L 5 RJ 455/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 RJ 2051/97 WG
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 455/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. März 1999 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils wird in Nr. I wie folgt neu gefasst: Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 1997 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In diesem Rechtsstreit geht es um Rente aus der deutschen Rentenversicherung.

Der am ...1922 geborene Kläger lebt in B ..., slowakische Republik. Im Jahre 1941 begann er ein Studium an der Technischen Hochschule in B ... Dort wurde er am 15.12.1944 von der deutschen Polizei verhaftet und am 13.01.1945 in das Konzentrationslager ... verbracht, wo er bis zur Befreiung durch die Amerikaner (Ende April 1945) inhaftiert war. Nach den Krieg studierte der Kläger an der Technischen Hochschule in P ..., wo er am 02.03.1949 den akademischen Grad "Diplomingenieur" erwarb. Von 1963 bis 1986 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Hochschullehrer an der Elektrotechnischen Fakultät der slowakischen technischen Universität, B ... Seit 01.05.1986 bezieht er dort Pension.

Mit Schreiben vom 20.05.1996 wandte sich der Kläger wegen einer deutschen Rentenleistung an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die das Schreiben zuständigkeitshalber an die Beklagte weitergab. Er führte aus, als Insasse des Konzentrationslagers ... habe er bei ... arbeiten müssen und mache deshalb eine Ersatzzeit nach § 250 Abs.1 Nr.4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geltend (Freiheitsentziehung nach §§ 43, 47 Bundesentschädigungsgesetz - BEG). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 03.12.1996 den Rentenantrag ab, weil die für die Bewilligung einer Regelaltersrente wegen Vollendung des 65.Lebensjahres erforderliche Wartezeit von 5 Jahren nicht erfüllt sei. Es lägen keinerlei Versicherungszeiten vor. Für die Zeit vom 21.12.1944 bis 15.04.1945 bei ... sei eine Beitragsleistung weder glaubhaft noch nachgewiesen. Auch bei Anrechnung einer Erwerbszeit für die Zeit der Inhaftierung im Konzentrationslager ... wäre die Wartezeit nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für die vorzeitige Wartezeiterfüllung gemäß §§ 53 Abs.1, 245 SGB VI seien nicht gegeben.

Der dagegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.1997 zurückgewiesen: Es lägen keine Beitragszeiten vor. Anfragen bei ... und bei der AOK MÜnchen hätten zu keinem Ergebnis geführt. Auch wenn man die geltend gemachte Zeit als Ersatzzeit anerkennen könnte, wäre die Wartezeit von 60 Kalendermonaten nicht erfüllt.

Gegen dieses Urteil wurde Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben, die mit Urteil vom 26.03.1999 abgewiesen wurde. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Kläger habe mangels anrechenbarer Versicherungszeiten zur deutschen Sozialversicherung keinen Rentenanspruch. Die Frage, inwieweit für die erzwungenen Zwangsarbeiten im Rahmen der KZ-Haft und für die KZ-Haft selbst eine Entschädigung zustehe, sei es durch den damaligen Arbeitgeber, sei es durch sonstige staatlich zur Verfügung gestellte Mittel, sei nicht Gegenstand des Verfahrens, ebensowenig etwaige Entschädigungen für nationalsozialistisches Unrecht außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Damit habe der Rentenversicherungsträger nichts zu tun. Als Rentenleistung aus der deutschen Sozialversicherung komme, da der Kläger das 65.Lebensjahr bereits vollendet habe, allenfalls Altersrente in Betracht, wobei die Wartezeit für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Altersrente ohnehin gleich sei. Die allgemeine Wartezeit betrage 5 Jahre Versicherungszeit. Darauf seien Kalendermonate mit Beiträgen anzurechnen (§§ 51 Abs.1, 47, 55 SGB VI). Solche seien nicht vorhanden. Die während der KZ-Haft geleistete Zwangsarbeit sei keine Beitragszeit; Beiträge gelten auch nicht nach § 14 Abs.2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) als entrichtet. Selbst wenn man von einer Zugehörigkeit des Klägers zum Personenkreis des § 1 BEG ausgehe, handle es sich bei Zwangsarbeiten während einer KZ-Haft - gleichgültig ob innerhalb des Lagers oder außerhalb geleistet - nicht um fiktive Beitragszeiten nach § 14 Abs.2 WGSVG (BSG vom 10.12.1974 = BSGE Band 38 S.245 ff). Wegen der im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses erzwungenen Tätigkeit fehle es bereits an einem Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne und außerdem auch an der für ein versicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis notwendigen Entlohnung. Die Entschädigung für Zeiten der KZ-Haft im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung erfolge durch Ersatzzeiten (§ 250 Abs.1 Nr.4 SGB VI) und nicht durch fingierte Beitragszeiten. Somit seien für den Kläger keinerlei Beitragszeiten vorhanden. Infolge des Fehlens von Beitragszeiten könne die Zeit der Inhaftierung auch nicht als Ersatzzeit angerechnet werden, weil mindestens ein wirksamer Beitrag, gleichgültig zu welcher Zeit, vorhanden sein müsse. Das sei hier nicht der Fall. Auch eine vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 53 SGB VI scheide aus, da auch hierfür wenigstens ein wirksamer Pflichtbeitrag vorhanden sein müsse und zudem die in § 53 SGB VI aufgezählten weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Das sei nicht der Fall.

Gegen dieses, ihm am 18.08.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 07.09.1999 Berufung eingelegt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, das Gericht habe die Sache nur unter dem Gesichtspunkt einer Altersrente beurteilt, obwohl er eine Invalidenrente wegen der bei der Zwangsarbeit bei ... erlittenen dauernden Gesundheitsschäden in Anspruch genommen habe. Er begehre nicht eine Regelaltersrente, sondern eine Invalidenrente aufgrund gesundheitlicher Schäden mit dauerhaften Folgen. Für eine solche Rente könne eine Wartezeit nicht notwendig sein, da die Ursache einer Invalidität mit dauernden Folgen, wie sie bei ihm vorliege, schon im ersten Augenblick bei Eintritt in die Arbeit entstehen könne. Er beanspruche Invalidenrente nicht deswegen, weil er Häftling und Zwangsarbeiter im KZ ... war, sondern weil er als solcher schwere gesundheitliche Schäden mit dauerhaften Folgen erlitten habe, welche auch nach dem Krieg sein ganzes persönliches und familiäres Leben schwer belastet hätten. Es sei eine allgemeine gesetzlich gültige Regel, dass die Rentenbeiträge der Arbeitgeber (in seinem Fall die Leitung des KZ oder die ...) zu bezahlen habe; es sei nicht in seiner Macht gestanden, den damaligen Arbeitgeber dazu zu zwingen. Er habe keine Möglichkeit gehabt, mit dem Arbeitgeber damals einen Vertrag zu schließen. Die Verantwortung dafür, dass der Arbeitgeber seine Verpflichtung (zur Beitragsleistung) nicht erfüllt habe, falle nicht in seine, des Klägers, Verantwortung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 26.03.1999 sowie des Bescheides vom 03.12.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.1997 zu verurteilen, ihm Invalidenrente aus der deutschen Rentenversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.03.1999 zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG München zum Verfahren beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Zu Recht hat das SG festgestellt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rente aus der deutschen Rentenversicherung hat, weil keinerlei anrechenbare Versicherungszeiten vorhanden sind. Insoweit wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Ersturteils Bezug genommen, die sich der Senat in vollem Umfang zu Eigen macht (§ 153 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Es trifft nicht zu, dass das SG allein einen Anspruch auf Altersrente geprüft hätte, vielmehr wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die gleiche Wartezeit erfüllt sein müsste wie für Altersrente. Im Übrigen bestehen Ansprüche auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 65.Lebensjahres, während danach, sofern die Wartezeit erfüllt ist, Anspruch auf Altersrente besteht (§§ 43 Abs.1, 44 Abs.1, 35 SGB VI). Zu Recht hat das Erstgericht ferner hervorgehoben, dass in der Zeit von Januar bis April 1945, als der Kläger bei ... zwangsweise gearbeitet hat, Beiträge nicht geleistet wurden und auch keine Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung bestand. Dass der Kläger daran nichts ändern konnte, steht außer Zweifel. Hierauf kommt es indessen für die Frage des Rentenanspruches nicht an. Als Ersatzzeit kann diese Zeit schon deswegen nicht zu einer Rentenleistung führen, weil Ersatzzeiten nur berücksichtigt werden können, wenn mindestens ein Monat an Beitragszeit vorhanden ist. Daran fehlt es hier. Auch insoweit spielt es keine Rolle, ob der Kläger dafür verantwortlich ist oder nicht.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger behauptet, dass er als Häftling und Zwangsarbeiter im KZ ... schwere gesundheitliche Schäden mit dauerhaften Folgen erlitten habe, welche auch nach dem Krieg sein ganzes pesönliches und familiäres Leben schwer belastet hätten. Auch damit lässt sich ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht begründen. Dass der Kläger bereits seit damals durchgehend erwerbsgemindert im Sinne der §§ 43, 44 SG VI bzw. der §§ 1246, 1247 RVO gewesen wäre, ist ausgeschlossen, weil er später ein langes und erfolgreiches Berufsleben absolviert hat. Sollten gleichwohl aus jener Zeit dauerhafte Gesundheitsschäden verblieben sein, so wären diese nicht aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu entschädigen.

Der Senat bedauert, dass für die Entschädigung von Zeiten der Zwangsarbeit der hier vorliegenden Art bisher eine befriedigende Lösung nicht erreicht werden konnte. Festzuhalten bleibt aber - und das ist hier allein der Streitgegenstand -, dass diese Zeiten Ansprüche gegen die gesetzliche Rentenversicherung nicht auszulösen vermögen. Dem Kläger kann nur geraten werden, den Fortgang der Verhandlungen über derartige Ansprüche weiter zu verfolgen und zur gegebenen Zeit seinen Anspruch beim Arbeitgeber oder bei der sonst dafür vorgesehenen Stelle geltend zu machen.

Die Berufung gegen das Urteil des SG München konnte somit nach allem keinen Erfolg haben.

Die Neufassung der Ziffer 1 des Urteilstenors erfolgte lediglich wegen einer Datumsverwechslung, die gemäß § 138 SGG berichtigt wird. Dies ist auch noch im Zuge des Berufungsverfahrens möglich (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 138 Randnr.2 b).
Rechtskraft
Aus
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