L 17 U 324/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 312/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 324/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.07.2001 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 10.12.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Ereignis vom 10.12.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der am 1955 geborene Kläger arbeitete als Sandstrahler bei der F. Personaldienste und Service GmbH in S ... Am 10.12.1998 stürzte er im Betrieb auf die linke Hüfte und zog sich eine Schenkelhalsfraktur rechts zu (Durchgangsarztbericht Prof.L. vom 11.12.1998).

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte Auskünfte der BKK und des Arbeitgebers vom 22.01.1999 sowie einen Bericht des Berufshelfers vom 22.12.1998 bei. Danach litt der Kläger seit ca 1992 an einem Morbus Hodgkin und seit einem Apoplex im April 1998 an einer spastischen Hemiparese rechts. Auf Befragen konnte der Kläger beim Berufshelfer nicht angeben, aus welchem Grund er gestürzt war.

Mit Bescheid vom 11.05.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 10.12.1998 ab. Der Kläger sei aus innerer Ursache auf dem normalen Steinfußboden gestürzt und es habe kein besonderes Gefahrenmoment mitgewirkt, so dass ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, am Unfalltag habe am Arbeitsplatz eine "Baustellensituation" geherrscht. Er sei über ein Rohr gestürzt. Mit Schreiben vom 01.06.1999 / 28.06.1999 bestätigte die F., dass sowohl der Fußboden an der Unfallstelle uneben war als auch Verlängerungsleitungen, Schweißschläuche, Druckluftschläuche und demontierte Teile einer Ringstrahlanlage herumgelegen haben und Stolperstellen bilden konnten. Der Kläger habe dem Sanitäter gegenüber angegeben, beim Gehen in der Abteilung gestürzt zu sein. Die Beklagte zog die Krankenunterlagen des Neurologen R.S. vom 18.11.1998 und des L.-Krankenhauses S. vom 09.10.1998 bei, wo sich der Kläger vom 05.10. bis 09.10.1998 in stationärer Behandlung befunden hatte und in der über eine Verschlechterung der spastischen Hemiparese rechts und vermehrte Schwierigkeiten beim Laufen sowie ein Nachziehen des rechten Beines beim Gehen berichtet wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, es könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegt werden, dass der Kläger aufgrund herumliegender Rohre gestürzt sei. Ein Unfall aus innerer Ursache sei anzunehmen, weil die Ehefrau des Klägers angegeben habe, der Kläger sei bei der Arbeit zusammengebrochen. Auch habe er gegenüber dem Berufshelfer nicht den Grund des Sturzes angeben können. Dem Betriebssanitäter habe er mitgeteilt, beim Gehen gestürzt zu sein. Auch beschreibe Prof.L. im Durchgangsarztbericht einen Sturz aufgrund der körperlichen Behinderung.

Gegen den Bescheid vom 11.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1999 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, den Unfall vom 10.12.1998 als Arbeitsunfall anzusehen und dem Grunde nach zu entschädigen. Er hat vorgetragen, der Sturz sei durch ein betriebliches Gefahrenmoment verursacht worden. In seinem Arbeitsbereich seien demontierte Teile einer Ringstrahlanlage, insbesondere Rohre, herumgelegen.

Das SG hat die Zeugen R.G. und P.W. einvernommen. Beide hatten den Sturz des Klägers nicht beobachtet. Mit Urteil vom 18.07.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt an einer Erkrankung gelitten, die zu einer Gangunsicherheit geführt habe. Bei dieser Ausgangslage müsse der Nachweis geführt werden, dass betriebsbedingte Umstände zum Unfall geführt haben. Dieser Nachweis habe aber nicht geführt werden können. Den Sturz selbst habe niemand gesehen. Die Feststellung der Beklagten, dass die bestehende Erkrankung des Klägers wesentlich für den Sturz gewesen sei, könne nicht entkräftet werden.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat ausgeführt, der Sturz habe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gestanden. Es sei aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der im April 1998 erlittene Apoplex mit einer spastischen Hemiparese und dem Nachziehen des rechten Beines beim Gehen Ursache des Sturzes gewesen sei. Die von der Beklagten herangezogenen Indizien seien unzureichend. Die Angaben der Ehefrau beruhten auf der Information des Vorarbeiters S. , der beim Unfall nicht anwesend gewesen sei. Die Aussage des Prof.L. stelle eine eigenmächtige Schlussfolgerung dar. Die vom Kläger im Oktober 1998 im L.-Krankenhaus angegebenen Schwierigkeiten beim Laufen stellten nur eine Möglichkeit für eine Sturzursache dar. Ein Unfall aus innerer Ursache sei somit nicht erwiesen. Die Beweislast im Falle der Nichtfeststellbarkeit trage die Beklagte.

Der Senat holte einen Befundbericht des Neurologen R.S. vom 11.12.2001, des Dr.H. vom 17.12.2001, der S.klinik vom 12.01.2000, des L.-Krankenhauses vom 27.04.2000 / 31.01.2000, der Neurologischen Klinik N. vom 19.04.2000 / 21.08.2000, der Neurologischen Klinik W. vom 31.07.2000 / 07.08.2000 ein. Der Senat hat weiter den Zeugen W. einvernommen sowie die Ehefrau des Klägers. Der Zeuge W. hat ausgeführt, dass im Sturzbereich des Klägers Werkzeuge, Elektrokabel, Schläuche herumlagen. Auch hätten sich Unebenheiten an den Stellen, wo die Betonplatten aneinander stießen, befunden. Die Ehefrau hat vorgetragen, ihr Mann habe am Unfalltag eine Schiene zur Erleichterung des Gehens getragen, die vom Fuß zum Unterschenkel lief und in den Schuh eingelegt war.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 18.07.2001 sowie des Bescheides vom 11.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1999 zu verurteilen, das Ereignis vom 10.12.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 18.07.2001 zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass der Kläger noch unbefangen zum Unfallhergang angegeben habe, wegen seiner körperlichen Behinderung gestürzt zu sein.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigefügten Akte der Beklagten, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie der Schwerbehindertenakte des AVF Würzburg hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und auch begründet.

Der Kläger hat am 10.12.1998 einen Arbeitsunfall erlitten, der von der Beklagten zu entschädigen ist (§§ 8 Abs 1 Satz 1, 56 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch -SGB- VII).

Nach § 8 Abs 1 SGB VII ist Arbeitsunfall ein Unfall von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Dazu ist erforderlich, dass das unfallbringende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer Zusammenhang) und dass der Unfall mit der Tätigkeit in rechtlich wesentlichem Zusammenhang steht (haftungsbegründende Kausalität) und ein Gesundheitsschaden verursacht wird (haftungsausfüllende Kausalität) (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Anm 4).

Da der Kläger im Unfallzeitpunkt unstreitig in der F. Personaldienst und Service GmbH in S. einer versicherten Tätigkeit nachging, indem er betriebliche Zwecke verfolgte, war er gegen Unfall versichert. Sein Sturz auf den Boden stellt auch einen Unfall dar. "Unfall" ist ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis, das von außen auf den Menschen einwirkt. Dazu genügt, dass der Boden beim Auffallen des Versicherten gegen seinen Körper stößt (BSG, SozR 2200 § 550 Nr 35).

Der Unfall des Klägers steht mit seiner Tätigkeit in rechtlich wesentlichem Zusammenhang. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis ist stets gegeben, wenn außer dem - hier erwiesenen - kausalen Anknüpfungspunkt der betrieblichen Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursache wirksam geworden sein könnten. Kann eine in Betracht zu ziehende Konkurrenzursache in ihrer Grundvoraussetzung nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn als Ursache aus (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 11 mwN). Auch eine sog. innere Ursache, dh ein Unfall infolge krankhafter Erscheinungen oder der Konstitution des Betroffenen (BSG, SozR 3-2200 § 548 Nr 15), muss mit Gewissheit erwiesen sein (BSG, SozR 2200 § 548 Nr 84). Die bloße Möglichkeit eines Sturzes aus innerer Ursache reicht nicht aus, um die haftungsbegründende Kausalität zu verneinen (BSG, SozR 2200 § 548 Nr 84; Brackmann/Krasney § 8 Rdnr 335).

Im vorliegenden Fall fehlt es am Nachweis eines Sturzes aus innerer Ursache. Beim Kläger ist lediglich erwiesen, dass er im Oktober 1998 vermehrte Schwierigkeiten beim Laufen hatte und das rechte Bein beim Gehen nachzog (Bericht des L.-Krankenhauses vom 09.10.1998) und er beim Facharzt für Neurologie R.S. am 12.11.1998 berichtete, "seit Februar 1998 langsam zunehmende Schwäche des rechten Beines". Nicht erwiesen ist jedoch, dass er aufgrund der Schwierigkeiten beim Laufen am 10.12.1998 gestürzt ist. Den Unfallhergang selbst hat niemand gesehen, wie es sich aus den Aussagen der Zeugen R.G. und P.W. vor dem SG als auch der Auskunft des Arbeitgebers vom 28.06.1999 ergibt. Die Angabe der Ehefrau des Klägers, ihr Mann sei im Betrieb zusammengebrochen, beruht auf ihrer Information durch Betriebsangehörige, die den Unfall nicht gesehen haben und hat keinen Beweiswert für die Ursache des Sturzes. Dasselbe gilt für die Angaben des L.-Krankenhauses vom 22.12.1998, wonach der Kläger "aufgrund der Bewegungseinschränkung nach Apoplex gestolpert" sei bzw des Durchgangsarztberichtes Dr.L. vom 11.12.1998, der Kläger sei "aufgrund seiner körperlichen Behinderung" gestürzt. Hierbei handelt es sich lediglich um Unterstellungen der Ärzte, die keinen Einblick in das Unfallgeschehen gehabt haben. Ganz abgesehen davon führt die Tatsache einer Bewegungseinschränkung nach Apoplex nicht zwangsläufig zu einem Sturz. Einen derartigen Erfahrungssatz gibt es nicht. Da abgesehen von der Gehbehinderung, die im Übrigen am Unfalltag lt Angaben der Ehefrau des Klägers wegen einer getragenen Schiene nicht bestand, weitere Umstände für einen Unfall aus innerer Ursache nicht bekannt geworden sind, scheidet die Annahme eines Sturzes aus innerer Ursache aus.

Das SG geht auch fehl mit der Annahme, dass allein deshalb, weil der Kläger an einer Gangunsicherheit litt, von ihm der Nachweis geführt werden müsse, dass betriebsbedingte Umstände zum Unfall geführt haben. Es muss vielmehr, wie ausgeführt, der Nachweis geführt werden, dass eine innere Ursache vorlag und diese muss wertend den betriebsbedingten Ursachen gegenübergestellt werden. Da eine innere Ursache nicht festgestellt ist, entfällt diese wertende Gegenüberstellung. Wesentliche Ursache für den Sturz ist dann die alltägliche Gefahr, der der Kläger beim Laufen im Betrieb ausgesetzt war. Für die Feststellung der betriebsbedingten Ursache ist eine genaue Feststellung des unmittelbar den Unfall bewirkenden Umstandes nicht notwendig (BSG, SozR 2200 § 548 Nr 48). Nachdem der Kläger den Unfall am Arbeitsplatz bei betriebsbezogener Tätigkeit erlitten hat, ein Stolpern, Ausrutschen oder eine Schreckreaktion denkbar sind und keine Umstände vorliegen, die eine Unterbrechung des betrieblichen Zusammenhanges nahelegen, ist ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit überwiegend wahrscheinlich. Dies genügt, um die haftungsbegründende Kausalität für gegeben zu erachten.

Durch den Unfall ist beim Kläger eine Schenkelhalsfraktur rechts verursacht worden. Damit ist auch die haftungsaufüllende Kausalität gegeben.

Somit liegt ein Arbeitsunfall vor, der von der Beklagten gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu entschädigen ist.

Auf die Berufung des Klägers hin war das Urteil des SG Würzburg vom 18.07.2001 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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