zuschüsse zum Transport durch Beförderungsdienste, soweit die Klägerin ein Kraftfahrzeug nicht selbst führen oder durch einen Dritten führen lassen könne. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, bei ihrem "Angebot" handle es sich bereits um die verbindliche Bewilligung der Leistungen und nicht lediglich um eine Prüfungszusage. Insgesamt entspricht das Angebot der Beklagten den Anforderungen, welche die Rechtsprechung an die konkrete und verbindliche Zusage solcher Leistungen stellt, weshalb zumindest seit September 2001 (wegen des Vorrangs der Rehabilitation vor von Rentenleistungen) bei der Klägerin EU nicht (mehr) vorliegt.
Ob das Angebot der Beklagten auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung zurückreicht oder entsprechende Rechtswirkungen (im Sinne des Wegfalls einer schweren Leistungseinschränkung durch Eröffnung der Möglichkeit, auch in größerer Entfernung als 500 Meter von der eigenen Wohnung eine Arbeitsstelle aufzusuchen) erst mit Zugang des Schriftsatzes vom 21.12.2000 bzw der Berufungsbegründungsschrift vom 12.09.2001 an den Klägerbevollmächtigten entfaltet, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Abweichend vom Erstgericht geht der Senat davon aus, dass die im angefochtenen Urteil festgestellte Erwerbsminderung mit dem dort als maßgeblich angesehenen Verlust der Fähigkeit, während der dunklen Jahreszeit (etwa von Mitte Oktober bis Ende Februar) die notwendigen Wegstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsplatz selbstständig zurückzulegen, nicht erst mit Antragstellung, sondern bereits wesentlich früher (im November 1994), mithin bereits zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, in dem die allgemeine Wartezeit noch nicht erfüllt war.
Die genannte Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin geht unstreitig auf ein sog "Vorversicherungsleiden" zurück. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine genetisch angelegte (angeborene) Sehstörung, die der Klägerin nach eigenen Angaben seit dem sechsten Lebensjahr bekannt ist und als "Retinitis pigmentosa" erstmals bei ihrer Einschulung diagnostiziert wurde. Es handelt sich um eine langsam fortschreitende Retinadegeneration. Dabei sind meist die Stäbchen der Netzhaut betroffen, was zur Nachtblindheit führt und sich schon im frühen Kindesalter bemerkbar machen kann. Ein Ringskotom (Gesichtsfeldausfall) weitet sich langsam aus, so dass schließlich auch die zentrale Sehschärfe abnimmt (vgl MSD Manual der Diagnostik und Therapie 5. Auflage 1993 S 34/35). Lag bei der Klägerin schon vor Beginn der Beitragsleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung (01.09.1992) bezüglich ihres Augenleidens der gleiche Beeinträchtigungsgrad vor wie im Juni 1998, bedeutet dies, dass sie mit den später entrichteten Pflichtbeiträgen insoweit einen Versicherungsschutz gegen die Risiken der BU bzw EU nicht erwerben konnte. Dieser Grundsatz gilt nicht uneingeschränkt: War die Klägerin zu Beginn ihrer versicherungspflichtigen Lehrzeit als Bäckereiverkäuferin in der Lage, einer Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Wettbewerbs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen (die relativ kurzen Zeiten ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung vom 01.09.1992 bis 06.09.1993, 01. bis 05., 20. bis 24., 29. bis 30.09.1993 sowie vom 10.01. bis 31.03., 01.07. bis 05.10. und 01. bis 15.12.1994 sprechen nicht dafür) und ist erst nach Erfüllung der Wartezeit von fünf Jahren eine so nachhaltige Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eingetreten, dass erst dadurch auch die medizinischen Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 SGB VI gegeben sind, so steht das Vorerwerbsleiden der Gewährung von Rentenleistungen nicht entgegen.
Im Arbeitsamtsgutachten vom 21.12.1994/19.01.1995 bestätigte der Allgemeinarzt Dr.S. ohne nähere Spezifizierung einen deutlich eingeschränkten Nah- und Fernvisus sowie ein noch ausreichendes räumliches Sehen und Farbsehen. Da eine weitere Verschlechterung der Sehschärfe wahrscheinlich sei und die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sowie der "erlernte Beruf" auf Dauer nicht verrichtet werden könnten, sollte die Versichterte unbedingt einen Sehbehindertenberuf erlernen. Die ortsüblichen Fußwege zum Arbeitsplatz und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel seien zumutbar. Bei diesen Aussagen konnte sich Dr.S. zwar auf einen Kurzbericht der Augenklinik N. vom 10.08.1994 stützen (korrigierter Visus: rechts 0,3, links 0,2; konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes auf 25 bis 30°), die Frage der Dämmerungs- und Nachtblindheit sowie der Akkommodation an ungenügende Lichtverhältnisse ist aber weder in seinem Gutachten noch in dem genannten Klinikbericht auch nur andeutungsweise angesprochen. Das gilt auch für das von der Beklagten beigezogene, am 03.11.1995 beim MDK Nürnberg von dem Gynäkologen Dr.B. erstatteten Gutachten.
Der behandelnde Augenarzt Dr.R. bestätigte dem Ärztlichen Dienst des Arbeitsamts Weißenburg mit Schreiben vom 27.01.1998, dass sich das am 28.08.1997 festgestellte Sehvermögen (rechts/links = 0,3/0,2) gegenüber der letzten Untersuchung vom 08.07.1996 nicht verändert habe. Desgleichen brachte er im Arztbrief vom 25.06.1998 zum Ausdruck, dass die Untersuchung vom 02.04.1994 insoweit keine neuen Erkenntnisse ergeben habe (wenn auch auf dem linken Auge mit 0,15 ein geringfügig abweichender Visus festgehalten wurde). Dementsprechend stellte der Sozialmediziner Dr.H. im Rentengutachten vom 29.07.1998 fest, dass die Verlaufsdokumentation der letzten vier Jahre nur "eine gering fortschreitende Einengung des Gesichtsfeldes" ergeben habe.
In Auswertung der Vorbefunde Dr.R. wird diese Einschätzung auch von dem erstgerichtlichen Sachverständigen Dr.H. geteilt. Dessen Befunderhebungen enthalten zum Teil wesentlich differenziertere Hinweise zum Sehvermögen der Klägerin und belegen im Vergleich mit den Angaben des behandelnden Augenarztes zumindest keine Verschlechterung der Sehfähigkeit gegenüber 1995/96, da sie im Untersuchungszeitpunkt (21.07.2000) für das (besonders beeinträchtigte) Sehen in die Ferne sogar günstigere als die von Dr.R. dokumentierten Werte ergab. Nach den Feststellungen Dr.H. betrug die Sehschärfe rechts ohne Brille 0,3 und links 0,25; eine messbare Verbesserung durch korrigierende Gläser war objektiv nicht darstellbar. Im Nahsehbereich (für den bisher keine Vergleichswerte zur Verfügung standen) konnte bei Annäherung auf 25 cm mit dem rechten Auge feinster Druck (Nieden 1) und links feiner Druck (Nieden 2) gelesen werden. Auf Grund dieser Visusangaben geht der Senat zwar nicht davon aus, dass beim Sehvermögen der Klägerin für die Ferne tatsächlich eine Besserung eingetreten ist. Dagegen spricht schon die fachärztliche Erfahrung, dass bei gesicherter Diagnose einer "Retinopathia Pigmentosa" (von anderen Netzhautveränderungen, die eine Pigmentdegeneration vortäuschen können, abgesehen) die Rückbildung eines bereits eingetretenen Gesichtsfeldsausfalls nicht zu erwarten ist. Andererseits kann die Ausdehnung des Ringskotoms sehr langsam fortschreiten, so dass über lange Zeit keine ins Gewicht fallende Leidensverschlimmerung eintritt. Andererseits ist durch das Gutachten vom 25.07.2000 die im Befundbericht Dr.R. vom 05.06.2000 mitgeteilte Sehverschlechterung ebenso widerlegt wie eine vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus dem Arztbrief des Klinikums N. vom 01.03.1999 abgeleitete.
Auch die von Dr.H. vorgenommene Gesichtsfeldprüfung vermag von einer wesentlichen Verschlechterung des Augenleidens in den letzten Jahren vor der Rentenantragstellung nicht zu überzeugen. Die im Kurzbericht der Augenklinik N. vom 10.08.1994 mitgeteilte Gesichtsfeldeinengung auf 25 bis 30° hat sich nach den am 21.07.2000 von Dr.H. erhobenen Befunden nicht wesentlich geändert. Zwar hat die Klägerin bei der (weitgehend von der Mitwirkung der Patientin abhängigen) Untersuchung zunächst eine Einschränkung auf 20° am rechten und 15° am linken Auge angegeben; für die gleiche Prüfmarke wurden jedoch bei Wiederholung des Untersuchungsvorgangs höchstens Einschränkungen auf 30 bzw 20° genannt. Unter Benutzung einer größeren Prüfmarke hat die Klägerin mit beiden Augen noch wesentlich weitere Außengrenzen erreicht.
Besonders auffällig erscheint aber im Zusammenhang mit der Feststellung der von Dr.H. bestätigten Nachtblindheit, dass der Klägerin mit Bescheid des Versorgungsamts Nürnberg vom 26.01.1995 bereits ab November 1994 wegen "nachgewiesener Notwendigkeit ständiger Begleitung" das Merkzeichen "B" zugebilligt wurde. Dieser Umstand belegt, dass - ebenso wie im Rahmen der Anamneseerhebung durch Dr.H. - von der Klägerin bzw den behandelnden Ärzten schon in dem 1994 eingeleiteten Verfahren zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auf diese häufige und in vielen Fällen schon im Anfangsstadium auftretende Begleiterscheinung der "Retinitis pigmentosa" hingewiesen wurde.
Damit steht fest, dass die maßgebliche Leistungsbeeinträchtigung (die allein darin zu sehen ist, dass die Klägerin für die üblicherweise anfallenden Fußwegstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsplatz bzw zu und von den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel wegen ihrer Dämmerungs- und Nachblindheit zumindest in der "dunklen Jahreszeit" auf eine Begleitperson angewiesen ist) auf die seit dem sechsten Lebensjahr bekannte Grunderkrankung und deren möglicherweise schon seit Versicherungsbeginn (September 1992) spätestens aber seit November 1994 nahezu unverändert gebliebene Folgen zurück geht.
Gegenstand der Versicherung gegen das Risiko der EU nach § 44 SGB VI ist die gesundheitliche Eignung und Fähigkeit der Versicherten, in ihrer bisher ausgeübten oder einer anderen Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes wettbewerbsfähig eingesetzt zu werden. Dass ein dazu ausreichendes Leistungsvermögen im Regelfall zunächst vorhanden gewesen sein muss und erst nachträglich (durch den Eintritt des versicherten Risikos: Krankheit oder Behinderung) verloren gegangen sein darf, machen § 44 Abs 2 und (nach seinem Wortlaut noch wesentlich klarer) § 43 Abs 2 SGB VI a.F. deutlich. Das dort angesprochene "Absinken" der Erwerbsfähigkeit setzt nämlich voraus, dass sie zunächst bestanden und sich erst im Laufe der Zeit verringert hat (vgl BSGE 25/227, 230).
Wie bereits ausgeführt, braucht im Berufungsverfahren nicht abschließend entschieden zu werden, ob das SG im Hinblick auf die erheblich eingeschränkte Wegefähigkeit der Klägerin zu Recht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt ausgegangen ist; denn nach Auffassung des Senats gewinnt die Frage, ob die Klägerin zum Kreis der Versicherten gehört, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen oder in besonders starkem Maße erschwert ist (von einem die Mobilität wieder herstellenden Reha-Angebot der Beklagten abgesehen), entscheidungserhebliche Bedeutung für den streitigen Anspruch nur unter der weiteren Voraussetzung, dass eine dadurch hervorgerufene EU nicht ursächlich auf die "eingebrachten" Gesundheitsstörungen zurück geht. Die Feststellung, dass jetzt oder seit Juni 1998 EU vorliegt, weil die Klägerin im Sinne der konkreten Betrachtungsweise der in § 44 Abs 2 Satz 1 SGB VI normierten Tatbestandsvoraussetzungen von der Verwertung des ihr verbliebenen Restleistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, reicht also allein zur Anspruchsbegründung nicht aus; vielmehr ist (bei unzweifelhaft fehlender Wartezeit nach § 44 Abs 3 SGB VI) nach den Grundsätzen über die versicherungsrechtliche Behandlung von "Vorerwerbsleiden" ein Rentenanspruch auch dann nicht gegeben, wenn EU lediglich deshalb angenommen werden muss, weil der Versicherten der Zugang zum Arbeitsmarkt nur wegen solcher Krankheiten und Gebrechen verschlossen ist, die ihr objektives Leistungsvermögen unverändert bereits seit einem Zeitpunkt vor dem Eintritt in das versicherte Erwerbsleben oder (was vorliegend im Hinblick auf die spätestens im November 1994 - damals hatte die Klägerin statt der erforderlichen fünf Jahre erst 21 Pflichtbeitragsmonate zurückgelegt - nachgewiesene Nachtblindheit in Betracht kommt) vor Erfüllung der Wartezeit nach § 44 Abs 1 Nr 3 SGB VI entscheidend bestimmt haben und noch bestimmen.
Unterstellt, die im November 1994 und im Juni 1998 gleichwertig bestehende Einschränkung der Wegefähigkeit reiche zur Feststellung einer schweren, den Zugang zum Arbeitsmarkt praktisch ausschließenden Leistungsbehinderung nicht aus, ist nach Überzeugung des Senats ein derartiger Zustand vor Schluss der mündlichen Verhandlung des SG (am 08.03.2001) nicht eingetreten. In diesem Zeitpunkt erfüllte die Klägerin aber auch nicht die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI, weil von August 1998 bis Februar 2001 weder Beitragszeiten noch Anrechnungszeiten nachgewiesen sind und deshalb der (um zwei Monate Arbeitslosigkeit erweiterte) Fünfjahreszeitraum vom 01.01.1996 bis 28.02.2001 nicht für wenigstens drei Jahre (sondern nur für 28 Monate) Pflichtbeiträge aufweist.
Das angefochtene Urteil musste daher aufgehoben und die Klage gegen die ablehnenden Bescheide abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
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