Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 68/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 423/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.05.2000 und die Anschlussberufung der Klägerin werden zurückgeweisen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin 4/5 der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Die am 1942 geborene Klägerin ist am 01.02.1990 aus Rumänien, wo sie von 1960 bis 1985 versicherungspflichtig gearbeitet hatte, in die Bundesrepublik eingereist. Sie hat sich hier am 01.09.1990 arbeitslos gemeldet.
Den Rentenantrag vom 01.03.1990 lehnte die Beklagte nach Beinahme eines orthopädischen, nervenärztlichen und internistischen Gutachtens mit bindend gewordenem Bescheid vom 09.05.1990 ab, weil die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeiten mit Einschränkungen vollschichtig verrichten könne.
Auf den zweiten Rentenantrag vom 13.07.1992 ließ die Beklagte die Klägerin ua durch den Neurologen und Psychiater Prof.Dr.Dr.N. untersuchen, der im Gutachten vom 15.09.1992 zu der Diagnose "ausgeprägtes ängstlich-asthenisches Syndrom bei hochgradig-schwacher Persönlichkeitsstruktur im Zusammenhang mit traumatisierenden Kindheitserfahrungen" gelangte. Er hielt die Klägerin auch für leichte Tätigkeiten in nennenswertem Umfang und zu üblichen Bedingungen ab Dezember 1991 nicht für belastbar und schlug eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vor, zu deren Durchführung es nicht kam. Mit Bescheid vom 16.07.1993 lehnte die Beklagte Rentenleistungen ab. Es bestehe zwar Erwerbsunfähigkeit (EU) seit 10.07.1992, jedoch seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung (erforderliche Beitragsdichte) nicht erfüllt. Im Termin vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) am 18.07.1995 erklärte sich die Beklagte bereit, den Rentenantrag der Klägerin nach Vorlage entsprechender neuer beweisdienlicher Unterlagen erneut zu überprüfen (§ 44 SGB X) und gegebenenfalls neu zu entscheiden. Am 03.11.1995 übersandte die Klägerin der Beklagten eine Bestätigung des Stadtkrankenhauses M./Rumänien und bat gem § 44 SGB X "um Beachtung im laufenden Widerspruchsverfahren". Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 22.01.1996 - ohne Rechtsmittelbelehrung - mit, die übersandte Bestätigung reiche für eine Überprüfung der Rentenangelegenheit nicht aus.
Am 23.04.1997 beantragte die Klägerin Rente wegen EU mit der Begründung, sie sei schon vom 11.01.1985 bis 30.09.1987 in Rumänien wegen neurotischer Depression krank geschrieben gewesen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.06.1997 ab und verwies auf den ablehnenden Bescheid vom 16.07.1993. In diesem sei festgestellt, dass EU auf Zeit ab 10.07.1992 vorliege, das Erfordernis von 36 Monaten Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren vor dem Eintritt der EU aber nicht erfüllt sei. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend. Sie sei von verschiedenen Behörden falsch beraten worden und habe sich deshalb erst im September 1990 arbeitslos gemeldet, als sie nach Haßfurt verzogen sei. Nachdem das Landratsamt Miesbach der Beklagten auf Anfrage mitgeteilt hatte, eine Aufklärung über die Auswirkung einer Arbeitslosmeldung auf die Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten sei seitens des Amtes weder mündlich noch schriftlich durchgeführt worden, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.12.1997).
Das SG hat nach Beinahme verschiedener ärztlicher Unterlagen und Befundberichte sowie der Schwerbehindertenakte des AVF Würzburg den Internisten, Gynäkologen und Psychotherapeuten Dr.W. zum Sachverständigen ernannt. Dieser ist in den Gutachten vom 02.08.1999 und vom 20.03.2000 zu dem Ergebnis gelangt, im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen von Dr.Dr.N. im September 1992 sei psychotherapeutisch keine Besserung eingetreten; in der Zeit vor dem 01.03.1992 seien der Klägerin leichte Arbeiten mit Einschränkungen noch vollschichtig möglich gewesen.
Mit Urteil vom 02.05.2000 hat das SG die Beklagte verurteilt, den Leistungsfall der EU auf Zeit ab 24.02.1992 sowie der Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab 01.01.1999 anzuerkennen und ab dem 01.01.1993 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Bezüglich des Eintritts des Leistungsfalles der EU hat das SG ausgeführt, es sehe im Februar 1992 eine Veränderung in der psychischen Gesundheitssituation der Klägerin aus der Tatsache, dass sie sich in fachpsychiatrische Behandlung begeben hat. Die behandelnde Nervenärztin Dr.L. habe im Arztbrief vom 24.02.1992 ua eine Depression beschrieben. Daraus ergebe sich, dass bereits zu diesem Zeitpunkt das von Dr.Dr.N. festgestellte Krankheitsbild vorgelegen habe. Es habe aber zunächst noch die begründete Aussicht bestanden, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein könnte. Deswegen habe ein zeitlich befristeter Zustand der EU angenommen werden müssen. Da sich in der Folgezeit das Leistungsvermögen nicht gebessert habe, sei (unter Berücksichtigung des § 102 Abs 1 Satz 4 SGB VI) ein "Dauerzustand" eingetreten. Dementsprechend sei der Klägerin für die Zukunft eine EU-Rente auf unbestimmte Zeit zu gewähren. Für die Vergangenheit sei ausgehend vom Überprüfungsantrag vom 21.04.1997 eine Leistungserbringung ab 01.01.1993 möglich.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 01.08.2000 Berufung eingelegt: Es lasse sich nicht begründen, dass der Leistungsfall der EU mit dem 24.02.1992 eingetreten sei. Dies könne frühestens mit dem Zeitpunkt der Antragstellung am 10.07.1992 angenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt seien aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt gewesen. Das von Dr.Dr.N. angegebene Datum vom Dezember 1991 (Leistungsfall der EU) sei nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe sich in Deutschland erst im Februar 1992 in nervenärztliche Behandlung begeben. Auch aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr.W. lasse sich ein Leistungsfall früher als am 15.09.1992 nicht begründen.
Die Klägerin hat am 09.01.2001 Anschlussberufung eingelegt: Im Anschluss an die Untersuchung durch Dr.Dr.N. im September 1992 sei eine Besserung des Beschwerdebildes nicht eingetreten. Es sei zu einer Chronifizierung des psychischen Beschwerdebildes gekommen. Unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls vom 20.02.1992 sei ihr, ausgehend von einem Überprüfungsantrag vom 02.11.1995, Rente wegen EU auf unbestimmte Zeit ab dem 01.07.1992 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Würzburg vom 02.05.2000 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide vom 16.07.1993, 22.01.1996 und 27.06.1997 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 01.02.1994 und 16.12.1997 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und auf die Anschlussberufung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab 01.07.1992 zu gewähren.
Dem Senat haben die Streitakten erster und zweiter Instanz, die frühere Klageakte des SG Würzburg S 8 Ar 121/94 und die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten und zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig.
In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Das SG hat im angefochtenen Urteil vielmehr zu Recht festgestellt, dass der Klägerin Rentenleistungen wegen EU ab 01.01.1993 zustehen. Ein weitergehender Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht nicht.
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Denn auch der Senat ist unter Beachtung der medizinischen Beweisergebnisse zu der Überzeugung gelangt, dass der Leistungsfall der EU bei der Klägerin im Februar 1992 eingetreten ist. Zu diesem Zeitpunkt sind nach dem aktenkundigen Versicherungsverlauf und den Ermittlungen der Beklagten auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen wegen EU gegeben. Der Senat weist die Berufung der Beklagten aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gem § 153 Abs 2 SGG ab.
Die Anschlussberufung der Klägerin ist ebenfalls nicht begründet. Das SG hat auch insoweit zu Recht entschieden, dass maßgebend für die Aufhebung der früheren Bescheide der Antrag der Klägerin vom 23.04.1997 ist. Die Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X bezüglich der Leistungen für die Vergangenheit ist daher von diesem Antragsdatum aus zu berechnen. Der Antrag der Klägerin vom 03.11.1995 ist verbraucht, da er mit Bescheid der Beklagten vom 22.01.1996 bindend abgelehnt wurde. Damit hat die Beklagte die Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen und somit einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X erlassen. Das Schreiben der Beklagten vom 22.01.1996 stellt nämlich den Abschluss eines Verwaltungsverfahrens dar, ausgelöst durch den Antrag der Klägerin vom 03.11.1995. Die Beklagte hat es abgelehnt, ihre früheren Entscheidungen zur Frage des Eintritts des Leistungsfalles der EU im Wege des § 44 SGB X zurückzunehmen. Zwar richtet sich die Qualifizierung von Verwaltungshandeln als Verwaltungsakt nicht danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist. Maßgeblich ist vielmehr in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 131, 157 BGB) der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung, wie sie der Empfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (BSG Breith 1999, 957). Gemessen an diesem Grundsatz musste nach der Überzeugung des Senats auch die Klägerin im Schreiben der Beklagten vom 22.01.1996 die Ablehnung ihres Antrags vom 03.11.1995 erkennen. Aus der Formulierung der Beklagten, dass die vorgelegte Adeverinta nicht geeignet sei, zum zeitlichen Ablauf der Erkrankung der Klägerin in Rumänien eine Aussage zu ermöglichen, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit nicht dokumentiert seien und dass dies zusammen für eine Überprüfung gem § 44 SGB X nicht ausreiche, folgt zwingend, dass eine Änderung des ursprünglichen Bescheides zugunsten der Klägerin, bezogen auf den Zeitpunkt 22.01.1996, abgelehnt wurde.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ändert auch das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung nicht den Charakter des Verwaltungsaktes. Zwar ist nach § 36 SGB X die Behörde bei Erlass eines Verwaltungsaktes verpflichtet, den Beteiligten über den Rechtsbehelf und die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, deren Sitz, die einzuhaltende Frist und die Form schriftlich zu belehren. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist aber kein notwendiger Bestandteil eines Verwaltungsaktes (von Wulffen SGB X 4.Aufl, § 36 RdNr 15). Deshalb macht ein Verstoß gegen § 36 SGB X den Verwaltungsakt nicht rechtswidrig. Unrichtige oder unterbliebene Rechtsbehelfsbelehrung haben nur Rechtsfolgen für die Frist (für die Einlegung von Rechtsmitteln), im Übrigen keine. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so folgt daraus, dass nicht die übliche Monatsfrist zur Erhebung des Widerspruchs (§ 84 Abs 1 SGG) zu laufen beginnt; stattdessen läuft die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG. Diese Frist hat die Klägerin aber nach Erlass des Bescheides vom 22.01.1996, der am 24.01.1996 zur Post gegeben wurde, verstreichen lassen. Der Bescheid wurde somit für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG). Das SG ist daher zu Recht von dem späteren Antrag der Klägerin vom 23.04.1997 zur erneuten Überprüfung ihrer Angelegenheit ausgegangen. Rentenleistungen wegen EU stehen der Klägerin demnach vor dem 01.01.1993 nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gem § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat der Klägerin 4/5 der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Die am 1942 geborene Klägerin ist am 01.02.1990 aus Rumänien, wo sie von 1960 bis 1985 versicherungspflichtig gearbeitet hatte, in die Bundesrepublik eingereist. Sie hat sich hier am 01.09.1990 arbeitslos gemeldet.
Den Rentenantrag vom 01.03.1990 lehnte die Beklagte nach Beinahme eines orthopädischen, nervenärztlichen und internistischen Gutachtens mit bindend gewordenem Bescheid vom 09.05.1990 ab, weil die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeiten mit Einschränkungen vollschichtig verrichten könne.
Auf den zweiten Rentenantrag vom 13.07.1992 ließ die Beklagte die Klägerin ua durch den Neurologen und Psychiater Prof.Dr.Dr.N. untersuchen, der im Gutachten vom 15.09.1992 zu der Diagnose "ausgeprägtes ängstlich-asthenisches Syndrom bei hochgradig-schwacher Persönlichkeitsstruktur im Zusammenhang mit traumatisierenden Kindheitserfahrungen" gelangte. Er hielt die Klägerin auch für leichte Tätigkeiten in nennenswertem Umfang und zu üblichen Bedingungen ab Dezember 1991 nicht für belastbar und schlug eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vor, zu deren Durchführung es nicht kam. Mit Bescheid vom 16.07.1993 lehnte die Beklagte Rentenleistungen ab. Es bestehe zwar Erwerbsunfähigkeit (EU) seit 10.07.1992, jedoch seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung (erforderliche Beitragsdichte) nicht erfüllt. Im Termin vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) am 18.07.1995 erklärte sich die Beklagte bereit, den Rentenantrag der Klägerin nach Vorlage entsprechender neuer beweisdienlicher Unterlagen erneut zu überprüfen (§ 44 SGB X) und gegebenenfalls neu zu entscheiden. Am 03.11.1995 übersandte die Klägerin der Beklagten eine Bestätigung des Stadtkrankenhauses M./Rumänien und bat gem § 44 SGB X "um Beachtung im laufenden Widerspruchsverfahren". Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 22.01.1996 - ohne Rechtsmittelbelehrung - mit, die übersandte Bestätigung reiche für eine Überprüfung der Rentenangelegenheit nicht aus.
Am 23.04.1997 beantragte die Klägerin Rente wegen EU mit der Begründung, sie sei schon vom 11.01.1985 bis 30.09.1987 in Rumänien wegen neurotischer Depression krank geschrieben gewesen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.06.1997 ab und verwies auf den ablehnenden Bescheid vom 16.07.1993. In diesem sei festgestellt, dass EU auf Zeit ab 10.07.1992 vorliege, das Erfordernis von 36 Monaten Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren vor dem Eintritt der EU aber nicht erfüllt sei. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend. Sie sei von verschiedenen Behörden falsch beraten worden und habe sich deshalb erst im September 1990 arbeitslos gemeldet, als sie nach Haßfurt verzogen sei. Nachdem das Landratsamt Miesbach der Beklagten auf Anfrage mitgeteilt hatte, eine Aufklärung über die Auswirkung einer Arbeitslosmeldung auf die Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten sei seitens des Amtes weder mündlich noch schriftlich durchgeführt worden, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.12.1997).
Das SG hat nach Beinahme verschiedener ärztlicher Unterlagen und Befundberichte sowie der Schwerbehindertenakte des AVF Würzburg den Internisten, Gynäkologen und Psychotherapeuten Dr.W. zum Sachverständigen ernannt. Dieser ist in den Gutachten vom 02.08.1999 und vom 20.03.2000 zu dem Ergebnis gelangt, im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen von Dr.Dr.N. im September 1992 sei psychotherapeutisch keine Besserung eingetreten; in der Zeit vor dem 01.03.1992 seien der Klägerin leichte Arbeiten mit Einschränkungen noch vollschichtig möglich gewesen.
Mit Urteil vom 02.05.2000 hat das SG die Beklagte verurteilt, den Leistungsfall der EU auf Zeit ab 24.02.1992 sowie der Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab 01.01.1999 anzuerkennen und ab dem 01.01.1993 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Bezüglich des Eintritts des Leistungsfalles der EU hat das SG ausgeführt, es sehe im Februar 1992 eine Veränderung in der psychischen Gesundheitssituation der Klägerin aus der Tatsache, dass sie sich in fachpsychiatrische Behandlung begeben hat. Die behandelnde Nervenärztin Dr.L. habe im Arztbrief vom 24.02.1992 ua eine Depression beschrieben. Daraus ergebe sich, dass bereits zu diesem Zeitpunkt das von Dr.Dr.N. festgestellte Krankheitsbild vorgelegen habe. Es habe aber zunächst noch die begründete Aussicht bestanden, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein könnte. Deswegen habe ein zeitlich befristeter Zustand der EU angenommen werden müssen. Da sich in der Folgezeit das Leistungsvermögen nicht gebessert habe, sei (unter Berücksichtigung des § 102 Abs 1 Satz 4 SGB VI) ein "Dauerzustand" eingetreten. Dementsprechend sei der Klägerin für die Zukunft eine EU-Rente auf unbestimmte Zeit zu gewähren. Für die Vergangenheit sei ausgehend vom Überprüfungsantrag vom 21.04.1997 eine Leistungserbringung ab 01.01.1993 möglich.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 01.08.2000 Berufung eingelegt: Es lasse sich nicht begründen, dass der Leistungsfall der EU mit dem 24.02.1992 eingetreten sei. Dies könne frühestens mit dem Zeitpunkt der Antragstellung am 10.07.1992 angenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt seien aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt gewesen. Das von Dr.Dr.N. angegebene Datum vom Dezember 1991 (Leistungsfall der EU) sei nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe sich in Deutschland erst im Februar 1992 in nervenärztliche Behandlung begeben. Auch aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr.W. lasse sich ein Leistungsfall früher als am 15.09.1992 nicht begründen.
Die Klägerin hat am 09.01.2001 Anschlussberufung eingelegt: Im Anschluss an die Untersuchung durch Dr.Dr.N. im September 1992 sei eine Besserung des Beschwerdebildes nicht eingetreten. Es sei zu einer Chronifizierung des psychischen Beschwerdebildes gekommen. Unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls vom 20.02.1992 sei ihr, ausgehend von einem Überprüfungsantrag vom 02.11.1995, Rente wegen EU auf unbestimmte Zeit ab dem 01.07.1992 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Würzburg vom 02.05.2000 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide vom 16.07.1993, 22.01.1996 und 27.06.1997 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 01.02.1994 und 16.12.1997 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und auf die Anschlussberufung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab 01.07.1992 zu gewähren.
Dem Senat haben die Streitakten erster und zweiter Instanz, die frühere Klageakte des SG Würzburg S 8 Ar 121/94 und die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten und zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig.
In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Das SG hat im angefochtenen Urteil vielmehr zu Recht festgestellt, dass der Klägerin Rentenleistungen wegen EU ab 01.01.1993 zustehen. Ein weitergehender Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht nicht.
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Denn auch der Senat ist unter Beachtung der medizinischen Beweisergebnisse zu der Überzeugung gelangt, dass der Leistungsfall der EU bei der Klägerin im Februar 1992 eingetreten ist. Zu diesem Zeitpunkt sind nach dem aktenkundigen Versicherungsverlauf und den Ermittlungen der Beklagten auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen wegen EU gegeben. Der Senat weist die Berufung der Beklagten aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gem § 153 Abs 2 SGG ab.
Die Anschlussberufung der Klägerin ist ebenfalls nicht begründet. Das SG hat auch insoweit zu Recht entschieden, dass maßgebend für die Aufhebung der früheren Bescheide der Antrag der Klägerin vom 23.04.1997 ist. Die Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X bezüglich der Leistungen für die Vergangenheit ist daher von diesem Antragsdatum aus zu berechnen. Der Antrag der Klägerin vom 03.11.1995 ist verbraucht, da er mit Bescheid der Beklagten vom 22.01.1996 bindend abgelehnt wurde. Damit hat die Beklagte die Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen und somit einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X erlassen. Das Schreiben der Beklagten vom 22.01.1996 stellt nämlich den Abschluss eines Verwaltungsverfahrens dar, ausgelöst durch den Antrag der Klägerin vom 03.11.1995. Die Beklagte hat es abgelehnt, ihre früheren Entscheidungen zur Frage des Eintritts des Leistungsfalles der EU im Wege des § 44 SGB X zurückzunehmen. Zwar richtet sich die Qualifizierung von Verwaltungshandeln als Verwaltungsakt nicht danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist. Maßgeblich ist vielmehr in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 131, 157 BGB) der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung, wie sie der Empfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (BSG Breith 1999, 957). Gemessen an diesem Grundsatz musste nach der Überzeugung des Senats auch die Klägerin im Schreiben der Beklagten vom 22.01.1996 die Ablehnung ihres Antrags vom 03.11.1995 erkennen. Aus der Formulierung der Beklagten, dass die vorgelegte Adeverinta nicht geeignet sei, zum zeitlichen Ablauf der Erkrankung der Klägerin in Rumänien eine Aussage zu ermöglichen, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit nicht dokumentiert seien und dass dies zusammen für eine Überprüfung gem § 44 SGB X nicht ausreiche, folgt zwingend, dass eine Änderung des ursprünglichen Bescheides zugunsten der Klägerin, bezogen auf den Zeitpunkt 22.01.1996, abgelehnt wurde.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ändert auch das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung nicht den Charakter des Verwaltungsaktes. Zwar ist nach § 36 SGB X die Behörde bei Erlass eines Verwaltungsaktes verpflichtet, den Beteiligten über den Rechtsbehelf und die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, deren Sitz, die einzuhaltende Frist und die Form schriftlich zu belehren. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist aber kein notwendiger Bestandteil eines Verwaltungsaktes (von Wulffen SGB X 4.Aufl, § 36 RdNr 15). Deshalb macht ein Verstoß gegen § 36 SGB X den Verwaltungsakt nicht rechtswidrig. Unrichtige oder unterbliebene Rechtsbehelfsbelehrung haben nur Rechtsfolgen für die Frist (für die Einlegung von Rechtsmitteln), im Übrigen keine. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so folgt daraus, dass nicht die übliche Monatsfrist zur Erhebung des Widerspruchs (§ 84 Abs 1 SGG) zu laufen beginnt; stattdessen läuft die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG. Diese Frist hat die Klägerin aber nach Erlass des Bescheides vom 22.01.1996, der am 24.01.1996 zur Post gegeben wurde, verstreichen lassen. Der Bescheid wurde somit für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG). Das SG ist daher zu Recht von dem späteren Antrag der Klägerin vom 23.04.1997 zur erneuten Überprüfung ihrer Angelegenheit ausgegangen. Rentenleistungen wegen EU stehen der Klägerin demnach vor dem 01.01.1993 nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gem § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
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