L 6 RJ 306/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 130/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 306/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. April 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der am 1944 geborene Kläger hat zunächst eine Ausbildung als Schreiner absolviert und war bis 1965 in diesem Beruf tätig. Anschließend nahm er eine Tätigkeit als Fassadenmonteur auf und war in diesem Beruf bis zum Eintreten von Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 12.05.1993 beschäftigt.

Am 12.05.1998 beantragte der Kläger, nachdem er von der Beklagten gewährte berufsfördernde Maßnahmen aus gesundheitlichen Gründen hatte abbrechen müssen, erneut Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte holte ein orthopädisches Gutachten von Dr.M. vom 28. Juli 1998 und ein internistisches Gutachten von Dr.S. vom 19.08.1998 zum berufichen Leistungsvermögen des Klägers ein. Diese beurteilten den Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, seine Tätigkeit als Fassadenbauer oder Schreiner zu verrichten. Leichte bis mittelschwere Arbeiten seien dem Kläger jedoch zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes vollschichtig möglich.

Mit Bescheid vom 28.08.1998 lehnte die Beklagte den Rentenantrag daraufhin ab.

Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.01. 1999 zurück. Angesichts des verbliebenen Leistungsvermögens sei der Kläger weder berufs- noch erwerbsunfähig im Sinne der §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und habe keinen Rentenanspruch. Nach der Qualifikation seiner Tätigkeit als Fassadenbauer sei er lediglich als einfach angelernter Arbeitnehmer anzusehen.

Dagegen hat der Kläger zum Sozialgericht Augsburg Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat Arbeitgeberauskünfte eingeholt sowie den Zeugen H. aus dem Büro des letzten Arbeitgebers vernommen. Danach war der Kläger von 1971 bis 1994 bei der F. GmbH mit dem Montieren von Fassadenverkleidungen beschäftigt und wurde zuletzt im Akkordlohn nach Berufsgruppe IV des Manteltarifvertrages für das Baugewerbe entlohnt. Nach der Aussage des vom Sozialgericht in der Sitzung vom 29.09.1999 vernommenen Zeugen wurden in dieser Lohngruppe die im Betrieb tätigen Facharbeiter entlohnt. Nach den Angaben des Zeugen, der bei der Firma F. für die Abwicklung im Büro - Lohnpersonal Buchhaltung und Einkauf - zuständig war, sei der Kläger zuletzt als mitarbeitender Bautruppführer und verantwortlich für zwei bis fünf weitere Mitarbeiter auf der Baustelle tätig gewesen. Angelernte Fassadenarbeiter seien nach Lohngruppe V des Bautarifvertrages entlohnt worden. Ausgebildete Handwerker und für die Baustelle Verantwortliche seien in Lohngruppe IV nach dem Rahmentarifvertrag für das Baugewerbe entlohnt worden. Seinerzeit sei der Fassademonteur noch kein eigenständiger Ausbildungsberuf gewesen. Vielmehr hätten neben Arbeitern ohne Vorbildung ausgebildete Handwerker wie Zimmerer, Schreiner oder Spengler diese Tätigkeiten ausgeführt.

Neben den Ermittlungen zur beruflichen Qualifikation der versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers hat das Sozialgericht einen fachärztlich chirurgischen Bericht aus der Berusgenossenschaftlichen Unfallklinik in M. vom 22.09.1999 beigezogen und ein fachorthopädisches Gutachten zum beruflichen Leistungsvermögen des Klägers von Dr.S. vom 26.05.1999 mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 06.12.1999 eingeholt. Der ärztliche Sachverständige hat darin eine unfallbedingte Versteifung des linken Sprunggelenks, eine Neigung zu Wirbelsäulenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen, beginnende Verschleißerscheinungen des linken Hüftgelenks und des linken Knies festgestellt. Es sei dem Kläger mit Rücksicht darauf noch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit mit körperlich leichter Arbeit überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Stellungswechsels zumutbar, wie sie beispielsweise eine Tätigkeit aus dem Berufsfeld des Pförtners darstelle. Körperliche Schwerarbeit und ständig mittelschwere Arbeiten seien ebenso unzumutbar wie Arbeiten unter Zeitdruck in Akkord am Fließband, in Wechsel- oder Nachtschicht oder mit Zwangshaltungen, mit Heben und Tragen schwerer Lasten, auf Leitern und Gerüsten oder unter ungeschützten Witterungseinflüssen. Die Wegstrecke zum Arbeitsplatz sei auf höchstens 600 m einfach auf befestigten Wegen begrenzt.

Die Beklagte sah in der Tätigkeit des Klägers keine den Berufsschutz eines Facharbeiters hervorrufende Qualifikation. Zudem sei der Kläger auch nicht wie ein Facharbeiter - in Lohngruppe III -, sondern in Lohngruppe IV des Rahmentarifvertrages für das Baugewerbe entlohnt worden. Dies entspreche lediglich der Eingangsgruppe für Facharbeiter. Der Kläger wies dagegen darauf hin, dass die Berufsausbildung zum Fassadenmonteur erst im Mai 1999 die Anerkennung eines Ausbildungsberufes mit dreijähriger Ausbildungsdauer erfahren habe. Vorher hätten derartige Tätigkeiten Facharbeiter anderer anerkannter Berufsgruppen wie beispielsweise Zimmerer, Spengler oder Schreiner verrichtet.

Mit Urteil vom 24. April 2001 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Mai 1998 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Entscheidung hat es damit begründet, dass der Kläger angesichts seines verbliebenen Leistungsvermögens noch zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes einer vollschichtigen Arbeit mit dafür nicht wesentlichen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen verrichten könnte und er deshalb nicht erwerbsunfähig sei. Andererseits genieße er in Anbetracht der von ihm ausgeübten Tätigkeit den Berufsschutz eines Facharbeiters mit einer regelmäßigen Ausbildungsdauer von drei Jahren, da er diese Tätigkeit zuletzt vollwertig und nachhaltig verrichtet habe. Die von der Beklagten in diesem Zusammenhang genannten Verweisungstätigkeiten, wie leichte Montier-, Sortier-, Verpack- oder Maschinenarbeiten seien jedoch dem Kläger als ungelernte Tätigkeiten angesichts seines Berufsschutzes nicht zumutbar. Der Kläger habe daher Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Der Kläger genieße angesichts der beruflichen Qualifikation seiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nicht den Berufsschutz eines Facharbeiters. Auf ihre Anfrage habe die Firma F. am 30.07.1996 die Auskunft erteilt, dass der Kläger zu seiner Tätigkeit als Fassadenmonteur angelernt worden sei und dazu eine betriebliche Einarbeitung von 12 Monaten erforderlich gewesen wäre, eine Qualifiaktion, die auch von vollkommen fachfremden Versicherten in diesem Zeitraum erreicht hätte werden können. Seinerzeit habe die Firma F. zwar auch mitgeteilt, dass der Kläger sämtliche üblichen Arbeiten eines Facharbeiters mit mehr als zweijähriger Berufsausbildung verrichtet habe, als Vorarbeiter gegenüber drei Personen weisungsberechtigt gewesen sei und er als Facharbeiter nach dem Tarifvertrag des Baugewerbes entlohnt worden sei. Dies sei jedoch in sich widersprüchlich. Die Tätigkeit des Klägers sei daher nicht der eines Facharbeiters mit dreijähriger Ausbildung gleichzusetzen und könne auch nicht aus der Aussage des vom Sozialgericht vernommenen Zeugen abgeleitet werden. Zudem sei der Kläger lediglich im Wege des Bewährungsaufstieges in Lohngruppe IV des Manteltarifvertrages für das Baugewerbe entlohnt worden, auch wenn dies nach den späteren Aussagen der Firma F. im sozialgerichtlichen Verfahren und der Zeugenvernehmung auf die höhere Verantwortung des Klägers und die Vorarbeiterfunktion zurückzuführen gewesen sei. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der Senat hat Gutachten auf innerem, orthopädischem und nervenärztichem Fachgebiet zum beruflichen Leistungsvermögen des Klägers eingeholt.

In seinem internistischen Gutachten vom 26.04.2002 stellt Dr.E. als Gesundheitsstörungen einen arteriellen Bluthochdruck, eine arterielle Verschlusskrankheit Grad I bis II, eine chronische Bronchitis mit beginnender Obstruktion, eine Hepatomegalie und Fettleber sowie eine Hypercholesterinämie fest. Mit Rücksicht darauf sei der Kläger noch zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit mit leichten bis kurzzeitig mittelschweren Tätigkeiten in der Lage. Eine Tätigkeit als Schreiner sei damit nicht mehr möglich. Zu vermeiden seien Tätigkeiten, die dauerhaft im Freien und unter ungeschütztem Einfluss von Kälte, Nässe oder Hitze zu verrichten seien, ebenso Heben und Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten an Arbeitsplätzen, die mit vermehrtem Staubanfall oder in reizenden Gasen oder Dämpfen auszuführen seien.

Dr.K. stellt in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 16.04.2002 von Seiten seines Fachgebietes einen weitgehend unauffälligen psychiatrischen Untersuchungsbefund fest. Es bestünden lediglich Beschwerden im Sinne eines chronischen Lendenwirbelsäulen-Syndroms; eine eigenständige neurologische oder psychiatrische Erkrankung läge beim Kläger jedoch nicht vor. Dementsprechend seien dem Kläger leichte bis teilweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten vollschichtig möglich. Lediglich schwere körperliche oder ausschließlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten in Zwangshaltungen seien dem Kläger nicht mehr zumutbar. Dementsprechend sei eine Tätigkeit als im erlernten Beruf des Schreiners nicht mehr möglich.

In seinem orthopädischen Gutachten vom 19.04.2002 stellt Dr.F. Verschleißerscheinungen an der Lendenwirbelsäule, geringe Verschleißerscheinungen an den Hüftgelenken beidseits, deutlichen Verschleiß des linken Kniegelenks und minimaler Verschleiß des rechten fest sowie eine Ankylose des linken oberen Sprunggelenkes nach Verletzung und operativer Versteifung nach Arbeitsunfall im Jahre 1993. Mit Rücksicht darauf sei dem Kläger eine Tätigkeit als Schreiner oder Fassadenbauer nicht mehr zumutbar; es seien ihm jedoch noch körperlich leichte Arbeiten vollschichtig möglich. Pausenloses Stehen oder ununterbrochenes Sitzen ohne die Möglichkeit zum Wechsel der Körperposition sollte ebenso vermieden werden wie Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten, in kniender oder hockender Stellung, unter ungeschützten Einflüssen von Kälte, Nässe oder Zugluft, oder Tätigkeiten auf unwegsamen Gelände oder mit Heben und Tragen von Lasten.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. April 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Beigezogen waren die Akten der Beklagten und die des Sozialgerichts Augsburg, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der Berufungsakte zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sachlich ist sie jedoch nicht begründet, da das Sozialgericht zu Recht dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zugesprochen hat.

Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs.2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts an und sieht deshalb insoweit von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das Sozialgericht hat den Rechtsstreit entsprechend dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der geltenden Rechtslage entschieden.

Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme zum beruflichen Leistungsvermögen des Klägers hat das vom Sozialgericht Augsburg seiner Entscheidung zugrunde gelegte Beweisergebnis bestätigt. Die Sach- und Rechtslage besteht daher unverändert fort.

Entgegen der Ansicht der Berufungsklägerin rechtfertigt das Ergebnis der vom Sozialgericht durchgeführten Beweisaufnahme den vom Sozialgericht dem Kläger zugestandenen Berufsschutz eines Facharbeiters und entspricht darin auch den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen. Der Senat sieht die vom Sozialgericht Augsburg vorgenommenen Beweiswürdigung als schlüssig an und kann den dagegen vorgebrachten Einwendungen der Beklagten nicht folgen. Insbesondere hat das Sozialgericht der Aussage des von ihm vernommenen Zeugen besondere Bedeutung beigemessen und dadurch die in den vorherigen schriftlichen Auskünften der Firma F. in ihrer verkürzten Darstellung ungenauen und daher verschiedene Auslegungen zulassenden Auskünfte durch die Aussage des Zeugen als nunmehr eindeutig im Sinne des Klägers geklärt angesehen.

Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg ist daher nicht zu beanstanden. Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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