Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 RA 403/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 RA 3507/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 38/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Rentenversicherungsträger muss die Eigentümer eines Anwartschaftsrechts auf Regelaltersrente schon vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres auf die verschiedenen Möglichkeiten des Übergangs in ein Vollrecht auf Altersrente auf die damit jeweils uU verbundenen Vor- und Nachteile auf die mit einer verspäteten Antragstellung verbundenen Rechtsnachteile sowie darauf hinweisen dass er allein anhand der gespeicherten Daten die im Einzelfall angemessene Lösung nicht erkennen kann er hat eine Beratung hierzu anzubieten.
2. Verletzt der Rentenversicherungsträger eine Informationspflicht begründet dies nur dann ein Herstellungsrecht wenn die Pflichtverletzung wesentliche dh zumindest gleichwertige Bedingung für die Beeinträchtigung eines sozialen Rechts war. Dies ist nicht der Fall wenn der Versicherte wissentlich oder fahrlässig gegen sich selbst einen erforderlichen Antrag nicht gestellt oder Informationen nicht eingeholt hat.
3. Der einzelanspruchsvernichtende "Vier-Jahres"-Einwand aus § 44 Abs 4 SGB I0 enthält keinen allgemeinen Rechtsgedanken der im Rentenversicherungsrecht ohnehin nicht anwendbar wäre.
2. Verletzt der Rentenversicherungsträger eine Informationspflicht begründet dies nur dann ein Herstellungsrecht wenn die Pflichtverletzung wesentliche dh zumindest gleichwertige Bedingung für die Beeinträchtigung eines sozialen Rechts war. Dies ist nicht der Fall wenn der Versicherte wissentlich oder fahrlässig gegen sich selbst einen erforderlichen Antrag nicht gestellt oder Informationen nicht eingeholt hat.
3. Der einzelanspruchsvernichtende "Vier-Jahres"-Einwand aus § 44 Abs 4 SGB I0 enthält keinen allgemeinen Rechtsgedanken der im Rentenversicherungsrecht ohnehin nicht anwendbar wäre.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Mai 2002 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Streitig ist, ob die Klägerin gegen die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) schon für die Monate vom 1. Juni 1995 bis zum 31. Dezember 1995 ein Recht auf Altersrente und Zahlungsansprüche hieraus hat.
Die im Mai 1935 geborene Klägerin beantragte erstmals am 15. Februar 2000 die Bewilligung einer Altersrente (für Frauen) ab 1. Juni 1995. Die Beklagte bewilligte ihr das Recht auf Altersrente ab 1. Januar 1996; kraft Gesetzes stehe es ihr zwar erst ab Beginn des Antragsmonats zu; zwecks Erfüllung eines Herstellungsanspruchs sei es aber bereits für die Zeit ab Januar 1996 zuzuerkennen; obwohl die Voraussetzungen für diese Altersrente bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin im Mai 1995 erfüllt gewesen seien, stehe der allgemeine Rechtsgedanke aus § 44 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), nach dem Sozialleistungen längstens bis zu vier Jahren vor Beginn des Jahres der Antragstellung erbracht werden dürften, einer Rentenbewilligung schon für 1995 entgegen (Bescheid vom 24. Juli 2000; Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2001).
Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Beklagte ua dazu verurteilt, "den Rentenbeginn auf den 1. Juni 1995 vorzuverlegen" (Urteil vom 17. Juli 2001). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Diese habe ihre Hinweispflicht aus § 115 Abs 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verletzt. Auf den daraus folgenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sei § 44 Abs 4 SGB X nicht entsprechend anzuwenden (Urteil vom 23. Mai 2002).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie trägt vor, sie habe keine Beratungs- oder Hinweispflicht gehabt; die rückwirkende Rentenbewilligung ab 1. Januar 1996 sei aus ihrer Sicht bereits ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt gewesen. Falls es aber doch einen Herstellungsanspruch der Klägerin gebe, stünden das Leistungsverweigerungsrecht aus § 99 Abs 1 SGB VI und der allgemeine Rechtsgedanke aus § 44 Abs 4 SGB X einer weiteren Begünstigung entgegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Mai 2002 aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Juli 2001 insoweit aufzuheben, als die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2001 verurteilt worden ist, "den Rentenbeginn auf den 1. Juni 1995 vorzuverlegen" und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt. Sie ist vor dem Bundessozialgericht (BSG) durch keinen bei diesem Gericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht begründet.
Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus zu entscheiden, ob die Klägerin gegen die Beklagte ein Recht auf Wiederherstellung ihres Gestaltungsrechts, ein Recht auf Altersrente (für Frauen) zu begründen, mit Wirkung für Zeiten zwischen dem 1. Juni 1995 und dem 31. Dezember 1995 und deswegen einen Anspruch auf Feststellung dieses Rechts schon für Bezugszeiträume vor 1996 hat. Das LSG wird auf Grund der zulässigen Berufung der Beklagten im Rahmen des Klagebegehrens (§ 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) gemäß der zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) für die streitigen Bezugszeiten vor 1996 nicht nur die Entscheidung der Beklagten über den Rentenbeginn, sondern auch zu prüfen haben, ob der Klägerin ein Recht auf Altersrente zusteht. Dabei wird das LSG Folgendes zu Grunde zu legen haben (§ 170 Abs 5 SGG):
1. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG stand der Klägerin auf der Grundlage einer im geschriebenen Gesetzesrecht ausgestalteten Rechtsnorm des primären Rentenversicherungsrechts ein Recht auf Altersrente vor Vollendung des 65. Lebens-jahres frühestens ab 1. Februar 2000 zu. Wird gemäß ihrem Begehren zu ihren Gunsten unterstellt, dass sie die Voraussetzungen für ein Gestaltungsrecht zur Begründung des Rechts auf Altersrente (für Frauen) aus § 39 Satz 1 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 1999 gültigen Fassung (aF) bereits zum 1. Juni 1995 erfüllt hatte, hat sie gleichwohl erst im Februar 2000 gegenüber der Beklagten bekundet, sie halte einen weiteren Einsatz ihrer Erwerbsfähigkeit aus Altersgründen für unzumutbar; erst damit hat sie das Gestaltungsrecht ausgeübt, dadurch das Stammrecht auf Altersrente begründet und zugleich den ersten Zahlungsanspruch hieraus geltend gemacht (§ 99 Abs 1 SGB VI). Nach dem materiellen Primärrecht der (schuldrechtlichen) Vorschriften des SGB VI kann die Klägerin Rente für frühere Bezugszeiten nicht beanspruchen.
2. Es ist gerichtlich nicht zu überprüfen, ob der Klägerin für Bezugszeiten ab 1. Januar 1996 das Recht auf Altersrente rechtmäßig zuerkannt worden ist. Zwar hat die Beklagte im Revisionsverfahren erklärt, sie halte diese Rentenbewilligung für rechtswidrig, weil sie irrtümlich ein Herstellungsrecht der Klägerin angenommen habe. Die Beklagte hat jedoch ihre Verwaltungsakte, mit denen sie das Recht auf Altersrente ab 1. Januar 1996 zuerkannt hatte, bislang nicht aufgehoben, sodass sie weiterhin bindend sind (§ 77 SGG). Die Frage, ob der Klägerin für diese Zeiten ein Recht auf Regelaltersrente zusteht, ist deshalb allein auf der Grundlage dieser Verwaltungsakte zu beantworten, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Rechtslage ankommt.
3. Aus den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ergibt sich nicht, ob die Klägerin schon im Jahre 1995 die tatsächlichen Voraussetzungen für das besondere Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF erfüllt hatte. Nach dieser Vorschrift haben versicherte Frauen Anspruch auf Altersrente, wenn sie (1.) das 60. Lebensjahr vollendet, (2.) nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und (3.) die Wartezeit von 15 Jahren (§ 50 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF) erfüllt haben. Tatsächliche Feststellungen zu den versicherungsrechtlichen (Entstehungs-)Voraussetzungen dieses Rechts fehlen. Der Hinweis des LSG darauf, dass die Beklagte diese Voraussetzungen als ab Juni 1995 erfüllt angesehen hat, ersetzen die eigenen tatsächlichen Feststellungen des Tatsachengerichts nicht. Ein Herstellungsrecht (dazu sogleich) kommt hier aber nur in Betracht, falls die Klägerin im streitigen Zeitraum das Recht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF erlangt (aber nicht geltend gemacht) hatte.
4. Kraft eines Vertrages, eines Verwaltungsaktes oder eines speziellen Bundesgesetzes kann die Klägerin von der Beklagten nicht verlangen, so gestellt zu werden, als hätte sie ihr Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF bereits zum 1. Juni 1995 (oder für Bezugszeiten vor 1996) ausgeübt und Rentenzahlung beantragt.
5. Falls die Klägerin vor 1996 die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB VI aF erfüllt hatte, könnte ihr ein Recht auf (Wieder-)Herstellung (sog Herstellungsanspruch) zustehen. Sie hätte dann ihr als wiederhergestellt zu behandelndes Gestaltungsrecht ausgeübt und Rentenzahlung beantragt. Die Beklagte müsste sie jetzt so behandeln, als ob das Recht auf Altersrente damals entstanden und rechtzeitig geltend gemacht worden wäre. Deshalb müsste die BfA die monatlichen Zahlungsansprüche hieraus noch erfüllen, ohne sich auf Verjährung berufen zu können.
Obwohl es kein Bundesgesetz gibt, das ein Herstellungsrecht des Bürgers gegen den Verwaltungsträger im Einzelnen ausgestaltet, wenn dieser bundesgesetzliche soziale Rechte aus den §§ 2 bis 10 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) (oder Verfahrensrechte) verletzt, war die Rechtsprechung durch den Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB I nicht gehindert, das subjektive Herstellungsrecht als Rechtsinstitut des Sozialverwaltungsrechts mit den entsprechenden objektiven Pflichten des Leistungsträgers bereichsspezifisch zu entfalten. Denn das Institut des Herstellungsrechts beruht auf gesetzlichen Grundlagen. Diese sind in den verschiedenen "Sozialleistungsbereichen" des SGB dadurch gegeben, dass der Deutsche Bundestag dort jeweils im Einzelnen unterschiedliche soziale Rechte als subjektiv-öffentliche Rechte ausgestaltet hat (denen teilweise Grundrechtsqualität zukommt). An diese subjektiven Rechte ist (auch) jeder Leistungsträger (iS von § 12 SGB I) gebunden. Er darf das, was der Deutsche Bundestag jeweils den Begünstigten an Rechtsmacht zugewiesen hat, ohne gesetzliche Ermächtigung weder beeinträchtigen noch behindern. Die Gesetzesbindung iS von Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG) gebietet dem Verwaltungsträger ua grundsätzlich eine gesetzwidrige Beeinträchtigung eines gesetzlichen subjektiv-öffentlichen sozialen Rechts rückgängig zu machen, soweit dies zur Wiederherstellung der vom Gesetz eingeräumten Rechtsmacht notwendig sowie rechtlich und tatsächlich noch möglich ist. In den Anwendungsbereichen der verschiedenen Bücher des SGB folgt hieraus die im Einzelnen unterschiedlich ausgeprägte Pflicht, möglichst weitgehend sicher zu stellen, dass der ursprüngliche Gehalt an sozialer Berechtigung, die der Deutsche Bundestag dem Bürger zuerkannt hatte, trotz der rechtswidrigen Beeinträchtigung durch den Verwaltungsträger noch verwirklicht werden kann (§ 2 Abs 2 SGB I).
Welche konkreten Rechtsfolgen sich in den verschiedenen "Sozialleistungsbereichen" des SGB auf Grund einer rechtswidrigen Beeinträchtigung der jeweiligen sozialen Rechte durch einen Leistungsträger im Einzelnen ergeben, ist im SGB nur punktuell näher ausgestaltet. Im Übrigen greifen die richterrechtlichen Ausgestaltungen und Konkretisierungen des Herstellungsrechts jeweils bereichspezifisch ein. Insoweit kommt es für Ziel und Grenzen der richterlichen Konkretisierung auf den materialen Gehalt des jeweiligen gesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechts an. Entscheidend ist, welcher Verletzungsreaktionsgehalt der Berechtigung gesetzlich zugewiesen ist. Soziale Rechte iS von §§ 2 bis 10 SGB I gewähren dem Bürger nach Maßgabe der jeweiligen Ausgestaltung in den besonderen Büchern des SGB zwar grundsätzlich eine umfassende soziale Berechtigung im Blick auf die in § 1 Abs 1 SGB I genannten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates. Bei rechtswidriger Beeinträchtigung eines sozialen Rechts durch den verpflichteten Leistungsträger folgt hieraus daher grundsätzlich in allen Bereichen des SGB dessen Pflicht, alles rechtlich und tatsächlich Mögliche zu tun, damit das vom Deutschen Bundestag gewährte soziale Recht möglichst weitgehend verwirklicht werden kann (stellv zum Stand der Diskussion: Bernd Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, 114 f, 469 ff, 477 mwN). Welche konkreten Ansprüche und Pflichten jedoch im Einzelnen hieraus entstehen, richtet sich hingegen ua nach dem Recht des jeweiligen "Sozialleistungsbereichs" und entzieht sich daher rechtlich (und faktisch) einer Festlegung für das gesamte SGB.
Nach dem bisherigen Sachstand könnte es auf das Herstellungsrecht deswegen ankommen, weil der Klägerin die begehrte Rechtsfolge nicht schon kraft Vertrages, Verwaltungsakts oder Gesetzes zusteht.
6. Das LSG wird folgenden Tatbestand des Herstellungsrechts zu Grunde zu legen haben:
- Der Anspruchsteller muss ein bestimmtes soziales Recht (oder ein bundesgesetzlich ausgestaltetes Verfahrensrecht) innehaben (oder innegehabt haben), das sich gerade gegen den Leistungsträger richtet, von dem er Herstellung begehrt;
- er muss in dem sozialen Recht dadurch beeinträchtigt worden sein, dass der verpflichtete Leistungsträger durch ein ihm sozialrechtlich zuzurechnendes rechtswidriges Verhalten (Eingriff, Behinderung oder Unterlassen einer gebotenen Förderung) eine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis verletzt hat, die ihm gerade gegenüber dem Anspruchsteller zum Schutz des Rechts oblag;
- die Pflichtverletzung muss die wesentliche, dh zumindest gleichwertige Bedingung dafür gewesen sein, dass das beeinträchtigte Recht (ggf für den jeweiligen Zeitraum) dem Rechtsinhaber nicht, nicht mehr oder nicht in dem vom Primärrecht bezweckten Umfang zusteht.
Insbesondere ist die Rechtsansicht des LSG mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren, dass allein aus der Verletzung einer Nebenpflicht (hier: Hinweispflicht) bereits auf die Entstehung eines Herstellungsrechts geschlossen werden dürfte, ohne dass im Einzelfall im Sinne des Vollbeweises feststeht, dass sie zumindest gleichwertige Bedingung für die Beeinträchtigung des sozialen Rechts (oder Verfahrensrechts) gewesen ist (dazu näher unten).
7. Das Berufungsgericht wird hierzu Folgendes beachten müssen:
a) Derzeit ist ungeklärt, ob die Klägerin vor 1996 ein soziales Recht gegen die Beklagte hatte, Altersrente (nach § 39 Satz 1 SGB VI aF) in Anspruch nehmen zu können.
b) Nach dem derzeitigen Stand der Feststellungen des LSG liegt kein Hinweis darauf vor, die Beklagte könne vor 1996 einen Beratungs- oder Auskunftsanspruch der Klägerin aus §§ 14, 15 SGB I nicht oder schlecht erfüllt haben. Ein Beratungsbegehren der Klägerin ist nicht festgestellt. Auf einer möglicherweise ungenügenden Aufklärung iS des § 13 SGB I kann kein Herstellungsrecht beruhen. Es ist nicht ersichtlich, dass ein konkreter Anlass zur Beratung ohne Beratungsbegehren (so genannte Spontanberatung oder Spontanauskunft) vorgelegen haben könnte, ebenso wenig dafür, dass die Beklagte die Klägerin unrichtig oder missverständlich informiert hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es damals oder zeitnah zum streitigen Zeitraum eine Sachbearbeitung durch die Beklagte gegeben hätte, bei der diese eine klar zu Tage liegende Dispositionsmöglichkeit der Klägerin übersehen oder jedenfalls nicht auf diese hingewiesen hätte. Anhaltspunkte für eine sonstige Verletzung von Beratungs- oder Auskunftspflichten liegen nicht vor (stellv zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 30. Juli 1997, 5 RJ 64/95, HVBG-INFO 1998, 814 ff; BSG, Urteil vom 6. März 2003, B 4 RA 15/02 R).
c) Darüber hinaus ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte gegen Hinweisobliegenheiten aus den "Gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger gemäß § 115 Abs 6 Satz 2 SGB VI" (abgedruckt in DAngVers 1998, 449) verstoßen haben könnte, die (im Wesentlichen) mit Wirkung zum 1. Juli 1998 in Kraft getreten sind. Diese sehen einen Hinweis in Fällen der vorliegenden Art nicht vor. Schon deshalb ist nicht darauf einzugehen, dass diese Richtlinien Verwaltungsbinnenrecht verlautbaren, das nur die Rentenversicherungsträger bindet und Außenwirkung gegenüber den Versicherten allein auf Grund und in den Grenzen des Gebots der Gleichbehandlung aus Art 3 Abs 1 GG erlangt. Sie unterliegen nicht gerichtlicher Überprüfung, weil der Deutsche Bundestag den Rentenversicherungsträgern (zur gesamten Hand) in einer Blankett-Ermächtigung die Aufgabe zugewiesen hat, in eigener Verantwortung nach geeigneten Fällen für eine Hinweisobliegenheit zu suchen und diese ggf in den Richtlinien auszugestalten.
d) Entgegen dem LSG ist nicht zu prüfen, ob die Beklagte eine parlamentsgesetzliche Hinweispflicht aus § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI verletzt haben könnte; denn eine solche parlamentsgesetzliche Hinweispflicht existiert nicht.
aa) Der Deutsche Bundestag hat vielmehr ("bewusst") davon abgesehen, selbst in § 115 Abs 6 SGB VI solche Pflichten zu begründen und auszugestalten. § 115 Abs 6 SGB VI ist auf Grund einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss; BT-Drucks 11/5490) an § 116 des Entwurfes und letztlich an § 115 SGB VI angefügt worden. Der 11. Ausschuss hat zur Begründung seiner Empfehlung Folgendes angeführt (BT-Drucks 11/5530 S 46):
"Das Antragsverfahren für Leistungen der Rentenversicherung hat sich grundsätzlich bewährt. Dennoch sollten die Rentenversicherungsträger die Leistungsberechtigten in solchen Fällen auf ihre Ansprüche hinweisen, in denen es nahe liegt, dass diese die Leistungen in Anspruch nehmen wollen (zB Regelaltersrente bei Vollendung des 65. Lebensjahres, Hinterbliebenenrenten bei Tod des Versicherten). Hier liegt ein geeigneter Bereich vor, in dem die allgemeine Aufklärungs- und Beratungspflicht zu einer konkreten Informationspflicht ausgebaut werden kann. Da eine solche Informationspflicht wegen der unzureichenden Unterlagen nicht generell erfüllbar ist, ist die Selbstverwaltung aufgerufen, die Personengruppen näher zu bestimmen."
Dem ist der Deutsche Bundestag gefolgt. § 115 Abs 6 Satz 1 und 2 SGB VI sind danach als gesetzgebungstechnische Einheit zu verstehen. Darin hat der "Gesetzgeber bewusst" davon Abstand genommen, auch nur andeutungsweise festzulegen, gegenüber welchen Personen bei Vorliegen welcher Sachverhalte die Rechtsfolge einer Informationspflicht eintreten soll. Da der Deutsche Bundestag im Gesetz hierzu "absichtlich" nicht einmal andeutungsweise etwas erklärt hat, gibt es auch nichts auszulegen. Dementsprechend kann § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI - gemäß dem erklärten Willen des 11. Ausschusses des Deutschen Bundestages - nicht als bundesgesetzliche Anspruchsgrundlage für Hinweisansprüche von Versicherten und nicht als Entscheidungs- und Maßstabsnorm für gerichtliche Entscheidungen darüber verstanden werden, ob die Rentenversicherungsträger gemäß dem Parlamentsgesetz Hinweise zu erteilen haben; denn das Parlamentsgesetz regelt nicht, unter welchen Voraussetzungen sie dies tun sollen.
bb) Wollte man - gegen den "erklärten Willen" des Deutschen Bundestages - § 115 Abs 6 SGB VI in eine Anspruchsgrundlage sowie Entscheidungs- und Maßstabsnorm umwandeln, lautete diese:
"Wenn ein geeigneter Fall vorliegt, sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen."
Dieser - nur scheinbare - Tatbestand ist semantisch und pragmatisch leer, dh er hat nach allgemeinem Sprachgebrauch keine auch nur im Ansatz erkennbare Bedeutung. Auch der Rückschluss von der Rechtsfolge auf den Tatbestand führt nicht weiter, weil sich daraus allenfalls ergeben kann, dass es sich um geeignete Fälle handeln muss, die etwas damit zu tun haben, dass ein Versicherter eine Leistung erhalten kann, wenn er sie beantragt (was stets der Fall ist). Der inhaltsleere "Tatbestand" wird auch durch den Kontext des § 115 SGB VI nicht näher erläutert, der insoweit grundsätzlich und faktisch in aller Regel an den verfahrensrechtlichen Antragserfordernissen für die Geltendmachung von Rechten auf Leistungen des Rentenversicherungsträgers festhält. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich - wie gezeigt - gerade, dass der Deutsche Bundestag keinen Tatbestand selbst ausprägen wollte, sondern dazu "die Selbstverwaltung aufgerufen" hat, an Stelle einer bundesgesetzlichen Regelung Richtlinien auszugestalten.
cc) Insbesondere kann die semantische Leere des sprachlichen Ausdrucks "in geeigneten Fällen" ("wenn ein geeigneter Fall vorliegt") nicht zu der Annahme führen, es liege ein sog unbestimmter Gesetzesbegriff (unbestimmter Rechtsbegriff) vor mit der Folge, der Deutsche Bundestag habe - entgegen seiner "erklärten Absicht" - doch einen Tatbestand ausgestaltet und die grundlegende Entscheidung, wer unter welchen Voraussetzungen informiert werden soll, in § 115 Abs 6 SGB VI selbst getroffen. Denn dieser "Tatbestand" weist nicht einmal den Mindestgehalt an sprachlicher Andeutung (Vagheit) auf, der überhaupt erst eine Auslegung, dh die Erschließung der abstrakt-generellen rechtlichen Bedeutung des Textes, ermöglichen könnte. Die Auslegung eines Gesetzestextes, die von der Anwendung der durch Auslegung ermittelten Rechtsnorm auf den Einzelfall strikt zu unterscheiden ist, ist nur möglich, wenn der Text den abstrakten sprachlichen Sinn wenigstens vage (angedeutet) ausdrückt. "Auslegung" erfolgt nämlich stets unabhängig vom konkreten Einzelfall, weil sie den Inhalt des abstrakten, objektiven Rechts näher bestimmt (stellv Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl 1994, S 363; Fritz Ossenbühl in: Allgemeines Verwaltungsrecht, herausgegeben von Hans-Uwe Erichsen, 11. Aufl 1998, S 212). Ein abstrakt-genereller rechtlicher Sinn des Ausdrucks "wenn ein geeigneter Fall vorliegt" ("in geeigneten Fällen") ist aber augenfällig nicht darstellbar.
Allein aus dem Umstand, dass ein Gesetzestext unvollständig, unterbestimmt, unklar, mehrdeutig, vage oder - wie hier - ohne feststellbaren semantischen Gehalt ist (zusammenfassend zu diesen und weiteren Determinierungsdefiziten positiver Rechtssysteme Wolfgang Meyer in: von Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl 2003, RdNr 14 zu Art 97), kann nicht geschlossen werden, Organe der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt seien jeweils zur Normergänzung (oder hier: Normerzeugung) befugt. Dies kann sich jeweils nur daraus ergeben, dass der Deutsche Bundestag - mindestens andeutungsweise - im Gesetzestext selbst und hinreichend bestimmt die Vorgaben gibt, die durch Auslegung konkretisiert werden können. Erst dann stellt sich die Frage, ob die Verwaltung hierbei einen Beurteilungsspielraum hat, der gerichtlicher Nachprüfung ganz oder teilweise entzogen ist oder ob - wie im Regelfall - eine umfassende gerichtliche Nachprüfung zu erfolgen hat (stellv zum Meinungsstand Friedrich E. Schnapp, Der Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit - im Sozialrecht und in anderen Rechtsgebieten, in: Sozialrecht und Sozialpolitik in Deutschland und Europa, Festschrift für Bernd Baron von Maydell, 2002, S 621, 626 ff mwN).
Der Ausdruck "in geeigneten Fällen" ist aber ohnehin kein "unbestimmter Gesetzesbe-griff". Bereits die ältere Dogmatik und Methodenlehre (stellv Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, Allgemeiner Teil, 9. Aufl 1966, S 82 ff; Hans J. Wolff/Otto Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl 1974, S 188 ff; Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl 1969, S 268 ff, 291 ff, 301 ff) umschrieb das Problem der Vagheit (Unbestimmtheit) gesetzlicher Ausdrücke ("Gesetzesbegriffe") mit dem Bild des Begriffskerns und des Begriffshofs. In dieser Tradition lässt sich hinsichtlich der Bedeutung eines "unbestimmten Gesetzesbegriffs" zwischen einem eindeutigen Begriffskern und einem zweifelhaften Begriffshof unterscheiden. In der neueren Rechtstheorie (stellv Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl 2001, S 18 ff, 20 f mwN) wird die Vagheit dreigliedrig beschrieben. Der "unbestimmte Gesetzesbegriff" ist dadurch gekennzeichnet, dass es einige (1.) "positive Kandidaten" gibt, die nach dem Sprachgebrauch eindeutig unter ihn fallen, dass es (2.) "negative Kandidaten" gibt, die ebenso klar nicht dazu gehören, und dass es (3.) "neutrale Kandidaten" gibt, deren Zugehörigkeit zweifelhaft ist. Dass der Ausdruck "wenn ein geeigneter Fall vorliegt" ("in geeigneten Fällen") sprachlich keinen "Begriffskern" und keinen "Begriffshof" hat, dass also anhand dieses scheinbaren "Tatbestandes" von vornherein schon sprachlich nicht beurteilt werden kann, dass es bestimmte Fälle gibt, die unter ihn fallen, andere Fälle, die eindeutig nicht unter ihn fallen und wiederum andere Fälle, die möglicherweise unter ihn fallen, liegt auf der Hand. Es entspricht genau dem Willen des 11. Ausschusses des Deutschen Bundestages, keinen Tatbestand im Bundesgesetz auszuprägen, sondern "der Selbstverwaltung" eine Blankett-Ermächtigung mit Richtlinienkompetenz zu geben. Eine parlamentsgesetzliche Hinweis-pflicht aus § 115 Abs 6 SGB VI, die es nicht gibt, hat das LSG somit nicht zu prüfen.
e) Das Berufungsgericht wird - entgegen seiner eigenen Ansicht - auch nicht zu klären haben, ob eine der vom BSG unter Hinweis auf § 115 Abs 6 SGB VI geschaffenen Hinweispflichten von der Beklagten ordnungsgemäß erfüllt worden ist. Denn hierauf kommt es in Fällen der vorliegenden Art nicht an.
aa) Der Deutsche Bundestag hat mit seinem Auftrag an die Rentenversicherungsträger, geeignete Fälle für eine Hinweispflicht zu ermitteln und in Richtlinien auszugestalten, zugleich rechtspolitisch sein Anliegen verdeutlicht, die Rentenversicherungsträger sollten den Versicherten Hinweise zur Verwirklichung ihrer Rechte geben, wenn sie erkennen, dass es nahe liegt, dass der Versicherte eine Leistung erhalten kann, wenn er den erforderlichen Antrag stellt. Er hat nämlich in § 99 SGB VI ab 1. Januar 1992 den seit Jahrzehnten bestehenden einzelanspruchsvernichtenden Einwand der verspäteten Antragstellung auch auf Einzelansprüche aus Stammrechten auf Regelaltersrente und auf Hinterbliebenenrenten erstreckt (dazu stellv näher BSG SozR 3-2600 § 99 Nr 5). Erfahrungsgemäß konnte er davon ausgehen, dass dieser "Traditionsbruch" einem Großteil der zeitnah betroffenen Versicherten faktisch unbekannt blieb. Deshalb liegt es nahe, darauf hinzuwirken, dass die Versicherungsträger entsprechende Hinweise auf den erforderlichen Antrag geben, wenn sie eine solche Fallgestaltung erkennen. Mit der Abschaffung des so genannten Versicherungsfallprinzips ergab sich ferner für Bezieher "vorzeitiger" Altersrenten bei begünstigenden Rechtsänderungen ein Antragsproblem, weil sie nur dann vor Vollendung des 65. Lebensjahres an den Begünstigungen teilnehmen konnten, wenn sie die Voraussetzungen einer weiteren Rechtsgrundlage für ein Stammrecht auf Altersrente erfüllten und dieses (im Regelfall) durch Stellung eines Antrags gegenüber dem Rentenversicherungsträger geltend machten (§ 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI, dazu BSG SozR 3-2600 § 89 Nr 2). Diese - und ähnliche - "Antragsprobleme" sind in den rentenversicherungsrechtlichen Sozialrechtsverhältnissen, in denen jeder Rentenversicherungsträger darauf hinwirken muss, dass jeder Berechtigte seine von ihm erworbenen Rentenleistungen wirklich erhält, durch entsprechende Hinweispflichten als Nebenpflichten des Sozialversicherungsträgers zu entschärfen.
bb) Demgemäß hat das BSG unter Hinweis auf § 115 Abs 6 SGB VI originär richterrechtlich die Norm aufgestellt, dass die Rentenversicherungsträger die (potenziell) Leistungsberechtigten in solchen Fällen auf ihren möglichen Anspruch und die erforderliche Antragstellung hinweisen sollen, in denen es nahe liegt, dass diese die Leistungen in Anspruch nehmen wollen, sofern und soweit es dem Rentenversicherungsträger möglich ist zu erkennen, dass die Versicherten den Rentenantrag aus Ungewissheit nicht stellen; dasselbe gilt im Blick auf solche Gruppen von Versicherten, bei denen die Rentenversicherungsträger auf Grund typischer Sachverhalte anhand der Versicherungskonten ohne Befragung der Versicherten feststellen können, dass bei ihnen die "Antragsproblematik" typischerweise besteht (stellv BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 3 und 4; BSGE 81, 251 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2; BSGE 79, 168 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1 und BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 5). Eine Hinweispflicht besteht danach zB im Blick auf Regelaltersrenten (BSGE 90, 118 = SozR 3-2600 § 115 Nr 8), sog Altersrenten für langjährig Versicherte (§ 36 SGB VI; BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 4 und BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998, B 5 RJ 56/97 R sowie BSG, Urteil vom 1. September 1999, B 13 RJ 73/98 R in: SozR 3-2600 § 115 Nr 5, allerdings offen gelassen in BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/01 R) und uU bei sog Altersrenten für Schwerbehinderte, Berufs- oder Erwerbsunfähige (§ 37 SGB VI; so jedenfalls LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Februar 2000, L 6 A 123/98).
Da die vom Deutschen Bundestag den Rentenversicherungsträgern gegebene Richtlinienkompetenz augenfällig nicht als Sperrgesetz gegen richterliche Rechtsfortbildung in der "Antragsproblematik" ausgestaltet ist, steht § 115 Abs 6 SGB VI dieser Rechtsprechung nicht entgegen. Dasselbe gilt auch für den Gesetzesvorbehalt aus § 31 SGB I, der unmittelbar für das gesamte Rentenversicherungsrecht des SGB VI gilt. Danach dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Damit ist es ua auch der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, durch so genannte Rechtsfortbildung praeter legem neue soziale Rechte oder Pflichten zu schaffen (stellv schon Friedrich E. Schnapp, Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 1979, § 31 RdNr 33 ff). Dies berührt die richterliche Rechtsfortbildung intra legem, die innerhalb des im Text positivierten Konzepts des Gesetzes verbleibt, natürlich nicht. Dieses ergibt sich im Blick auf die vorstehende Rechtsprechung des BSG auf der Grundlage der im Sozialrechtsverhältnis ausgelegten ungeschriebenen Nebenpflichten, der §§ 14, 15 SGB I und aus dem in § 115 Abs 6 SGB VI positivierten Fortgestaltungsanliegen des Deutschen Bundestages.
cc) Auf die Grenzen der Entwicklung von richterrechtlichen Hinweispflichten für die Rentenversicherungsträger aus verfassungsrechtlichen Gesetzes- und Parlamentsvorbehalten, insbesondere aus dem funktionsrechtlichen Parlamentsvorbehalt, ist hier nicht weiter einzugehen, weil es in Fällen der vorliegenden Art im Kern nicht nur auf die Bewältigung der vorgenannten Antragsproblematik ankommt.
Diese Hinweispflichten betreffen einen Sonderfall der so genannten Spontanberatung iS der §§ 14, 15 SGB I, weil sie den Rentenversicherungsträger gerade dann treffen, wenn er - anders als in den bislang richterrechtlich erfassten Fallgruppen - keinen konkreten individuellen Anlass zu einer Sachbearbeitung hatte. Die Hinweispflicht knüpft - wie dargelegt - daran an, dass der Rentenversicherungsträger (im Einzelfall oder) bei abgegrenzten Gruppen die jeweils bestehende (oben beschriebene) "Antragsproblematik" allein anhand der im Versicherungskonto gespeicherten Daten nach abstrakten Abrufkriterien erkennen und durch einen Hinweis typischerweise die Gesetzesverwirklichung fördern kann. Die Rechtsprechung des BSG zu § 115 Abs 6 SGB VI hatte immer zur Voraussetzung, dass die maßgeblichen Daten der Versicherten beim Rentenversicherungsträger gespeichert und auf Grund allgemeiner Kriterien abrufbar waren (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/91 R). Eine generelle und abstrakte Pflicht der Rentenversicherungsträger (notwendig monatlich), sämtliche Versicherungskonten der 60- bis 65-jährigen Anwartschaftsinhaber unter leistungsrechtlichen Perspektiven individuell daraufhin zu überprüfen, ob bei Stellung eines Antrags eine (höhere) Leistung erlangt werden kann, besteht hingegen schlechthin nicht. Schon deshalb kommt es im Blick auf das hier für 1995 streitige Gestaltungsrecht der Klägerin aus § 39 Satz 1 SGB VI aF nicht auf die zur Antragsproblematik iS von § 115 Abs 6 SGB VI entwickelten richterrechtlichen Hinweispflichten an. Diese werden aber, worauf das LSG abzustellen haben wird, ohnehin in Fällen der vorliegenden Art durch die verfassungsrechtlichen Hinweis- und Beratungsobliegenheiten des Rentenversicherungsträgers (zum Teil konsumierend) verdrängt, die kraft positiven Verfassungsrechts aus dem Eigentumsgrundrecht der Inhaber eines Anwartschaftsrechts auf Altersrente folgen.
f) Die BfA war aus dem grundrechtlichen Renteneigentum der Klägerin (Art 14 Abs 1 GG) verpflichtet, sie (wie alle anderen Anwartschaftsrechtsinhaber) vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres auf die im Gesetz ausgestaltete Vielzahl von Möglichkeiten des Überganges in ein Vollrecht auf Altersrente, auf die damit jeweils uU verbundenen Vor- und Nachteile, auf die mit einer verspäteten Antragstellung verbundenen Rechtsnachteile und darauf hinzuweisen, dass sie die konkreten Auswirkungen im Einzelfall und die für den einzelnen Versicherten günstigste Lösung nicht abstrakt allein auf Grund der im Versicherungskonto gespeicherten Daten erkennen kann; deswegen hatte sie der Anwartschaftsrechtsinhaberin rechtzeitig, dh vor Vollendung des 60. Lebensjahres, über die Erteilung dieser Hinweise hinaus eine Beratung gerade über die mit der Altersrente vom Gesetz verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten anzubieten.
aa) Die Beklagte ist als Adressatin des Grundrechts auf Renteneigentum wegen ihrer überlegenen Informationsmacht den Anwartschaftsrechtsinhabern verpflichtet, diese in die Lage zu versetzen, ihre grundrechtliche Freiheit, das Recht auf Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder erst später geltend zu machen, verantwortlich wahrnehmen können. Dazu ist nicht erforderlich, dass der Rentenversicherungsträger jeden einzelnen Anwartschaftsrechtsinhaber gesondert zu diesem Thema anschreibt; er kann die Hinweise und das Beratungsangebot zB auch mit der jährlich zu erteilenden Rentenauskunft iS des § 109 SGB VI verbinden, wenn er sie in einem "deutlich gestalteten" (§ 355 Abs 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) besonderen Abschnitt zusammenfasst.
Die Hinweise müssen sinngemäß mitteilen:
- bei Vorliegen welcher Voraussetzungen die Altersrente ab Vollendung des 65. Lebens-jahres und früher in Anspruch genommen werden kann, ferner, dass die Inanspruchnahme von Teilrenten möglich ist;
- ob Hinzuverdienstgrenzen beachtlich werden können;
- ob Rentenabschläge (verminderte Zugangsfaktoren) bei Inanspruchnahme einer Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Betracht kommen;
- dass mit einer Inanspruchnahme der Rente nach Vollendung des 65. Lebensjahres Vorteile (erhöhte Zugangsfaktoren) verbunden sind;
- dass Rentenerhöhungen auch noch nach Vollendung des 65. Lebensjahres durch versicherungspflichtige Arbeit erzielt werden können und dass dies auch vorher neben einem Teilrentenbezug möglich ist;
- welche arbeitsrechtliche Bedeutung die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Altersrente nach § 41 SGB VI haben kann;
- dass Rechtsverluste eintreten, falls ein Rentenantrag erst mehr als drei Monate nach Erfüllung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Altersrente gestellt wird;
- dass die Beklagte grundsätzlich allein anhand des Versicherungskontos nicht erkennen kann, welche Entscheidung im Einzelfall für den Versicherten günstig ist;
- dass sie deshalb anbietet, sich individuell von ihr beraten und die erforderlichen Auskünfte geben zu lassen.
Falls die Klägerin damals vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres diese Informationen nebst Beratungsangebot erhalten hat, konnte sie iS des Grundrechts frei, dh auch verantwortlich, entscheiden, ob sie ein Recht auf Altersrente (oder Beratung) in Anspruch nimmt.
bb) Das Individualgrundrecht des Renteneigentums, das jedem Anwartschaftsrechtsinhaber zusteht, begründet wegen der Komplexität der beim Übergang in die Altersrente vom Versicherten zu treffenden Entscheidungen die vorgenannten Hinweis- und Beratungspflichten des Rentenversicherungsträgers. Auch das Eigentumsgrundrecht schützt nicht nur die in seinen Schutzbereich fallenden subjektiven vermögenswerten Rechte, sondern setzt außerdem Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften (hier: §§ 14, 15 SGB I) mit dem Ziel, das Verfahren so zu gestalten, dass die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition nicht besteht (BVerfGE 63, 131, 143; 65, 76, 94; 69, 315, 355; 73, 280, 296). Diese verfahrensrechtliche Bedeutung der Grundrechte betrifft nicht nur gerichtliche, sondern auch Verwaltungsverfahren, soweit das behördliche Verhalten ein Grundrecht berührt; das gesamte Verfahrensrecht ist grundrechtskonform auszugestalten und anzuwenden (s auch BVerfGE 56, 216, 236; 57, 295, 320; 84, 34, 45 f; 84, 59, 72).
Die spezifisch verfahrensrechtliche Schicht der Grundrechte, die sich über alle drei "klassischen" Grundrechtsfunktionen erstreckt (Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd III, 1996, § 70 RdNr 15; Dreier in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 1996, Vorb, RdNr 66; Jarass/Pieroth, Grundgesetzkommentar, 6. Aufl, 2002, Vorb vor Art 1 RdNr 12), trägt dem Umstand Rechnung, dass das Verfahrensrecht vielfach das Grundrecht nicht etwa nur beschränkt, sondern häufig dessen Ausübung (Aktualisierung) erst ermöglicht oder jedenfalls erleichtert (Starck, in von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl 1999, Art 1 Abs 3 RdNr 166). Dies trifft insbesondere auf normativ geprägte Grundrechte und damit gerade für das durch inhaltsbestimmende Gesetze geprägte Eigentumsgrundrecht aus Art 14 Abs 1 GG zu.
Vor allem gilt dies für soziale Rechte mit Eigentumsqualität, deren konkreter Schutzbereich durch umfangreiche und komplexe gesetzliche Regelungen konkretisiert wird. Hier entspricht einem "Weniger" an "Staat" nicht notwendig ein "Mehr" an "Freiheit". Vielmehr bedarf die Verwirklichung der grundrechtlichen Freiheit des Eigentums an Rechten auf Altersrente einer staatlichen Betreuung oder "Assistenz", deren Ziel es ist, dem Grundrechtsberechtigten die eigenverantwortliche Ausübung seiner Freiheit in einem komplexen, für den Betroffenen oftmals nicht überschaubaren Normengefüge zu ermöglichen. Weiß der Grundrechtsberechtigte nicht, dass ihm das Grundrecht eine bestimmte Vermögensfreiheit jetzt gewährt, ist das Eigentumsgrundrecht rechtlich frucht- und damit faktisch wertlos. Erkennt der Rentenversicherungsträger dieses Informations- oder Kompetenzdefizit des Berechtigten, ist er (auch) kraft seines Wissens- und Kenntnisvorsprunges verpflichtet, den Eigentümer entsprechend zu informieren und zu beraten. Diese Verpflichtung besteht auch gegenüber den Anwartschaftsrechtsinhabern auf Altersrente, deren Rechtsposition grundrechtliches Eigentum iS des Art 14 Abs 1 GG ist (stellv BVerfGE 53, 257, 289 ff; Vorlagebeschluss des BSG vom 16. November 2000, B 4 RA 3/00 R, jeweils mwN).
cc) Jedenfalls seit Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 sieht das Gesetz für Versicherte, die ein Anwartschaftsrecht auf eine Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) haben, ab dem 60. Lebensjahr eine Vielzahl von - zum Teil von weiteren Voraussetzungen abhängigen - Gestaltungsmöglichkeiten bis zum Übergang in die Vollrente wegen Alters vor.
Sogar für diejenigen, welche die Voraussetzungen für ein besonderes Gestaltungsrecht zur Herbeiführung eines Rechts auf Altersrente nach den §§ 36 bis 40 sowie 236 bis 238 SGB VI vor Vollendung des 65. Lebensjahres nicht erfüllen und deshalb erst ab Vollendung des 65. Lebensjahres Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, sind mehrere Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet: Sie sind berechtigt, das Recht auf Regelaltersrente, das Ihnen kraft Gesetzes zusteht, nicht sofort geltend zu machen, sondern erst zu einem von ihnen zu bestimmenden Zeitpunkt; dann gewährt ihnen das Gesetz einen höheren Zugangsfaktor (§ 77 Abs 2 Nr 2 Buchst b, Abs 3 Satz 3 Nr 3 SGB VI) und damit grundsätzlich eine höhere Rente, sofern der aktuelle Rentenwert zwischenzeitlich nicht sinkt. Jedoch müssen sie in Rechnung stellen, dass ihnen auch bei Nichtinanspruchnahme der Regelaltersrente negative arbeitsrechtliche Folgen drohen, wovor § 41 SGB VI in seiner seit dem 1. August 1994 gültigen Fassung sie nicht mehr schützt. Ferner können sie ihr Recht auf Regelaltersrente nicht nur in voller Höhe (Vollrente), sondern auch als Teilrente in Höhe von einem Drittel, der Hälfte oder von zwei Dritteln der Vollrente in Anspruch nehmen (§ 42 SGB VI) und diese Entscheidung im Lauf der Zeit zukunftsgerichtet verändern. Neben einer Teilrente können sie weiterhin versicherungspflichtig arbeiten und insoweit noch zu einer Erhöhung ihrer späteren höheren Teilrente oder Vollrente beitragen. Zugleich ergeben sich für den Fall, dass sie eine Teilrente beanspruchen wollen, arbeitsrechtliche Möglichkeiten, die in § 42 Abs 3 SGB VI normiert sind. Diese (und weitere) Gestaltungsmöglichkeiten liegen schon für die Anwartschaftsrechtsinhaber, die nur eine Regelaltersrente beanspruchen können, nicht sämtlich auf der Hand; ihre Auswirkungen im Einzelfall sind für den Rentenversicherungsträger allein aus den im Versicherungskonto gespeicherten Daten nicht erkennbar.
Die Möglichkeiten vervielfältigen sich, sobald die Gestaltungsrechte aus den §§ 36 bis 40, 236 bis 238 SGB VI in Betracht kommen. Die Anwartschaftsrechtsinhaber können nach der Gesetzeslage die Voraussetzungen der verschiedenen Gestaltungsrechte ab Vollendung des 60. Lebensjahres monatlich und nacheinander erfüllen. Ob dies im Einzelfall eingetreten ist, kann der Rentenversicherungsträger ohne Individualprüfung des Kontos nach abstrakten Kriterien nicht feststellen. Auch für die Betroffenen liegt durchaus nicht stets offen, ob sie die verschiedenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits erfüllt haben.
Objektiv haben sie jeweils ab Erfüllung der Voraussetzungen nicht nur das Recht, die Rente in Anspruch zu nehmen, sondern gerade auch, dies nicht zu tun. Hierzu ist eine begründete abwägende Entscheidung des Versicherten zu ermöglichen, weil die Inanspruchnahme von vorgezogenen bzw flexiblen Renten für ihn häufig nicht die beste individuelle Lösung für den Übergang in die Altersrente ist. Die Versicherten verlieren insoweit nicht nur die Prämien, die mit einem Hinausschieben der Inanspruchnahme hinter die Vollendung des 65. Lebensjahres verbunden sind (höhere Zugangsfaktoren), sondern geraten auch in arbeitsrechtliche Risiken, auf die § 41 SGB VI eingeht. Außerdem bestehen die Möglichkeiten der Altersteilzeitarbeit. Nehmen sie vorgezogene oder flexible Renten - soweit zulässig - "vorzeitig" in Anspruch, erhalten sie entsprechend niedrigere Zugangsfaktoren (§ 77 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI). Umgekehrt kann die nicht "vorzeitige" Inanspruchnahme einer vorgezogenen oder flexiblen Altersrente bei einer überdurchschnittlichen Laufzeit zu erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen im Vergleich zu Regelaltersrentnern führen, welche eine gleich hohe Vorleistung für die gesetzliche Altersrentenversicherung erbracht haben; denn die Ausgestaltung des Zugangsfaktors gleicht die nach der Lebenserwartung absehbaren unterschiedlichen Rentenlaufzeiten nur zu einem geringen Teil aus.
Darüber hinaus kommt es in jedem Einzelfall für die "Günstigkeit" der vom Gesetz gebotenen Alternativen auch auf die persönliche Lebensplanung (zB im Blick auf die Berufsfreiheit - Art 12 GG) und andere Faktoren (zB Gesundheitszustand) an. Ferner können auch alle vorgezogenen oder flexiblen Renten als Vollrenten oder als Teilrenten zu einem Drittel, zur Hälfte, oder zu zwei Dritteln einer Vollrente (sogar abwechselnd) in Anspruch genommen werden, sodass auch hier neben einer Teilrente weiterhin versicherungspflichtig gearbeitet und so ein Beitrag zu einer Erhöhung einer späteren höheren Teilrente oder der Vollrente erbracht werden kann. Weiterhin ist für eine verantwortliche Entscheidung des Versicherten von Bedeutung, dass die Inanspruchnahme von Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres ausscheidet, wenn eine der maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen überschritten wird (§ 34 Abs 2 SGB VI).
Es ist auch für einen geschulten Rentenberater, der mit den Umständen eines Einzelfalles konkret vertraut ist, nicht ohne abwägende Prüfung möglich, die passende Gestaltungsmöglichkeit aufzuzeigen. Dies ist dem Rentenversicherungsträger allein auf Grund der Daten des Versicherungskontos unmöglich. Entscheidend ist aber, dass der Grundrechtsinhaber typischerweise weder das Gesamtspektrum der Gestaltungsmöglichkeiten noch deren Vorteile und Risiken kennt. Er ist im Regelfall außer Stande, abschließend zu beurteilen, welche von ihnen in seinem Fall konkret gegeben und im Blick auf seine Lebensplanung sinnvoll auszuüben sind. Hinzu kommt, dass alle Gestaltungsrechte zur Begründung eines Stammrechts auf eine vorgezogene oder flexible Rente erst mit Ausübung des Gestaltungsrechts, die regelmäßig mit dem Rentenantrag erfolgt, zur Inanspruchnahme der Rente führen und alle Zahlungsansprüche wegen verspäteter Antragstellung erlöschen, wenn die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Rechts mehr als drei Monate vor dem Antragsmonat erfüllt waren (§ 99 SGB VI).
Vor diesem Hintergrund kann der Grundrechtsinhaber eines Anwartschaftsrechts auf Altersrente, der auf die Vollendung des 60. Lebensjahres zugeht, sich für die Folgezeit verantwortlich nur entscheiden, wenn der Versicherungsträger ihn zuvor in möglichst allgemein verständlicher (§ 17 Abs 1 Nr 3 SGB I) Sprache auf die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Voraussetzungen, ihre möglichen Vor- und Nachteile, auf die Möglichkeit, durch verspätete Antragstellung Rechtsnachteile zu erleiden, sowie auf das Recht, sich von ihm beraten und Auskünfte geben zu lassen (§§ 14, 15 SGB I), hingewiesen hat. Die sog Verfahrensgarantie des Art 14 Abs 1 GG gebietet daher die vorgenannten Hinweise und das konkrete Beratungsangebot.
8. Falls das LSG zu dem Ergebnis kommen wird, es liege eine Verletzung dieser Hinweispflichten durch die Beklagte vor, wird es zu prüfen haben, ob diese die wesentliche, dh zumindest gleichwertige, Bedingung dafür gewesen ist, dass die Klägerin ihr Gestaltungsrecht, ein Stammrecht auf Altersrente zu begründen, und die Zahlungsansprüche hieraus nicht schon in den streitigen Zeiträumen geltend gemacht hat. Denn die Verletzung der Hinweispflicht muss die wesentliche Bedingung für die Beeinträchtigung des sozialen Rechts (oder Verfahrensrechts) gewesen sein. Nur dann ist es nämlich im Rentenversicherungsrecht gerechtfertigt, die im Einwand der verspäteten Antragstellung gesetzlich ausgestaltete Wertung des § 99 SGB VI "herstellungsrechtlich" zu verdrängen. Hat dagegen der Versicherte wissentlich oder "fahrlässig gegen sich selbst" gehandelt, kann er die Herstellung des sozialen Rechts nicht verlangen, weil er die entscheidende Bedingung für seinen sozialrechtlichen Nachteil selbst gesetzt hat.
Unterstellt, die Klägerin habe damals ein Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF gehabt und die Beklagte habe weder im Kontenklärungsverfahren noch in Rentenauskünften oder in sonstiger Weise die erforderlichen Hinweise mit Beratungsangebot gegeben, bleibt also zu prüfen, ob dies oder ein wissentliches oder fahrlässiges Nichtnachfragen der Klägerin die wesentliche Bedingung dafür war, dass diese im Jahre 1995 ihr Recht nicht ausgeübt hat. Das LSG muss klären, ob die Klägerin das Recht damals bewusst nicht ausgeübt hat, obwohl sie es kannte und obwohl sie wusste, dass ihr dadurch Rechtsnachteile entstehen könnten. Dabei ist auch zu bedenken, dass der einzelanspruchsvernichtende Einwand der verspäteten Antragstellung, der seit 1992 in § 99 SGB VI geregelt ist, im Blick auf die hier fraglichen Gestaltungsrechte schon seit mehr als drei Jahrzehnten besteht und bei den Versicherten weithin bekannt ist. Hat aber die Klägerin damals in freier Entscheidung darauf verzichtet, das Recht geltend zu machen, ist die Hinweispflichtverletzung der Beklagten rechtlich ohne Bedeutung. Dies gilt aber auch dann, wenn die Klägerin sich damals (1995) entschieden hat, die erkannte Frage der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Rente letztlich ungeklärt zu lassen, obwohl sie von den grundsätzlichen Möglichkeiten eines vorzeitigen Altersrentenbezuges bei über 60-jährigen, von ihren Rechten auf Auskunft und individuelle Beratung und von der Möglichkeit wusste, dass es zu Rechtsnachteilen führen kann, wenn bestehende Rechte nicht geltend gemacht werden. Denn auch in diesem Fall war entscheidend das freie Verhalten der Klägerin, das zum Rechtsnachteil geführt hat. Auch diejenigen Versicherten, die jedenfalls die Möglichkeit von Rechtsnachteilen und ihr Informationsrecht gegenüber dem Versicherungsträger vor Augen haben, gleichwohl aber nicht einmal nachfragen, setzen selbst die entscheidende Bedingung dafür, dass sie die Rente nicht erhalten. In diesem Zusammenhang kann es auch auf die damaligen beruflichen, finanziellen und familiären Verhältnisse der Klägerin hilfstatsächlich ankommen, soweit sie einen Rückschluss darauf zulassen, ob die Klägerin sich in Unkenntnis über ihre mögliche soziale Rechtslage einschließlich ihrer Informationsrechte befand.
9. Im Blick auf die Erfüllung des Tatbestandes des Herstellungsrechts wird das LSG also zu klären haben, ob die Klägerin die Voraussetzungen für ein Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI bereits vor 1996 erfüllt hatte, ob die Beklagte ihr vor Vollendung des 60. Lebensjahres die erforderlichen Hinweise in verständlicher Form (zB bei einer Kontenklärung oder Rentenauskunft oder in sonstiger Weise) gegeben hat, falls dies nicht geschah, ob die Klägerin ihr soziales Recht im Wesentlichen infolge der fehlenden Informationen oder aber wissentlich oder fahrlässig nicht ausgeübt hat.
10. Wenn das LSG zu dem Ergebnis kommt, dass der vorgenannte Tatbestand eines Herstellungsrechts erfüllt ist, muss es davon ausgehen, dass die Beklagte sowohl aus dem gesetzlichen Zuweisungsgehalt des speziellen rentenversicherungsrechtlichen Gestaltungsrechts aus § 39 Satz 1 SGB VI aF als auch aus ihrer Bindung an das vom Parlament der Klägerin verliehene subjektive Recht verpflichtet ist, die von ihr zu verantwortende rechtswidrige Beeinträchtigung des sozialen Rechts mit den ihr jetzt rechtlich erlaubten Mitteln zu beseitigen. Dabei muss sie im Blick auf das betroffene Recht den Zustand herstellen, der ohne ihre Pflichtverletzung bestanden hätte. Die BfA hat dann also die Klägerin so zu behandeln, als stehe dieser das Gestaltungsrecht für 1995 noch in vollem Umfang zu und könne heute noch von ihr wirksam ausgeübt werden; dies ist im Februar 2000 geschehen. Damit entsteht jetzt das Stammrecht auf Altersrente mit Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB VI aF vorgelegen haben. Die ggf daraus entstehenden Einzelansprüche sind noch nicht erfüllt, sodass die Beklagte insoweit zur Zahlung zu verurteilen wäre, weil ihr sog Gegenrechte (Einwendungen, Einreden) nicht zustehen (dazu sogleich).
11. Sollten der Klägerin kraft des Herstellungsrechts das Stammrecht auf Altersrente und Zahlungsansprüche hieraus für Bezugszeiten vor 1996 zustehen, muss die Beklagte nach derzeitigem Sachstand verurteilt werden, die geschuldeten Monatsbeträge zu zahlen. Die monatlichen Einzelansprüche sind nicht durch Erfüllung erloschen; Erfüllungssurrogate (Aufrechnung, Verrechnung) sind bislang nicht geltend gemacht worden.
a) Einwendungen (iS von materiell-rechtlichen Einwänden) greifen nicht ein.
aa) Der einzelanspruchsvernichtende Einwand der verspäteten Antragstellung aus § 99 Abs 1 SGB VI ist - entgegen der Ansicht der BfA - nicht anwendbar. Er gilt nur auf der Ebene des gesetzlichen Primärrechts und setzt voraus, dass der Antrag auf Zahlung von Rente erst nach dem Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Voraussetzungen für die Entstehung des Stammrechtes erfüllt waren; er bewirkt, dass bei derart verspäteter Antragstellung alle Einzelansprüche, die als Rechtsfrüchte aus dem entstandenen Stammrecht für Bezugszeiten vor dem Antragsmonat entstanden waren, untergehen. Auf Grund des Herstellungsrechts, das einem Renteneigentümer aus seinem verletzten Anwartschaftsrecht auf Altersrente zusteht, muss dieser aber in Fällen der vorliegenden Art so gestellt werden, als habe er damals das soziale Recht gehabt und rechtzeitig iS von § 99 SGB VI gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Auf diese Rechtsfolgen des Herstellungsrechts selbst bezieht sich aber § 99 Abs 1 SGB VI augenfällig nicht, weil die Vorschrift nicht die sekundärrechtlichen Verletzungsreaktionsfolgen ausschließen kann, die in Folge einer (Grund-)Rechtsverletzung durch den Rentenversicherungsträger entstehen.
bb) Ferner wird das LSG zu Grunde zu legen haben, dass der einzelanspruchsvernichtende ("Vier-Jahres-")Einwand aus § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X in allen Erstfeststellungsverfahren nicht gilt, zu denen auch Erstfeststellungen gehören, die auf Grund eines rentenversicherungsrechtlichen Herstellungsrechts getroffen werden müssen, wie im vorliegenden Fall. Der vorgenannte Einwand ist nur anwendbar, wenn ein rechtswidrig nicht begünstigender Verwaltungsakt oder ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung rückwirkend für mehr als vier Jahre, weil sonst die Bindungswirkung des alten Verwaltungsaktes ohnehin entgegenstünde, nach § 44 Abs 1 oder 2 oder nach § 48 Abs 1 SGB X aufgehoben worden ist. Der 13. Senat des BSG (BSGE 79, 177, 179 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6; s auch das Urteil des 5. Senats des BSG vom 30. Juli 1997, 5 RJ 64/95, in HVBG-INFO 1998, 814 ff) hat Folgendes mit umfangreicher Begründung klargestellt:
"Wo § 44 Abs 4 und § 48 Abs 4 SGB X tatbestandsmäßig nicht hinreichen, gilt nach wie vor § 45 SGB I."
Dem ist nichts hinzuzufügen, wie der 4. Senat des BSG (Urteil vom 2. August 2000, B 4 RA 54/99 R, in SozR 3-2600 § 99 Nr 5 S 30) bereits betont hat.
cc) Darüber hinaus ist jedenfalls im Rentenversicherungsrecht die richterrechtliche Übertragung der Rechtsfolge des § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X auf andere als die vom Deutschen Bundestag in § 44 Abs 1 und 2 sowie in § 48 SGB X ausgestalteten Fälle der Rücknahme von Verwaltungsakten (bzw der rückwirkenden Aufhebung nach § 48 SGB X) schon einfachgesetzlich iS von § 37 Abs 1 SGB I ausgeschlossen; denn das Gesetz hat durch die einzelanspruchsvernichtenden Einwände aus § 99 SGB VI und § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm der Verjährungsregelung des § 45 SGB I ein in sich stimmiges und lückenfreies Regelungskonzept für das Rentenversicherungsrecht ausgestaltet, das einer richterrechtlichen Ergänzung oder gar Durchbrechung nicht offen steht. Darüber hinaus gebieten der grundrechtliche Zuweisungsgehalt und die Bindungswirkung der gesetzlichen Regelungen, die in den §§ 33 ff SGB VI spezielle vermögenswerte subjektive Rechte als Grundrechte der Versicherten ausgestaltet haben, eine vollständige Herstellung des hierdurch geschützten Zustandes, falls der Rentenversicherungsträger ein solches Recht verletzt hat, mit allen rechtmäßigen und faktisch noch möglichen Mitteln. Anders als bei dem einzelanspruchsvernichtenden Einwand aus § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X stehen dem Herstellungsrecht aus diesen rentenversicherungsrechtlichen (Grund-)Rechten verfassungsrechtlich geschützte Belange der Rechtssicherheit, die durch die Bindungswirkung von Verwaltungsakten konkretisiert wird, nicht entgegen. Das Gebot, die parlamentsgesetzlich zugewiesenen subjektiven vermögenswerten Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen, muss also umfassend befolgt werden. Der Deutsche Bundestag hat durch inhaltsbestimmendes Gesetz dem verpflichteten Rentenversicherungsträger vorgeschrieben, diese sozialen Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen. Dies stimmt auf der Grundrechtsebene mit der Verpflichtung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überein, Grundrechtsverletzungen durch den Rentenversicherungsträger im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen umfassend zu beseitigen. Richterrechtliche Schrankenbestimmungen durch Übertragung richterrechtlicher "allgemeiner Rechtsgrundsätze", die der Deutsche Bundestag selbst nicht ausgestaltet hat, sind im Übrigen durch den grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen.
b) Das LSG wird schließlich beachten müssen, dass die Beklagte nach dem bisherigen Sachstand die Verjährungseinrede aus § 45 SGB I nicht wird wirksam erheben können. Zum einen beginnt die Verjährungsfrist für die durch das Herstellungsrecht begründeten Herstellungsansprüche erst im Zeitpunkt ihrer bindenden (oder rechtskräftigen) Feststellung; im Übrigen wäre die Verjährungseinrede nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen von Treu und Glauben auch deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte durch eigene Rechtsverletzungen die frühere Geltendmachung des sozialen Rechts vereitelt hätte.
12. Das LSG wird also klären müssen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des Gestaltungsrechts aus § 39 Satz 1 SGB VI aF und des vorgenannten Tatbestandes des Herstellungsrechts vorlagen. Ist beides der Fall, muss die Berufung der Beklagten nach derzeitigem Sachstand erneut zurückgewiesen werden. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Gründe:
I
Streitig ist, ob die Klägerin gegen die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) schon für die Monate vom 1. Juni 1995 bis zum 31. Dezember 1995 ein Recht auf Altersrente und Zahlungsansprüche hieraus hat.
Die im Mai 1935 geborene Klägerin beantragte erstmals am 15. Februar 2000 die Bewilligung einer Altersrente (für Frauen) ab 1. Juni 1995. Die Beklagte bewilligte ihr das Recht auf Altersrente ab 1. Januar 1996; kraft Gesetzes stehe es ihr zwar erst ab Beginn des Antragsmonats zu; zwecks Erfüllung eines Herstellungsanspruchs sei es aber bereits für die Zeit ab Januar 1996 zuzuerkennen; obwohl die Voraussetzungen für diese Altersrente bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin im Mai 1995 erfüllt gewesen seien, stehe der allgemeine Rechtsgedanke aus § 44 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), nach dem Sozialleistungen längstens bis zu vier Jahren vor Beginn des Jahres der Antragstellung erbracht werden dürften, einer Rentenbewilligung schon für 1995 entgegen (Bescheid vom 24. Juli 2000; Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2001).
Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Beklagte ua dazu verurteilt, "den Rentenbeginn auf den 1. Juni 1995 vorzuverlegen" (Urteil vom 17. Juli 2001). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Diese habe ihre Hinweispflicht aus § 115 Abs 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verletzt. Auf den daraus folgenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sei § 44 Abs 4 SGB X nicht entsprechend anzuwenden (Urteil vom 23. Mai 2002).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie trägt vor, sie habe keine Beratungs- oder Hinweispflicht gehabt; die rückwirkende Rentenbewilligung ab 1. Januar 1996 sei aus ihrer Sicht bereits ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt gewesen. Falls es aber doch einen Herstellungsanspruch der Klägerin gebe, stünden das Leistungsverweigerungsrecht aus § 99 Abs 1 SGB VI und der allgemeine Rechtsgedanke aus § 44 Abs 4 SGB X einer weiteren Begünstigung entgegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Mai 2002 aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Juli 2001 insoweit aufzuheben, als die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2001 verurteilt worden ist, "den Rentenbeginn auf den 1. Juni 1995 vorzuverlegen" und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt. Sie ist vor dem Bundessozialgericht (BSG) durch keinen bei diesem Gericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht begründet.
Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus zu entscheiden, ob die Klägerin gegen die Beklagte ein Recht auf Wiederherstellung ihres Gestaltungsrechts, ein Recht auf Altersrente (für Frauen) zu begründen, mit Wirkung für Zeiten zwischen dem 1. Juni 1995 und dem 31. Dezember 1995 und deswegen einen Anspruch auf Feststellung dieses Rechts schon für Bezugszeiträume vor 1996 hat. Das LSG wird auf Grund der zulässigen Berufung der Beklagten im Rahmen des Klagebegehrens (§ 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) gemäß der zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) für die streitigen Bezugszeiten vor 1996 nicht nur die Entscheidung der Beklagten über den Rentenbeginn, sondern auch zu prüfen haben, ob der Klägerin ein Recht auf Altersrente zusteht. Dabei wird das LSG Folgendes zu Grunde zu legen haben (§ 170 Abs 5 SGG):
1. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG stand der Klägerin auf der Grundlage einer im geschriebenen Gesetzesrecht ausgestalteten Rechtsnorm des primären Rentenversicherungsrechts ein Recht auf Altersrente vor Vollendung des 65. Lebens-jahres frühestens ab 1. Februar 2000 zu. Wird gemäß ihrem Begehren zu ihren Gunsten unterstellt, dass sie die Voraussetzungen für ein Gestaltungsrecht zur Begründung des Rechts auf Altersrente (für Frauen) aus § 39 Satz 1 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 1999 gültigen Fassung (aF) bereits zum 1. Juni 1995 erfüllt hatte, hat sie gleichwohl erst im Februar 2000 gegenüber der Beklagten bekundet, sie halte einen weiteren Einsatz ihrer Erwerbsfähigkeit aus Altersgründen für unzumutbar; erst damit hat sie das Gestaltungsrecht ausgeübt, dadurch das Stammrecht auf Altersrente begründet und zugleich den ersten Zahlungsanspruch hieraus geltend gemacht (§ 99 Abs 1 SGB VI). Nach dem materiellen Primärrecht der (schuldrechtlichen) Vorschriften des SGB VI kann die Klägerin Rente für frühere Bezugszeiten nicht beanspruchen.
2. Es ist gerichtlich nicht zu überprüfen, ob der Klägerin für Bezugszeiten ab 1. Januar 1996 das Recht auf Altersrente rechtmäßig zuerkannt worden ist. Zwar hat die Beklagte im Revisionsverfahren erklärt, sie halte diese Rentenbewilligung für rechtswidrig, weil sie irrtümlich ein Herstellungsrecht der Klägerin angenommen habe. Die Beklagte hat jedoch ihre Verwaltungsakte, mit denen sie das Recht auf Altersrente ab 1. Januar 1996 zuerkannt hatte, bislang nicht aufgehoben, sodass sie weiterhin bindend sind (§ 77 SGG). Die Frage, ob der Klägerin für diese Zeiten ein Recht auf Regelaltersrente zusteht, ist deshalb allein auf der Grundlage dieser Verwaltungsakte zu beantworten, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Rechtslage ankommt.
3. Aus den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ergibt sich nicht, ob die Klägerin schon im Jahre 1995 die tatsächlichen Voraussetzungen für das besondere Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF erfüllt hatte. Nach dieser Vorschrift haben versicherte Frauen Anspruch auf Altersrente, wenn sie (1.) das 60. Lebensjahr vollendet, (2.) nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und (3.) die Wartezeit von 15 Jahren (§ 50 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF) erfüllt haben. Tatsächliche Feststellungen zu den versicherungsrechtlichen (Entstehungs-)Voraussetzungen dieses Rechts fehlen. Der Hinweis des LSG darauf, dass die Beklagte diese Voraussetzungen als ab Juni 1995 erfüllt angesehen hat, ersetzen die eigenen tatsächlichen Feststellungen des Tatsachengerichts nicht. Ein Herstellungsrecht (dazu sogleich) kommt hier aber nur in Betracht, falls die Klägerin im streitigen Zeitraum das Recht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF erlangt (aber nicht geltend gemacht) hatte.
4. Kraft eines Vertrages, eines Verwaltungsaktes oder eines speziellen Bundesgesetzes kann die Klägerin von der Beklagten nicht verlangen, so gestellt zu werden, als hätte sie ihr Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF bereits zum 1. Juni 1995 (oder für Bezugszeiten vor 1996) ausgeübt und Rentenzahlung beantragt.
5. Falls die Klägerin vor 1996 die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB VI aF erfüllt hatte, könnte ihr ein Recht auf (Wieder-)Herstellung (sog Herstellungsanspruch) zustehen. Sie hätte dann ihr als wiederhergestellt zu behandelndes Gestaltungsrecht ausgeübt und Rentenzahlung beantragt. Die Beklagte müsste sie jetzt so behandeln, als ob das Recht auf Altersrente damals entstanden und rechtzeitig geltend gemacht worden wäre. Deshalb müsste die BfA die monatlichen Zahlungsansprüche hieraus noch erfüllen, ohne sich auf Verjährung berufen zu können.
Obwohl es kein Bundesgesetz gibt, das ein Herstellungsrecht des Bürgers gegen den Verwaltungsträger im Einzelnen ausgestaltet, wenn dieser bundesgesetzliche soziale Rechte aus den §§ 2 bis 10 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) (oder Verfahrensrechte) verletzt, war die Rechtsprechung durch den Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB I nicht gehindert, das subjektive Herstellungsrecht als Rechtsinstitut des Sozialverwaltungsrechts mit den entsprechenden objektiven Pflichten des Leistungsträgers bereichsspezifisch zu entfalten. Denn das Institut des Herstellungsrechts beruht auf gesetzlichen Grundlagen. Diese sind in den verschiedenen "Sozialleistungsbereichen" des SGB dadurch gegeben, dass der Deutsche Bundestag dort jeweils im Einzelnen unterschiedliche soziale Rechte als subjektiv-öffentliche Rechte ausgestaltet hat (denen teilweise Grundrechtsqualität zukommt). An diese subjektiven Rechte ist (auch) jeder Leistungsträger (iS von § 12 SGB I) gebunden. Er darf das, was der Deutsche Bundestag jeweils den Begünstigten an Rechtsmacht zugewiesen hat, ohne gesetzliche Ermächtigung weder beeinträchtigen noch behindern. Die Gesetzesbindung iS von Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG) gebietet dem Verwaltungsträger ua grundsätzlich eine gesetzwidrige Beeinträchtigung eines gesetzlichen subjektiv-öffentlichen sozialen Rechts rückgängig zu machen, soweit dies zur Wiederherstellung der vom Gesetz eingeräumten Rechtsmacht notwendig sowie rechtlich und tatsächlich noch möglich ist. In den Anwendungsbereichen der verschiedenen Bücher des SGB folgt hieraus die im Einzelnen unterschiedlich ausgeprägte Pflicht, möglichst weitgehend sicher zu stellen, dass der ursprüngliche Gehalt an sozialer Berechtigung, die der Deutsche Bundestag dem Bürger zuerkannt hatte, trotz der rechtswidrigen Beeinträchtigung durch den Verwaltungsträger noch verwirklicht werden kann (§ 2 Abs 2 SGB I).
Welche konkreten Rechtsfolgen sich in den verschiedenen "Sozialleistungsbereichen" des SGB auf Grund einer rechtswidrigen Beeinträchtigung der jeweiligen sozialen Rechte durch einen Leistungsträger im Einzelnen ergeben, ist im SGB nur punktuell näher ausgestaltet. Im Übrigen greifen die richterrechtlichen Ausgestaltungen und Konkretisierungen des Herstellungsrechts jeweils bereichspezifisch ein. Insoweit kommt es für Ziel und Grenzen der richterlichen Konkretisierung auf den materialen Gehalt des jeweiligen gesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechts an. Entscheidend ist, welcher Verletzungsreaktionsgehalt der Berechtigung gesetzlich zugewiesen ist. Soziale Rechte iS von §§ 2 bis 10 SGB I gewähren dem Bürger nach Maßgabe der jeweiligen Ausgestaltung in den besonderen Büchern des SGB zwar grundsätzlich eine umfassende soziale Berechtigung im Blick auf die in § 1 Abs 1 SGB I genannten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates. Bei rechtswidriger Beeinträchtigung eines sozialen Rechts durch den verpflichteten Leistungsträger folgt hieraus daher grundsätzlich in allen Bereichen des SGB dessen Pflicht, alles rechtlich und tatsächlich Mögliche zu tun, damit das vom Deutschen Bundestag gewährte soziale Recht möglichst weitgehend verwirklicht werden kann (stellv zum Stand der Diskussion: Bernd Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, 114 f, 469 ff, 477 mwN). Welche konkreten Ansprüche und Pflichten jedoch im Einzelnen hieraus entstehen, richtet sich hingegen ua nach dem Recht des jeweiligen "Sozialleistungsbereichs" und entzieht sich daher rechtlich (und faktisch) einer Festlegung für das gesamte SGB.
Nach dem bisherigen Sachstand könnte es auf das Herstellungsrecht deswegen ankommen, weil der Klägerin die begehrte Rechtsfolge nicht schon kraft Vertrages, Verwaltungsakts oder Gesetzes zusteht.
6. Das LSG wird folgenden Tatbestand des Herstellungsrechts zu Grunde zu legen haben:
- Der Anspruchsteller muss ein bestimmtes soziales Recht (oder ein bundesgesetzlich ausgestaltetes Verfahrensrecht) innehaben (oder innegehabt haben), das sich gerade gegen den Leistungsträger richtet, von dem er Herstellung begehrt;
- er muss in dem sozialen Recht dadurch beeinträchtigt worden sein, dass der verpflichtete Leistungsträger durch ein ihm sozialrechtlich zuzurechnendes rechtswidriges Verhalten (Eingriff, Behinderung oder Unterlassen einer gebotenen Förderung) eine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis verletzt hat, die ihm gerade gegenüber dem Anspruchsteller zum Schutz des Rechts oblag;
- die Pflichtverletzung muss die wesentliche, dh zumindest gleichwertige Bedingung dafür gewesen sein, dass das beeinträchtigte Recht (ggf für den jeweiligen Zeitraum) dem Rechtsinhaber nicht, nicht mehr oder nicht in dem vom Primärrecht bezweckten Umfang zusteht.
Insbesondere ist die Rechtsansicht des LSG mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren, dass allein aus der Verletzung einer Nebenpflicht (hier: Hinweispflicht) bereits auf die Entstehung eines Herstellungsrechts geschlossen werden dürfte, ohne dass im Einzelfall im Sinne des Vollbeweises feststeht, dass sie zumindest gleichwertige Bedingung für die Beeinträchtigung des sozialen Rechts (oder Verfahrensrechts) gewesen ist (dazu näher unten).
7. Das Berufungsgericht wird hierzu Folgendes beachten müssen:
a) Derzeit ist ungeklärt, ob die Klägerin vor 1996 ein soziales Recht gegen die Beklagte hatte, Altersrente (nach § 39 Satz 1 SGB VI aF) in Anspruch nehmen zu können.
b) Nach dem derzeitigen Stand der Feststellungen des LSG liegt kein Hinweis darauf vor, die Beklagte könne vor 1996 einen Beratungs- oder Auskunftsanspruch der Klägerin aus §§ 14, 15 SGB I nicht oder schlecht erfüllt haben. Ein Beratungsbegehren der Klägerin ist nicht festgestellt. Auf einer möglicherweise ungenügenden Aufklärung iS des § 13 SGB I kann kein Herstellungsrecht beruhen. Es ist nicht ersichtlich, dass ein konkreter Anlass zur Beratung ohne Beratungsbegehren (so genannte Spontanberatung oder Spontanauskunft) vorgelegen haben könnte, ebenso wenig dafür, dass die Beklagte die Klägerin unrichtig oder missverständlich informiert hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es damals oder zeitnah zum streitigen Zeitraum eine Sachbearbeitung durch die Beklagte gegeben hätte, bei der diese eine klar zu Tage liegende Dispositionsmöglichkeit der Klägerin übersehen oder jedenfalls nicht auf diese hingewiesen hätte. Anhaltspunkte für eine sonstige Verletzung von Beratungs- oder Auskunftspflichten liegen nicht vor (stellv zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 30. Juli 1997, 5 RJ 64/95, HVBG-INFO 1998, 814 ff; BSG, Urteil vom 6. März 2003, B 4 RA 15/02 R).
c) Darüber hinaus ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte gegen Hinweisobliegenheiten aus den "Gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger gemäß § 115 Abs 6 Satz 2 SGB VI" (abgedruckt in DAngVers 1998, 449) verstoßen haben könnte, die (im Wesentlichen) mit Wirkung zum 1. Juli 1998 in Kraft getreten sind. Diese sehen einen Hinweis in Fällen der vorliegenden Art nicht vor. Schon deshalb ist nicht darauf einzugehen, dass diese Richtlinien Verwaltungsbinnenrecht verlautbaren, das nur die Rentenversicherungsträger bindet und Außenwirkung gegenüber den Versicherten allein auf Grund und in den Grenzen des Gebots der Gleichbehandlung aus Art 3 Abs 1 GG erlangt. Sie unterliegen nicht gerichtlicher Überprüfung, weil der Deutsche Bundestag den Rentenversicherungsträgern (zur gesamten Hand) in einer Blankett-Ermächtigung die Aufgabe zugewiesen hat, in eigener Verantwortung nach geeigneten Fällen für eine Hinweisobliegenheit zu suchen und diese ggf in den Richtlinien auszugestalten.
d) Entgegen dem LSG ist nicht zu prüfen, ob die Beklagte eine parlamentsgesetzliche Hinweispflicht aus § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI verletzt haben könnte; denn eine solche parlamentsgesetzliche Hinweispflicht existiert nicht.
aa) Der Deutsche Bundestag hat vielmehr ("bewusst") davon abgesehen, selbst in § 115 Abs 6 SGB VI solche Pflichten zu begründen und auszugestalten. § 115 Abs 6 SGB VI ist auf Grund einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss; BT-Drucks 11/5490) an § 116 des Entwurfes und letztlich an § 115 SGB VI angefügt worden. Der 11. Ausschuss hat zur Begründung seiner Empfehlung Folgendes angeführt (BT-Drucks 11/5530 S 46):
"Das Antragsverfahren für Leistungen der Rentenversicherung hat sich grundsätzlich bewährt. Dennoch sollten die Rentenversicherungsträger die Leistungsberechtigten in solchen Fällen auf ihre Ansprüche hinweisen, in denen es nahe liegt, dass diese die Leistungen in Anspruch nehmen wollen (zB Regelaltersrente bei Vollendung des 65. Lebensjahres, Hinterbliebenenrenten bei Tod des Versicherten). Hier liegt ein geeigneter Bereich vor, in dem die allgemeine Aufklärungs- und Beratungspflicht zu einer konkreten Informationspflicht ausgebaut werden kann. Da eine solche Informationspflicht wegen der unzureichenden Unterlagen nicht generell erfüllbar ist, ist die Selbstverwaltung aufgerufen, die Personengruppen näher zu bestimmen."
Dem ist der Deutsche Bundestag gefolgt. § 115 Abs 6 Satz 1 und 2 SGB VI sind danach als gesetzgebungstechnische Einheit zu verstehen. Darin hat der "Gesetzgeber bewusst" davon Abstand genommen, auch nur andeutungsweise festzulegen, gegenüber welchen Personen bei Vorliegen welcher Sachverhalte die Rechtsfolge einer Informationspflicht eintreten soll. Da der Deutsche Bundestag im Gesetz hierzu "absichtlich" nicht einmal andeutungsweise etwas erklärt hat, gibt es auch nichts auszulegen. Dementsprechend kann § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI - gemäß dem erklärten Willen des 11. Ausschusses des Deutschen Bundestages - nicht als bundesgesetzliche Anspruchsgrundlage für Hinweisansprüche von Versicherten und nicht als Entscheidungs- und Maßstabsnorm für gerichtliche Entscheidungen darüber verstanden werden, ob die Rentenversicherungsträger gemäß dem Parlamentsgesetz Hinweise zu erteilen haben; denn das Parlamentsgesetz regelt nicht, unter welchen Voraussetzungen sie dies tun sollen.
bb) Wollte man - gegen den "erklärten Willen" des Deutschen Bundestages - § 115 Abs 6 SGB VI in eine Anspruchsgrundlage sowie Entscheidungs- und Maßstabsnorm umwandeln, lautete diese:
"Wenn ein geeigneter Fall vorliegt, sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen."
Dieser - nur scheinbare - Tatbestand ist semantisch und pragmatisch leer, dh er hat nach allgemeinem Sprachgebrauch keine auch nur im Ansatz erkennbare Bedeutung. Auch der Rückschluss von der Rechtsfolge auf den Tatbestand führt nicht weiter, weil sich daraus allenfalls ergeben kann, dass es sich um geeignete Fälle handeln muss, die etwas damit zu tun haben, dass ein Versicherter eine Leistung erhalten kann, wenn er sie beantragt (was stets der Fall ist). Der inhaltsleere "Tatbestand" wird auch durch den Kontext des § 115 SGB VI nicht näher erläutert, der insoweit grundsätzlich und faktisch in aller Regel an den verfahrensrechtlichen Antragserfordernissen für die Geltendmachung von Rechten auf Leistungen des Rentenversicherungsträgers festhält. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich - wie gezeigt - gerade, dass der Deutsche Bundestag keinen Tatbestand selbst ausprägen wollte, sondern dazu "die Selbstverwaltung aufgerufen" hat, an Stelle einer bundesgesetzlichen Regelung Richtlinien auszugestalten.
cc) Insbesondere kann die semantische Leere des sprachlichen Ausdrucks "in geeigneten Fällen" ("wenn ein geeigneter Fall vorliegt") nicht zu der Annahme führen, es liege ein sog unbestimmter Gesetzesbegriff (unbestimmter Rechtsbegriff) vor mit der Folge, der Deutsche Bundestag habe - entgegen seiner "erklärten Absicht" - doch einen Tatbestand ausgestaltet und die grundlegende Entscheidung, wer unter welchen Voraussetzungen informiert werden soll, in § 115 Abs 6 SGB VI selbst getroffen. Denn dieser "Tatbestand" weist nicht einmal den Mindestgehalt an sprachlicher Andeutung (Vagheit) auf, der überhaupt erst eine Auslegung, dh die Erschließung der abstrakt-generellen rechtlichen Bedeutung des Textes, ermöglichen könnte. Die Auslegung eines Gesetzestextes, die von der Anwendung der durch Auslegung ermittelten Rechtsnorm auf den Einzelfall strikt zu unterscheiden ist, ist nur möglich, wenn der Text den abstrakten sprachlichen Sinn wenigstens vage (angedeutet) ausdrückt. "Auslegung" erfolgt nämlich stets unabhängig vom konkreten Einzelfall, weil sie den Inhalt des abstrakten, objektiven Rechts näher bestimmt (stellv Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl 1994, S 363; Fritz Ossenbühl in: Allgemeines Verwaltungsrecht, herausgegeben von Hans-Uwe Erichsen, 11. Aufl 1998, S 212). Ein abstrakt-genereller rechtlicher Sinn des Ausdrucks "wenn ein geeigneter Fall vorliegt" ("in geeigneten Fällen") ist aber augenfällig nicht darstellbar.
Allein aus dem Umstand, dass ein Gesetzestext unvollständig, unterbestimmt, unklar, mehrdeutig, vage oder - wie hier - ohne feststellbaren semantischen Gehalt ist (zusammenfassend zu diesen und weiteren Determinierungsdefiziten positiver Rechtssysteme Wolfgang Meyer in: von Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl 2003, RdNr 14 zu Art 97), kann nicht geschlossen werden, Organe der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt seien jeweils zur Normergänzung (oder hier: Normerzeugung) befugt. Dies kann sich jeweils nur daraus ergeben, dass der Deutsche Bundestag - mindestens andeutungsweise - im Gesetzestext selbst und hinreichend bestimmt die Vorgaben gibt, die durch Auslegung konkretisiert werden können. Erst dann stellt sich die Frage, ob die Verwaltung hierbei einen Beurteilungsspielraum hat, der gerichtlicher Nachprüfung ganz oder teilweise entzogen ist oder ob - wie im Regelfall - eine umfassende gerichtliche Nachprüfung zu erfolgen hat (stellv zum Meinungsstand Friedrich E. Schnapp, Der Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit - im Sozialrecht und in anderen Rechtsgebieten, in: Sozialrecht und Sozialpolitik in Deutschland und Europa, Festschrift für Bernd Baron von Maydell, 2002, S 621, 626 ff mwN).
Der Ausdruck "in geeigneten Fällen" ist aber ohnehin kein "unbestimmter Gesetzesbe-griff". Bereits die ältere Dogmatik und Methodenlehre (stellv Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, Allgemeiner Teil, 9. Aufl 1966, S 82 ff; Hans J. Wolff/Otto Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl 1974, S 188 ff; Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl 1969, S 268 ff, 291 ff, 301 ff) umschrieb das Problem der Vagheit (Unbestimmtheit) gesetzlicher Ausdrücke ("Gesetzesbegriffe") mit dem Bild des Begriffskerns und des Begriffshofs. In dieser Tradition lässt sich hinsichtlich der Bedeutung eines "unbestimmten Gesetzesbegriffs" zwischen einem eindeutigen Begriffskern und einem zweifelhaften Begriffshof unterscheiden. In der neueren Rechtstheorie (stellv Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl 2001, S 18 ff, 20 f mwN) wird die Vagheit dreigliedrig beschrieben. Der "unbestimmte Gesetzesbegriff" ist dadurch gekennzeichnet, dass es einige (1.) "positive Kandidaten" gibt, die nach dem Sprachgebrauch eindeutig unter ihn fallen, dass es (2.) "negative Kandidaten" gibt, die ebenso klar nicht dazu gehören, und dass es (3.) "neutrale Kandidaten" gibt, deren Zugehörigkeit zweifelhaft ist. Dass der Ausdruck "wenn ein geeigneter Fall vorliegt" ("in geeigneten Fällen") sprachlich keinen "Begriffskern" und keinen "Begriffshof" hat, dass also anhand dieses scheinbaren "Tatbestandes" von vornherein schon sprachlich nicht beurteilt werden kann, dass es bestimmte Fälle gibt, die unter ihn fallen, andere Fälle, die eindeutig nicht unter ihn fallen und wiederum andere Fälle, die möglicherweise unter ihn fallen, liegt auf der Hand. Es entspricht genau dem Willen des 11. Ausschusses des Deutschen Bundestages, keinen Tatbestand im Bundesgesetz auszuprägen, sondern "der Selbstverwaltung" eine Blankett-Ermächtigung mit Richtlinienkompetenz zu geben. Eine parlamentsgesetzliche Hinweis-pflicht aus § 115 Abs 6 SGB VI, die es nicht gibt, hat das LSG somit nicht zu prüfen.
e) Das Berufungsgericht wird - entgegen seiner eigenen Ansicht - auch nicht zu klären haben, ob eine der vom BSG unter Hinweis auf § 115 Abs 6 SGB VI geschaffenen Hinweispflichten von der Beklagten ordnungsgemäß erfüllt worden ist. Denn hierauf kommt es in Fällen der vorliegenden Art nicht an.
aa) Der Deutsche Bundestag hat mit seinem Auftrag an die Rentenversicherungsträger, geeignete Fälle für eine Hinweispflicht zu ermitteln und in Richtlinien auszugestalten, zugleich rechtspolitisch sein Anliegen verdeutlicht, die Rentenversicherungsträger sollten den Versicherten Hinweise zur Verwirklichung ihrer Rechte geben, wenn sie erkennen, dass es nahe liegt, dass der Versicherte eine Leistung erhalten kann, wenn er den erforderlichen Antrag stellt. Er hat nämlich in § 99 SGB VI ab 1. Januar 1992 den seit Jahrzehnten bestehenden einzelanspruchsvernichtenden Einwand der verspäteten Antragstellung auch auf Einzelansprüche aus Stammrechten auf Regelaltersrente und auf Hinterbliebenenrenten erstreckt (dazu stellv näher BSG SozR 3-2600 § 99 Nr 5). Erfahrungsgemäß konnte er davon ausgehen, dass dieser "Traditionsbruch" einem Großteil der zeitnah betroffenen Versicherten faktisch unbekannt blieb. Deshalb liegt es nahe, darauf hinzuwirken, dass die Versicherungsträger entsprechende Hinweise auf den erforderlichen Antrag geben, wenn sie eine solche Fallgestaltung erkennen. Mit der Abschaffung des so genannten Versicherungsfallprinzips ergab sich ferner für Bezieher "vorzeitiger" Altersrenten bei begünstigenden Rechtsänderungen ein Antragsproblem, weil sie nur dann vor Vollendung des 65. Lebensjahres an den Begünstigungen teilnehmen konnten, wenn sie die Voraussetzungen einer weiteren Rechtsgrundlage für ein Stammrecht auf Altersrente erfüllten und dieses (im Regelfall) durch Stellung eines Antrags gegenüber dem Rentenversicherungsträger geltend machten (§ 89 Abs 1 Satz 1 SGB VI, dazu BSG SozR 3-2600 § 89 Nr 2). Diese - und ähnliche - "Antragsprobleme" sind in den rentenversicherungsrechtlichen Sozialrechtsverhältnissen, in denen jeder Rentenversicherungsträger darauf hinwirken muss, dass jeder Berechtigte seine von ihm erworbenen Rentenleistungen wirklich erhält, durch entsprechende Hinweispflichten als Nebenpflichten des Sozialversicherungsträgers zu entschärfen.
bb) Demgemäß hat das BSG unter Hinweis auf § 115 Abs 6 SGB VI originär richterrechtlich die Norm aufgestellt, dass die Rentenversicherungsträger die (potenziell) Leistungsberechtigten in solchen Fällen auf ihren möglichen Anspruch und die erforderliche Antragstellung hinweisen sollen, in denen es nahe liegt, dass diese die Leistungen in Anspruch nehmen wollen, sofern und soweit es dem Rentenversicherungsträger möglich ist zu erkennen, dass die Versicherten den Rentenantrag aus Ungewissheit nicht stellen; dasselbe gilt im Blick auf solche Gruppen von Versicherten, bei denen die Rentenversicherungsträger auf Grund typischer Sachverhalte anhand der Versicherungskonten ohne Befragung der Versicherten feststellen können, dass bei ihnen die "Antragsproblematik" typischerweise besteht (stellv BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 3 und 4; BSGE 81, 251 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2; BSGE 79, 168 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1 und BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 5). Eine Hinweispflicht besteht danach zB im Blick auf Regelaltersrenten (BSGE 90, 118 = SozR 3-2600 § 115 Nr 8), sog Altersrenten für langjährig Versicherte (§ 36 SGB VI; BSG SozR 3-2600 § 115 Nr 4 und BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998, B 5 RJ 56/97 R sowie BSG, Urteil vom 1. September 1999, B 13 RJ 73/98 R in: SozR 3-2600 § 115 Nr 5, allerdings offen gelassen in BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/01 R) und uU bei sog Altersrenten für Schwerbehinderte, Berufs- oder Erwerbsunfähige (§ 37 SGB VI; so jedenfalls LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Februar 2000, L 6 A 123/98).
Da die vom Deutschen Bundestag den Rentenversicherungsträgern gegebene Richtlinienkompetenz augenfällig nicht als Sperrgesetz gegen richterliche Rechtsfortbildung in der "Antragsproblematik" ausgestaltet ist, steht § 115 Abs 6 SGB VI dieser Rechtsprechung nicht entgegen. Dasselbe gilt auch für den Gesetzesvorbehalt aus § 31 SGB I, der unmittelbar für das gesamte Rentenversicherungsrecht des SGB VI gilt. Danach dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Damit ist es ua auch der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, durch so genannte Rechtsfortbildung praeter legem neue soziale Rechte oder Pflichten zu schaffen (stellv schon Friedrich E. Schnapp, Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 1979, § 31 RdNr 33 ff). Dies berührt die richterliche Rechtsfortbildung intra legem, die innerhalb des im Text positivierten Konzepts des Gesetzes verbleibt, natürlich nicht. Dieses ergibt sich im Blick auf die vorstehende Rechtsprechung des BSG auf der Grundlage der im Sozialrechtsverhältnis ausgelegten ungeschriebenen Nebenpflichten, der §§ 14, 15 SGB I und aus dem in § 115 Abs 6 SGB VI positivierten Fortgestaltungsanliegen des Deutschen Bundestages.
cc) Auf die Grenzen der Entwicklung von richterrechtlichen Hinweispflichten für die Rentenversicherungsträger aus verfassungsrechtlichen Gesetzes- und Parlamentsvorbehalten, insbesondere aus dem funktionsrechtlichen Parlamentsvorbehalt, ist hier nicht weiter einzugehen, weil es in Fällen der vorliegenden Art im Kern nicht nur auf die Bewältigung der vorgenannten Antragsproblematik ankommt.
Diese Hinweispflichten betreffen einen Sonderfall der so genannten Spontanberatung iS der §§ 14, 15 SGB I, weil sie den Rentenversicherungsträger gerade dann treffen, wenn er - anders als in den bislang richterrechtlich erfassten Fallgruppen - keinen konkreten individuellen Anlass zu einer Sachbearbeitung hatte. Die Hinweispflicht knüpft - wie dargelegt - daran an, dass der Rentenversicherungsträger (im Einzelfall oder) bei abgegrenzten Gruppen die jeweils bestehende (oben beschriebene) "Antragsproblematik" allein anhand der im Versicherungskonto gespeicherten Daten nach abstrakten Abrufkriterien erkennen und durch einen Hinweis typischerweise die Gesetzesverwirklichung fördern kann. Die Rechtsprechung des BSG zu § 115 Abs 6 SGB VI hatte immer zur Voraussetzung, dass die maßgeblichen Daten der Versicherten beim Rentenversicherungsträger gespeichert und auf Grund allgemeiner Kriterien abrufbar waren (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/91 R). Eine generelle und abstrakte Pflicht der Rentenversicherungsträger (notwendig monatlich), sämtliche Versicherungskonten der 60- bis 65-jährigen Anwartschaftsinhaber unter leistungsrechtlichen Perspektiven individuell daraufhin zu überprüfen, ob bei Stellung eines Antrags eine (höhere) Leistung erlangt werden kann, besteht hingegen schlechthin nicht. Schon deshalb kommt es im Blick auf das hier für 1995 streitige Gestaltungsrecht der Klägerin aus § 39 Satz 1 SGB VI aF nicht auf die zur Antragsproblematik iS von § 115 Abs 6 SGB VI entwickelten richterrechtlichen Hinweispflichten an. Diese werden aber, worauf das LSG abzustellen haben wird, ohnehin in Fällen der vorliegenden Art durch die verfassungsrechtlichen Hinweis- und Beratungsobliegenheiten des Rentenversicherungsträgers (zum Teil konsumierend) verdrängt, die kraft positiven Verfassungsrechts aus dem Eigentumsgrundrecht der Inhaber eines Anwartschaftsrechts auf Altersrente folgen.
f) Die BfA war aus dem grundrechtlichen Renteneigentum der Klägerin (Art 14 Abs 1 GG) verpflichtet, sie (wie alle anderen Anwartschaftsrechtsinhaber) vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres auf die im Gesetz ausgestaltete Vielzahl von Möglichkeiten des Überganges in ein Vollrecht auf Altersrente, auf die damit jeweils uU verbundenen Vor- und Nachteile, auf die mit einer verspäteten Antragstellung verbundenen Rechtsnachteile und darauf hinzuweisen, dass sie die konkreten Auswirkungen im Einzelfall und die für den einzelnen Versicherten günstigste Lösung nicht abstrakt allein auf Grund der im Versicherungskonto gespeicherten Daten erkennen kann; deswegen hatte sie der Anwartschaftsrechtsinhaberin rechtzeitig, dh vor Vollendung des 60. Lebensjahres, über die Erteilung dieser Hinweise hinaus eine Beratung gerade über die mit der Altersrente vom Gesetz verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten anzubieten.
aa) Die Beklagte ist als Adressatin des Grundrechts auf Renteneigentum wegen ihrer überlegenen Informationsmacht den Anwartschaftsrechtsinhabern verpflichtet, diese in die Lage zu versetzen, ihre grundrechtliche Freiheit, das Recht auf Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder erst später geltend zu machen, verantwortlich wahrnehmen können. Dazu ist nicht erforderlich, dass der Rentenversicherungsträger jeden einzelnen Anwartschaftsrechtsinhaber gesondert zu diesem Thema anschreibt; er kann die Hinweise und das Beratungsangebot zB auch mit der jährlich zu erteilenden Rentenauskunft iS des § 109 SGB VI verbinden, wenn er sie in einem "deutlich gestalteten" (§ 355 Abs 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) besonderen Abschnitt zusammenfasst.
Die Hinweise müssen sinngemäß mitteilen:
- bei Vorliegen welcher Voraussetzungen die Altersrente ab Vollendung des 65. Lebens-jahres und früher in Anspruch genommen werden kann, ferner, dass die Inanspruchnahme von Teilrenten möglich ist;
- ob Hinzuverdienstgrenzen beachtlich werden können;
- ob Rentenabschläge (verminderte Zugangsfaktoren) bei Inanspruchnahme einer Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Betracht kommen;
- dass mit einer Inanspruchnahme der Rente nach Vollendung des 65. Lebensjahres Vorteile (erhöhte Zugangsfaktoren) verbunden sind;
- dass Rentenerhöhungen auch noch nach Vollendung des 65. Lebensjahres durch versicherungspflichtige Arbeit erzielt werden können und dass dies auch vorher neben einem Teilrentenbezug möglich ist;
- welche arbeitsrechtliche Bedeutung die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Altersrente nach § 41 SGB VI haben kann;
- dass Rechtsverluste eintreten, falls ein Rentenantrag erst mehr als drei Monate nach Erfüllung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Altersrente gestellt wird;
- dass die Beklagte grundsätzlich allein anhand des Versicherungskontos nicht erkennen kann, welche Entscheidung im Einzelfall für den Versicherten günstig ist;
- dass sie deshalb anbietet, sich individuell von ihr beraten und die erforderlichen Auskünfte geben zu lassen.
Falls die Klägerin damals vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres diese Informationen nebst Beratungsangebot erhalten hat, konnte sie iS des Grundrechts frei, dh auch verantwortlich, entscheiden, ob sie ein Recht auf Altersrente (oder Beratung) in Anspruch nimmt.
bb) Das Individualgrundrecht des Renteneigentums, das jedem Anwartschaftsrechtsinhaber zusteht, begründet wegen der Komplexität der beim Übergang in die Altersrente vom Versicherten zu treffenden Entscheidungen die vorgenannten Hinweis- und Beratungspflichten des Rentenversicherungsträgers. Auch das Eigentumsgrundrecht schützt nicht nur die in seinen Schutzbereich fallenden subjektiven vermögenswerten Rechte, sondern setzt außerdem Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften (hier: §§ 14, 15 SGB I) mit dem Ziel, das Verfahren so zu gestalten, dass die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition nicht besteht (BVerfGE 63, 131, 143; 65, 76, 94; 69, 315, 355; 73, 280, 296). Diese verfahrensrechtliche Bedeutung der Grundrechte betrifft nicht nur gerichtliche, sondern auch Verwaltungsverfahren, soweit das behördliche Verhalten ein Grundrecht berührt; das gesamte Verfahrensrecht ist grundrechtskonform auszugestalten und anzuwenden (s auch BVerfGE 56, 216, 236; 57, 295, 320; 84, 34, 45 f; 84, 59, 72).
Die spezifisch verfahrensrechtliche Schicht der Grundrechte, die sich über alle drei "klassischen" Grundrechtsfunktionen erstreckt (Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd III, 1996, § 70 RdNr 15; Dreier in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 1996, Vorb, RdNr 66; Jarass/Pieroth, Grundgesetzkommentar, 6. Aufl, 2002, Vorb vor Art 1 RdNr 12), trägt dem Umstand Rechnung, dass das Verfahrensrecht vielfach das Grundrecht nicht etwa nur beschränkt, sondern häufig dessen Ausübung (Aktualisierung) erst ermöglicht oder jedenfalls erleichtert (Starck, in von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl 1999, Art 1 Abs 3 RdNr 166). Dies trifft insbesondere auf normativ geprägte Grundrechte und damit gerade für das durch inhaltsbestimmende Gesetze geprägte Eigentumsgrundrecht aus Art 14 Abs 1 GG zu.
Vor allem gilt dies für soziale Rechte mit Eigentumsqualität, deren konkreter Schutzbereich durch umfangreiche und komplexe gesetzliche Regelungen konkretisiert wird. Hier entspricht einem "Weniger" an "Staat" nicht notwendig ein "Mehr" an "Freiheit". Vielmehr bedarf die Verwirklichung der grundrechtlichen Freiheit des Eigentums an Rechten auf Altersrente einer staatlichen Betreuung oder "Assistenz", deren Ziel es ist, dem Grundrechtsberechtigten die eigenverantwortliche Ausübung seiner Freiheit in einem komplexen, für den Betroffenen oftmals nicht überschaubaren Normengefüge zu ermöglichen. Weiß der Grundrechtsberechtigte nicht, dass ihm das Grundrecht eine bestimmte Vermögensfreiheit jetzt gewährt, ist das Eigentumsgrundrecht rechtlich frucht- und damit faktisch wertlos. Erkennt der Rentenversicherungsträger dieses Informations- oder Kompetenzdefizit des Berechtigten, ist er (auch) kraft seines Wissens- und Kenntnisvorsprunges verpflichtet, den Eigentümer entsprechend zu informieren und zu beraten. Diese Verpflichtung besteht auch gegenüber den Anwartschaftsrechtsinhabern auf Altersrente, deren Rechtsposition grundrechtliches Eigentum iS des Art 14 Abs 1 GG ist (stellv BVerfGE 53, 257, 289 ff; Vorlagebeschluss des BSG vom 16. November 2000, B 4 RA 3/00 R, jeweils mwN).
cc) Jedenfalls seit Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 sieht das Gesetz für Versicherte, die ein Anwartschaftsrecht auf eine Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) haben, ab dem 60. Lebensjahr eine Vielzahl von - zum Teil von weiteren Voraussetzungen abhängigen - Gestaltungsmöglichkeiten bis zum Übergang in die Vollrente wegen Alters vor.
Sogar für diejenigen, welche die Voraussetzungen für ein besonderes Gestaltungsrecht zur Herbeiführung eines Rechts auf Altersrente nach den §§ 36 bis 40 sowie 236 bis 238 SGB VI vor Vollendung des 65. Lebensjahres nicht erfüllen und deshalb erst ab Vollendung des 65. Lebensjahres Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, sind mehrere Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet: Sie sind berechtigt, das Recht auf Regelaltersrente, das Ihnen kraft Gesetzes zusteht, nicht sofort geltend zu machen, sondern erst zu einem von ihnen zu bestimmenden Zeitpunkt; dann gewährt ihnen das Gesetz einen höheren Zugangsfaktor (§ 77 Abs 2 Nr 2 Buchst b, Abs 3 Satz 3 Nr 3 SGB VI) und damit grundsätzlich eine höhere Rente, sofern der aktuelle Rentenwert zwischenzeitlich nicht sinkt. Jedoch müssen sie in Rechnung stellen, dass ihnen auch bei Nichtinanspruchnahme der Regelaltersrente negative arbeitsrechtliche Folgen drohen, wovor § 41 SGB VI in seiner seit dem 1. August 1994 gültigen Fassung sie nicht mehr schützt. Ferner können sie ihr Recht auf Regelaltersrente nicht nur in voller Höhe (Vollrente), sondern auch als Teilrente in Höhe von einem Drittel, der Hälfte oder von zwei Dritteln der Vollrente in Anspruch nehmen (§ 42 SGB VI) und diese Entscheidung im Lauf der Zeit zukunftsgerichtet verändern. Neben einer Teilrente können sie weiterhin versicherungspflichtig arbeiten und insoweit noch zu einer Erhöhung ihrer späteren höheren Teilrente oder Vollrente beitragen. Zugleich ergeben sich für den Fall, dass sie eine Teilrente beanspruchen wollen, arbeitsrechtliche Möglichkeiten, die in § 42 Abs 3 SGB VI normiert sind. Diese (und weitere) Gestaltungsmöglichkeiten liegen schon für die Anwartschaftsrechtsinhaber, die nur eine Regelaltersrente beanspruchen können, nicht sämtlich auf der Hand; ihre Auswirkungen im Einzelfall sind für den Rentenversicherungsträger allein aus den im Versicherungskonto gespeicherten Daten nicht erkennbar.
Die Möglichkeiten vervielfältigen sich, sobald die Gestaltungsrechte aus den §§ 36 bis 40, 236 bis 238 SGB VI in Betracht kommen. Die Anwartschaftsrechtsinhaber können nach der Gesetzeslage die Voraussetzungen der verschiedenen Gestaltungsrechte ab Vollendung des 60. Lebensjahres monatlich und nacheinander erfüllen. Ob dies im Einzelfall eingetreten ist, kann der Rentenversicherungsträger ohne Individualprüfung des Kontos nach abstrakten Kriterien nicht feststellen. Auch für die Betroffenen liegt durchaus nicht stets offen, ob sie die verschiedenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits erfüllt haben.
Objektiv haben sie jeweils ab Erfüllung der Voraussetzungen nicht nur das Recht, die Rente in Anspruch zu nehmen, sondern gerade auch, dies nicht zu tun. Hierzu ist eine begründete abwägende Entscheidung des Versicherten zu ermöglichen, weil die Inanspruchnahme von vorgezogenen bzw flexiblen Renten für ihn häufig nicht die beste individuelle Lösung für den Übergang in die Altersrente ist. Die Versicherten verlieren insoweit nicht nur die Prämien, die mit einem Hinausschieben der Inanspruchnahme hinter die Vollendung des 65. Lebensjahres verbunden sind (höhere Zugangsfaktoren), sondern geraten auch in arbeitsrechtliche Risiken, auf die § 41 SGB VI eingeht. Außerdem bestehen die Möglichkeiten der Altersteilzeitarbeit. Nehmen sie vorgezogene oder flexible Renten - soweit zulässig - "vorzeitig" in Anspruch, erhalten sie entsprechend niedrigere Zugangsfaktoren (§ 77 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI). Umgekehrt kann die nicht "vorzeitige" Inanspruchnahme einer vorgezogenen oder flexiblen Altersrente bei einer überdurchschnittlichen Laufzeit zu erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen im Vergleich zu Regelaltersrentnern führen, welche eine gleich hohe Vorleistung für die gesetzliche Altersrentenversicherung erbracht haben; denn die Ausgestaltung des Zugangsfaktors gleicht die nach der Lebenserwartung absehbaren unterschiedlichen Rentenlaufzeiten nur zu einem geringen Teil aus.
Darüber hinaus kommt es in jedem Einzelfall für die "Günstigkeit" der vom Gesetz gebotenen Alternativen auch auf die persönliche Lebensplanung (zB im Blick auf die Berufsfreiheit - Art 12 GG) und andere Faktoren (zB Gesundheitszustand) an. Ferner können auch alle vorgezogenen oder flexiblen Renten als Vollrenten oder als Teilrenten zu einem Drittel, zur Hälfte, oder zu zwei Dritteln einer Vollrente (sogar abwechselnd) in Anspruch genommen werden, sodass auch hier neben einer Teilrente weiterhin versicherungspflichtig gearbeitet und so ein Beitrag zu einer Erhöhung einer späteren höheren Teilrente oder der Vollrente erbracht werden kann. Weiterhin ist für eine verantwortliche Entscheidung des Versicherten von Bedeutung, dass die Inanspruchnahme von Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres ausscheidet, wenn eine der maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen überschritten wird (§ 34 Abs 2 SGB VI).
Es ist auch für einen geschulten Rentenberater, der mit den Umständen eines Einzelfalles konkret vertraut ist, nicht ohne abwägende Prüfung möglich, die passende Gestaltungsmöglichkeit aufzuzeigen. Dies ist dem Rentenversicherungsträger allein auf Grund der Daten des Versicherungskontos unmöglich. Entscheidend ist aber, dass der Grundrechtsinhaber typischerweise weder das Gesamtspektrum der Gestaltungsmöglichkeiten noch deren Vorteile und Risiken kennt. Er ist im Regelfall außer Stande, abschließend zu beurteilen, welche von ihnen in seinem Fall konkret gegeben und im Blick auf seine Lebensplanung sinnvoll auszuüben sind. Hinzu kommt, dass alle Gestaltungsrechte zur Begründung eines Stammrechts auf eine vorgezogene oder flexible Rente erst mit Ausübung des Gestaltungsrechts, die regelmäßig mit dem Rentenantrag erfolgt, zur Inanspruchnahme der Rente führen und alle Zahlungsansprüche wegen verspäteter Antragstellung erlöschen, wenn die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Rechts mehr als drei Monate vor dem Antragsmonat erfüllt waren (§ 99 SGB VI).
Vor diesem Hintergrund kann der Grundrechtsinhaber eines Anwartschaftsrechts auf Altersrente, der auf die Vollendung des 60. Lebensjahres zugeht, sich für die Folgezeit verantwortlich nur entscheiden, wenn der Versicherungsträger ihn zuvor in möglichst allgemein verständlicher (§ 17 Abs 1 Nr 3 SGB I) Sprache auf die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Voraussetzungen, ihre möglichen Vor- und Nachteile, auf die Möglichkeit, durch verspätete Antragstellung Rechtsnachteile zu erleiden, sowie auf das Recht, sich von ihm beraten und Auskünfte geben zu lassen (§§ 14, 15 SGB I), hingewiesen hat. Die sog Verfahrensgarantie des Art 14 Abs 1 GG gebietet daher die vorgenannten Hinweise und das konkrete Beratungsangebot.
8. Falls das LSG zu dem Ergebnis kommen wird, es liege eine Verletzung dieser Hinweispflichten durch die Beklagte vor, wird es zu prüfen haben, ob diese die wesentliche, dh zumindest gleichwertige, Bedingung dafür gewesen ist, dass die Klägerin ihr Gestaltungsrecht, ein Stammrecht auf Altersrente zu begründen, und die Zahlungsansprüche hieraus nicht schon in den streitigen Zeiträumen geltend gemacht hat. Denn die Verletzung der Hinweispflicht muss die wesentliche Bedingung für die Beeinträchtigung des sozialen Rechts (oder Verfahrensrechts) gewesen sein. Nur dann ist es nämlich im Rentenversicherungsrecht gerechtfertigt, die im Einwand der verspäteten Antragstellung gesetzlich ausgestaltete Wertung des § 99 SGB VI "herstellungsrechtlich" zu verdrängen. Hat dagegen der Versicherte wissentlich oder "fahrlässig gegen sich selbst" gehandelt, kann er die Herstellung des sozialen Rechts nicht verlangen, weil er die entscheidende Bedingung für seinen sozialrechtlichen Nachteil selbst gesetzt hat.
Unterstellt, die Klägerin habe damals ein Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI aF gehabt und die Beklagte habe weder im Kontenklärungsverfahren noch in Rentenauskünften oder in sonstiger Weise die erforderlichen Hinweise mit Beratungsangebot gegeben, bleibt also zu prüfen, ob dies oder ein wissentliches oder fahrlässiges Nichtnachfragen der Klägerin die wesentliche Bedingung dafür war, dass diese im Jahre 1995 ihr Recht nicht ausgeübt hat. Das LSG muss klären, ob die Klägerin das Recht damals bewusst nicht ausgeübt hat, obwohl sie es kannte und obwohl sie wusste, dass ihr dadurch Rechtsnachteile entstehen könnten. Dabei ist auch zu bedenken, dass der einzelanspruchsvernichtende Einwand der verspäteten Antragstellung, der seit 1992 in § 99 SGB VI geregelt ist, im Blick auf die hier fraglichen Gestaltungsrechte schon seit mehr als drei Jahrzehnten besteht und bei den Versicherten weithin bekannt ist. Hat aber die Klägerin damals in freier Entscheidung darauf verzichtet, das Recht geltend zu machen, ist die Hinweispflichtverletzung der Beklagten rechtlich ohne Bedeutung. Dies gilt aber auch dann, wenn die Klägerin sich damals (1995) entschieden hat, die erkannte Frage der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Rente letztlich ungeklärt zu lassen, obwohl sie von den grundsätzlichen Möglichkeiten eines vorzeitigen Altersrentenbezuges bei über 60-jährigen, von ihren Rechten auf Auskunft und individuelle Beratung und von der Möglichkeit wusste, dass es zu Rechtsnachteilen führen kann, wenn bestehende Rechte nicht geltend gemacht werden. Denn auch in diesem Fall war entscheidend das freie Verhalten der Klägerin, das zum Rechtsnachteil geführt hat. Auch diejenigen Versicherten, die jedenfalls die Möglichkeit von Rechtsnachteilen und ihr Informationsrecht gegenüber dem Versicherungsträger vor Augen haben, gleichwohl aber nicht einmal nachfragen, setzen selbst die entscheidende Bedingung dafür, dass sie die Rente nicht erhalten. In diesem Zusammenhang kann es auch auf die damaligen beruflichen, finanziellen und familiären Verhältnisse der Klägerin hilfstatsächlich ankommen, soweit sie einen Rückschluss darauf zulassen, ob die Klägerin sich in Unkenntnis über ihre mögliche soziale Rechtslage einschließlich ihrer Informationsrechte befand.
9. Im Blick auf die Erfüllung des Tatbestandes des Herstellungsrechts wird das LSG also zu klären haben, ob die Klägerin die Voraussetzungen für ein Gestaltungsrecht aus § 39 Satz 1 SGB VI bereits vor 1996 erfüllt hatte, ob die Beklagte ihr vor Vollendung des 60. Lebensjahres die erforderlichen Hinweise in verständlicher Form (zB bei einer Kontenklärung oder Rentenauskunft oder in sonstiger Weise) gegeben hat, falls dies nicht geschah, ob die Klägerin ihr soziales Recht im Wesentlichen infolge der fehlenden Informationen oder aber wissentlich oder fahrlässig nicht ausgeübt hat.
10. Wenn das LSG zu dem Ergebnis kommt, dass der vorgenannte Tatbestand eines Herstellungsrechts erfüllt ist, muss es davon ausgehen, dass die Beklagte sowohl aus dem gesetzlichen Zuweisungsgehalt des speziellen rentenversicherungsrechtlichen Gestaltungsrechts aus § 39 Satz 1 SGB VI aF als auch aus ihrer Bindung an das vom Parlament der Klägerin verliehene subjektive Recht verpflichtet ist, die von ihr zu verantwortende rechtswidrige Beeinträchtigung des sozialen Rechts mit den ihr jetzt rechtlich erlaubten Mitteln zu beseitigen. Dabei muss sie im Blick auf das betroffene Recht den Zustand herstellen, der ohne ihre Pflichtverletzung bestanden hätte. Die BfA hat dann also die Klägerin so zu behandeln, als stehe dieser das Gestaltungsrecht für 1995 noch in vollem Umfang zu und könne heute noch von ihr wirksam ausgeübt werden; dies ist im Februar 2000 geschehen. Damit entsteht jetzt das Stammrecht auf Altersrente mit Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 SGB VI aF vorgelegen haben. Die ggf daraus entstehenden Einzelansprüche sind noch nicht erfüllt, sodass die Beklagte insoweit zur Zahlung zu verurteilen wäre, weil ihr sog Gegenrechte (Einwendungen, Einreden) nicht zustehen (dazu sogleich).
11. Sollten der Klägerin kraft des Herstellungsrechts das Stammrecht auf Altersrente und Zahlungsansprüche hieraus für Bezugszeiten vor 1996 zustehen, muss die Beklagte nach derzeitigem Sachstand verurteilt werden, die geschuldeten Monatsbeträge zu zahlen. Die monatlichen Einzelansprüche sind nicht durch Erfüllung erloschen; Erfüllungssurrogate (Aufrechnung, Verrechnung) sind bislang nicht geltend gemacht worden.
a) Einwendungen (iS von materiell-rechtlichen Einwänden) greifen nicht ein.
aa) Der einzelanspruchsvernichtende Einwand der verspäteten Antragstellung aus § 99 Abs 1 SGB VI ist - entgegen der Ansicht der BfA - nicht anwendbar. Er gilt nur auf der Ebene des gesetzlichen Primärrechts und setzt voraus, dass der Antrag auf Zahlung von Rente erst nach dem Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Voraussetzungen für die Entstehung des Stammrechtes erfüllt waren; er bewirkt, dass bei derart verspäteter Antragstellung alle Einzelansprüche, die als Rechtsfrüchte aus dem entstandenen Stammrecht für Bezugszeiten vor dem Antragsmonat entstanden waren, untergehen. Auf Grund des Herstellungsrechts, das einem Renteneigentümer aus seinem verletzten Anwartschaftsrecht auf Altersrente zusteht, muss dieser aber in Fällen der vorliegenden Art so gestellt werden, als habe er damals das soziale Recht gehabt und rechtzeitig iS von § 99 SGB VI gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Auf diese Rechtsfolgen des Herstellungsrechts selbst bezieht sich aber § 99 Abs 1 SGB VI augenfällig nicht, weil die Vorschrift nicht die sekundärrechtlichen Verletzungsreaktionsfolgen ausschließen kann, die in Folge einer (Grund-)Rechtsverletzung durch den Rentenversicherungsträger entstehen.
bb) Ferner wird das LSG zu Grunde zu legen haben, dass der einzelanspruchsvernichtende ("Vier-Jahres-")Einwand aus § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X in allen Erstfeststellungsverfahren nicht gilt, zu denen auch Erstfeststellungen gehören, die auf Grund eines rentenversicherungsrechtlichen Herstellungsrechts getroffen werden müssen, wie im vorliegenden Fall. Der vorgenannte Einwand ist nur anwendbar, wenn ein rechtswidrig nicht begünstigender Verwaltungsakt oder ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung rückwirkend für mehr als vier Jahre, weil sonst die Bindungswirkung des alten Verwaltungsaktes ohnehin entgegenstünde, nach § 44 Abs 1 oder 2 oder nach § 48 Abs 1 SGB X aufgehoben worden ist. Der 13. Senat des BSG (BSGE 79, 177, 179 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6; s auch das Urteil des 5. Senats des BSG vom 30. Juli 1997, 5 RJ 64/95, in HVBG-INFO 1998, 814 ff) hat Folgendes mit umfangreicher Begründung klargestellt:
"Wo § 44 Abs 4 und § 48 Abs 4 SGB X tatbestandsmäßig nicht hinreichen, gilt nach wie vor § 45 SGB I."
Dem ist nichts hinzuzufügen, wie der 4. Senat des BSG (Urteil vom 2. August 2000, B 4 RA 54/99 R, in SozR 3-2600 § 99 Nr 5 S 30) bereits betont hat.
cc) Darüber hinaus ist jedenfalls im Rentenversicherungsrecht die richterrechtliche Übertragung der Rechtsfolge des § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X auf andere als die vom Deutschen Bundestag in § 44 Abs 1 und 2 sowie in § 48 SGB X ausgestalteten Fälle der Rücknahme von Verwaltungsakten (bzw der rückwirkenden Aufhebung nach § 48 SGB X) schon einfachgesetzlich iS von § 37 Abs 1 SGB I ausgeschlossen; denn das Gesetz hat durch die einzelanspruchsvernichtenden Einwände aus § 99 SGB VI und § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm der Verjährungsregelung des § 45 SGB I ein in sich stimmiges und lückenfreies Regelungskonzept für das Rentenversicherungsrecht ausgestaltet, das einer richterrechtlichen Ergänzung oder gar Durchbrechung nicht offen steht. Darüber hinaus gebieten der grundrechtliche Zuweisungsgehalt und die Bindungswirkung der gesetzlichen Regelungen, die in den §§ 33 ff SGB VI spezielle vermögenswerte subjektive Rechte als Grundrechte der Versicherten ausgestaltet haben, eine vollständige Herstellung des hierdurch geschützten Zustandes, falls der Rentenversicherungsträger ein solches Recht verletzt hat, mit allen rechtmäßigen und faktisch noch möglichen Mitteln. Anders als bei dem einzelanspruchsvernichtenden Einwand aus § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X stehen dem Herstellungsrecht aus diesen rentenversicherungsrechtlichen (Grund-)Rechten verfassungsrechtlich geschützte Belange der Rechtssicherheit, die durch die Bindungswirkung von Verwaltungsakten konkretisiert wird, nicht entgegen. Das Gebot, die parlamentsgesetzlich zugewiesenen subjektiven vermögenswerten Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen, muss also umfassend befolgt werden. Der Deutsche Bundestag hat durch inhaltsbestimmendes Gesetz dem verpflichteten Rentenversicherungsträger vorgeschrieben, diese sozialen Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen. Dies stimmt auf der Grundrechtsebene mit der Verpflichtung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überein, Grundrechtsverletzungen durch den Rentenversicherungsträger im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen umfassend zu beseitigen. Richterrechtliche Schrankenbestimmungen durch Übertragung richterrechtlicher "allgemeiner Rechtsgrundsätze", die der Deutsche Bundestag selbst nicht ausgestaltet hat, sind im Übrigen durch den grundrechtlichen Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen.
b) Das LSG wird schließlich beachten müssen, dass die Beklagte nach dem bisherigen Sachstand die Verjährungseinrede aus § 45 SGB I nicht wird wirksam erheben können. Zum einen beginnt die Verjährungsfrist für die durch das Herstellungsrecht begründeten Herstellungsansprüche erst im Zeitpunkt ihrer bindenden (oder rechtskräftigen) Feststellung; im Übrigen wäre die Verjährungseinrede nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen von Treu und Glauben auch deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte durch eigene Rechtsverletzungen die frühere Geltendmachung des sozialen Rechts vereitelt hätte.
12. Das LSG wird also klären müssen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des Gestaltungsrechts aus § 39 Satz 1 SGB VI aF und des vorgenannten Tatbestandes des Herstellungsrechts vorlagen. Ist beides der Fall, muss die Berufung der Beklagten nach derzeitigem Sachstand erneut zurückgewiesen werden. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
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