L 5 RJ 308/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 Ar 374/96 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 308/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 17. März 1997 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund eines am 28.06. 1995 gestellten Antrags des Klägers.

Der am 1947 geborene Kläger war in Strickereibetrieben als Arbeiter beschäftigt und entrichtete in der Zeit vom 23.09.1969 bis 11.02.1987 insgesamt 210 Monate Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung in Deutschland.

Die Ablehnung eines am 10.01.1989 gestellten ersten Rentenantrags des Klägers durch die Beklagte fand ihre Bestätigung beim Sozialgericht Landshut und beim Bayer. Landessozialgericht (Urteile vom 27.03.1991 und 26.05.1992).

Seit Mai 1989 erhält der Kläger in seiner Heimat Slowenien Invalidenrente.

Den am 28.06.1995 geltend gemachten Rentenanspruch lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.11.1995/Widerspruchsbescheid vom 13.01.1996 ab, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung die besonderen versicherungs- rechtlichen Voraussetzungen für Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vorgelegen hätten.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) hat der Kläger mangelnde medizinische Sachaufklärung gerügt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.03.1997 ebenfalls aus versicherungsrechtlichen Gründen abgewiesen. Der Kläger sei auch rückschauend nicht erwerbsunfähig gewesen. Dies ergebe sich aus den Feststellungen der Urteile des Sozialgerichts Landshut vom 27.03.1991 sowie des Bayer. Landessozialgerichts vom 26.05.1992. Bei einem zeitlich späteren Versicherungsfall - aus medizinischen Gründen - sei keine Anwartschaft mehr gegeben, erst recht nicht durch lückenlose Belegung über den März 1988. Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch seien keine Gründe ersichtlich.

Mit hiergegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegter Berufung (LSG) hat der Kläger vorgebracht, eigentlich schon seit 1989 arbeitsunfähig gewesen zu sein.

Ein am 27.03.1997 eingegangenes Gutachten des slowenischen Versicherungsträgers vom 15.10.1996 hat beim Erlass des Gerichtsbescheides, der am 25.03.1997 abgesandt worden ist, keine Berücksichtigung mehr gefunden. Die vom Senat veranlasste Übersetzung des Gutachtens vom 15.10.1996 zeichnet als Diagnosen eine Schuppenflechte, einen Gehirninsult und ein psychoorganisches Syndrom auf. Das Leistungsvermögen sei vollständig aufgehoben. Die Folgen der Gehirnblutung sind im Bericht vom 22.02.1995 des Allgemeinen Krankenhauses M. näher beschrieben. Danach erfolgte im Herbst 1968 eine subarachnoidale Blutung. Als Residuen seien noch eine einen Zentimeter große Veränderung vorhanden. Daraus resultierten ein ständiges Schwindelgefühl und eine Anfallsneigung. Vom Allgemeinen Krankenhaus M. hat der Kläger noch einen orthopädischen Bericht vom 23.11.1994 sowie internistische Berichte vom 22.03.1995, 15.02.1999, 19.03.1999 und 10.11. 1999, ebenso ein Protokoll der psychiatrischen Ambulanz vom März 1999 und otologische Berichte vom 09.02.1999, 16.12.1999 und 26.05. und 31.05.2000 nebst einem Gutachten vom 17.10.2000 vorgelegt. Die Beklagte hat sich dazu mit einer Stellungnahme ihres Prüfarztes Dr. D. vom 18.04.2001 geäußert und eine Schädigung des zentralen Nervensystems verneint. Der Kläger könne weiterhin leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen vollzeitig verrichten.

Der Kläger hat eine Bescheinigung über seine Arbeitslosigkeit vom 11.02.1988 bis 10.02.1989 in Jugoslawien vorgelegt, wogegen das Arbeitsamt Göppingen keine Unterlagen mehr hatte.

Der Senat hat den Kläger in Deutschland durch den Orthopäden Dr.L. , den Psychiater Dr.K. und den Internisten Dr.P. am 14.11.2000 begutachten lassen. Alle hielten den Kläger für fähig, als Arbeiter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig erwerbstätig sein zu können. Er könne aber nur noch leichte Arbeiten ohne dauerndes Stehen und Sitzen und nicht mit höchsten Ansprüchen an das Hörvermögen erbringen.

Der Kläger stellt den Antrag,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Landshut vom 17. März 1997 sowie des Bescheides vom 09.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.01.1996 zu verurteilen, ihm auf Grund des Antrags vom 28.06.1995 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 17.03.1997 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten des SG und der Beklagten. Hierauf wird ebenso wie auf den Inhalt der Akte des LSG zur Ergänzung des Sachverhalts und wegen Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz in der Fassung des Rechts- pflegevereinfachungsgesetztes SGG) ist zulässig, aber nicht begründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das SG dem Kläger keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zugesprochen.

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit kann der Kläger u.a. nur dann beanspruchen, wenn die letzten fünf Jahre vor dem Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mit mindestens drei Jahren Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt wären (sog. Drei-Fünftel-Belegung; §§ 43 Abs.1 Nr.2, 44 Abs.1 Nr.2 SGB VI) oder die Zeit vom 01.01.1984 bis zum Eintritt von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten voll belegt oder noch belegbar wäre (§§ 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB VI).

Die Zeit ab dem Rentenbezug (Mai 1989) gilt nach dem zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG noch nicht geltenden Abkommen mit Slowenien vom 25.08.1998 (Abk. 1998, vgl. Artikel 26 Absatz 2) als Streckungstatbestand iSd § 43 Abs.3 SGB VI. Damit sind beim Kläger diese besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab dem Inkrafttreten des Abkommens am 01.12.1998 für den Zeitraum vom März 1984 - März 1989 wieder erfüllt.

Für die vorangegangene Zeit bis zur Antragstellung am 28.06. 1995 fehlt es aber weiterhin an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen und dem Urteil des SG Bezug genommen werden. Die Ermittlungen des Senats haben keine weiteren Ansatzpunkte für das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergeben, wonach die Zeit seit 01.01.1984 mit Anwartschaftserhaltungszeiten noch belegbar wäre. Insbesondere ließen sich keine Beratungsfehler der Arbeitsverwaltung beweisen.

Nach § 43 Abs.2 Sätze 1 und 2 SGB VI (anzuwenden gemäß § 300 Abs.1 SGB VI) sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist.

Da der Kläger noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbsfähig sein kann - wie später noch erläutert wird - und er keinen qualifizierten Berufsschutz genießt, besteht kein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit. Er war in Strickereien zunächst in Leonberg, dann in Böblingen und zum Schluss in Geislingen beschäftigt, ohne dazu einen Beruf erlernt zu haben oder angelernt worden zu sein. Über das Berufsleben des Klägers in Deutschland ist zu wenig bekannt, um den "bisherigen Beruf" dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Auch die fehlende Behauptung des Klägers, einen Beruf erlernt zu haben oder angelernt worden zu sein, spricht gegen die Annahme eines qualifizierten Berufschutzes. Der Kläger ist damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, auf dessen weitem Feld er zweifelsohne mehr als die in § 43 Abs.2 SGB VI beschriebene Lohnhälfte verdienen kann.

Er ist aber auch nicht erwerbsunfähig. Dies verlangt nach § 44 Abs.2 SGB VI, dass der Versicherte auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (bzw. nach dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.03.1999 ab 01.04.1999 DM 630,00) übersteigt. Vielmehr sieht der Senat sogar ein vollschichtiges Leistungsvermögen als gegeben an, weswegen auch ein Anspruch auf eine sogenannte Arbeitsmarktrente nicht besteht (vgl. (§ 44 Abs.2 Satz 2 Nr.2 SGB VI). Der Beweis dafür ist durch die schlüssigen Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dres. L. , K. und P. erbracht. Nach deren Feststellungen sind dem Kläger zumindest leichte körperliche Tätigkeiten ohne zeitliche Einschränkungen möglich und zumutbar. Der Senat hat damit keine Zweifel am vollschichtigen Erwerbsvermögen des Klägers. Es fanden sich eine chronische Reflux- und Reizmagensymptomatik, leichte Raucherbronchitis, geringgradige Varikosis, leichte Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus, Zustand nach Subarachnoidalblutung 1968 ohne gravierende funktionelle Residuen und eine Psoriasis. Deren Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen sind jedoch entgegen den Befunden, Attesten und Gutachten aus Slowenien gering. Angesichts der Fülle der bereits vorliegenden Berichte und der gründlichen und genauen Untersuchungen in Deutschland sah sich der Senat auch nicht veranlasst, allein nach Vorlage eines weiteren kurzen und knappen Berichts in der mündlichen Verhandlung eine weitere Begutachtung vorzunehmen.

Auch liegt nach dem gesamten medizinischen Beweisergebnis keine Summierung odereine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor, bei der nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für an sich mögliche Vollzeittätigkeiten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 136 = NZA 1987, 38) und bei deren Vorliegen konkrete Verweisungstätigkeiten zu benennen wären. Dr.L. hält lediglich das Heben und Tragen schwerer Lasten sowie Arbeiten für ausgeschlossen, welche eine Zwangshaltung des Achsenorgans verlangten. Dr.K. stellt unter Würdigung des ersten Gutachtens durch den Nervenarzt Dr.S. 1990 sowie einer Computertomographie aus dem Jahr 1990 (Krankenhaus Bielefeld) sowie der in Regensburg erhobenen Befunde (Gutachten Dr.K.) sowie der nachfolgenden Gutachten fest, dass aus nervenärztlicher Sicht keine schwerwiegenden Gesundheitsstörungen vorlägen. Es handle sich um eine gering ausgeprägte, reaktiv depressive Verstimmung, offensichtlich zurückzuführen auf die schwierige soziale Situation, in der der Kläger lebe. Neurologisch besitze der Kläger eine ausgesprochen kräftig dimensionierte Muskulatur und auch Gebrauchsspuren, die für eine regelmäßige körperliche Belastung sprächen. Die Art des abgelaufenen Gehirnprozesses ließe sich im nachhinein nicht mehr genau abklären. Es seien jedenfalls keinerlei Ausfälle damit verbunden, die jetzt noch festgestellt werden könnten. Im übrigen bestünde eine leichte Lärmschwerhörigkeit beidseits mit einem seit Jahren bestehenden Tinnitus. Damit könne der Kläger noch vollschichtig arbeiten. Zu vermeiden seien Akkord- und Schichtarbeiten sowie Arbeiten, die besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit stellten. Dr.P. stellte fest, dass das Heben und Tragen schwerer Lasten wegen der Magensymptomatik entfallen und Tätigkeiten mit dauerndem Stehen bzw. Sitzen längerfristig vermieden werden müssten. Lediglich Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und höchsten Ansprüchen an das Hörvermögen ebenso wie mit dauerndem bzw. häufigem Kontakt mit hautreizenden Substanzen sollten entfallen.

Der Kläger ist auch nicht in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI voll erwerbsgemindert, da sein Leistungsvermögen nicht unter drei Stunden gesunken ist, noch teilweise erwerbsgemindert, was ein unter sechs Stunden gesunkenes LV verlangt (43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Jedoch erfüllt er auch nicht die durch Auslegung und richterliche Rechtsfortbildung geschaffene Erwerbsunfähigkeit, die auf den verschlossenen Arbeitsmarkt für Teilzeittätigkeiten abstellt. Denn er kann nach den oben angeführten Feststellungen, vollschichtig einer zumutbaren Verweisungstätigkeit nachzugehen.

Das Risiko, ob der Kläger auf eine dem verbleibenden Leistungsvermögen entsprechende Arbeitsstelle vermittelt werden kann, fällt in den Aufgabenbereich der Arbeitslosenversicherung (vgl. BSGE 56, 69; 44, 39).

Demgemäß war der Berufung des Klägers nicht stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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