L 6 RJ 434/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 1646/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 434/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Mai 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1951 geborene Klägerin, die Staatsangehörige der Republik Bosnien und Herzegowina ist, hat keine Berufsausbildung zurückgelegt. Sie ist bisher ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Der letzte Arbeitgeber, bei dem sie seit 12.01.1982 beschäftigt gewesen ist, die Heilpädagogische Tagesstätte St.R. (Tagesstätte), teilt mit (Auskünfte vom 14.02.2001 und 27.03.2001), die Klägerin sei als Raumpflegerin, Küchenhilfe, Spülerin und bei der Wäschepflege beschäftigt worden. Es habe sich dabei um eine ungelernte Tätigkeit gehandelt. Sie sei nach Tariflohngruppe 10 (drittniedrigste von 17 Lohngruppen) der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) entlohnt worden.

Einen ersten auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit gerichteten Antrag der Klägerin vom 13.03.1995 hat die Beklagte abgelehnt (Bescheid vom 02.02.1996; Widerspruchsbescheid vom 30.04.1996).

Den am 12.01.1998 erneut gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.04.1998 und Widerspruchsbescheid vom 26.06.1998 ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (sc. in der bis 31.12.2000 geltenden alten Fassung - a.F. -), da sie nach den zu ihrem Gesundheitszustand und beruflichen Leistungsvermögen sowie zu ihrem beruflichen Werdegang getroffenen Feststellungen nicht berufsunfähig im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift sei; sie habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, da sie erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI sei. Sie könne nämlich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten aus wechselnder Ausgangslage vollschichtig verrichten, wobei dauerndes Gehen oder Stehen, Nacht- oder Wechselschichtarbeit, häufiges Bücken, Arbeit in Zwangshaltung und Zeitdruck nicht zumutbar seien.

Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen entnahm die Beklagte hierbei im wesentlichen dem Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr.S. vom 24.03.1998.

Mit der am 28.07.1998 zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihren Rentenanspruch weiter. Sie begehre aufgrund ihres Antrags vom 12.01.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit.

Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten bei und erholte Befundberichte sowie medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten der Klägerin (Internist Dr.G. , Befundbericht vom 8.9.1998; Arzt für Orthopädie - Sportmedizin Dr.B. , Befundbericht vom 15.09.1998; Neurologe und Psychiater Dr.B. , Befundbericht vom - Eingang beim SG - 24.09.1998).

Sodann holte das SG medizinische Sachverständigengutachten ein von dem Leitenden Arzt der Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses Traunstein Prof.Dr.K. (Gutachten vom 28.03.1999), von dem Internisten - Kardiologie Dr.S. (Gutachten vom 23.03.1999) und von dem Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin - Psychoanalyse - , Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen Dr.V. (Gutachten vom 03.11.1999 unter Verwertung eines testpsychologischen Gutachtens des Diplom-Psychologen W ...

Internistischerseits stellte Dr.S. bei der Klägerin eine Adipositas und eine Hypertriglyceridämie fest. Zum beruflichen Leistungsvermögen führte der Sachverständige aus, die Klägerin könne bei Einhaltung der üblichen Arbeitsunterbrechungen leichte Arbeiten mit der Möglichkeit zum Wechsel der Ausgangslage (Gehen, Stehen, Sitzen) vollschichtig verrichten. Arbeiten im Freien unter längerfristiger Kälte- und Nässeeinwirkung seien nur sehr eingeschränkt möglich; zu vermeiden seien Arbeiten mit häufigem Bücken sowie Arbeiten an Maschinen oder am Fließband. Beschränkungen des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht.

Dr.K. und Dr.V. kamen ebenfalls bei Beachtung qualitativer Einschränkungen grundsätzlich zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin, wobei Dr.K. die Notwendigkeit unüblicher Pausen und eine Einschränkung des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte auf höchstens 500 Meter sah.

Mit Urteil vom 12.05.2000 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente, da sie nicht wenigstens berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI sei. Sie könne nämlich nach dem Ergebnis der durchgeführten medizinischen Ermittlungen ohne rechtserhebliche qualitative Einschränkungen noch vollschichtig arbeiten. Daß ihr die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit nicht mehr zugemutet werden könne, sei ohne rechtliche Auswirkung, da sie nach dem festgestellten Berufsbild als ungelernte bis angelernte Arbeiterin zu beurteilen und somit auf Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar sei. Erst recht sei die Klägerin nicht erwerbsunfähig im Sinne der noch strengeren Vorschrift des § 44 Abs. 2 SGB VI.

Am 03.08.2000 ging die Berufung der Klägerin gegen dieses ihr am 06.07.2000 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Zur Begründung trug sie insbesondere vor, aufgrund ihrer das orthopädische und das nervenärztliche Fachgebiet betreffenden Leiden könne sie nicht mehr erwerbstätig sein.

Der Senat zog die Klageakten des SG München, die Verwaltungsakten der Beklagten und die Leistungsakten sowie die ärztlichen Unterlagen des Arbeitsamts Bad Reichenhall bei, holte Auskünfte von der Tagesstätte ein (vom 14.02.2001 und vom 27.03.2001) und erholte einen Befundbericht einschließlich medizinischer Unterlagen von dem Facharzt für Orthopädie & Sportmedizin, Physikalische Therapie Dr.B. (Befundbericht vom 29.01.2001).

Außerdem erholte der Senat medizinische Sachverständigengutachten von dem Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr.L. (Gutachten vom 24.07.2001) und von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr.M. (Gutachten vom 07.08. 2001). Folgende Gesundheitsstörungen wurden bei der Klägerin hierbei festgestellt:

- auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet 1. ein chronisches Halswirbelsäulensyndrom leichter und ein Lendenwirbelsäulensyndrom mittelschwerer Prägung mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defektes und 2. Senk-Spreizfüße bei X-Bein-Fehlstellung mit der Notwendigkeit des Tragens orthopädischer Hilfsmittel ohne gravierende Geh- und Stehminderung;

- auf nervenärztlichem Fachgebiet 1. eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, 2. eine histrionische Persönlichkeitsstörung und 3. ein Verdacht auf chronischen Schmerzmittelabusus.

Die Klägerin wurde von den Sachverständigen für fähig erachtet, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte, zeitweise auch mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen und mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Wechsel der Ausgangslage (Sitzen, Stehen, Gehen) vollschichtig zu verrichten; hierbei sei Heben oder Tragen von Lasten über 10 Kilogramm ebensowenig zumutbar wie häufiges Bücken, Akkordarbeit, Nachtschichtarbeit. Beschränkungen des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Die Klägerin könne sich auch noch auf eine neue Berufstätigkeit umstellen. Für den zuletzt ausgeübten Beruf sei die Klägerin schon wegen des damit verbundenen schweren Hebens und Tragens nicht mehr geeignet.

Die Klägerin ließ vortragen, sie könne aufgrund eines Hämorrhoidenleidens auch nicht mehr länger sitzen. Auf dem Arbeitsmarkt gebe es für sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen keine Arbeitsmöglichkeit mehr. Sie legte einen Arztbericht des Städtischen Krankenhauses Bad Reichenhall über einen stationären Aufenthalt vom 20. bis 30.08.2001 und eine ärztliche Bescheinigung des Internisten, Kurarztes Dr.G. vom 11.09.2001 vor. Letzterer führte aus, am 21.08.2001 sei bei der Klägerin eine operative Hämorrhoidenabtragung erfolgt; daher sei ihr derzeit längeres Sitzen nicht zumutbar, der Heilungsprozeß werde etwa sechs bis acht Wochen in Anspruch nehmen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG München vom 12.05.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.02.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des SG München vom 12.05.2000 ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, daß dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht, vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI. Für den Anspruch der Klägerin sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01. 2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit sinngemäß auch (hilfsweise) vorgetragen ist, daß jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12. 2000 gegeben sei, vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI a.F., da sie ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom 12.01.1998 bis jetzt nicht im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen bei der Klägerin nicht vor.

Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ist bereits eingeschränkt. Sie kann aber unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen und mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Wechsel der Ausgangslage (Sitzen, Stehen, Gehen) vollschichtig verrichten; hierbei sind Heben oder Tragen von Lasten über 10 Kilogramm ebensowenig zumutbar wie häufiges Bücken, Akkordarbeit, Arbeiten an Maschinen oder am Fließband, Nachtschichtarbeit, außerdem Arbeiten im Freien, wenn damit eine längerfristige Kälte- und Nässeeinwirkung verbunden ist. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, da die Klägerin die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10). Die Klägerin kann sich noch auf eine neue Berufstätigkeit umstellen.

Dieses berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ergibt sich vor allem aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr.L. und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr.M. sowie aus dem durch das SG erholte Gutachten des Internisten - Kardiologie Dr.S ... Der Senat schließt sich den Aussagen dieser schlüssigen und überzeugenden Gutachten an.

Bei der Klägerin liegen folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen vor:

- auf internisischem Fachgebiet eine Adipositas und eine Hypertriglyceridämie;

- auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet 1. ein chronisches Halswirbelsäulensyndrom leichter und ein Lendenwirbelsäulensyndrom mittelschwerer Prägung mit sich daraus ergebendem Funktionsdefizit ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defektes und 2. Senk-Spreizfüße bei X-Bein-Fehlstellung mit der Notwendigkeit des Tragens orthopädischer Hilfsmittel ohne gravierende Geh- und Stehminderung;

- auf nervenärztlichem Fachgebiet 1. eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, 2. eine histrionische Persönlichkeitsstörung und 3. ein Verdacht auf chronischen Schmerzmittelabusus.

Aus diesen Gesundheitsstörungen ergibt sich das oben näher dargestellte berufliche Leistungsvermögen. Der Vortrag der Klägerin über die stattgehabte Hämorrhoidenoperation vermag hieran keine Zweifel zu erwecken, nachdem der behandelnde Arzt nur von einer vorübergehenden (etwa sechs- bis achtwöchigen) Heilungsphase spricht. Es ist auch allgemein bekannt, daß eine erfolgreiche Hämorrhoidenoperation ohne negative Folgen für das berufliche Leistungsvermögen ist.

Nach dem beruflichen Leistungsvermögen ist weiterer Ausgangspunkt für die Feststellung der Berufsunfähigkeit der Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI Rdnr. 21 ff. mit weiteren Nachweisen). Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend die Berufstätigkeit der Klägerin bei der Tagesstätte als Raumpflegerin, Küchenhilfe, Spülerin und bei der Wäschepflege. Diesen Beruf kann die Klägerin schon deshalb nicht mehr ausüben, weil damit schweres Heben und Tragen verbunden ist.

Obwohl die Klägerin ihren maßgeblichen Beruf nicht mehr ausüben kann, ist sie aber dennoch nicht berufsunfähig. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr.138).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbi1dungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Klägerin höchstens der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar des unteren Bereichs (Ausbildungs- oder Anlernzeit von 3 Monaten bis zu einem Jahr, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45), zuzuordnen. Dies ergibt sich aus den vom Senat erholten Auskünften der Tagesstätte, wonach es sich bei der Berufstätigkeit der Klägerin um ungelernte Arbeiten gehandelt hat, die in die drittniedrigste Lohngruppe von 17 Lohngruppen eingestuft gewesen ist.

Als angelernter Arbeiterin des unteren Bereichs ist der Klägerin die Verweisung auf praktisch alle - auch ungelernte - Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen sie körperlich, geistig und seelisch gewachsen ist. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es grundsätzlich nicht. Auch liegt bei der Klägerin weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einer Versicherten erforderlich machen würde, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen ist. Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, daß nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und daß hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8).

Die Klägerin, die keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat, hat erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 SGB VI a.F., weil sie die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift nicht erfüllt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F. sind solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie die Klägerin - (irgend)eine Berufstätigkeit noch vollschichtig ausüben können; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F. hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn eine Versicherte - wie die Klägerin - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen vollschichtig ausüben kann.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 12.05.2000 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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