Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
110
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 110 AS 28262/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2011 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, ergänzend Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01. Mai 2011 bis 31. März 2012 zu gewähren. 2. Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren ergänzende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis 31. März 2012.
Die Kläger besitzen die rumänische Staatsangehörigkeit und sind eine Familie bestehend aus Eltern und zehn Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und 17 Jahren. Im November 2010 reiste die Familie nach B. Zum 30. November 2011 mietete der Kläger zu 1) eine 2- Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von rund 65 qm zu einer Warmmiete von zunächst 530 EUR, seit 1. Dezember 2011 in Höhe von 540, 74 EUR (Staffelmiete). Seit dem 9. Dezember 2010 sind die Kläger zu 1) bis 11) - der Kläger zu 4) seit seiner Geburt - unter der im Rubrum genannten Anschrift mit Wohnsitz gemeldet. Alle besitzen eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Die Kläger sind in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. Die Familie bezieht Kindergeld und Elterngeld. Am und zum 10. Dezember 2010 meldete der Kläger ein Gewerbe mit Tätigkeit "Abriss, Reinigung Gebäude" unter der Wohnanschrift an. Die Erteilung einer Arbeitsberechtigung-EU für die Klägerinnen zu 2) und 3) lehnte die Bundesagentur für Arbeit im April 2011 ab. Die Steuernummer beim Finanzamt Neukölln lautet ...
Anfang Mai 2011 beantragte der Kläger zu 1) für sich und seine Familie Leistungen nach dem SGB II mit der Angabe, die Aufträge seien nicht so zahlreich, dass er den Familienunterhalt der Familie gewähren könne; bisher haben sie von seinem Einkommen aus Gewerbe gelebt. Der Kläger zu 1) legt diverse Unterlagen vor, u.a. den Mietvertrag, Verträge und Quittungen zu seinen Tätigkeiten, Quittungen zu Mietzahlungen, Freizügigkeitsbescheinigungen, Bescheide zum Elterngeld und Kindergeld, Kopien von Kontoauszügen. Auftraggeber bzw. Vertrags-partner laut vorgelegter Verträge und Rechnungen ist eine "Fa ... Gebäudereinigung (B O -A )"; der monatliche Rechnungsbetrag betrug je 850 EUR für die Monate Januar und Februar 2011 und je 650 EUR für März und April 2011.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2011 lehnte der Beklagte die Bewilligung von SGB II-Leistungen mit der Begründung ab, die Kläger seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen, da der Kläger zu 1) weder als Arbeitnehmer die erforderliche Genehmigung zur Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit besitze, noch als selbständiger Unternehmer anzusehen sei, noch nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeits-berechtigt sei. Hiergegen legte der Kläger zu 1) Widerspruch ein.
Am 8. September 2011 wird der Kläger zu 4) geboren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, der Kläger habe nur einen Auftraggeber, so dass Abhängigkeit zu unterstellen sei, was auch vom vorgelegten Arbeitsvertrag gestützt werde. Der Kläger sei in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden. Für eine abhängige Beschäftigung fehle dem Kläger eine Arbeitsberechtigung, somit ergebe sich das Aufenthalts-recht zum Zwecke der Arbeitssuche.
Daraufhin hat der Kläger zu 1) am 26. Oktober 2011 beim Sozialgericht für seine Ehefrau, die zehn Kinder und sich Klage erhoben.
Der Kläger zu 1) trägt vor, aufgrund des kleinen Einkommens habe er zusätzliche Hilfe beim Beklagten beantragt und sehe sich gezwungen zu klagen. Auf Anforderung des Gerichts reicht der Kläger zu 1) diverse Unterlagen ein, auch Kopie eines "Subunternehmer Vertrag", der als Auftraggeber "B & B Dienstleistungs GmbH" ausweist.
Nach den eingereichten Unterlagen ist den Klägern im streitigen Zeitraum folgendes Einkommen zugeflossen (Überweisung bzw. Barzahlung gemäß Quittungen): - Mai 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 300 EUR Elterngeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - Juni 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - Juli 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - August 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 620 EUR Erwerbstätigkeit - September 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 600 EUR Erwerbstätigkeit - Oktober 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - November 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 1.125 EUR Elterngeld + 670 EUR Erwerbstätigkeit - Dezember 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 375 EUR Elterngeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit + 200 EUR von "Stiftung Hilfe für die Familie" - Januar 2012: 1.848 EUR Kindergeld + 375 EUR Elterngeld + 680 EUR Erwerbstätigkeit + 830 EUR von "Stiftung für die Familie" - Februar 2012: 3.138 EUR Kindergeld + 375 EUR Elterngeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - März 2012: (jedenfalls) 2.063 EUR Kindergeld.
In der mündlichen Verhandlung trägt der Kläger zu 1) unter anderem vor, die Familie habe in Rumänien mit seinem Vater in einem großen Haus mit Hof gelebt, welches seinem Vater gehöre und der dort auch noch lebe. Die Familie sei wegen der Schulen nach B gekommen: die Kinder lernen hier besser. Er habe auch ein behindertes Kind, das hier zur Schule gehen könne. Er habe nicht mal drei Jahre die Schule besucht, habe keine Berufsausbildung und habe in Rumänien Leuten auf den Höfen in der Landwirtschaft geholfen. Hier arbeite er so zwei- bis dreimal wöchentlich drei bis vier Stunden. Er werde immer von Herrn A B angerufen, wenn etwas zu tun sei. Herr B hole ihn am H platz mit dem Auto ab, fahre ihn zur Baustelle, sage ihm, was zu tun ist und bringe ihn dann wieder zum H platz zurück. Er habe sich eigene Arbeitskleidung gekauft, Werkzeug sei auf der Baustelle. Andere Auftraggeber finde er nicht. Die Höhe der Zahlungen für seine Arbeit hänge davon ab, wie viel er gearbeitet habe. Herr B sage dann, wie hoch die monatliche Bezahlung sei. Der Mindestlohn betrage 650 EUR.
Das Gericht hat zum Termin die im Handelsregister eingetragene Geschäftsführerin der "B & B Dienstleistungs GmbH" als Zeugin zum Thema "Art der Tätigkeit für die Firma und Umfang der Zahlungen an den Kläger zu 1) für die Zeit ab Mai 2011" geladen. Die Zeugin ist zum Termin nicht erschienen.
Nachdem der Kläger zu 1) im Termin zur mündlichen Verhandlung - an den Beklagten gerichtet - für die Zeit ab April 2012 weiterhin ergänzende Leistungen nach dem SGB II beantragt hat, beantragt er:
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 27. September 2011 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, den Klägern ergänzend Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum Mai 2011 bis 31. März 2012 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, es greife hier der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 1 S 2 Nr. 2 SGB II, der vor allem Unionsbürger betreffe, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen und länger als drei Monate in Deutschland seien. Der Leistungsausschluss verstoße nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Beim Kläger zu 1) lasse sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche herleiten; es werde am Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit gezweifelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die die Kläger betreffende Leistungsakte des Beklagten (BG-Nr. , Blatt 1-148) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Der Kläger zu 1), der zulässig für die Kläger zu 2) bis 12) (vgl. Vollmacht der Klägerin zu 2) Blatt 25 Gerichtsakte) die Klage erhoben hat und in der mündlichen Verhandlung aufgetreten ist, hat den Streitgegenstand auf den Zeitraum vom 1. Mai 2011 bis 31. März 2012 beschränkt, was rechtlich zulässig ist.
Der Umstand, dass grundsätzlich nur eine gerichtliche Entscheidung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erfolgen kann, hat die Kammer vernachlässigt, da es sich lediglich um fünf Tage (27. bis 31. März 2012) handelt, somit ein überschaubarer und in vollständigen Monaten bemessener Zeitraum im Streit ist, mit unerwarteten Einkommenszuflüssen noch im März 2012 nicht zu rechnen ist bzw. der Beklagte solche bei Umsetzung der vorliegenden Entscheidung berücksichtigen könnte (für März 2012 müsste sowieso noch Höhe und Zufluss von Erwerbseinkommen - vermutlich 650 EUR - und Elterngeld – vermutlich 375 EUR - abgefragt werden).
Die Kläger haben für die streitige Zeit vom Mai 2011 bis März 2012 – der Kläger zu 4) ab Geburt, denn insoweit wirkt die Antragsvermutung nach § 38 SGB II auch bei Vergrößerung der Bedarfsgemeinschaft durch Geburt eines weiteren Kindes im Bewilligungszeitraum – Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) ergänzend zum Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Kinder- und Elterngeld. Dem Anspruch steht insbesondere der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen, was sich aus einer europarechtskonformen Auslegung dieser Vorschrift ergibt. Rumänien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union (EU).
Anspruchsgrundlage für die von den Klägern begehrten Leistungen ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 2, 3 SGB II, §§ 19 ff. SGB II. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die mindestens 15 Jahre alt sind und die Altersgrenze aus § 7a SGB II nicht überschritten haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Kläger zu 1), 2) und 12) sind erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist nur erwerbsfähig, wer nicht ( ) außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein; gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Zwar ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für rumänische (und bulgarische) Staatsangehörige weiterhin (wenn auch seit Januar 2012 erleichtert) beschränkt, jedoch besteht durchaus die rechtliche Möglichkeit, eine Arbeitsgenehmigung über die Bundesagentur für Arbeit zu erhalten (§ 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III). Diese rechtliche Möglichkeit ist nach Auffassung der Kammer ausreichend zur Erfüllung der Leistungsvoraussetzung "Erwerbsfähigkeit", zumal die Arbeitsgenehmigung auch nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 bis 4 und 6 Aufenthaltsgesetz erteilt werden kann (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II i.V.m. § 284 Abs. 3 SGB III; so wohl auch: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – LSG B-BRB – vom 17. Mai 2011, L 28 AS 566/11B, Rnr. 19, JURIS). Darüber hinaus erhalten nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch jene Personen Leistungen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, wozu gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II auch die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gehören, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
Diese grundsätzlichen Leistungsvoraussetzungen sind für alle Kläger im streitigen Zeitraum Mai 2011 bis März 2012 erfüllt – für den Kläger zu 4) allerdings erst ab Geburt und wohl nicht für die Monate Februar und März 2012 aufgrund der ihm zuzuordnenden Kindergeld-nachzahlung im Februar 2012 –, insbesondere ist nach den Berechnungen des Gerichts unter Berücksichtigung der Regelbedarfe, Zuschläge bei Schwangerschaft und für Warmwasser und den Kosten der Unterkunft und Heizung Hilfebedürftigkeit im streitigen Zeitraum durchgehend gegeben. Es ergibt sich für die Kläger unter Berücksichtigung der jeweiligen Einkommen in den jeweiligen Zuflussmonaten stets ergänzend ein Anspruch nach dem SGB II, allerdings mit der erwähnten Einschränkung beim Kläger zu 4) und unter Berücksichtigung von § 11 Absatz 3 Satz 3 SGB II bezüglich der Elterngeldnachzahlung im November 2011 (1.125 EUR) und der Kindergeldnachzahlung im Februar 2012 (1.075 EUR), wonach eine gleichmäßige Verteilung auf einen Zeitraum von 6 Monaten zu erfolgen hat. Zudem ist die Kammer davon ausgegangen, dass die Zahlungen der "Stiftung für die Familie" gemäß § 11a Abs. 4 SGB II nicht als Einkommen zu werten sind, zumal sie nach dem Vortrag des Klägers zu 1) einem vergleichbaren Zweck wie § 23 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II dienten (insbesondere Erstausstattung wegen Geburt des Klägers zu 4)) und somit allenfalls im Rahmen einer Anspruchsprüfung nach § 23 SGB II von Bedeutung sein könnten, was hier jedoch nicht Gegenstand ist.
Dem Anspruch steht nicht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II entgegen, nach dem Ausländerinnen und Ausländer von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizüg/EU freizügig-keitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, denn der Kläger zu 1) und die Familie, die Kläger zu 2) bis 12) halten sich zur Überzeugung der Kammer bereits mehr als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland mit ständigem Wohnsitz auf. Der Kläger zu 1) hatte Ende November 2010 eine Wohnung angemietet, sämtliche Kläger sind seit Dezember 2010 (bzw. ab Geburt) mit ihrem Wohnsitz in dieser Wohnung gemeldet und die diversen Schulbescheinigung zu den Kindern und der Vortrag des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung führen dazu, dass die Kammer keine Zweifel hat, dass die Kläger ihren Lebensmittelpunkt und ständigen Wohnsitz jedenfalls seit Dezember 2010 in B haben.
Dem Anspruch steht auch nicht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keine Leistungen nach dem SGB II erhalten.
Für EU-Ausländer richtet sich das Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU. Gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, 1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen, 2. Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige), 3. Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind, 4. Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen, 5. nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4 6. Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4, 7. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben.
Der Kläger zu 1) kann sein Aufenthaltsrecht nicht aus einer selbständigen Tätigkeit herleiten (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) - was dazu führen würde, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II schon vom Tatbestand her nicht wirken könnte -, denn eine selbständige Tätigkeit hat der Kläger zu 1) im streitigen Zeitraum – und auch zuvor – zur Überzeugung der Kammer nicht ausgeübt. Diese Überzeugung konnte sich die Kammer allein aufgrund der vom Kläger zu 1) eingereichten Unterlagen in Verbindung mit seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung bilden. Der Kläger zu 1) hat zwar ein selbständiges Gewerbe angemeldet und wohl auch seine Einnahmen beim Finanzamt als Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit deklariert. Darauf kommt es aber nicht an. Vielmehr ist eine selbständige Tätigkeit nach gefestigter Rechtsprechung vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Typischerweise unterhält der Selbständige Geschäftsbeziehungen mit mehreren Auftraggebern, bestimmt oder verhandelt zumindest die Vergütung seiner Arbeitsleistung individuell von Auftrag zu Auftrag und in Abhängigkeit der zu erbringenden Leistungen in einem Gleich-ordnungsverhältnis zum Auftraggeber. Hingegen liegt eine abhängige Beschäftigung vor, wenn ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist, sich in einem Über-/Unterordnungsverhältnis befindet, in die Organisation eines fremden Betriebes eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Bezeichnung in einer vertraglichen Vereinbarung ist ohne Bedeutung, wenn sie nicht in den tatsächlichen Verhältnissen wiederfindet. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung, wie es tatsächlich vollzogen wird.
Danach steht für die Kammer fest, dass der Kläger im streitigen Zeitraum wie ein Arbeitnehmer für die genannte GmbH tätig war. Dem Vortrag des Klägers konnte entnommen werden, dass er weder Ort noch Zeit noch Inhalt der Tätigkeit mitbestimmte, sondern einseitig den Weisungen des Vertreters der GmbH folgte, der sogar einseitig und mit nicht nachvoll-ziehbaren Berechnungsgrundlagen die jeweilige monatliche Vergütung vorgab und -gibt. Die Bezeichnung des Klägers zu 1) in den vorgelegten Verträgen als "Auftragnehmer" und "Subunternehmer" spiegelt nicht die tatsächlichen Verhältnisse wider.
Diese rechtliche Bewertung führt nicht dazu, für den Kläger zu 1) nunmehr ein Aufenthalts-recht als Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Alternative FreizügG/EU) zu begründen, denn für eine abhängige Beschäftigung im streitigen Zeitraum hatte er nicht nur keine Arbeitsgenehmigung, sondern hätte sie – mit Blick auf die Art der Tätigkeit und den Arbeitsmarkt – mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht erhalten. Ein abhängiges Beschäf-tigungsverhältnis als Arbeitnehmer kann nur insoweit ein Aufenthaltsrecht nach EU-Recht begründen, als es im Rahmen der Inlandsvorschriften erlaubt ist. Gerade in dieser Hinsicht ist
die Freizügigkeit rumänischer Unionsbürger jedoch durch Übergangsregelungen bis Ende 2013 eingeschränkt, was keinen europarechtliche Bedenken begegnet, weil diese im EU-Beitritts-vertrag so vorgesehen sind.
Im Ergebnis des Vortrages des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung ergab sich daher auch, dass eine Vernehmung der geladenen Zeugin – die Geschäftsführerin der GmbH, von dem der Kläger zu 1) ausschließlich Aufträge und Zahlungen im streitigen Zeitraum erhielt – entbehrlich wurde.
Zur Überzeugung des Gerichts kann der Kläger zu 1) im streitigen Zeitraum sein Aufenthaltsrecht daher allein aus der Arbeitssuche herleiten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alternative FreizügG/EU), was nach dem Wortlaut zu § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II einen Leistungsausschluss nahe legt. Gleichwohl besteht Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn dieser Leistungsausschluss gilt bei europarechtskonformer Auslegung nicht für arbeits-suchende EU-Bürger mit Wohnsitz in Deutschland.
Seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Abl L 166 vom 30.04.2004, S. 1-123) zum 1. Mai 2010 (Verabschiedung der Durchführungsverordnung 987/2009 - Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) ist der persönliche Anwendungsbereich erweitert worden und es ist von einem um-fassenden Gleichbehandlungsgebot der EU-Ausländer mit Wohnsitz in Deutschland mit Deutschen auszugehen. Eine Verordnung der EU ist ein Rechtsakt, der gemäß Art. 288 Abs. 2 der Vertrages über die Arbeitsweise der EU (Fassung aufgrund des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon - konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 47) allgemeine Geltung hat, in allen Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gilt, ohne dass (zuvor) eine Umsetzung in nationales Recht zu erfolgen hat. Modifikationen der in einer Verordnung vorgegebenen Regelungen durch den einzelnen Mitgliedsstaat sind nicht möglich, es sei denn die Verordnung erlaubt entsprechende Anpassungen an nationales Recht. Anders als in Art. 2 der Vorgängerregelung - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – erfasst der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 nicht mehr nur Arbeitnehmer, sondern "alle Staatsange-hörigen eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen". Nunmehr ist also der Wohnort das maß- gebliche Kriterium und dementsprechend muss die sozialrechtliche Stellung von Unions-bürger/innen auch im Rahmen der deutschen Rechtsordnung neu bewertet werden (so wohl auch: Sozialgericht Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2011, S 26 AS 10021/08, Rnrn. 44f; vgl auch die in der mündlichen Verhandlung eingeführte rechtliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dorothee Frings "Sozialleistungen für Unionsbürger/innen nach der VO 883/2004", Seite 14). Wie bereits ausgeführt fallen die Kläger in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung, da die Kammer zu der Überzeugung gelangt ist, dass ihr Wohnort im streitigen Zeitraum in Berlin gewesen ist.
Zudem sind die Leistungen nach dem SGB II in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung einbezogen. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X der Verordnung (EG) 883/2004 besagt ausdrücklich, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 auch im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Anwendung findet.
Artikel 70 der Verordnung (EG) 883/2004 lautet: "(1) Dieser Artikel gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. (2) Für die Zwecke dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" die Leistungen, a) die dazu bestimmt sind: i) einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht, oder ii) allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist, und
b) deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;und c) die in Anhang X aufgeführt sind. (3) Artikel 7 und die anderen Kapitel dieses Titels gelten nicht für die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Leistungen. (4) Die in Absatz 2 genannten Leistungen werden ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts und zu seinen Lasten gewährt."
Anhang X / DEUTSCHLAND (in der Fassung der "Verordnung [EG] Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Änderung der Verordnung [EG] Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge", Abl L 284 vom 30.10.2009, S.43-72) lautet: "b) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch) erfüllt sind."
Hierzu hat die 43. Kammer des Sozialgerichts Berlin in einem Eilbeschluss am 29. März 2012 (S 43 AS 6270/12ER; nicht veröffentlicht) unter anderem ausgeführt:
"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II dienen ausweislich des § 1 SGB II dem ergänzenden Schutz gegen das Risiko Arbeitslosigkeit und dem damit einhergehenden Verlust einer Einnahmequelle zur Finanzierung des Lebensunterhaltes. Leistungen bei Arbeitslosigkeit sind in Art. 3 Abs. 1 lit. h der VO (EG) 883/2004 benannt. Die Leistungen gewähren auch ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes und ihre Höhe bemisst sich nach § 20 Abs. 5 SGB II in Verbindung mit § 28 SGB XII und dem Regelbedarf-Ermittlungsgesetz nach Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbrauchsverhalten und Lebenshaltungs-kosten wie sie in der bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelt worden sind. Sie haben demnach eine Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Finanzierung beruht auch allein auf Steuermitteln, § 46 Abs. 1 SGB II. Schließlich sind diese Leistungen auch im Anhang X der Verordnung ... aufgeführt. Der Antragsteller hält sich somit allein zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf und fällt damit grundsätzlich unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Gleichwohl sind ihm die Leistungen für den Monat März 2012 zu Recht gewährt worden, denn dieser Leistungsausschluss ist europarechtskonform dahingehend einzuschränken, dass er für arbeitssuchende EU-Bürger, die in Deutschland wohnen, nicht gilt. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ist im Lichte des unmittelbar anwendbaren Europarechts, nämlich des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auszulegen. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X der VO (EG) 883/2004 besagt ausdrücklich, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO 883/2004 auch im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Anwendung findet"
Wie auch die 43. Kammer legt die erkennende Kammer den Wortlaut im Anhang X der Verordnung (EG) 883/2004 nicht einschränkend aus, denn der Wortlaut ist klar und eindeutig und damit einer Auslegung nicht zugänglich. Widersprüche der Verordnung (EG) 883/2004 mit der am selben Tag in Kraft getretenen Richtlinie EG 38/2004 (hier insbesondere Art. 24 Abs. 2 der sog. Unionsbürgerrichtlinie: Abl L 158 vom 30.04.2004, S. 77 ff [112]) bestehen nicht. Bei einer EU-Richtlinie handelt es sich um einen Rechtsakt der EU, die (nur) ein Ziel verbindlich vereinbart, deren Umsetzung dem Mitgliedsstaat jedoch einen gewissen Spielraum lässt und die keine unmittelbare Rechtswirkung im Mitgliedsstaat entfaltet. Die Unions-bürgerrichtlinie regelt zudem das Aufenthaltsrecht und ein sich hieraus ergebendes Gleich-behandlungsgebot, wohingegen die Verordnung (EG) 883/2004 eine umfassende Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit beinhaltet. Beide Rechtsakte sind also von verschiedenen Zielsetzungen getragen. Die Verordnung setzt an faktische Verhältnisse – dem Wohnort – an, während die Richtlinie die Rechtmäßigkeitskriterien eines Aufenthalts be-stimmt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz der Verordnung besteht mit Blick auf die Leistungen nach dem SGB II unabhängig von der Legalität des Aufenthalts, wobei ein andauernder Bezug solcher Leistungen durchaus als unangemessene Belastung gewertet werden und eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen könnte (so Frings, a.a.O., Seite 16).
Darüber hinaus sind EU-Verordnungen – wie bereits ausgeführt – in vollem Umfang verbindlich und gelten in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar. Zudem schränkt Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie den Gleichbehandlungsgrundsatz des Absatzes 1 (nur) dahingehend ein, dass ein Aufnahmemitgliedsstaat nicht verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen bzw. Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Da die Sozialhilfe zur sozialen Fürsorge gehört, kann ein Widerspruch insoweit nicht festgestellt werden, auch wenn im April 2009 das deutsche Recht das SGB II noch nicht kannte. Nach Auffassung der Kammer erleichtern die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II den Zugang zum Arbeitsmarkt und sind daher nicht als Sozialhilfe im Sinne des § 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie zu verstehen (so wohl jetzt auch die Tendenz des 34. Senats des LSG B-BRB in dem Beschluss vom 30. November 2011, L 34 AS 1501/10 B, Rnr. 37, JURIS). Ein Widerspruch durch die Ausfüllung des Anhanges X der Verordnung durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 liegt damit nicht vor.
Das Gericht hat nicht politisch getroffene Entscheidungen oder die Zweckmäßigkeit von in EU-Verträgen verbindlich vereinbarten Reglungen zu überprüfen oder gar außer Kraft zu setzen, sondern hat entsprechende Regelungen anzuwenden.
Der Wortlaut zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II steht im Widerspruch zu Art. 4 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 4 der Verordnung (EG) 883/2004. Es gilt hier der Vorrang des Europarechts. Dieser Widerspruch ist daher durch eine europarechtskonforme Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift zu lösen, so dass der Leistungsausschluss dahingehend eingeschränkt ausgelegt werden muss, dass er bei Unionsbürger/innen, die sich zur Arbeitssuche in Deutsch-land aufhalten, nicht wirkt (so in der Tendenz wohl auch die 149. Kammer des Sozialgerichts Berlin im Urteil vom 24. Mai 2011, S 149 AS 17644/09, Rnr. 31 und der 14. Senat des LSG B-BRB im Beschluss vom 30. September 2011, L 14 AS 1148/11 B ER, Rnr. 10 – JURIS). Die Kammer vertritt demnach nicht die Auffassung des 20. Senats des LSG B-BRB in seiner Entscheidung vom 29. Februar 2012 (L 20 AS 2347/11 B ER, JURIS).
Der Klage ist damit mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz stattzugeben.
Tatbestand:
Die Kläger begehren ergänzende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis 31. März 2012.
Die Kläger besitzen die rumänische Staatsangehörigkeit und sind eine Familie bestehend aus Eltern und zehn Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und 17 Jahren. Im November 2010 reiste die Familie nach B. Zum 30. November 2011 mietete der Kläger zu 1) eine 2- Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von rund 65 qm zu einer Warmmiete von zunächst 530 EUR, seit 1. Dezember 2011 in Höhe von 540, 74 EUR (Staffelmiete). Seit dem 9. Dezember 2010 sind die Kläger zu 1) bis 11) - der Kläger zu 4) seit seiner Geburt - unter der im Rubrum genannten Anschrift mit Wohnsitz gemeldet. Alle besitzen eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Die Kläger sind in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. Die Familie bezieht Kindergeld und Elterngeld. Am und zum 10. Dezember 2010 meldete der Kläger ein Gewerbe mit Tätigkeit "Abriss, Reinigung Gebäude" unter der Wohnanschrift an. Die Erteilung einer Arbeitsberechtigung-EU für die Klägerinnen zu 2) und 3) lehnte die Bundesagentur für Arbeit im April 2011 ab. Die Steuernummer beim Finanzamt Neukölln lautet ...
Anfang Mai 2011 beantragte der Kläger zu 1) für sich und seine Familie Leistungen nach dem SGB II mit der Angabe, die Aufträge seien nicht so zahlreich, dass er den Familienunterhalt der Familie gewähren könne; bisher haben sie von seinem Einkommen aus Gewerbe gelebt. Der Kläger zu 1) legt diverse Unterlagen vor, u.a. den Mietvertrag, Verträge und Quittungen zu seinen Tätigkeiten, Quittungen zu Mietzahlungen, Freizügigkeitsbescheinigungen, Bescheide zum Elterngeld und Kindergeld, Kopien von Kontoauszügen. Auftraggeber bzw. Vertrags-partner laut vorgelegter Verträge und Rechnungen ist eine "Fa ... Gebäudereinigung (B O -A )"; der monatliche Rechnungsbetrag betrug je 850 EUR für die Monate Januar und Februar 2011 und je 650 EUR für März und April 2011.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2011 lehnte der Beklagte die Bewilligung von SGB II-Leistungen mit der Begründung ab, die Kläger seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen, da der Kläger zu 1) weder als Arbeitnehmer die erforderliche Genehmigung zur Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit besitze, noch als selbständiger Unternehmer anzusehen sei, noch nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeits-berechtigt sei. Hiergegen legte der Kläger zu 1) Widerspruch ein.
Am 8. September 2011 wird der Kläger zu 4) geboren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, der Kläger habe nur einen Auftraggeber, so dass Abhängigkeit zu unterstellen sei, was auch vom vorgelegten Arbeitsvertrag gestützt werde. Der Kläger sei in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden. Für eine abhängige Beschäftigung fehle dem Kläger eine Arbeitsberechtigung, somit ergebe sich das Aufenthalts-recht zum Zwecke der Arbeitssuche.
Daraufhin hat der Kläger zu 1) am 26. Oktober 2011 beim Sozialgericht für seine Ehefrau, die zehn Kinder und sich Klage erhoben.
Der Kläger zu 1) trägt vor, aufgrund des kleinen Einkommens habe er zusätzliche Hilfe beim Beklagten beantragt und sehe sich gezwungen zu klagen. Auf Anforderung des Gerichts reicht der Kläger zu 1) diverse Unterlagen ein, auch Kopie eines "Subunternehmer Vertrag", der als Auftraggeber "B & B Dienstleistungs GmbH" ausweist.
Nach den eingereichten Unterlagen ist den Klägern im streitigen Zeitraum folgendes Einkommen zugeflossen (Überweisung bzw. Barzahlung gemäß Quittungen): - Mai 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 300 EUR Elterngeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - Juni 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - Juli 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - August 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 620 EUR Erwerbstätigkeit - September 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 600 EUR Erwerbstätigkeit - Oktober 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - November 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 1.125 EUR Elterngeld + 670 EUR Erwerbstätigkeit - Dezember 2011: 1.848 EUR Kindergeld + 375 EUR Elterngeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit + 200 EUR von "Stiftung Hilfe für die Familie" - Januar 2012: 1.848 EUR Kindergeld + 375 EUR Elterngeld + 680 EUR Erwerbstätigkeit + 830 EUR von "Stiftung für die Familie" - Februar 2012: 3.138 EUR Kindergeld + 375 EUR Elterngeld + 650 EUR Erwerbstätigkeit - März 2012: (jedenfalls) 2.063 EUR Kindergeld.
In der mündlichen Verhandlung trägt der Kläger zu 1) unter anderem vor, die Familie habe in Rumänien mit seinem Vater in einem großen Haus mit Hof gelebt, welches seinem Vater gehöre und der dort auch noch lebe. Die Familie sei wegen der Schulen nach B gekommen: die Kinder lernen hier besser. Er habe auch ein behindertes Kind, das hier zur Schule gehen könne. Er habe nicht mal drei Jahre die Schule besucht, habe keine Berufsausbildung und habe in Rumänien Leuten auf den Höfen in der Landwirtschaft geholfen. Hier arbeite er so zwei- bis dreimal wöchentlich drei bis vier Stunden. Er werde immer von Herrn A B angerufen, wenn etwas zu tun sei. Herr B hole ihn am H platz mit dem Auto ab, fahre ihn zur Baustelle, sage ihm, was zu tun ist und bringe ihn dann wieder zum H platz zurück. Er habe sich eigene Arbeitskleidung gekauft, Werkzeug sei auf der Baustelle. Andere Auftraggeber finde er nicht. Die Höhe der Zahlungen für seine Arbeit hänge davon ab, wie viel er gearbeitet habe. Herr B sage dann, wie hoch die monatliche Bezahlung sei. Der Mindestlohn betrage 650 EUR.
Das Gericht hat zum Termin die im Handelsregister eingetragene Geschäftsführerin der "B & B Dienstleistungs GmbH" als Zeugin zum Thema "Art der Tätigkeit für die Firma und Umfang der Zahlungen an den Kläger zu 1) für die Zeit ab Mai 2011" geladen. Die Zeugin ist zum Termin nicht erschienen.
Nachdem der Kläger zu 1) im Termin zur mündlichen Verhandlung - an den Beklagten gerichtet - für die Zeit ab April 2012 weiterhin ergänzende Leistungen nach dem SGB II beantragt hat, beantragt er:
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 27. September 2011 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, den Klägern ergänzend Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum Mai 2011 bis 31. März 2012 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, es greife hier der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 1 S 2 Nr. 2 SGB II, der vor allem Unionsbürger betreffe, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen und länger als drei Monate in Deutschland seien. Der Leistungsausschluss verstoße nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Beim Kläger zu 1) lasse sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche herleiten; es werde am Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit gezweifelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die die Kläger betreffende Leistungsakte des Beklagten (BG-Nr. , Blatt 1-148) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Der Kläger zu 1), der zulässig für die Kläger zu 2) bis 12) (vgl. Vollmacht der Klägerin zu 2) Blatt 25 Gerichtsakte) die Klage erhoben hat und in der mündlichen Verhandlung aufgetreten ist, hat den Streitgegenstand auf den Zeitraum vom 1. Mai 2011 bis 31. März 2012 beschränkt, was rechtlich zulässig ist.
Der Umstand, dass grundsätzlich nur eine gerichtliche Entscheidung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erfolgen kann, hat die Kammer vernachlässigt, da es sich lediglich um fünf Tage (27. bis 31. März 2012) handelt, somit ein überschaubarer und in vollständigen Monaten bemessener Zeitraum im Streit ist, mit unerwarteten Einkommenszuflüssen noch im März 2012 nicht zu rechnen ist bzw. der Beklagte solche bei Umsetzung der vorliegenden Entscheidung berücksichtigen könnte (für März 2012 müsste sowieso noch Höhe und Zufluss von Erwerbseinkommen - vermutlich 650 EUR - und Elterngeld – vermutlich 375 EUR - abgefragt werden).
Die Kläger haben für die streitige Zeit vom Mai 2011 bis März 2012 – der Kläger zu 4) ab Geburt, denn insoweit wirkt die Antragsvermutung nach § 38 SGB II auch bei Vergrößerung der Bedarfsgemeinschaft durch Geburt eines weiteren Kindes im Bewilligungszeitraum – Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) ergänzend zum Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Kinder- und Elterngeld. Dem Anspruch steht insbesondere der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen, was sich aus einer europarechtskonformen Auslegung dieser Vorschrift ergibt. Rumänien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union (EU).
Anspruchsgrundlage für die von den Klägern begehrten Leistungen ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 2, 3 SGB II, §§ 19 ff. SGB II. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die mindestens 15 Jahre alt sind und die Altersgrenze aus § 7a SGB II nicht überschritten haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Kläger zu 1), 2) und 12) sind erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist nur erwerbsfähig, wer nicht ( ) außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein; gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Zwar ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für rumänische (und bulgarische) Staatsangehörige weiterhin (wenn auch seit Januar 2012 erleichtert) beschränkt, jedoch besteht durchaus die rechtliche Möglichkeit, eine Arbeitsgenehmigung über die Bundesagentur für Arbeit zu erhalten (§ 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III). Diese rechtliche Möglichkeit ist nach Auffassung der Kammer ausreichend zur Erfüllung der Leistungsvoraussetzung "Erwerbsfähigkeit", zumal die Arbeitsgenehmigung auch nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 bis 4 und 6 Aufenthaltsgesetz erteilt werden kann (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II i.V.m. § 284 Abs. 3 SGB III; so wohl auch: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – LSG B-BRB – vom 17. Mai 2011, L 28 AS 566/11B, Rnr. 19, JURIS). Darüber hinaus erhalten nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch jene Personen Leistungen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, wozu gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II auch die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gehören, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
Diese grundsätzlichen Leistungsvoraussetzungen sind für alle Kläger im streitigen Zeitraum Mai 2011 bis März 2012 erfüllt – für den Kläger zu 4) allerdings erst ab Geburt und wohl nicht für die Monate Februar und März 2012 aufgrund der ihm zuzuordnenden Kindergeld-nachzahlung im Februar 2012 –, insbesondere ist nach den Berechnungen des Gerichts unter Berücksichtigung der Regelbedarfe, Zuschläge bei Schwangerschaft und für Warmwasser und den Kosten der Unterkunft und Heizung Hilfebedürftigkeit im streitigen Zeitraum durchgehend gegeben. Es ergibt sich für die Kläger unter Berücksichtigung der jeweiligen Einkommen in den jeweiligen Zuflussmonaten stets ergänzend ein Anspruch nach dem SGB II, allerdings mit der erwähnten Einschränkung beim Kläger zu 4) und unter Berücksichtigung von § 11 Absatz 3 Satz 3 SGB II bezüglich der Elterngeldnachzahlung im November 2011 (1.125 EUR) und der Kindergeldnachzahlung im Februar 2012 (1.075 EUR), wonach eine gleichmäßige Verteilung auf einen Zeitraum von 6 Monaten zu erfolgen hat. Zudem ist die Kammer davon ausgegangen, dass die Zahlungen der "Stiftung für die Familie" gemäß § 11a Abs. 4 SGB II nicht als Einkommen zu werten sind, zumal sie nach dem Vortrag des Klägers zu 1) einem vergleichbaren Zweck wie § 23 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II dienten (insbesondere Erstausstattung wegen Geburt des Klägers zu 4)) und somit allenfalls im Rahmen einer Anspruchsprüfung nach § 23 SGB II von Bedeutung sein könnten, was hier jedoch nicht Gegenstand ist.
Dem Anspruch steht nicht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II entgegen, nach dem Ausländerinnen und Ausländer von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizüg/EU freizügig-keitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, denn der Kläger zu 1) und die Familie, die Kläger zu 2) bis 12) halten sich zur Überzeugung der Kammer bereits mehr als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland mit ständigem Wohnsitz auf. Der Kläger zu 1) hatte Ende November 2010 eine Wohnung angemietet, sämtliche Kläger sind seit Dezember 2010 (bzw. ab Geburt) mit ihrem Wohnsitz in dieser Wohnung gemeldet und die diversen Schulbescheinigung zu den Kindern und der Vortrag des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung führen dazu, dass die Kammer keine Zweifel hat, dass die Kläger ihren Lebensmittelpunkt und ständigen Wohnsitz jedenfalls seit Dezember 2010 in B haben.
Dem Anspruch steht auch nicht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keine Leistungen nach dem SGB II erhalten.
Für EU-Ausländer richtet sich das Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU. Gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, 1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen, 2. Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige), 3. Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind, 4. Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen, 5. nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4 6. Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4, 7. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben.
Der Kläger zu 1) kann sein Aufenthaltsrecht nicht aus einer selbständigen Tätigkeit herleiten (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) - was dazu führen würde, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II schon vom Tatbestand her nicht wirken könnte -, denn eine selbständige Tätigkeit hat der Kläger zu 1) im streitigen Zeitraum – und auch zuvor – zur Überzeugung der Kammer nicht ausgeübt. Diese Überzeugung konnte sich die Kammer allein aufgrund der vom Kläger zu 1) eingereichten Unterlagen in Verbindung mit seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung bilden. Der Kläger zu 1) hat zwar ein selbständiges Gewerbe angemeldet und wohl auch seine Einnahmen beim Finanzamt als Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit deklariert. Darauf kommt es aber nicht an. Vielmehr ist eine selbständige Tätigkeit nach gefestigter Rechtsprechung vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Typischerweise unterhält der Selbständige Geschäftsbeziehungen mit mehreren Auftraggebern, bestimmt oder verhandelt zumindest die Vergütung seiner Arbeitsleistung individuell von Auftrag zu Auftrag und in Abhängigkeit der zu erbringenden Leistungen in einem Gleich-ordnungsverhältnis zum Auftraggeber. Hingegen liegt eine abhängige Beschäftigung vor, wenn ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist, sich in einem Über-/Unterordnungsverhältnis befindet, in die Organisation eines fremden Betriebes eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Bezeichnung in einer vertraglichen Vereinbarung ist ohne Bedeutung, wenn sie nicht in den tatsächlichen Verhältnissen wiederfindet. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung, wie es tatsächlich vollzogen wird.
Danach steht für die Kammer fest, dass der Kläger im streitigen Zeitraum wie ein Arbeitnehmer für die genannte GmbH tätig war. Dem Vortrag des Klägers konnte entnommen werden, dass er weder Ort noch Zeit noch Inhalt der Tätigkeit mitbestimmte, sondern einseitig den Weisungen des Vertreters der GmbH folgte, der sogar einseitig und mit nicht nachvoll-ziehbaren Berechnungsgrundlagen die jeweilige monatliche Vergütung vorgab und -gibt. Die Bezeichnung des Klägers zu 1) in den vorgelegten Verträgen als "Auftragnehmer" und "Subunternehmer" spiegelt nicht die tatsächlichen Verhältnisse wider.
Diese rechtliche Bewertung führt nicht dazu, für den Kläger zu 1) nunmehr ein Aufenthalts-recht als Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Alternative FreizügG/EU) zu begründen, denn für eine abhängige Beschäftigung im streitigen Zeitraum hatte er nicht nur keine Arbeitsgenehmigung, sondern hätte sie – mit Blick auf die Art der Tätigkeit und den Arbeitsmarkt – mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht erhalten. Ein abhängiges Beschäf-tigungsverhältnis als Arbeitnehmer kann nur insoweit ein Aufenthaltsrecht nach EU-Recht begründen, als es im Rahmen der Inlandsvorschriften erlaubt ist. Gerade in dieser Hinsicht ist
die Freizügigkeit rumänischer Unionsbürger jedoch durch Übergangsregelungen bis Ende 2013 eingeschränkt, was keinen europarechtliche Bedenken begegnet, weil diese im EU-Beitritts-vertrag so vorgesehen sind.
Im Ergebnis des Vortrages des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung ergab sich daher auch, dass eine Vernehmung der geladenen Zeugin – die Geschäftsführerin der GmbH, von dem der Kläger zu 1) ausschließlich Aufträge und Zahlungen im streitigen Zeitraum erhielt – entbehrlich wurde.
Zur Überzeugung des Gerichts kann der Kläger zu 1) im streitigen Zeitraum sein Aufenthaltsrecht daher allein aus der Arbeitssuche herleiten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alternative FreizügG/EU), was nach dem Wortlaut zu § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II einen Leistungsausschluss nahe legt. Gleichwohl besteht Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn dieser Leistungsausschluss gilt bei europarechtskonformer Auslegung nicht für arbeits-suchende EU-Bürger mit Wohnsitz in Deutschland.
Seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Abl L 166 vom 30.04.2004, S. 1-123) zum 1. Mai 2010 (Verabschiedung der Durchführungsverordnung 987/2009 - Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) ist der persönliche Anwendungsbereich erweitert worden und es ist von einem um-fassenden Gleichbehandlungsgebot der EU-Ausländer mit Wohnsitz in Deutschland mit Deutschen auszugehen. Eine Verordnung der EU ist ein Rechtsakt, der gemäß Art. 288 Abs. 2 der Vertrages über die Arbeitsweise der EU (Fassung aufgrund des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon - konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 47) allgemeine Geltung hat, in allen Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gilt, ohne dass (zuvor) eine Umsetzung in nationales Recht zu erfolgen hat. Modifikationen der in einer Verordnung vorgegebenen Regelungen durch den einzelnen Mitgliedsstaat sind nicht möglich, es sei denn die Verordnung erlaubt entsprechende Anpassungen an nationales Recht. Anders als in Art. 2 der Vorgängerregelung - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – erfasst der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 nicht mehr nur Arbeitnehmer, sondern "alle Staatsange-hörigen eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen". Nunmehr ist also der Wohnort das maß- gebliche Kriterium und dementsprechend muss die sozialrechtliche Stellung von Unions-bürger/innen auch im Rahmen der deutschen Rechtsordnung neu bewertet werden (so wohl auch: Sozialgericht Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2011, S 26 AS 10021/08, Rnrn. 44f; vgl auch die in der mündlichen Verhandlung eingeführte rechtliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dorothee Frings "Sozialleistungen für Unionsbürger/innen nach der VO 883/2004", Seite 14). Wie bereits ausgeführt fallen die Kläger in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung, da die Kammer zu der Überzeugung gelangt ist, dass ihr Wohnort im streitigen Zeitraum in Berlin gewesen ist.
Zudem sind die Leistungen nach dem SGB II in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung einbezogen. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X der Verordnung (EG) 883/2004 besagt ausdrücklich, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 auch im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Anwendung findet.
Artikel 70 der Verordnung (EG) 883/2004 lautet: "(1) Dieser Artikel gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. (2) Für die Zwecke dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" die Leistungen, a) die dazu bestimmt sind: i) einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht, oder ii) allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist, und
b) deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;und c) die in Anhang X aufgeführt sind. (3) Artikel 7 und die anderen Kapitel dieses Titels gelten nicht für die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Leistungen. (4) Die in Absatz 2 genannten Leistungen werden ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts und zu seinen Lasten gewährt."
Anhang X / DEUTSCHLAND (in der Fassung der "Verordnung [EG] Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Änderung der Verordnung [EG] Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge", Abl L 284 vom 30.10.2009, S.43-72) lautet: "b) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch) erfüllt sind."
Hierzu hat die 43. Kammer des Sozialgerichts Berlin in einem Eilbeschluss am 29. März 2012 (S 43 AS 6270/12ER; nicht veröffentlicht) unter anderem ausgeführt:
"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II dienen ausweislich des § 1 SGB II dem ergänzenden Schutz gegen das Risiko Arbeitslosigkeit und dem damit einhergehenden Verlust einer Einnahmequelle zur Finanzierung des Lebensunterhaltes. Leistungen bei Arbeitslosigkeit sind in Art. 3 Abs. 1 lit. h der VO (EG) 883/2004 benannt. Die Leistungen gewähren auch ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes und ihre Höhe bemisst sich nach § 20 Abs. 5 SGB II in Verbindung mit § 28 SGB XII und dem Regelbedarf-Ermittlungsgesetz nach Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbrauchsverhalten und Lebenshaltungs-kosten wie sie in der bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelt worden sind. Sie haben demnach eine Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Finanzierung beruht auch allein auf Steuermitteln, § 46 Abs. 1 SGB II. Schließlich sind diese Leistungen auch im Anhang X der Verordnung ... aufgeführt. Der Antragsteller hält sich somit allein zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf und fällt damit grundsätzlich unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Gleichwohl sind ihm die Leistungen für den Monat März 2012 zu Recht gewährt worden, denn dieser Leistungsausschluss ist europarechtskonform dahingehend einzuschränken, dass er für arbeitssuchende EU-Bürger, die in Deutschland wohnen, nicht gilt. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ist im Lichte des unmittelbar anwendbaren Europarechts, nämlich des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auszulegen. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X der VO (EG) 883/2004 besagt ausdrücklich, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO 883/2004 auch im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Anwendung findet"
Wie auch die 43. Kammer legt die erkennende Kammer den Wortlaut im Anhang X der Verordnung (EG) 883/2004 nicht einschränkend aus, denn der Wortlaut ist klar und eindeutig und damit einer Auslegung nicht zugänglich. Widersprüche der Verordnung (EG) 883/2004 mit der am selben Tag in Kraft getretenen Richtlinie EG 38/2004 (hier insbesondere Art. 24 Abs. 2 der sog. Unionsbürgerrichtlinie: Abl L 158 vom 30.04.2004, S. 77 ff [112]) bestehen nicht. Bei einer EU-Richtlinie handelt es sich um einen Rechtsakt der EU, die (nur) ein Ziel verbindlich vereinbart, deren Umsetzung dem Mitgliedsstaat jedoch einen gewissen Spielraum lässt und die keine unmittelbare Rechtswirkung im Mitgliedsstaat entfaltet. Die Unions-bürgerrichtlinie regelt zudem das Aufenthaltsrecht und ein sich hieraus ergebendes Gleich-behandlungsgebot, wohingegen die Verordnung (EG) 883/2004 eine umfassende Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit beinhaltet. Beide Rechtsakte sind also von verschiedenen Zielsetzungen getragen. Die Verordnung setzt an faktische Verhältnisse – dem Wohnort – an, während die Richtlinie die Rechtmäßigkeitskriterien eines Aufenthalts be-stimmt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz der Verordnung besteht mit Blick auf die Leistungen nach dem SGB II unabhängig von der Legalität des Aufenthalts, wobei ein andauernder Bezug solcher Leistungen durchaus als unangemessene Belastung gewertet werden und eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen könnte (so Frings, a.a.O., Seite 16).
Darüber hinaus sind EU-Verordnungen – wie bereits ausgeführt – in vollem Umfang verbindlich und gelten in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar. Zudem schränkt Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie den Gleichbehandlungsgrundsatz des Absatzes 1 (nur) dahingehend ein, dass ein Aufnahmemitgliedsstaat nicht verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen bzw. Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Da die Sozialhilfe zur sozialen Fürsorge gehört, kann ein Widerspruch insoweit nicht festgestellt werden, auch wenn im April 2009 das deutsche Recht das SGB II noch nicht kannte. Nach Auffassung der Kammer erleichtern die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II den Zugang zum Arbeitsmarkt und sind daher nicht als Sozialhilfe im Sinne des § 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie zu verstehen (so wohl jetzt auch die Tendenz des 34. Senats des LSG B-BRB in dem Beschluss vom 30. November 2011, L 34 AS 1501/10 B, Rnr. 37, JURIS). Ein Widerspruch durch die Ausfüllung des Anhanges X der Verordnung durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 liegt damit nicht vor.
Das Gericht hat nicht politisch getroffene Entscheidungen oder die Zweckmäßigkeit von in EU-Verträgen verbindlich vereinbarten Reglungen zu überprüfen oder gar außer Kraft zu setzen, sondern hat entsprechende Regelungen anzuwenden.
Der Wortlaut zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II steht im Widerspruch zu Art. 4 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 4 der Verordnung (EG) 883/2004. Es gilt hier der Vorrang des Europarechts. Dieser Widerspruch ist daher durch eine europarechtskonforme Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift zu lösen, so dass der Leistungsausschluss dahingehend eingeschränkt ausgelegt werden muss, dass er bei Unionsbürger/innen, die sich zur Arbeitssuche in Deutsch-land aufhalten, nicht wirkt (so in der Tendenz wohl auch die 149. Kammer des Sozialgerichts Berlin im Urteil vom 24. Mai 2011, S 149 AS 17644/09, Rnr. 31 und der 14. Senat des LSG B-BRB im Beschluss vom 30. September 2011, L 14 AS 1148/11 B ER, Rnr. 10 – JURIS). Die Kammer vertritt demnach nicht die Auffassung des 20. Senats des LSG B-BRB in seiner Entscheidung vom 29. Februar 2012 (L 20 AS 2347/11 B ER, JURIS).
Der Klage ist damit mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz stattzugeben.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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