L 19 RJ 360/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 Ar 106/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 360/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.04.1996 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.11.1994 verurteilt, die Zeiten vom 04.07.1950 bis 10.06.1955 und vom 30.03.1957 bis 13.06.1990 bei der Altersrente des Klägers als nachgewiesen zu berücksichtigen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, in welchem Umfang in Rumänien zurückgelegte Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bei der Rente des Klägers zu berücksichtigen sind.

Der am 1934 geborene Kläger ist am 20.07.1990 aus Rumänien nach Deutschland übergesiedelt; er ist Inhaber des Vertriebenenausweises A. Im Fragebogen zur Herstellung von Versicherungsunterlagen nach dem FRG hat der Kläger u.a. angegeben, in der Zeit von Juli 1950 bis Juni 1990 als Schlosser, Bauarbeiter und Werkzeugschlosser, zuletzt auch als Gruppenleiter, beschäftigt gewesen zu sein. Vom 08.06.1955 bis 29.03.1957 habe er Wehrdienst geleistet und sei dabei als Schlosser und Bauarbeiter eingesetzt gewesen. Der Kläger legte zwei Arbeitsbescheinigungen aus Rumänien vor, die Bescheinigung der Handelsgesellschaft in Mediasch Nr 7494 vom 23.10.1991, betreffend die Zeit vom 04.07.1950 bis 19.04.1957, und die Bescheinigung der Handelsgesellschaft R. in Mediasch Nr 3353 vom 23.10.1991, betreffend die Zeit vom 19.04.1957 bis 13.06.1990. In beiden Bescheinigungen ist vermerkt, dass der Kläger keinen Krankenurlaub über längere Zeiten, kein unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz und auch keinen unbezahlten Urlaub gehabt habe; eine Aufschlüsselung nach einzelnen Zeiten und tatsächlich geleisteten Arbeitstagen enthalten diese Bescheinigungen nicht. Des weiteren hat der Kläger Kopien seines Arbeitsbuches (ausgestellt am 14.05.1959) mit Eintragungen über Arbeitszeiten ab dem 04.07.1950 und eine Kopie seines Wehrpasses vorgelegt. Die Beklagte erteilte die Rentenauskunft vom 25.10.1993 und den Feststellungsbescheid von selben Tage. Im Versicherungsverlauf sind die Entgeltpunkte für die gesamten FRG-Zeiten (mit Ausnahme des Wehrdienstes) auf 5/6 gekürzt. Dagegen hat der Kläger am 09.12.1993 Widerspruch erhoben und geltend gemacht, die von ihm vorgelegten Bescheinigungen Nr 7494 und Nr 3353 enthielten alle Angaben über die seine Beschäftigungszeiten unterbrechenden Tatbestände (unbezahlter Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten und längere Erkrankungen). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 03.02.1994 zurück. Die vorgelegten Unterlagen stellten keinen Nachweis einer vollständigen und ununterbrochenen Beitragsabführung an den rumänischen Versicherungsträger dar, seien vielmehr nur als Mittel der Glaubhaftmachung zu werten. Im Übrigen sei privat beschafften Bescheinigungen aus Rumämien nur ein eingeschränkter Beweiswert beizumessen. Noch vor Zustellung des Widerspruchsbescheides legte der Kläger bei der Beklagten zwei weitere rumänische Bescheinigungen vor: Nr 59 vom 11.01.1994 (für den Zeitraum 04.07.1950 bis 19.04.1957) und Nr 41 vom 05.01.1994 (betreffend die Zeit vom 19.04.1957 bis 13.06.1990). Die vom Bevollmächtigten des Klägers angeforderten und jeweils vom Generaldirektor und Personalleiter des Beschäftigungsbetriebes unterschriebenen Bescheinigungen besagen, dass der Kläger im gesamten Zeitraum keinen unbezahlten Urlaub, keine unentschuldigten Fehlzeiten und keinen länger andauernden Krankenurlaub gehabt habe. Es wird weiter bescheinigt, dass die gesamten Sozialversicherungsanteile entrichtet wurden. Die Angaben seien dem Archiv des Unternehmens entnommen.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 02.03.1994 Klage beim Sozialgericht Würzburg erhoben und weiterhin die ungekürzte Anrechnung der rumänischen Beitragszeiten verlangt. Auf den Antrag des Klägers vom 10.10.1994 bewilligte die Beklagte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01.01.1995. Im Bescheid vom 29.11.1994 wurden die FRG-Zeiten - mit Ausnahme der Zeit des Grundwehrdienstes - weiterhin nur in gekürztem Umfang angerechnet.

Mit Urteil vom 26.04.1996 hat das Sozialgericht die (auf Vollanrechnung des Gesamtzeitraumes vom 04.07.1950 bis 13.06.1990 gerichtete) Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts stehe nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fest, dass die gesamten Zeiten tatsächlich ohne jegliche Unterbrechung zurückgelegt worden seien. Dies ergebe sich schon daraus, dass an den aus Rumänien vorgelegten Adeverintas generell Anfangszweifel verblieben, weil solche Bescheinigungen bisher in einem über den Einzelfall hinausgehenden Umfang nachweislich unzutreffende Sachverhalte bestätigt hätten. Außerdem bestünden Zweifel, ob die erwähnten Lohnlisten überhaupt Daten enthielten, die für die Beurteilung geeignet seien, ob eine dem deutschen Recht vergleichbare Beitragsleistung erfolgt sei. Der insoweit beweispflichtige Kläger sei, habe nicht den vollen Nachweis der Beitragszeiten nach § 15 FRG geführt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 16.08.1996 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser verlangte zunächst weiterhin die Anrechnung des gesamten Zeitraumes vom 04.07.1950 bis 13.06.1990 mit den vollen Entgeltpunkten. Die Bescheinigungen aus dem Jahre 1994 enthielten (zusätzlich zu denen des Jahres 1991) die Feststellung durchgehender Lohnzahlung und unterschieden sich hinsichtlich ihrer Beweisqualität deutlich von der pauschalen Bescheinigung eines ununterbrochenen Beschäftigungsverhältnisses. Die Beklagte geht weiter davon aus, dass die inhaltliche Richtigkeit der vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen des rumänischen Arbeitgebers nicht unterstellt werden könne. Sie ist bei dieser Auffassung auch nach Kenntnis des vom LSG Baden-Württemberg in der Streitsache L 9 RJ 2551/98 eingeholten Gutachtens des Instituts für Ostrecht in München vom 15.12.1999 geblieben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.04.1996 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.11.1994 zu verurteilen, die Zeit vom 04.07.1950 bis 10.06.1955 und vom 30.03.1957 bis 13.06.1990 als nachgewiesene Beitragszeiten bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakte des Sozialgerichts Würzburg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel erweist sich im Wesentlichen als begründet.

Die vom Kläger (mit Ausnahme der Zeit des rumänischen Wehrdienstes) geltend gemachten Beitragszeiten von 1950 bis 1990 sind entgegen der Auffassung der Beklagten als nachgewiesen anzusehen und daher bei der Berechnung der Rente mit den vollen Tabellenwerten nach dem FRG zu berücksichtigen. Der Nachweis einer Beitragszeit im Sinne des § 22 Abs 3 FRG bedeutet die Führung des vollen Beweises, der - wie in anderen Rechtsgebieten auch - im Sozialversicherungsrecht mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, soweit nicht der Kreis zulässiger Beweismittel gesetzlich eingeschränkt ist. Eine solche Beschränkung auf bestimmte Beweismittel findet aber im Rahmen der Prüfung, ob Zeiten nach §§ 15, 16 FRG nachgewiesen oder nur glaubhaft gemacht sind, nicht statt. Nachgewiesen sind Zeiten dann, wenn mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie ohne relevante Unterbrechung zurückgelegt sind. Dies kann angenommen werden, wenn eine Arbeitsbescheinigung nicht nur konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungs- bzw Beitragszeiten, sondern auch über dazwischenliegende Ausfallzeiten enthält. Der Beweis einer (gemessen am Monatsprinzip) lückenlosen Beitragsleistung zur Rentenversicherung eines nichtdeutschen Versicherungsträgers wird in erster Linie durch Urkunden, amtliche Auskünfte und Zeugenaussagen geführt. Dabei wird der Urkundenbeweis regelmäßig als das zuverlässigste Beweismittel gelten können. Sowohl schriftliche Urkunden als auch die von früheren Arbeitgebern ausgestellten Bescheinigungen (in Rumänien: Adeverintas) sind in der Regel geeignet, den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen zu erbringen. Dies gilt nach der Überzeugung des Senats auch für die hier maßgeblichen Bescheinigungen Nr 59 vom 11.01.1994 und Nr 41 vom 05.01.1994. Diese Bescheinigungen entsprechen den Anforderungen, die der Senat bisher an den Nachweis rumänischer Beitragszeiten gestellt hat. Auch wenn die Adeverintas keine Auflistung der Arbeitsleistung nach einzelnen Jahren, Tagen und Monaten enthalten, so treffen sie doch die klare Aussage, dass für den Kläger denkbare Fehlzeiten wie Krankheiten, länger dauernder Krankenurlaub und unbezahlter Urlaub sowie sonstige unentschuldigte Fehlzeiten ausgeschlossen werden können. Sie enthalten auch die Angabe, dass in den angeführten Zeiträumen die Lohnzahlung nicht unterbrochen wurde bzw dass die gesamten Sozialversicherungsanteile vom Arbeitgeber entrichtet wurden; darüber hinaus ist vermerkt, dass die angeführten Daten den Zahlungslisten aus dem betrieblichen Archiv entnommen wurden. Ein vernünftiger Zweifel an den wesentlichen Inhalten dieser Bescheinigungen besteht für den Senat nicht; es finden sich auch keine Hinweise darauf, dass die Bescheinigungen zu Gunsten des Klägers verfälscht oder gar gefälscht sein könnten. Wenn die früher vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen aus dem Jahre 1991 nicht die detaillierten Aussagen zu Arbeits- und Fehlzeiten treffen wie die aus dem Jahre 1994, so mag dies daran liegen, dass früher die Fragestellung nicht genauer präzisiert war. Im Ergebnis teilt der Senat auch nicht die grundsätzlichen Bedenken, die das SG bezüglich der Zuverlässigkeit der rumänischen Arbeitsbescheinigungen geäußert hat, und kann diese aus der Kenntnis einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle auch nicht bestätigen. Insoweit verweist der erkennende Senat auf seine Urteile vom 12.08.1999 - L 19 RJ 96/99 -, 07.07.1999 - L 19 RJ 676/98 -, 24.07.1996 - L 19 Ar 425/94 - und vom 23.05.1996 - L 19 Ar 366/94 - sowie auf die Urteile des 20. Senats des BayLSG vom 09.11.2000 - L 20-RJ 131/00 -, 14.12.1999 - L 20 RJ 459/98 -, 17.02.1999 - L 20 RJ 520/96 -, 14.11.1996 - L 20 AR 569/93 - und 21.05.1996 - L 20 Ar 610/94 -.

Die vorgenannten Arbeitsbescheinigungen erfüllen insgesamt die Anforderungen an einen Nachweis der darin bestätigten Versicherungszeiten. Das Vorliegen der im Einzelnen bezeichneten Fehlzeiten bei der Arbeit kann damit ausgeschlossen werden. Auf die Berufung des Klägers war deshalb das Urteil des Sozialgerichts Würzburg aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des streitbefangenen Rentenbescheides zu verurteilen, die vom Kläger geltend gemachten Beitragszeiten bei der Berechnung der Rente als nachgewiesen zu berücksichtigten.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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