L 5 RJ 315/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 1259/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 315/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. Januar 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In diesem Rechtsstreit geht es um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1946 in Bosnien-Herzegowina geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. In Deutschland hat er in der Zeit von 1970 bis 1978 81 Monate Versicherungszeit zurückgelegt und zwar als Baustellen- und Waldarbeiter bei der Stadtverwaltung H ... Nach seiner Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina hat er dort noch bis zum 04.02.1983 eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt.

Ein erster Rentenantrag vom 20.10.1978 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 14.08.1980 abgelehnt, weil der Kläger noch leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen vollschichtig verrichten könne. Den nächsten Rentenantrag vom 18.02.1983 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 08.07.1983/ Widerspruchsbescheid vom 21.12.1983 mit derselben Begründung ab. Diese Entscheidung wurde im anschließenden Klageverfahren vom Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 30.01.1985 (S 12 Ar 75/84 Ju) bestätigt. Mit dem Bescheid und nach dem Urteil erhielt der Kläger von der Beklagten das Merkblatt Nr.6 betreffend die Anwartschaftserhaltung für Renten wegen Berufs-/Erwerbsunfähigkeit in der damals geltenden Fassung. In der Heimat des Klägers führte der Antrag vom 18.02.1983 zu einer Invalidenrente.

Ein weiterer Rentenantrag vom 28.10.1986 wurde von der Beklagten nach stationärer Untersuchung des Klägers in Regensburg vom 28. bis 30.04.1987 mit Bescheid vom 27.05.1987 abgelehnt.

Am 01.03.1996 hat der zwischenzeitlich in Kroatien wohnende Auftrag der Beklagten durchgeführten Untersuchung diagnostizierte die Invalidenkommission ein organisches Psychosyndrom, zu dem jetzt auch angedeutete reaktive Beschwerden des anxiös-konversiblen und depressiven Typs infolge der Vertreibung aus Banja Luka und einer Trennung der Familie gekommen sei. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 27.02.1997 ab, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers zwar durch neurotische Störung, Herzleistungsminderung bei Bluthochdruck, Funktionsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen, Gallen- und Nierensteine sowie beginnende hirnorganische Leistungsstörung beeinträchtigt werde, er aber noch in der Lage sei, vollschichtig leichte Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck, ohne Publikumsverkehr, nicht auf Leitern und Gerüsten und in trockener, normal temperierter Umgebung zu verrichten. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.1997 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Landshut (SG) ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr.G. vom 26.08.1998 und ein Gutachten des Allgemeinarztes Dr.Z. vom 27.08.1998 eingeholt. Diese kommen zu dem Ergebnis, dass seit dem Vorgutachten keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Der Kläger könne noch leichte, zeitweise auch mittelschwere Arbeiten ohne Heben und Tragen, Bücken und Zwangshaltungen vollschichtig verrichten. Gestützt auf diese Gutachten hat das SG die Klage mit Urteil vom 28.01.1999 abgewiesen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und zur Begründung u.a. ausgeführt, er sei schon damals in Deutschland einige Zeit krank gewesen. Man habe ihm gesagt, er solle besser nach Jugoslawien fahren und sich dort behandeln lassen, was er auch getan habe, ohne zu wissen, dass man ihn so "übers Ohr gezogen" habe. Schon damals hätte er einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gehabt, wenn man ihn nicht einfach abgeschoben hätte.

Der Senat hat den Kläger in der Zeit vom 21. bis 23.05.2001 auf chirurgisch/orthopädischem, neurologisch-psychiatrischem und internistischem Fachgebiet durch die Dres. L. , V. und P. stationär untersuchen lassen. Dabei wurden zusammenfassend folgende Diagnosen gestellt:

1. Chronisches Kopfschmerzsyndrom, am ehesten vom Spannungskopfschmerztyp.
2. Verdacht auf Persönlichkeitsstruktur mit depressiven und hypochondrischen Zügen.
3. Leichtgradiges Halswirbelsäulen-, mittelgradiges Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit sich daraus ergebender Funktionseinschränkung ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defektes; lumbales pseudoradikuläres Schmerzsyndrom.
4. Periarthritis humeroscapularis links im Entfall eines schmerzhaften Bogens.
5. Beginnende Dupuytren sche Kontraktur Dig 4 rechts bei Ausübung der Grob- und Feingriffformen.
6. O-Bein-Fehlstellung bei Senk-Spreizfüßen beidseits und der Notwendigkeit des Tragens orthopädischer Hilfsmittel.
7. Mäßige kombinierte Hyperlipoproteinämie, deutliches Übergewicht.
8. Mäßiggradiger diffuser toxisch-nutritiver Leberparenchymschaden. Kleines unbedeutendes Milzhämangiom. Bekannte Cholezystolithiasis.
9. Große Nierenzyste links ohne fassbare Einschränkung der 10. Nierenfunktion. Geringgradige Prostatahyperplasie.

Dr.P. führt dazu in seiner zusammenfassenden Beurteilung aus, seit dem letzten Vorgutachten von 1998 habe sich der Gesundheitszustand nicht nennenswert verschlechtert. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig arbeiten. Nicht mehr zumutbar seien ausschließlich schwere und überwiegend mittelschwere körperliche Arbeiten sowie ausschließlich gehende, stehende und sitzende Tätigkeiten. Zu fordern sei der gelegentliche Wechsel der Arbeitsposition im Gehen, Stehen und Sitzen, ohne dass eine prozentuale Festlegung nötig sei. Auszuscheiden hätten ferner ausschließlich und überwiegende Arbeiten im Freien. Tätigkeiten mit Nacht- und Wechselschicht, im Akkord und mit erhöhten Anforderungen an die Stresstoleranz seien nicht mehr zumutbar. Darüber hinaus sei das Heben und Tragen von Lasten über 12,5 kg, häufiges Bücken und Treppensteigen sowie Arbeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten und am Fließband nicht mehr möglich.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 28.01.1999 sowie des Bescheides vom 27.02.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.08.1997 zu verurteilen, ihm ab Antragstellung Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28.01.1999 zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Nach §§ 43 Abs.1, 44 Abs.1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit, wenn sie berufs- bzw. erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäfti- Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Berufsunfähig sind gemäß § 43 Abs.2 SGB VI a.F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs oder der besonderen Anforderung ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Gemäß § 44 Abs.2 SGB VI a.F. sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgrenze bzw. (ab 01.04.1999) 630,00 DM pro Monat übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Nach § 43 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, der auf Versicherungsfälle anzuwenden ist, die nach diesem Datum eingetreten sind, haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs.2 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres unter den gleichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs.1 Satz 1 SGB VI) allein mit deutschen Versicherungszeiten erfüllt.

Das Erfordernis von drei Jahren Pflichtbeitragszeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Leistungsfalles ist, bezogen auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung, nicht erfüllt. Doch geht die Beklagte davon aus, dass der Kläger, der schon vor dem 01.01. 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches berechtigt ist, freiwillige Beiträge zu leisten, und dass damit die Anwartschaft gemäß § 240 Abs.2 Satz 1 Nr.1, 241 Abs.2 SGB VI a.F. gewahrt ist, auch ohne dass diese Beiträge tatsächlich geleistet werden (§§ 240 Abs.2 Satz 2, 241 Abs.2 Satz 2 SGB VI a.F.).

Der Kläger ist jedoch weder berufsunfähig im Sinne von § 43 Abs.2 a.F. SGB VI bzw. § 240 Abs.1, 2 SGB VI n.F.), noch erwerbsunfähig (§ 44 Abs.2 SGB VI a.F.) noch voll oder teilweise erwerbsgemindert (§ 43 Abs.1, 2 SGB VI n.F.), weil er nach dem Ergebnis der gerichtsärztlichen Begutachtung in erster und zweiter Instanz noch in der Lage ist, vollschichtig leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.

Insbesondere nach dem Ergebnis der dreitägigen umfassenden Untersuchung im Harlachinger Krankenhaus auf internistischem, orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet kann es daran keinen Zweifel geben. Im Vordergrund stehen beim Kläger Dauerkopfschmerzen, die im nervenärztlichen Gutachten als Spannungskopfschmerz interpretiert werden. Objektive pathologische Befunde, die die Kopfschmerzen organisch erklären würden, ließen sich nicht finden. Ein Computertomogramm des Kopfes war ebenso unauffällig wie bereits 1984. Als Ursache für die Schmerzen im Hinterkopf kann ein Halswirbelsäulen-Syndrom gelten. Für die vom Kläger geklagten rezidivierenden Schwankschwindelanfälle fand sich kein fassbares Korrelat. Neurologisch-psychiatrischerseits besteht der Verdacht auf eine Persönlichkeitsstruktur mit depressiven und hypochondrischen Zügen. Dieses Krankheitsbild hat sich chronifiziert. Sozialmedizinische Konsequenzen ergeben sich daraus jedoch nur insofern, als eine Reihe qualitativer Einschränkungen der Arbeitsmöglichkeiten des Klägers gegeben sind. Eine zeitliche Einschränkung des Arbeitsvermögens lässt sich daraus nicht ableiten.

Das leichtgradige Halswirbelsäulen- und mittelgradige Brust- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit nachvollziehbaren subjektiven Beschwerden weist gegenüber den Vorgutachten eine leicht zunehmende Funktionseinschränkung auf. Es bestehen aber keine Zeichen eines peripheren-neurogenen Defektes. Auch dieses Leiden begründet zwar qualitative Einschränkungen, aber keine zeitliche Begrenzung. Internistischerseits ergab sich kein Hinweis für eine zusätzliche rheumatologische Systemerkrankung.

Zusammenfassend kommen die Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit dem letzten Vorgutachten insgesamt nicht nennenswert verschlechtert hat. Seine frühere Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter kann er wegen der Notwendigkeit des Hebens und Tragens schwerer Lasten nicht mehr ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann er aber durchaus noch leichte und zeitweise mittelschwere körperliche Arbeiten vollschichtig verrichten. Nicht mehr zumutbar sind ausschließlich gehende, stehende und sitzende Tätigkeiten. Ein gelegentlicher Wechsel der Arbeitsposition muss möglich sein. Auszuscheiden hat ferner ein ausschließlich und überwiegendes Arbeiten im Freien. Unzumutbar sind Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschicht, im Akkord und mit erhöhten Anforderungen an die Stresstoleranz. Ferner verbieten sich Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 12,5 kg, sehr häufigem Bücken und Treppensteigen sowie Arbeiten mit Absturzgefahr. Daraus ergibt sich, dass über den Begriff der leichten Tätigkeit hinaus keine gravierenden zusätzlichen Einschränkungen vorhanden sind, so dass sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zahlreiche Einsatzmöglichkeiten ergeben, ohne dass diese im Einzelnen genannt werden müssten.

Da der Kläger in Deutschland als städtischer Hilfsarbeiter gearbeitet hat, genießt er auch keinen Berufsschutz, sondern ist auf das gesamte Feld des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar.

Ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der deutschen Rentenversicherung steht dem Kläger demnach auch weiterhin nicht zu. Es ist auch nicht erkennbar, dass er 1978 einen Anspruch auf eine deutsche Rente gehabt hätte, wenn er diese beantragt hätte.

Die Berufung konnte somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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