L 5 RJ 338/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 958/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 338/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18. Mai 1999 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 14. März 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 1996 abgewiesen.
II. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18. Mai wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit.

Der am ...1949 geborene Kläger war in Rumänien als Techniker im Maschinenbau beschäftigt. In Deutschland, wo er sich seit 1986 aufhält, war er nach beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen ab 15.01.1990 als Güteprüfer in der Fertigungskontrolle eines Fahrzeugherstellers (Firma M ...) in bis jetzt ungekündigter Stellung beschäftigt. Seit 1994 ist er allerdings wegen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule arbeitsunfähig. Es fanden stationäre Krankenhaus- und Kuraufenthalte, aber keine Opera- tion statt.

Am 26.09.1995 stellte der Kläger bei der Beklagten Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diese erholte ein Gutachten des Chirurgen Dr. Sch ... vom 06.12.1995, wonach trotz Abnutzungserscheinung der Halswirbelsäule und Bandscheibenschäden an der Lendenwirbelsäule mit Spinalkanalstenosen und Übergewicht noch ein vollschichtiges Arbeitsvermögen vorhanden sei, wenn auch nur in wechselnder Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeiten und mit einem Anmarschweg zur Arbeitsstelle von nicht über 800 m.

Mit Bescheid vom 14.03.1996/Widerspruchsbescheid vom 17.07. 1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Hiergegen hat der Kläger zum Sozialgericht Landshut (SG) Klage erhoben. Das SG hat zunächst Arztberichte der Orthopäden Dres. P ... und B ..., der Nervenärzte Dres. N ... und W ... sowie des Hausarztes Dr. H ... und der Neurochirurgischen Klinik G ... angefordert und dann Gutachten des Orthopäden Dr. Schw ... (01.06.1997), des Arztes für Psychotherapie Dr. K ... (November 1997), des Orthopäden Dr. D ... (21.03.1998) und des Leiters der Schmerzambulanz der anästhesieologischen Klinik R ..., Dr. A ..., eingeholt. Dr. Schw ... meint, der Kläger könne zwar nicht wegen der unzweifelhaft objektivierbaren neurologischen und orthopädischen Befunde, aber wegen einer Fehlverarbeitung eines organisch bedingten Schmerzsyndroms nur noch ein bis drei Stunden tätig sein. Es sei die Aufgabe eines Psychotherapeuten, die willensgesteuerten Arbeitshemmungen des Klägers abzubauen. Dr. K ... ist zu dem Ergebnis gelangt, dass eine depressive Erkrankung nicht vorliege und es sich vielmehr um eine Schmerzfehlverarbeitung handele. Während des gesamten Untersuchungsvorgangs sei aber der deutliche Eindruck einer Aggravation entstanden. Eine psychotherapeutische Behandlung sei jedoch bei der fehlenden Motivation des Klägers nicht angezeigt. Er könne weiterhin vollschichtig leichte Arbeiten, wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Dr. D ... vertritt ebenfalls die Auffassung, dass eine Schmerzfehlverarbeitung und eine chronische Schmerzkrankheit vorliege und bei deren Verifizierung durch einen neurologisch-psychiatrischen, eher schmerztherapeutisch erfahrenen Arzt von einem unterhalbschichtigen Erwerbsvermögen ausgegangen werden könne. Dr. A ... hat festgestellt, dass es das Ziel des Klägers sei, sozial abgesichert zu werden. Dies stehe den zur Überwindung der Schmerzkrankheit hauptsächlich genutzten verhaltenstherapeutischen Maßnahmen entgegen. Es werde wahrscheinlich nicht gelingen, den Kläger davon zu überzeugen, dass er durch derartige Bemühungen einen Teil seiner Lebensqualität und seines Leistungsvermögens wieder erlangen werde. Die Gewährung einer vorläufigen Rente für ca. ein Jahr sei sinnvoll, um in dieser Zeit eine intensive interdisziplinäre Schmerztherapie durchzuführen.

Durch Urteil vom 18.05.1999 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente auf Zeit bis zum 31.05.2000 zu gewähren.

Hiergegen hat zunächst die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Das SG habe die Einwände des Nervenarztes Dr. L ... (vom 12.05.1999) gegen das Gutachten des Dr. A ... nicht hinreichend gewürdigt und zu Unrecht eine psychiatrische Begutachtung unterlassen. Dr. A ... habe die entscheidende Frage nicht beantwortet, ob der Kläger mit zumutbarer Willensanstrengung in der Lage sei, seine einer Arbeitsaufnahme entgegenstehenden Hemmungen zu überwinden.

Der Berufungsbeklagte (Kläger) hat am 28.10.1999 Berufung eingelegt mit dem Antrag, ihm Dauerrente zu gewähren.

Das LSG hat am 30.06.2000 ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ki ... eingeholt. Danach sei der neurologische Untersuchungsbefund normal und lasse sich mit dem gezeigten Verhalten (z.B. Gangbild) nicht in Einklang bringen. Auch liege kein krankhafter seelischer Untersuchungsbefund vor. Es gebe keine Hinweise darauf, dass ein primär körperlich bedingter Schmerz sich durch unbewusste seelische Vorgänge verselbständigt habe. Dr. A ... gehe nicht auf die Diskrepanz zwischen den angegebenen Beschwerden und den objektiven Befunden ein. Bei dieser Befundlage könne der Kläger noch leichte, kurzfristig mittelschwere Arbeiten unter einigen Einschränkungen ausführen. Die psychische Belastbarkeit sei normal und die intellektuelle Ausstattung über dem Durchschnitt. Wegen des Verbots schweren Hebens und Tragens könne der Kläger seine zuletzt konkret ausgeübte Beschäftigung als umgeschulter Güteprüfer nicht mehr verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er weite Berufsfelder besetzen. Der Nervenarztes Dr. L ... (Stellungnahme der Beklagten vom 13.09.2001) meint nunmehr, dass der Kläger in der Lage sei, weiterhin die Tätigkeit als Güteprüfer verrichten zu können, wenn auch nicht bei seinem letzten Arbeitgeber. Er verfüge aufgrund seiner Vorkenntnisse und aufgrund der tatsächlich bereits ausgeübten Tätigkeit als Güteprüfer im industriellen Bereich über die notwendigen Erfahrungen, um eine reelle Vermittlungschance als Qualitätsprüfer zu haben. Das LSG hat den Beteiligten Stellungnahmen des Landesarbeitsamts Bayern vom 17.05.2000 (Az.: S 14 Ra 61/97 des SG Nürnberg) und vom 21.02.2001 (Az.: S 17 RJ 562/99 des SG Nürnberg) übergeben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18.05.1999 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 14.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.1996 abzuweisen und die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 18.05.1999 sowie des Bescheides vom 14.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.1996 zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 26.9.1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten erster und zweiter Instanz sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch ansonsten zulässig.

Das Urteil des SG war aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit setzt gemäß §§ 43 Abs.1 Nr.2, Abs.3, 44 Abs.1 Nr.2, Abs.4 SGB VI § 43 SGB VI zunächst, neben der hier vorliegenden allgemeinen Wartezeit, voraus, daß die letzten fünf Jahre vor dem Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mindestens drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind oder die Zeit ab 01.01.1984 bis zum Eintritt von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten voll belegt oder noch belegbar ist (§§ 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB). Beim Kläger ist diese sogenannte versicherungsfallnahe Belegungsdichte bis zur Rentenantragstellung gegeben und durch den Bezug von Lohnersatzleistungen der Arbeitsverwaltung (sonstiger Versicherter, § 3 Abs.1 Nr.3 SGB VI) gewahrt (§§ 43 Abs.1 Nr.2, Abs.3, 44 Abs.1 Nr.2, Abs.4 SGB VI trotz des mit ÄndG v. 15.12.1995 geänderten Wortlaut, vgl. § 305 und Kasseler Kommentar-Niesel, Anmerkungen 17 und 128a zu § 43).

Zu keinem Zeitpunkt bestand jedoch beim Kläger eine verminderte Erwerbsfähigkeit.

Gem. § 44 Abs.2 SGB VI (in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung) sind Versicherte erwerbsunfähig, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (bzw. ab 01.04.1999 einen Betrag von 630.- DM monatlich) übersteigt. Nach der ab 01.01.2001 geltenden Vorschrift des § 43 Abs.2 S.1 und 2 SGB VI (Reformgesetzes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl. 1827) ist voll erwerbsgemindert, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs.1 Satz 2 n.F.), wer auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Keiner dieser drei Tatbestände liegt vor. Alle Sachverständigen - auch Dr. A ... mit bis zu drei Stunden - hielten noch ein über zweistündiges Erwerbsvermögen für gegeben, womit der Kläger auch mehr als ein Siebtel des genannten Betrages verdienen kann.

Dem Kläger ist der Arbeitsmarkt aber auch nicht praktisch verschlossen (Beschluss des Großen Senats des BSG vom 10.12.1996, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr.13; beibehalten im Reformgesetz der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl. 1827 nach § 43 Abs.3, 2. Halbsatz n.F.). Bei dieser sogenannten Arbeitsmarktrente beurteilt sich die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten nicht nur nach der im Gesetz allein genannten - gesundheitlichen - Fähigkeit, Arbeiten zu verrichten, sondern auch danach, durch Arbeit Erwerb zu erzielen, was bei einem lediglich zur Teilzeitarbeit fähigen Versicherten - zur Zeit - nicht der Fall ist. Nach Überzeugung des Senats besitzt der Kläger aber ein vollschichtiges Erwerbsvermögen. Damit ist er erst recht nicht nach der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des § 43 Abs.2 S.1 und 2 SGB VI (Reformgesetzes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl. 1827) teilweise (unter sechstündiges Arbeitsvermögen) erwerbsgemindert.

Den Beweis eines solchen Leistungsvermögens stützt der Senat auf die schlüssigen Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dres. K ... und Ki ... Nach deren Feststellungen sind dem Kläger zumindest leichte körperliche Tätigkeiten noch vollschichtig möglich und zumutbar. Das Gutachten von Dr. A ... ist widerlegt durch das zeitlich spätere Gutachten von Dr. Ki ... Der Senat kann - entgegen der Ansicht des SG - der Einschätzung des Dr. A ... nicht folgen, weil die von ihm angenommene Einschränkung des Leistungsvermögens nicht schlüssig begründet ist. Dr. A ... konnte die Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. K ... nicht damit überzeugend widerlegen, wenn er zwar von einer unüberwindbaren Arbeitshemmung krankhafter Natur ausgeht, gleichzeitig aber als Ziel des Klägers feststellt, sozial abgesichert zu sein, sowie des weiteren, dass diese Einstellung den zur Überwindung der Schmerzkrankheit hauptsächlich genutzten verhaltenstherapeutischen Maßnahmen entgegenstehe und es wahrscheinlich nicht gelingen werde, den Kläger davon zu überzeugen, dass er durch therapeutische Bemühungen einen Teil seiner Lebensqualität und auch seines Leistungsvermögens wieder erlangen werde. Damit nimmt Dr. A ... lediglich auf die soziale und wirtschaftliche Situation des Klägers Bezug, ohne auf bewiesene seelische Gesundheitsstörungen und deren Überwindbarkeit abzustellen. Sein medizinisches Fachgebiet betreffend - also nicht seine Bewertung der Gegebenheiten des Arbeitsmarkts - bringt er deutlich zum Ausdruck, dass eine Rentenneurose im klassisch definierten Sinne nicht besteht, wie dem Gutachten überhaupt eine solche Auseinandersetzung fehlt. Dr. A ... gibt keine Erklärung dafür, warum der Kläger ohne fassbar organische Befunde- zumal bei guten körperlichen Befunden, die er selbst einräumt (vgl. S.9, 10) - keine acht Stunden arbeiten kann. Dabei bietet die neuere psychiatrische Literatur durchaus Anhaltspunkte zur Einschätzung der Erwerbsbeeinträchtigung durch somatoforme (Schmerz-)Störungen (B. Widder und J. C. Aschoff, somatoforme Störung und Rentenantrag: Erstellen einer Indizienliste zur quantitativen Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens, MEDSACH 95, 14 ff., Foerster, a.a.O. FN 9; Konrad, a.a.O. FN 18; Hausotter in Suchenwirth, Kunze und Krasney, Neurologische Begutachtung, 3.Aufl., 2000, Kap 37; Suchenwirth, MEDSACH 1997, 184; Foerster, Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5.Aufl., 1995, Kap 25, S.509 ff.). Die dort angeführten Kriterien oder Indizienlisten bzw. eine begründete Gesamtschau bei kritischer Würdigung der geklagten Beschwerden werden in dem besagten Gutachten nicht abgehandelt. Die von Dr. A ... herangezogenen Schmerztests belegen keine übermäßige Beeinträchtigung, z.B. erreicht der Kläger auf der Schmerzempfindungsskala 33 bei max. 56 bzw. 23 bei max 40 Punkten, woraus der SV selbst die Schlussfolgerung zieht, dass kein abnormer Leidensdruck vorliegt (S.3 des GA).In der allgemeinen Depressionsskala erreicht der Kläger einen Punktewert von 21 gegenüber einem kritischen Wert von erst 23 Punkten. Allerdings liegen die auf Selbsteinschätzung basierenden Tests im pathologischen Bereich (BL nach v. Zerssen und PDI nach Dillmann u.a.). Dr. A ... bringt dann auch selbst seine diagnostische Unsicherheit zum Ausdruck, wenn er anführt, dass es zwischenzeitlich zu einer Verselbständigung der Schmerzsymptomatik gekommen sein "dürfte".

Schließlich hat der Kläger bis heute keine fachpsychiatrischen Behandlungen mit Psychotherapie wahrgenommen, womit zurecht der später befasste Sachverständige Dr. Ki ... auf einen fehlenden Leidensdruck durch die somatoforme Störung hinweist (Merkmal der durchgeführten und fortgesetzten Therapie, vgl. Hausotter, MEDSACH 1995, 12). Dadurch zeigt sich auch, dass der Zweck bzw. die Besserungsprognose der vom SG zugesprochenen Zeitrente nicht erzielt worden ist. Dr. Ki ... hat im Übrigen eine sorgfältige Anamnese unter Einbeziehung aller mit der Sache befassten Arztberichte erhoben. Anhand des danach dargestellten Krankheitsverlaufs (z.B. weiterbefolgte konservative Behandlung trotz Operationsindikation und fehlende psychotherapeutische Behandlung) bezweifelt er zurecht die Kompetenz des Anästhesisten und Narkosearztes Dr. A ... für die Frage der Therapiefähigkeit eines psychotherapeutisch anzugehenden Fehlverarbeitungssyndroms. Er stellt zurecht darauf ab, dass es in derart kontrovers gelagerten Fällen die wichtigste gutachtliche Aufgabe ist, die Angaben des Rentenbewerbers und die Befunde auf ihre Nachvollziehbarkeit hin zu überprüfen. Dazu stehen objektive Kriterien zur Verfügung: z.B. fehlende Gebrauchsspuren an Armen und Beinen. Derartige sekundäre Veränderungen einer Schonhaltung am Muskel- und Halteapparat (schlaffer Tonus, trophische Muskelstörungen, rasche Abnahme der Beschwielung und trophische Störungen) konnte Dr. Ki ... nicht erkennen. Damit sind konkrete Zweifel an einer organischen Genese des behaupteten Unvermögens zur körperlichen Tätigkeit gerechtfertigt. Dr. Ki ... hat darüber hinaus einen normalen neurologischen Untersuchungsbefund erhoben und festgestellt, dass das vom Kläger gezeigten Verhalten (z.B. Gangbild etc.) nicht in Einklang zu bringen ist mit dem vorgegebenen Unvermögen. Insgesamt gibt es, da kein krankhafter seelischer Untersuchungsbefund vorliegt, keine Hinweise darauf, dass ein primär körperlich bedingter Schmerz sich durch unbewusste seelische Vorgänge verselbständigt hat. Vielmehr kann die seelische Fehlhaltung des Klägers - nach Dr. Ki ..., dessen Ansicht der Senat beitritt - durch eine zumutbare Willensanspannung überwunden werden. Damit konnte Dr. A ... den Senat nicht in dem nötigem Beweisgrad einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass der Kläger nicht mehr imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig einer Tätigkeit nachzugehen. Das BSG hat sich mehrfach mit dieser Fragestellung beschäftigt (BSG SozR Nrn.38, 39, 76 zu § 1246 RVO, 12.) 1990, Az.: 5 RJ 88/89 SozVers 1991, 81-82). Seelisch bedingte Störungen sind danach wie eine körperliche Krankheit anzusehen, wenn sie durch Willensentschlüsse des Betroffenen nicht oder nicht mehr zu beheben sind. Zu prüfen ist, ob der Versicherte die seelischen Hemmungen entweder aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe überwinden kann. Wenn das möglich ist, muss der Versicherte alle verfügbaren "Mittel seines Willens" einsetzen (BSG SozR Nr.76 zu § 1246 Aa 69). Es ist mit dem Sinn und Zweck der Rentengewährung bei Berufsunfähigkeit unvereinbar, dass gerade die Rentengewährung den Zustand aufrechterhält, dessen nachteilige Folgen sie ausgleichen soll (BSG SozR Nr.39 zu § 1246 Aa 29). Die Vorschriften über die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zeigen den gegebenen Weg, um der Neurose in der Praxis zu begegnen. Diese Leistungen haben Vorrang vor der Rentengewährung. Anhand dieser Maßstäbe hat der Sachverständige Dr. Ki ... überzeugend das Ausmaß der seelisch bedingte Störungen des Klägers dargelegt und maßgeblich zur Überzeugungsbildung des Senats beigetragen.

Nach § 43 Abs.2 Sätze 1 und 2 SGB VI (bzw. ohne inhaltliche Änderung § 240 SGB VI ab 01.01.2001) sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Ausgangspunkt für die Beurteilung von Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.107, 169). Der Kläger ist nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-2200 § 1246 Nr.13) bezüglich seiner Berufstätigkeit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Dies zeigt sowohl die bislang zurückgelegte Arbeitsbiographie wie auch seine letzte Eingruppierung (Gruppe 8) des Metalltarifvertrages bei der Firma M ... als Qualitätsprüfer/Güteprüfer in der Fertigungskontrolle ab 15.01.1990 bis zur Arbeitsunfähigkeit ab 31.10.1994. Auch hat der Kläger in Rumänien eine Ausbildung als Maschinenbautechniker erfahren und in Deutschland einen CNC-Lehrgang absolviert. Ein Versicherungsfall ist aber nicht eingetreten, solange der Versicherte seinen bisherigen oder eine zumutbaren Verweisberuf noch ohne wesentliche Einschränkungen weiter ausüben kann. Nach dem Wortlaut des § 43 Abs.2 Satz 1 SGB VI ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit krankheitsbedingt auf weniger als die Hälfte der Erwerbsfähigkeit eines gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen herabgesunken ist. Dabei sind nach § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI alle Tätigkeiten in Betracht zu ziehen, die den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung von Dauer und Kenntnisstand seines bisherigen Berufes zugemutet werden können. Welche Tätigkeiten für den einzelnen Versicherten als zumutbare Verweisungstätigkeiten in Betracht kommen, ist dem Gesetz nicht unmittelbar zu entnehmen; es gibt lediglich allgemeine Kriterien für die Bestimmung der Zumutbarkeit an: Ausbildungsstand des Versicherten sowie Anforderungen, die der bisherige Beruf an den Versicherten gestellt hat. Die gesetzlichen Maßstäbe sind indessen von der Rechtsprechung konkretisiert worden. Danach liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn keine dem Ausbildungsstand und der bisherigen beruflichen Beschäftigung zumutbare Verweisungstätigkeit vorhanden ist. Dazu hat das BSG aufgrund seiner Beobachtung der tatsächlichen Gegebenheiten der Arbeits- und Berufswelt ein Mehrstufenschema entwickelt. Dieses gliedert die Arbeiterberufe in verschiedene "Leitberufe", nämlich denjenigen des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters", des Facharbeiters« (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des "angelernten Arbeiters" (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters" (vgl. z.B. BSG vom 12.09.1991, SozR 3-2200 §1246 Nr.17 m.w.N.). Zumutbar sind Versicherten, die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können, alle Tätigkeiten, die zur Gruppe ihres bisherigen Leitberufs oder eine Stufe niedriger einzuordnen sind als der von ihnen bisher ausgeübte Beruf. Eine derart zumutbare Berufsausübung liegt in der Tätigkeit des Qualitätsprüfers in der metallverarbeitenden Industrie im konkreten Fall des Klägers vor. Bei Qualitätskontrolleuren handelt es sich um eine für Facharbeiter zumutbare Qualifikationsstufe. Dies ergibt sich aus der den Beteiligten bekannt gegeben Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern vom 21.02.2001 (erstellt für das Sozialgericht Nürnberg, Az.: S 17 RJ 562/99), die sich die Beklagte in ihrem Schreiben vom 13.09.2001 zu eigen gemacht und damit ihrer Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein eines Vergleichsberufs in der Arbeitswelt sowie dessen (fachlich-qualitatives) Anforderungs- und (gesundheitliches) Belastungsprofil genügt hat (vgl. zum Benennungserfordernis BSG, Entscheidung vom 14.05.1996, Az.: 4 RA 60/94).

Das LAA nimmt vom Beruf des Kfz-Mechanikers ausgehend eine zumutbare Verweisungstätigkeit im Beruf des Qualitäts- oder Maßprüfers in der metallverarbeitenden Industrie an, obwohl der dortige Versicherte keine Erfahrung in der industriellen Fertigung hatte. Es könne dennoch davon ausgegangen werden, dass nach bis zu dreimonatiger Einarbeitung in der Automobil- oder Zuliefer-, evtl. aber auch in der Metallindustrie allgemein ein Einsatz zumindest auf der Ebene der Anlernberufe möglich sei. Zwar nehme die Zahl reiner Kontrollarbeitsplätze ab, dennoch könne bei dem Umfang, den die Metallindustrie im weitesten Sinn unter den Wirtschaftszweigen des Bundesgebietes habe, davon ausgegangen werden, dass Arbeitsplätze für Qualitätskontrolleure auf der Qualifikationsstufe der Anlerntätigkeiten und der Facharbeiterberufe noch in nennenswertem Umfang existierten. Derartige Kontrollarbeitsplätze werden zwar bevorzugt und weitestgehend wegen ihrer Möglichkeit zur Umsetzung leistungsgeminderter Mitarbeiter und der Motivierung der Mitarbeiter durch den häufig damit verbundenen beruflicher Aufstieg, innerbetrieblich besetzt. Daher haben außenstehende Bewerber üblicherweise nur Zugang zu entsprechenden Stellen, wenn sie z.B. über einschlägige besondere Qualifikationen oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen. Gerade das ist aber beim Kläger, der auch ein Zusatzqualifikation als CNC- Anwender erfahren hat (in der Zeit, als der Kläger vom 16.10.1986 bis 17.06.1989 arbeitslos war), durch seine Tätigkeit bei der Fa. M ... sowie seine sonstige Ausbildung (dreijähriges Technikum in Rumänien) der Fall. Vom körperlichen Leistungsvermögen her werden in der Regel für Kontrolltätigkeiten gutes Nahsehvermögen, beidhändiges Handgeschick und Fingerfertigkeit, möglichst uneingeschränkte Funktionstüchtigkeit eines, besser beider Arme verlangt. Außerdem stellen Kontrolltätigkeiten hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Genauigkeit, das Konzentrationsvermögen und Verantwortungsbewusstsein. Diesem Anforderungsprofil genügt der Kläger mit dem von den Sachverständigen Dres. Schw ..., Kiessling, D ... und Ki ... festgestellten Arbeitsvermögen. Nach dem Gutachten von Dr. Ki ... sei wegen des Verbots schweren Hebens und Tragens die zuletzt konkret ausgeübte Beschäftigung als Güteprüfer nicht mehr möglich; Prüftätigkeiten beinhalten aber nach der Auskunft des LAA sehr häufig geringere körperliche Belastungen. Damit ist dieser Beruf des Qualitätsprüfers schlechthin für den Kläger gesundheitlich zumutbar. Auf den zuletzt innegehabten Arbeitsplatz kommt es bei der pauschalierenden Betrachtungsweise nicht an.

Das Arbeitsmarktrisiko, das nach der bisherigen Rechtsprechung für den Personenkreis des Klägers (neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter) von der Bundesanstalt für Arbeit getragen wird, soweit noch Arbeitslosengeld zu zahlen ist, vom Bundeshaushalt, soweit Arbeitslosenhilfe zu zahlen ist, und im übrigen von den Sozialhilfeträgern, darf nicht auf den Rentenversicherungsträger verlagert werden (Beschluss des Großen Senat des BSG vom 19.12.1996, Az.: GS 2/95; zweite Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (2. SGB VI-ÄndG) vom 02.05.1996 ). Die Neufassung des Rechts der Arbeitsförderung und der Arbeitslosenversicherung 1997 sieht gerade für diesen Personenkreis eine besondere Förderung vor (vgl. z.B. Regelungen zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit in § 6 SGB III, besonderer Begriff des Langzeitarbeitslosen in § 18 SGB III und Vorschriften zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten in §§ 48 ff. SGB III).

Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen, da ihm erst recht keine Dauerrente zusteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs.1 Nrn.1 und 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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