L 16 RJ 343/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 1634/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 343/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.02.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Gewährung von Regelaltersrente.

Der am 1933 geborene Kläger hat 1959 die Landwirtschaftsgehilfenprüfung und 1963 die landwirtschaftliche Meisterprüfung bestanden. Er ist seit 31.10.1966 Mitglied der landwirtschaftlichen Alterskasse und erhält von dieser aufgrund von ab 01.06. 1965 entrichteten Beiträgen Altersrente. Von der Beklagte hat er sich seine Beiträge am 07.08.1964 erstatten lassen. Die Erstattungsakte ist bereits vernichtet. Sein Erstantrag auf Anerkennung einer Elternlehre wegen des Erlernens der Landwirtschaft im elterlichen Betrieb von 1948 bis 1953 vor dem Besuch der Landwirtschaftsschule 1957/1958 ist von der Beklagte mit Bescheid vom 08.10.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1997 abgelehnt worden. Mangels Nachweises wie Lehrvertrag, Lehrzeugnis oder ähnlichem sei eine Anerkennung als Ausbildungszeit gemäß § 247 Abs.2a SGB VI nicht möglich. Notwendig sei der Nachweis eines Beschäftigungsverhältnisses, nicht ausreichend sei familienhafte Mitarbeit. Im dagegen angestrengten Klageverfahren hat der Kläger das Prüfungszulassungsschreiben des Landwirtschaftsamts M. vom 19.05.1958 vorgelegt, worin auf neun Jahre praktische landwirtschaftliche Tätigkeit abgehoben wird, davon zwei Jahre auf einem anerkannten Lehrbetrieb, hier allerdings ohne Lehrverhältnis. Nach der Rücknahme der Klage am 29.04.1998 beantragte der Kläger am 02.06.1998 wegen des Lehrverhältnisses beim Vater von 1950 bis 1954 und des Besuchs der Landwirtschaftsschule die Gewährung von Altersrente. Er legte schriftliche Aussagen darüber vor, dass er ab November 1954 ein Jahr lang in einem anerkannten Lehrbetrieb als Traktorfahrer wie ein Auszubildender tätig war. Das Amt für Landwirtschaft und Ernährung in S. erklärte auf Anfrage der Beklagten, bei der Zulassung zur Gehilfenprüfung habe es sich um einen Ausnahmefall gehandelt. Im beigefügten Anmeldungsbogen vom 27.03.1959 sind lediglich berufsfördernde Kurse, keine Landwirtschaftslehre angegeben. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag am 15.07.1998 mit der Begründung ab, ein Lehrverhältnis im elterlichen Betrieb sei nicht nachgewiesen und die Zeit von 1954 bis 1961 sei wegen Beitragserstattung nicht anrechnungsfähig. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, Lehrverträge seien damals in der Landwirtschaft nicht üblich gewesen; dass er im elterlichen Anwesen praktisch eine Lehre absolviert habe, müsse für die Gleichstellung mit anderen Berufssparten ausreichend sein. Im Widerspruchsbescheid vom 29.10.1998 heißt es, weder die Wartezeit für die Rente noch § 247 Abs.2 a SGB VI seien erfüllt, da vom Vater keine Lehranzeige erfolgt sei. Eine langjährige praktische Berufsausbildung sei keine Berufsausbildung im Sinne von § 247 Abs.2 a SGB VI. Mit seiner Klage vom 27.11.1998 wies der Kläger unter anderem auf eine Entscheidung des BSG vom 27.02.1997 hin. Gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts vom 16.02.2001 legte der Kläger nach der Zustellung am 19.05.2001 am 13.06.2001 Berufung ein und wiederholte seine Behauptung, tatsächlich im elterlichen Betrieb eine Lehrzeit absolviert zu haben. Die Wartezeit wäre erfüllt, wenn er nicht vor der Beitragserstattung dahingehend belehrt worden wäre, er habe keine Chance, aus diesen Einzahlungen je eine Rente zu bekommen.

Der Kläger beantragt:

1. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut aufgehoben.
2. Ferner werden aufgehoben die zugrundeliegenden Bescheide vom 15.07.1998 und vom 29.10.1998.
3. Dem Antragsteller wird Regelaltersrente gewährt.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.02.2001 ist eben- sowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 15.07. 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.1998. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Altersrente. Wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt hat, scheitert die Bewilligung einer Regelaltersrente an der mangelnden Wartezeiterfüllung. Auf die gemäß § 50 Abs.1 SGB VI notwendige allgemeine Wartezeit von fünf Jahren werden rechtswirksam gezahlte Beiträge nach Bundesrecht oder früheren reichsgesetzlichen Bestimmungen sowie nach dem Fremdrentengesetz gleichgestellte Zeiten angerechnet sowie die Zeiten der Kindererziehung (§§ 56, 249 SGB VI), Ersatzzeiten nach § 250 SGB VI (z.B. Militärdienst, Vertreibung) und Wartezeitmonate aus übertragenen oder begründeten Rentenanwartschaften auf- grund eines Versorgungsausgleichs (§ 52 SGB VI). Der Kläger, dessen Ehefrau offensichtlich aufgrund der Kindererziehungszeiten Rente von der Beklagten bezieht, kann lediglich Zeiten einer beruflichen Ausbildung gemäß § 247 Abs.2 a SGB VI geltend machen. Rechtswirksam gezahlte Beiträge sind ihm mit Bescheid vom 07.08.1964 erstattet worden, so dass alle Ansprüche aus den bis dahin geleisteten Beiträgen abgegolten waren. Später hat der Kläger zur Beklagten keine Beiträge entrichtet. Versicherungsverhältnis aufgelöst wird und Ansprüche aus dem bis zur Erstat- tung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten nicht mehr bestehen (§ 210 Abs.6 Satz 2 und 3 SGB VI), ist ein grundsätzlicher Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung von Ausbildungszeit bis 1954 nicht ausgeschlossen. Vor dem 01.01.1992 durchgeführ- te Beitragserstattungen richteten sich in ihren Auswirkungen nach den bis dahin geltenden §§ 1303 RVO, 82 AVG. Die damalige Verfallswirkung erfasste Beitragszeiten, ihnen gleichstehende Zeiten und beitragslose Zeiten, die bis zum Zeitpunkt der Beitragserstattung zurückgelegt waren. Beitragslose Zeiten mussten zum Zeitpunkt der Beitragserstattung jedoch anerkennungsfähig gewesen sein. Trat die Anerkennungsfähigkeit erst infolge ei- ner späteren Rechtsänderung ein, wurde der zugrunde liegende Sachverhalt von der Verfallswirkung nicht erfasst (vgl. BSGE Band 53, 194). Weil aber § 247 Abs.2 a SGB VI, worauf sich der Kläger stützt, erst mit Wirkung ab 1. Januar 1992 durch Art.1 Nr.7 des Rentenüberleitungsergänzungsgesetzes vom 24. Juni 1993 (BGBl.I S.1038) in § 247 SGB VI eingefügt worden ist, können daher beitragslose Zeiten, wie sie vom Kläger geltend gemacht werden, trotz durchgeführter Beitragserstattung ab dem 01.01. 1992 wieder Versicherungszeiten werden. Keine Zweifel bestehen an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 247 Abs.2a SGB VI. In der vom Kläger zitierten Entscheidung vom 27.02.1997 - 4 RA 124/95 - hat es das BSG abgelehnt, den maximalen zeitlichen Rahmen auf die Zeiträume zu beschränken, in denen ein Zustand der Rechtsunsicherheit bezüglich der Versicherungspflicht von Lehrlingen bestanden hat. Die angebliche Lehrzeit des Klägers bis 1954 lag innerhalb des Anwendungsbereichs des § 247 II a SGB VI vom 01.06.1945 bis 30.06.1965. Selbst wenn der Kläger im elterlichen Betrieb eine Lehre durchlaufen hat, kann er damit keinesfalls die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren erfüllen. Gemäß § 247 Abs.2 a SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch Zeiten, in denen in der Zeit vom 1. Juni 1945 bis 30. Juni 1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgte (Zeiten einer beruflichen Ausbildung). Eine Lehrzeit liegt vor, wenn eine abhängige Beschäftigung in einem Betrieb hauptsächlich der Fachausbildung dient, diesem Ziel entsprechend geleitet wird und der Auszubildende tatsächlich die Stellung eines Lehrlings einnimmt (BSGE vom 23.09.1999 in SozR 3-2600 § 247 Nr.2 m.w.N.). Ohne Rücksicht auf die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung des Vertragsverhältnisses und darauf, ob ein förmlicher Lehrvertrag geschlossen und Lehrgeld gezahlt wurde, ist zu prüfen, ob eine geregelte, regelmäßig längere Ausbildung stattgefunden hat, die zu späterer selbständiger Betätigung in dem Beruf befähigen sollte. Dem Kläger ist daher zuzugeben, dass sein Anspruch nicht am fehlenden Lehrvertrag bzw. der fehlenden Lehranzeige scheitert, zumal derarti- ge Formerfordernisse erst mit dem Gesetz über die praktische Ausbildung in der Landwirtschaft vom 7. Mai 1954 (verkündet in Nr.10 des Gesetz- und Verordnungsblattes vom 13. Mai 1954, S.105) eingeführt wurden. Zweifel bestehen in erster Linie deshalb am Lehrverhältnis, weil der Verdacht besteht, dass der Kläger nur im Rahmen familienhafter Mitarbeit tätig war. Voraussetzung der Anwendbarkeit von § 247 Abs.2 a SGB VI ist, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist, die bei allein familienhafter Mitarbeit von Kindern abzulehnen ist (BSGE vom 05.04.1956 in Band III, S.30, BSGE vom 23.09.1999 a.a.O. m.w.N.). Nach den vorgelegten Unterlagen spricht mehr dagegen als dafür, dass eine geregelte regelmäßige Ausbildung vorgelegen hat. Entscheidend ist, dass das Landwirtschaftsamt M. , das die Zulassung des Klägers zur Landwirtschaftsgehilfenprüfung 1958 beantragt hat, die Anerkennung einer Lehrzeit im elterlichen Betrieb von vornherein nicht diskutiert hat. Zur Landwirtschaftsgehilfenprüfung wurde in der Regel nur zugelassen, wer die vorgeschriebene Lehrzeit ordnungsgemäß abgeleistet hatte (§ 20 Abs.3 der Verordnung über die praktische Ausbildung in der Landwirtschaft vom 15. Mai 1956 - verkündet in Nr.11 des Gesetz- und Verordnungsblattes vom 1. Juni 1956, S.93). Die Landwirtschaftslehre dauerte in der Regel drei Jahre und konnte Lehrlingen, die bei Beginn der Lehrzeit eine mindestens vierjährige praktische Tätigkeit in normal bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betrieben oder eine Berufsausbildung in einem artverwandten Beruf nachweisen konnten, auf Antrag bis auf ein Jahr verkürzt werden (§ 2 der Verordnung). Die Zulassung des Klägers zur Landwirtschaftsgehilfenprüfung erfolgte auf der Grundlage von § 20 Abs.5 der Verordnung, wonach bei der unter Abs.3 gestellten Forderung die zuständige Regierung Ausnahmen zulassen konnte, wenn bei der Durchführung dieser Bestimmung besondere Härten entstehen würden. Die Regierung hat dem Klä- ger die Zulassung im Hinblick auf seine neunjährige praktische landwirtschaftliche Tätigkeit ohne Lehrverhältnis ausnahmsweise gestattet. Damit ist eine zeitnahe Beurteilung der Qualität der Arbeit des Klägers im elterlichen Betrieb durch eine kompetente Stelle erfolgt, deren Beweiswert ungleich höher ist als der von Laien, die der Kläger selbst zum Beweis des Gegenteils schriftlich Stellung hat nehmen lassen. Letztlich kann dahinstehen, ob der Kläger in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, denn keinesfalls kann eine Lehrzeit über den gesamten Zeitraum von fünf Jahren anerkannt werden. Wie bereits ausgeführt, dauerte die praktische Ausbildung in der Landwirtschaft entsprechend der Verordnung vom 15. Mai 1956 in der Regel drei Jahre. Dies war ebenso nach dem Gesetz über die praktische Ausbildung in der Landwirtschaft vom 7. Mai 1954 (verkündet in Nr.10 des GVBl. vom 13.05.1954, S.105) und den Bestimmungen des Bayer. Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 08.09.1948 über die praktische Ausbildung in der Landwirtschaft in Bayern der Fall. Angesichts dessen kann der Kläger allenfalls auf der Anerkennung von drei Jahren als Lehrzeit bestehen. Es kann nicht an- gehen, die Dauer der Lehrzeit über den gesamten Zeitraum der praktischen Tätigkeit auszudehnen. Dies widerspräche dem Gleichgehandlungsgrundsatz und würde die Lehrlinge benachtei- ligen, die den Nachweis einer ordentlichen Lehrzeit mittels Lehrvertrag führen können. Im Übrigen kann der Kläger auch die Pflichtbeitragszeit geltend machen, weil es sich dabei um eine rein schulische Ausbildung handelte, die mit keiner Beschäftigung in einem Betrieb verbunden war. Das Landwirtschaftsamt hat lediglich über eine Lehrzeit vom 01.04.1957 bis 30.09.1957 berichtet. Die streitige Zeit kann dem Kläger auch nicht als Zeit der Beschäftigung zur sonstigen Berufsausbildung angerechnet werden. Nach § 247 Abs.2 a SGB VI können derartige Pflichtbeitragszeiten erst für Ausbildungszeiten ab 1957 fingiert werden. Denn auch insoweit muss grundsätzlich Versicherungspflicht bestanden haben. Erst durch § 1227 Abs.1 Nr.1 RVO i.d.F. des Art.1 ArVNG vom 23. Februar 1957 (BGBl.I, 45) sind die sonst zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigen zum 1. März 1957 in die Rentenversicherungspflicht einbezogen worden und dort neben den Lehr- lingen aufgeführt. Die streitige Zeit war jedoch bereits vor diesem Zeitpunkt beendet. Dafür, dass § 247 Abs.2a SGB VI auch die Versicherungslücken von sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigten Personen vor Eintritt ihrer Versicherungspflicht, also für Zeiten vor dem 01.03.1957 ausgleichen soll, ergibt sich kein Anhaltspunkt. Dass diese Auslegung verfassungsgemäß ist, hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 01.12.1999 bestätigt (Az.: B 5 RJ 56/98 R). Die fehlende Wartezeiterfüllung kann nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kompensiert werden. Voraussetzung hierfür wäre eine Pflichtverletzung der Beklagten im Zusammenhang mit der Antragstellung auf Beitragserstattung. Unabhängig davon, dass der Inhalt einer etwaigen Beratung nach 38 Jahren bei fehlenden Erstattungsakten nicht feststellbar erscheint, konnte die Beklagte vor der Beitragserstattung 1964 nicht wissen, dass 1993 mit § 247 Abs.2 a SGB VI eine Norm eingefügt würde, die den Versicherungsverlauf des Klägers in ein neues Licht tauchen könnte. Wenn die Beklagte dem Kläger also damals mitgeteilt hat, er habe keine Chance, aus den bekannten Beiträgen eine Rente zu bekommen, entsprach dies der damaligen Rechtslage. Einen darüber hinausgehenden Auskunftsanspruch besitzt der Versicherte von vornherein nicht. Die Gewährung einer Altersrente scheitert daher aus den genannten Gründen an der fehlenden Wartezeiterfüllung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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