Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 3292/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1212/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Januar 2010 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheids vom 18. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2008 sowie unter Abänderung des Bescheids vom 25. Februar 2010 beim Kläger einen Grad der Behinderung von 50 seit 1. November 2008 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt 1/5 (ein Fünftel) der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger bereits seit dem 10.03.2008 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.
Auf den Antrag des am 05.06.1948 geborenen Klägers stellte das Versorgungsamt Ulm mit Bescheid vom 04.05.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.1995 den GdB des Klägers mit 30 seit 01.11.1994 fest. Hierbei wurde ein Einzel-GdB von jeweils 20 für eine Schuppenflechte und für Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen sowie von 10 für Bluthochdruck zugrunde gelegt.
Am 10.03.2008 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB. Nach Beiziehung aktueller Befundberichte der behandelnden Ärzte gelangte Dr. Gottmann in der gutachtlichen Stellungnahme vom 01.06.2008 zu der Beurteilung, eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten, allerdings sei der Bluthochdruck nur noch mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Zur gleichen Beurteilung gelangte Dr. A. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 17.06.2008. Mit Bescheid vom 18.06.2008 lehnte das Landratsamt Heidenheim den Antrag ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2008 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 18.09.2008 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der Dermatologe/Allergologe Dr. B. hat unter dem 16.10.2008 mitgeteilt, der Kläger sei zuletzt am 14.07.2005 wegen einer Psoriasis vulgaris mit erythrosquamösen Plaques am Capillitium, an den Ellenbogen und am Stamm behandelt worden. Dr. C., Internist, hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 22.10.2008 ausgeführt, aus den von ihm erhobenen Befunden ergäben sich keine Behinderungen. Die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. D. hat unter dem 30.10.2008 die Diagnosen eines Bluthochdrucks Stadium I, eines metabolischen Syndroms, einer Psoriasis, eines depressiven Syndroms, eines Glaukoms sowie einer Osteochondrose L4/5 und L5/S1 mitgeteilt. Der Facharzt für Orthopädie/Rheumatologie Dr. E. hat unter dem 10.12.2008 angegeben, beim Kläger bestünden Lumboischialgien bei degenerativen LWS-Veränderungen, eine Epicondylitis humero radialis rechts sowie Psoriasis. Weiter vorgelegt wurde eine Kernspintomographie der Iliosacralgelenke vom 14.10.2008. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.04.2009 hat Dr. F. hierzu ausgeführt, aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen ergebe sich kein Hinweis auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes bzw. eine Erhöhung des GdB.
Mit Schreiben vom 23.07.2009 hat der Kläger Befundberichte der Augenärztin N. und des Orthopäden Dr. M. sowie eine Diagnosemitteilung der Hautärztin Dr. G.-H. vom 09.07.2009 vorgelegt. Letztere hat angegeben, beim Kläger bestehe eine Psoriasis capitis et corporis mit Nagelbeteiligung. Nachdem der Kläger weiter mitgeteilt hatte, er befinde sich in psychologischer Behandlung bei Dipl.-Psych. I., teilte diese auf Anfrage des SG mit, bisher habe lediglich eine probatorische Sitzung stattgefunden, es könne lediglich der Verdacht auf eine rezidivierende Störung geäußert werden (Auskunft vom 14.09.2009).
In Auswertung der vorgelegten medizinischen Unterlagen hat Dr. K. in der versorgungsärztliche Stellungnahme vom 29.10.2009 ausgeführt, der von Dr. G.-H. mitgeteilte hautärztliche Befund einer Schuppenflechte an Kopfhaut und Nägeln entspreche einem Einzel-GdB von 30. Der augenärztliche Befund vom 10.06.2009 beschreibe einen korrigierten Visus von 0,7 p/0,5 pp bei doppelseitiger Kunstlinsenversorgung, woraus ein Einzel-GdB von 20 ab 06/2009 resultiere. Unter Berücksichtigung des Einzel-GdB von 20 für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und eines Einzel-GdB von 10 für den Bluthochdruck betrage der Gesamt GdB 40 ab 10.03.2008 und 50 ab 6/2009.
Das vom Beklagten unterbreitete Vergleichsangebot vom 05.11.2009, den GdB ab 10.03.2008 mit 40 und ab 01.06.2009 mit 50 festzustellen, hat der Kläger nicht angenommen. Er hat einen weiteren Befundbericht der Augenärztin N. vom 21.01.2010 vorgelegt, auf den Bezug genommen wird.
Mit Urteil vom 25.01.2010 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 18.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2008 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, einen GdB von 40 ab 10.03.2008 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris) sei bei wohlwollender Betrachtung ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule seien mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend bewertet. Eine Bewegungseinschränkung der linken Hüfte könne allenfalls einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigen. Gleiches gelte für eine Beinverkürzung links um 3 cm. Für die auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegenden Funktionseinschränkungen sei kein Einzel-GdB von wenigstens 10 anzusetzen, nachdem in der Vergangenheit keine Behandlung stattgefunden habe, die Behandlung erst aufgenommen worden sei und deshalb keine Aussage über eine dauerhafte Funktionseinschränkung auf psychiatrischem Fachgebiet getroffen werden könne. Die Funktionsbeeinträchtigung beider Augen rechtfertige einen Einzel-GdB von 20, jedoch erst ab dem 10.06.2009. Nach Ziffer 4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) sei bei einem Linsenverlust eines Auges (korrigiert durch intraokuläre Kunstlinse oder Kontaktlinse) bei einer Sehschärfe von 0,4 und mehr ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen. Bei einem Linsenverlust beider Augen sei der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdB um 10 zu erhöhen. Beim Kläger habe die Sehschärfe am 10.06.2009 0,6 bzw. 0,7 am rechten Auge und 0,6 bzw. 0,5 am linken Auge betragen. Mit dieser Sehschärfe betrage der Einzel-GdB für beide Augen 10, der wegen Linsenverlust beider Augen auf 20 zu erhöhen sei. Für die Zeit vor dem 10.06.2009 liege ein Nachweis über eine entsprechend reduzierte Sehschärfe nicht vor. Der höchste Einzel-GdB von 30 wegen der Psoriasis sei wegen der Funktionseinschränkung der Wirbelsäule auf 40 zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung des GdB auf 50 wegen der Funktionseinschränkung der Augen lasse sich nicht rechtfertigen.
Gegen das am 11.02.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.03.2010 Berufung eingelegt.
Mit Bescheid vom 25.02.2010 hat der Beklagte den GdB des Klägers mit 40 seit 10.03.2008 festgestellt.
Ausweislich der Bescheinigung der Augenärztin N. vom 15.07.2010 ist beim Kläger am 29.03.2000 am rechten und am 29.11.2000 am linke Auge der grüne Star operiert worden. Seither befinde er sich regelmäßig alle drei Monate in augenärztlicher Behandlung. Die Augenärztin Gebhard hat weiter folgende Visuswerte von 2001 bis 2008 mitgeteilt:
18.01.2001 sc R = 0,2 L = 0,3 09.07.2001 cc R = 0,7 L = 0,7 06.08.2001 cc R = 0,3 pp L = 0,3p 17.01.2002 cc R = 0,8 pp L = 0,7p 29.04.2002 cc R = 0,2 L = 0,2 07.11.2002 cc R = 0,8pp L = 0,6 10.01.2003 cc R = 0,7 L = 0,7 11.04.2003 cc R = 0,7p L = 0,6pp 04.08.2003 cc R = 0,7pp L = 0,5p 05.02.2004 cc R = 0,7pp L = 0.5p 24.05.2004 cc R = 0,7p L = 0.5p 22.02.2005 cc R = 0,7p L = 0,5pp 02.06.2005 cc R = 0,5pp L = 0,5p 29.06.2005 cc R = 0,8pp L = 0,4pp 26.07.2005 cc R = 0,8pp L = 0,4p 17.08.2005 cc R = 0,8pp L = 0,7pp 03.02.2006 cc R = 0,7pp L = 0,7pp 08.05.2006 cc R = 0,7pp L = 0,7p 29.06.2006 cc R = 0,7p L = 0,7pp 13.07.2006 cc R = 0,8p L = 0,8 11.10.2006 cc R = 0,9pp L = 0,9pp 21.02.2007 cc R = 0,7 L = 0,5 13.08.2007 cc R = 0,8p L = 0,8pp 12.11.2007 cc R = 0,7p L = 0,7p 28.04.2008 cc R = 0,7p L = 0,7p 25.07.2008 cc R = 0,8p L = 0,8p 07.11.2008 cc R = 0,7pp L = 0,5pp
Der Senat hat weiter Dr. G.-H. als sachverständige Zeugin gehört. Auf deren schriftliche Aussage vom 29.03.2011 wird Bezug genommen.
Vom 05.09.2011 bis 01.10.2011 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik Bad L ... Im ärztlichen Abschlussbericht vom 04.10.2011 werden die Diagnosen eines chronisch degenerativen Lendenwirbelsäulensyndroms, eines chronischen Iliosakralgelenkssyndroms, einer beidseitigen Gonarthrose, einer Psoriasis-Arthropathie sowie eines Glaukoms genannt. Auf den Bericht wird im Übrigen Bezug genommen.
Einen im Erörterungstermin am 16.11.2011 geschlossenen Vergleich, den GdB des Klägers ab 01.11.2008 mit 50 festzustellen, hat dieser widerrufen. Er trägt vor, die Sehminderung sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Visuswert habe am 28.04.2008 und damit zeitnah zur Antragstellung rechts und links jeweils 0,7 betragen. In der Tabelle der VG seien Visuswerte jeweils von 0,8 bzw. 0,63 angegeben. Der Visuswert 0,7 sei in der Tabelle nicht enthalten. Deshalb sei der bei ihm beidäugig vorliegende Visus von 0,7 dem näherliegenden Tabellenwert, somit 0,63, zuzuordnen. Dies ergebe einen Einzel-GdB von 10, der wegen einer beidäugigen Kunstlinsenversorgung um 10 auf 20 zu erhöhen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Januar 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. September 2008 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 25. Februar 2010 bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 seit 10. März 2008 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Er ist der Auffassung, die klägerische Argumentation stimme nicht mit den Vorgaben der VG überein.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Gegenstand des Verfahrens ist gem. § 96 SGG auch der Bescheid des Beklagten vom 25.01.2010 geworden, über den der Senat auf Klage entscheidet. Denn der Beklagte wollte damit nicht nur das Urteil des SG ausführen und diesem damit nicht lediglich im Sinne einer vorläufigen Regelung Rechnung tragen (vgl. BSGE 9, 169; BSG, Beschluss v.06.01.2003, B 9 V 77/01 B - in juris), sondern eine endgültige Regelung treffen. Dementsprechend hat der Beklagte gegen das Urteil auch nicht Berufung eingelegt, soweit er verurteilt worden ist. Eine Abänderung des Bescheides ist deshalb nur auf Klage möglich.
Die Berufung bzw. die Klage sind jedoch nur begründet, soweit die Zuerkennung eines GdB von 50 ab dem 01.11.2008 abgelehnt worden ist. Im Übrigen sind sie unbegründet.
Wegen der für die Feststellung des GdB erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist festzustellen, dass bis zum 31.12.2008 noch die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2008 anzuwenden waren, da die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 erlassenen VG erst zum 01.01.2009 in Kraft getreten sind. Eine andere Beurteilung der hier in Frage stehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt sich daraus jedoch nicht, da der Wortlaut der maßgebenden Abschnitte der AHP 2008 und der VG insoweit identisch sind.
Die beim Kläger vorliegende Psoriasis vulgaris ist mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Nach Teil B Nr. 17.7 VG (wortgleich Teil A Nr. 26.17 AHP 2008) bedingt eine Psoriasis vulgaris bei andauerndem ausgedehnten Befall oder stark beeinträchtigendem lokalen Befall (z.B. an den Händen) einen GdB von 30 - 50, wobei eine außergewöhnliche Nagelbeteiligung (mit Zerstörung der Nagelplatten) sowie eine Gelenk- und Wirbelsäulenbeteiligung zusätzlich zu bewerten sind. Nach der Auskunft von Dr. G.-H. vom 29.03.2011 sind beim Kläger die Ellenbogen, der Haaransatz und das Gesicht sowie zeitweilig die Hände in wechselnder Ausprägung betroffen. Eine Psoriasis-Arthritis am linken Großzehenend- und Großzehengrundgelenk besteht ausweislich der Arztbriefe von Dr. M. vom 04.04.2011 und 29.07.2011 erst initial, so dass hierfür ein GdB von 30 angemessen und ausreichend ist.
Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule sind zutreffend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Hierzu wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Die Minderung der Sehschärfe des Klägers rechtfertigt einen Einzel-GdB von 20 erst ab November 2008. Nach Teil B Nr. 4 VG bzw. Teil A Nr. 26.4 AHP 2008 bildet die "MdE-Tabelle der DOG" die Grundlage für die GdB-Beurteilung bei Herabsetzung der Sehschärfe. Diese enthält noch eine Bewertung nach Fünfergraden. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft dargestellt. Bei einer Bewertung nach Fünfergraden - wie nach der MdE-Tabelle der DOG - soll die GdB-Einschätzung auf darunter liegende Zehnergrade lauten, wenn die Gesundheitsstörung für den Betroffenen auch nur wenig günstiger ist als in den AHP beschrieben. Entspricht die Gesundheitsstörung genau der in den AHP beschriebenen oder ist sie etwas ungünstiger, ist der über dem Fünfergrad gelegene Zehnergrad anzunehmen (BMA, BArbBl. 1986, Nr. 12, 117; Teil A Nr. 18 Abs. 4 AHP 2008, Dau in LPK-SGB IX, 2. Aufl. 2009, § 69 Rn. 22).
Die MdE-Tabelle der DOG enthält keinen Wert für einen Visuswert von 0,7. Enthalten sind allein Werte für Sehschärfen von 5/8 (0,63) und 5/6 (0,8). Bei einer Sehschärfe links/rechts von jeweils 0,8 beträgt der GdB Null, bei einer Sehschärfe von 0,8/0,63 beträgt er 5 und bei einer Sehschärfe von jeweils 0,63 beträgt er 10.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist bei einer Sehschärfe, die zwischen dem in der Tabelle angegebenen Werten liegt, nicht der rechnerisch näher liegende Wert maßgeblich, sondern der Wert, der tatsächlich erreicht worden ist. Der Wert für eine höhergradige Einschränkung des Sehvermögens ist vielmehr erst dann zugrunde zu legen, wenn dieser bei dem jeweiligen Auge auch vorliegt. Dementsprechend ist bei einer korrigierten Sehschärfe von 0,7 für ein Auge der Tabellenwert für eine Sehschärfe von 0,8 und nicht von 0,63 anzuwenden. Nach dieser Vorgabe ist bei einer korrigierten Sehschärfe von jeweils 0,7 oder besser noch kein Wert von 5 nach der MdE-Tabelle der DOG und dementsprechend auch kein GdB von mindestens 10 festzustellen. Erst wenn der Wert der Sehschärfe auf einem Auge 0,63 oder schlechter und auf dem anderen Auge 0,8 oder schlechter beträgt, ist nach der Tabelle eine MdE von 5 anzusetzen, die nach den oben genannten Grundsätzen auf 10 aufzurunden ist. Wird dieser Wert nicht erreicht, bleibt es bei der Abrundung.
Nach Teil B Nr. 4.2 VG bzw. Teil A Nr. 26.4 AHP 2008 ist bei Linsenverlust beider Augen der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdB-Grad um 10 zu erhöhen.
Bei der Feststellung des GdB ist weiter zu berücksichtigen, dass nach Teil A Nr. 2 f. der VG (bzw. Teil A Nr. 18 Abs. 5 AHP 2008) der GdB eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung voraussetzt. Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf ist mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. Bei sich wiederholenden Besserungen und Verschlechterungen ist bei der GdB-Beurteilung von dem "durchschnittlichen" Ausmaß der Beeinträchtigung auszugehen. Unter Zugrundelegung der seit 2001 nach einer beidäuigen Kunstlinsenversorgung ermittelten Visuswerte, wie sie Dr. N. unter dem 15.07.2010 bzw. im Befundbericht vom 10.06.2009 mitgeteilt hat, unterlagen die Visuswerte des Klägers zunächst bis Ende des Jahres 2002 starken Schwankungen zwischen jeweils 0,2 und rechts 0,8, links 0,6. In der Folgezeit bis zu Beginn des Jahres 2005 lag der Visus rechts bei 0,7, der Visus links verschlechterte sich auf 0,5. Im Jahr 2005 trat rechts nach einer zwischenzeitlichen Verschlechterung auf 0,5 eine Verbesserung auf 0,8 ein, links eine Verschlechterung auf 0,4. In der Folgezeit - vom 29.06.2005 bis 10.06.2009 - lag der korrigierte Visus rechts jeweils zwischen 0,7 und 0,9, der korrigierte Visus links - mit Ausnahme der Messung am 21.02.2006 - bei 0,7 bzw. 0,8. Lediglich am 21.02.2007 und dann wieder ab dem 07.11.2008 wurde der Visus links mit 0,5 gemessen.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lagen beim Kläger am 21.02.2007 zwar Visuswerte vor (0,7/0,5), welche unter Berücksichtigung des beidseitigen Linsenverlustes die Zuerkennung eines GdB von 20 gerechtfertigt hätten. In der Folgezeit ist jedoch wieder eine Verbesserung des Sehvermögens über einen längeren Zeitraum eingetreten. Erst bei der Messung am 07.11.2008 ist auf dem linken Auge wieder eine Verschlechterung der Sehschärfe auf 0,5 festgestellt worden, die auch noch in der Folgezeit angehalten hat. Es ist deshalb erst ab November 2008 eine über einen Zeitraum von 6 Monaten (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) hinaus anhaltende Visusverschlechterung nachgewiesen, die dementsprechend erst ab dem 01.11.2008 unter Einbeziehung des beidäugigen Linsenverlustes mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten ist.
Die weiteren Erkrankungen des Klägers (Bluthochdruck, depressives Syndrom) bedingen keinen Einzel-GdB von mehr als 10, insbesondere da der Kläger über eine einmalige Konsultation von Dipl.-Psych. I. am 06.08.2009 hinaus keine weitere nervenärztliche Behandlung in Anspruch genommen hat.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Grade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Ausgehend von der mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertenden Funktionsbehinderung durch die Psoriasis ist dieser um jeweils 10 zu erhöhen für die Wirbelsäulen-Erkrankung sowie für die Sehminderung, für letztere jedoch erst ab dem 01.11.2008. Entgegen der Beurteilung durch das SG ist der für die Psoriasis zugrunde zu legende GdB von 30 nicht großzügig, sondern angemessen bemessen, auch betreffen die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen jeweils unterschiedliche Funktionssysteme, so dass sich die Auswirkungen weitgehend nicht überschneiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt einerseits das teilweise Obsiegen des Klägers, andererseits den Umstand, dass der Beklagte jeweils nach Vorlage neuer medizinischer Unterlagen entsprechende, sachgerechte Vergleichsangebote unterbreitet hat.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheids vom 18. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2008 sowie unter Abänderung des Bescheids vom 25. Februar 2010 beim Kläger einen Grad der Behinderung von 50 seit 1. November 2008 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt 1/5 (ein Fünftel) der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger bereits seit dem 10.03.2008 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.
Auf den Antrag des am 05.06.1948 geborenen Klägers stellte das Versorgungsamt Ulm mit Bescheid vom 04.05.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.1995 den GdB des Klägers mit 30 seit 01.11.1994 fest. Hierbei wurde ein Einzel-GdB von jeweils 20 für eine Schuppenflechte und für Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen sowie von 10 für Bluthochdruck zugrunde gelegt.
Am 10.03.2008 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB. Nach Beiziehung aktueller Befundberichte der behandelnden Ärzte gelangte Dr. Gottmann in der gutachtlichen Stellungnahme vom 01.06.2008 zu der Beurteilung, eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten, allerdings sei der Bluthochdruck nur noch mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Zur gleichen Beurteilung gelangte Dr. A. in der gutachtlichen Stellungnahme vom 17.06.2008. Mit Bescheid vom 18.06.2008 lehnte das Landratsamt Heidenheim den Antrag ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2008 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 18.09.2008 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der Dermatologe/Allergologe Dr. B. hat unter dem 16.10.2008 mitgeteilt, der Kläger sei zuletzt am 14.07.2005 wegen einer Psoriasis vulgaris mit erythrosquamösen Plaques am Capillitium, an den Ellenbogen und am Stamm behandelt worden. Dr. C., Internist, hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 22.10.2008 ausgeführt, aus den von ihm erhobenen Befunden ergäben sich keine Behinderungen. Die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. D. hat unter dem 30.10.2008 die Diagnosen eines Bluthochdrucks Stadium I, eines metabolischen Syndroms, einer Psoriasis, eines depressiven Syndroms, eines Glaukoms sowie einer Osteochondrose L4/5 und L5/S1 mitgeteilt. Der Facharzt für Orthopädie/Rheumatologie Dr. E. hat unter dem 10.12.2008 angegeben, beim Kläger bestünden Lumboischialgien bei degenerativen LWS-Veränderungen, eine Epicondylitis humero radialis rechts sowie Psoriasis. Weiter vorgelegt wurde eine Kernspintomographie der Iliosacralgelenke vom 14.10.2008. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.04.2009 hat Dr. F. hierzu ausgeführt, aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen ergebe sich kein Hinweis auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes bzw. eine Erhöhung des GdB.
Mit Schreiben vom 23.07.2009 hat der Kläger Befundberichte der Augenärztin N. und des Orthopäden Dr. M. sowie eine Diagnosemitteilung der Hautärztin Dr. G.-H. vom 09.07.2009 vorgelegt. Letztere hat angegeben, beim Kläger bestehe eine Psoriasis capitis et corporis mit Nagelbeteiligung. Nachdem der Kläger weiter mitgeteilt hatte, er befinde sich in psychologischer Behandlung bei Dipl.-Psych. I., teilte diese auf Anfrage des SG mit, bisher habe lediglich eine probatorische Sitzung stattgefunden, es könne lediglich der Verdacht auf eine rezidivierende Störung geäußert werden (Auskunft vom 14.09.2009).
In Auswertung der vorgelegten medizinischen Unterlagen hat Dr. K. in der versorgungsärztliche Stellungnahme vom 29.10.2009 ausgeführt, der von Dr. G.-H. mitgeteilte hautärztliche Befund einer Schuppenflechte an Kopfhaut und Nägeln entspreche einem Einzel-GdB von 30. Der augenärztliche Befund vom 10.06.2009 beschreibe einen korrigierten Visus von 0,7 p/0,5 pp bei doppelseitiger Kunstlinsenversorgung, woraus ein Einzel-GdB von 20 ab 06/2009 resultiere. Unter Berücksichtigung des Einzel-GdB von 20 für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und eines Einzel-GdB von 10 für den Bluthochdruck betrage der Gesamt GdB 40 ab 10.03.2008 und 50 ab 6/2009.
Das vom Beklagten unterbreitete Vergleichsangebot vom 05.11.2009, den GdB ab 10.03.2008 mit 40 und ab 01.06.2009 mit 50 festzustellen, hat der Kläger nicht angenommen. Er hat einen weiteren Befundbericht der Augenärztin N. vom 21.01.2010 vorgelegt, auf den Bezug genommen wird.
Mit Urteil vom 25.01.2010 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 18.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2008 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, einen GdB von 40 ab 10.03.2008 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris) sei bei wohlwollender Betrachtung ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule seien mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend bewertet. Eine Bewegungseinschränkung der linken Hüfte könne allenfalls einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigen. Gleiches gelte für eine Beinverkürzung links um 3 cm. Für die auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegenden Funktionseinschränkungen sei kein Einzel-GdB von wenigstens 10 anzusetzen, nachdem in der Vergangenheit keine Behandlung stattgefunden habe, die Behandlung erst aufgenommen worden sei und deshalb keine Aussage über eine dauerhafte Funktionseinschränkung auf psychiatrischem Fachgebiet getroffen werden könne. Die Funktionsbeeinträchtigung beider Augen rechtfertige einen Einzel-GdB von 20, jedoch erst ab dem 10.06.2009. Nach Ziffer 4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) sei bei einem Linsenverlust eines Auges (korrigiert durch intraokuläre Kunstlinse oder Kontaktlinse) bei einer Sehschärfe von 0,4 und mehr ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen. Bei einem Linsenverlust beider Augen sei der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdB um 10 zu erhöhen. Beim Kläger habe die Sehschärfe am 10.06.2009 0,6 bzw. 0,7 am rechten Auge und 0,6 bzw. 0,5 am linken Auge betragen. Mit dieser Sehschärfe betrage der Einzel-GdB für beide Augen 10, der wegen Linsenverlust beider Augen auf 20 zu erhöhen sei. Für die Zeit vor dem 10.06.2009 liege ein Nachweis über eine entsprechend reduzierte Sehschärfe nicht vor. Der höchste Einzel-GdB von 30 wegen der Psoriasis sei wegen der Funktionseinschränkung der Wirbelsäule auf 40 zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung des GdB auf 50 wegen der Funktionseinschränkung der Augen lasse sich nicht rechtfertigen.
Gegen das am 11.02.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.03.2010 Berufung eingelegt.
Mit Bescheid vom 25.02.2010 hat der Beklagte den GdB des Klägers mit 40 seit 10.03.2008 festgestellt.
Ausweislich der Bescheinigung der Augenärztin N. vom 15.07.2010 ist beim Kläger am 29.03.2000 am rechten und am 29.11.2000 am linke Auge der grüne Star operiert worden. Seither befinde er sich regelmäßig alle drei Monate in augenärztlicher Behandlung. Die Augenärztin Gebhard hat weiter folgende Visuswerte von 2001 bis 2008 mitgeteilt:
18.01.2001 sc R = 0,2 L = 0,3 09.07.2001 cc R = 0,7 L = 0,7 06.08.2001 cc R = 0,3 pp L = 0,3p 17.01.2002 cc R = 0,8 pp L = 0,7p 29.04.2002 cc R = 0,2 L = 0,2 07.11.2002 cc R = 0,8pp L = 0,6 10.01.2003 cc R = 0,7 L = 0,7 11.04.2003 cc R = 0,7p L = 0,6pp 04.08.2003 cc R = 0,7pp L = 0,5p 05.02.2004 cc R = 0,7pp L = 0.5p 24.05.2004 cc R = 0,7p L = 0.5p 22.02.2005 cc R = 0,7p L = 0,5pp 02.06.2005 cc R = 0,5pp L = 0,5p 29.06.2005 cc R = 0,8pp L = 0,4pp 26.07.2005 cc R = 0,8pp L = 0,4p 17.08.2005 cc R = 0,8pp L = 0,7pp 03.02.2006 cc R = 0,7pp L = 0,7pp 08.05.2006 cc R = 0,7pp L = 0,7p 29.06.2006 cc R = 0,7p L = 0,7pp 13.07.2006 cc R = 0,8p L = 0,8 11.10.2006 cc R = 0,9pp L = 0,9pp 21.02.2007 cc R = 0,7 L = 0,5 13.08.2007 cc R = 0,8p L = 0,8pp 12.11.2007 cc R = 0,7p L = 0,7p 28.04.2008 cc R = 0,7p L = 0,7p 25.07.2008 cc R = 0,8p L = 0,8p 07.11.2008 cc R = 0,7pp L = 0,5pp
Der Senat hat weiter Dr. G.-H. als sachverständige Zeugin gehört. Auf deren schriftliche Aussage vom 29.03.2011 wird Bezug genommen.
Vom 05.09.2011 bis 01.10.2011 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik Bad L ... Im ärztlichen Abschlussbericht vom 04.10.2011 werden die Diagnosen eines chronisch degenerativen Lendenwirbelsäulensyndroms, eines chronischen Iliosakralgelenkssyndroms, einer beidseitigen Gonarthrose, einer Psoriasis-Arthropathie sowie eines Glaukoms genannt. Auf den Bericht wird im Übrigen Bezug genommen.
Einen im Erörterungstermin am 16.11.2011 geschlossenen Vergleich, den GdB des Klägers ab 01.11.2008 mit 50 festzustellen, hat dieser widerrufen. Er trägt vor, die Sehminderung sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Visuswert habe am 28.04.2008 und damit zeitnah zur Antragstellung rechts und links jeweils 0,7 betragen. In der Tabelle der VG seien Visuswerte jeweils von 0,8 bzw. 0,63 angegeben. Der Visuswert 0,7 sei in der Tabelle nicht enthalten. Deshalb sei der bei ihm beidäugig vorliegende Visus von 0,7 dem näherliegenden Tabellenwert, somit 0,63, zuzuordnen. Dies ergebe einen Einzel-GdB von 10, der wegen einer beidäugigen Kunstlinsenversorgung um 10 auf 20 zu erhöhen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Januar 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. September 2008 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 25. Februar 2010 bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 seit 10. März 2008 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Er ist der Auffassung, die klägerische Argumentation stimme nicht mit den Vorgaben der VG überein.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Gegenstand des Verfahrens ist gem. § 96 SGG auch der Bescheid des Beklagten vom 25.01.2010 geworden, über den der Senat auf Klage entscheidet. Denn der Beklagte wollte damit nicht nur das Urteil des SG ausführen und diesem damit nicht lediglich im Sinne einer vorläufigen Regelung Rechnung tragen (vgl. BSGE 9, 169; BSG, Beschluss v.06.01.2003, B 9 V 77/01 B - in juris), sondern eine endgültige Regelung treffen. Dementsprechend hat der Beklagte gegen das Urteil auch nicht Berufung eingelegt, soweit er verurteilt worden ist. Eine Abänderung des Bescheides ist deshalb nur auf Klage möglich.
Die Berufung bzw. die Klage sind jedoch nur begründet, soweit die Zuerkennung eines GdB von 50 ab dem 01.11.2008 abgelehnt worden ist. Im Übrigen sind sie unbegründet.
Wegen der für die Feststellung des GdB erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist festzustellen, dass bis zum 31.12.2008 noch die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2008 anzuwenden waren, da die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 erlassenen VG erst zum 01.01.2009 in Kraft getreten sind. Eine andere Beurteilung der hier in Frage stehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt sich daraus jedoch nicht, da der Wortlaut der maßgebenden Abschnitte der AHP 2008 und der VG insoweit identisch sind.
Die beim Kläger vorliegende Psoriasis vulgaris ist mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Nach Teil B Nr. 17.7 VG (wortgleich Teil A Nr. 26.17 AHP 2008) bedingt eine Psoriasis vulgaris bei andauerndem ausgedehnten Befall oder stark beeinträchtigendem lokalen Befall (z.B. an den Händen) einen GdB von 30 - 50, wobei eine außergewöhnliche Nagelbeteiligung (mit Zerstörung der Nagelplatten) sowie eine Gelenk- und Wirbelsäulenbeteiligung zusätzlich zu bewerten sind. Nach der Auskunft von Dr. G.-H. vom 29.03.2011 sind beim Kläger die Ellenbogen, der Haaransatz und das Gesicht sowie zeitweilig die Hände in wechselnder Ausprägung betroffen. Eine Psoriasis-Arthritis am linken Großzehenend- und Großzehengrundgelenk besteht ausweislich der Arztbriefe von Dr. M. vom 04.04.2011 und 29.07.2011 erst initial, so dass hierfür ein GdB von 30 angemessen und ausreichend ist.
Die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule sind zutreffend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Hierzu wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Die Minderung der Sehschärfe des Klägers rechtfertigt einen Einzel-GdB von 20 erst ab November 2008. Nach Teil B Nr. 4 VG bzw. Teil A Nr. 26.4 AHP 2008 bildet die "MdE-Tabelle der DOG" die Grundlage für die GdB-Beurteilung bei Herabsetzung der Sehschärfe. Diese enthält noch eine Bewertung nach Fünfergraden. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft dargestellt. Bei einer Bewertung nach Fünfergraden - wie nach der MdE-Tabelle der DOG - soll die GdB-Einschätzung auf darunter liegende Zehnergrade lauten, wenn die Gesundheitsstörung für den Betroffenen auch nur wenig günstiger ist als in den AHP beschrieben. Entspricht die Gesundheitsstörung genau der in den AHP beschriebenen oder ist sie etwas ungünstiger, ist der über dem Fünfergrad gelegene Zehnergrad anzunehmen (BMA, BArbBl. 1986, Nr. 12, 117; Teil A Nr. 18 Abs. 4 AHP 2008, Dau in LPK-SGB IX, 2. Aufl. 2009, § 69 Rn. 22).
Die MdE-Tabelle der DOG enthält keinen Wert für einen Visuswert von 0,7. Enthalten sind allein Werte für Sehschärfen von 5/8 (0,63) und 5/6 (0,8). Bei einer Sehschärfe links/rechts von jeweils 0,8 beträgt der GdB Null, bei einer Sehschärfe von 0,8/0,63 beträgt er 5 und bei einer Sehschärfe von jeweils 0,63 beträgt er 10.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist bei einer Sehschärfe, die zwischen dem in der Tabelle angegebenen Werten liegt, nicht der rechnerisch näher liegende Wert maßgeblich, sondern der Wert, der tatsächlich erreicht worden ist. Der Wert für eine höhergradige Einschränkung des Sehvermögens ist vielmehr erst dann zugrunde zu legen, wenn dieser bei dem jeweiligen Auge auch vorliegt. Dementsprechend ist bei einer korrigierten Sehschärfe von 0,7 für ein Auge der Tabellenwert für eine Sehschärfe von 0,8 und nicht von 0,63 anzuwenden. Nach dieser Vorgabe ist bei einer korrigierten Sehschärfe von jeweils 0,7 oder besser noch kein Wert von 5 nach der MdE-Tabelle der DOG und dementsprechend auch kein GdB von mindestens 10 festzustellen. Erst wenn der Wert der Sehschärfe auf einem Auge 0,63 oder schlechter und auf dem anderen Auge 0,8 oder schlechter beträgt, ist nach der Tabelle eine MdE von 5 anzusetzen, die nach den oben genannten Grundsätzen auf 10 aufzurunden ist. Wird dieser Wert nicht erreicht, bleibt es bei der Abrundung.
Nach Teil B Nr. 4.2 VG bzw. Teil A Nr. 26.4 AHP 2008 ist bei Linsenverlust beider Augen der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdB-Grad um 10 zu erhöhen.
Bei der Feststellung des GdB ist weiter zu berücksichtigen, dass nach Teil A Nr. 2 f. der VG (bzw. Teil A Nr. 18 Abs. 5 AHP 2008) der GdB eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung voraussetzt. Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf ist mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. Bei sich wiederholenden Besserungen und Verschlechterungen ist bei der GdB-Beurteilung von dem "durchschnittlichen" Ausmaß der Beeinträchtigung auszugehen. Unter Zugrundelegung der seit 2001 nach einer beidäuigen Kunstlinsenversorgung ermittelten Visuswerte, wie sie Dr. N. unter dem 15.07.2010 bzw. im Befundbericht vom 10.06.2009 mitgeteilt hat, unterlagen die Visuswerte des Klägers zunächst bis Ende des Jahres 2002 starken Schwankungen zwischen jeweils 0,2 und rechts 0,8, links 0,6. In der Folgezeit bis zu Beginn des Jahres 2005 lag der Visus rechts bei 0,7, der Visus links verschlechterte sich auf 0,5. Im Jahr 2005 trat rechts nach einer zwischenzeitlichen Verschlechterung auf 0,5 eine Verbesserung auf 0,8 ein, links eine Verschlechterung auf 0,4. In der Folgezeit - vom 29.06.2005 bis 10.06.2009 - lag der korrigierte Visus rechts jeweils zwischen 0,7 und 0,9, der korrigierte Visus links - mit Ausnahme der Messung am 21.02.2006 - bei 0,7 bzw. 0,8. Lediglich am 21.02.2007 und dann wieder ab dem 07.11.2008 wurde der Visus links mit 0,5 gemessen.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lagen beim Kläger am 21.02.2007 zwar Visuswerte vor (0,7/0,5), welche unter Berücksichtigung des beidseitigen Linsenverlustes die Zuerkennung eines GdB von 20 gerechtfertigt hätten. In der Folgezeit ist jedoch wieder eine Verbesserung des Sehvermögens über einen längeren Zeitraum eingetreten. Erst bei der Messung am 07.11.2008 ist auf dem linken Auge wieder eine Verschlechterung der Sehschärfe auf 0,5 festgestellt worden, die auch noch in der Folgezeit angehalten hat. Es ist deshalb erst ab November 2008 eine über einen Zeitraum von 6 Monaten (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) hinaus anhaltende Visusverschlechterung nachgewiesen, die dementsprechend erst ab dem 01.11.2008 unter Einbeziehung des beidäugigen Linsenverlustes mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten ist.
Die weiteren Erkrankungen des Klägers (Bluthochdruck, depressives Syndrom) bedingen keinen Einzel-GdB von mehr als 10, insbesondere da der Kläger über eine einmalige Konsultation von Dipl.-Psych. I. am 06.08.2009 hinaus keine weitere nervenärztliche Behandlung in Anspruch genommen hat.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Grade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Ausgehend von der mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertenden Funktionsbehinderung durch die Psoriasis ist dieser um jeweils 10 zu erhöhen für die Wirbelsäulen-Erkrankung sowie für die Sehminderung, für letztere jedoch erst ab dem 01.11.2008. Entgegen der Beurteilung durch das SG ist der für die Psoriasis zugrunde zu legende GdB von 30 nicht großzügig, sondern angemessen bemessen, auch betreffen die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen jeweils unterschiedliche Funktionssysteme, so dass sich die Auswirkungen weitgehend nicht überschneiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt einerseits das teilweise Obsiegen des Klägers, andererseits den Umstand, dass der Beklagte jeweils nach Vorlage neuer medizinischer Unterlagen entsprechende, sachgerechte Vergleichsangebote unterbreitet hat.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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