Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 831/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 469/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.07.1999 sowie der Bescheid der Beklagten vom 07.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.10.1998 aufgehoben, soweit darin für die Zeit von November 1994 bis Oktober 1996 die Bewilligung der ungeteilten Witwenrente zurückgenommen und die Überzahlung zurückgefordert wurde.
II. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit der Rückforderung einer Überzahlung in Höhe von 12.704,64 DM.
Die Klägerin ist die Witwe des am ...1994 verstobenen Versicherten ... Ihr wurde mit Bescheid vom 14.11.1994 ab 01.08.1994 kleine Witwenrente bewilligt. Nach Einlegung des Widerspruchs gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 05.01.1995 ab 01.11.1994 große Witwenrente. Dem Bescheidentwurf ist folgender Zusatz angeheftet: "Zwischenzeitlich liegt ein Witwenrentenantrag an vor dem 01.07.1977 geschiedene Ehegatten vor. Der Rentenbescheid ergeht daher vorläufig und unter Vorbehalt der Rückforderung, falls es zu einer Rentenzahlung an die frühere Ehefrau kommt. Bitte teilen Sie uns diesbezüglich das Einkommen Ihres Mannes im Jahr vor seinem Tod mit. Haben Sie selbst momentan Schulden? Leben in Ihrem Haushalt weitere unterhaltsberechtigte Personen? Wir erwarten Ihre Antwort in spätestens vier Wochen." Im Tenor des Bescheidentwurfs wird der Rentenbescheid als "vorläufig" bezeichnet. Laut Vermerk wurde der Bescheid am 19.01.1995 abgesandt.
Am 16.02.1995 ging ein Schreiben der Klägerin ein, in dem die Fragen in der Reihenfolge des Zusatzes beantwortet wurden. Nach der Anfrage vom 06.03.1995, ob sich ihr Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.11.1994 durch den Bescheid vom 05.01.1995 erledigt habe, teilte die Klägerin mit Schreiben vom 20.04.1995 mit, sie ziehe ihren Einspruch zurück, da sie "nunmehr die große Witwenrente bekomme."
Die frühere Ehefrau des verstorbenen Versicherten, ... , die mit diesem vom 23.11.1946 bis zur Scheidung der Ehe aus dessen Verschulden am 25.03.1971 verheiratet gewesen war, hatte am 10.08.1994 Hinterbliebenenrente beantragt. Der Verstorbene hatte sich während des Scheidungsverfahrens zu monatlichen Unterhaltszahlungen verpflichtet, die er ab 1984 eingestellt hatte. Mangels tatsächlicher Unterhaltsleistung vor dem Tod war der Hinterbliebenenantrag der Geschiedenen am 18.11. 1994 abgeleht worden. Hiergegen war am 27.12.1994 Widerspruch eingelegt worden, dem mit Bescheid vom 22.10.1996 unter Bewilligung einer großen Witwenrente an Geschiedene ab 01.08.1994 abgeholfen wurde.
Mit Bescheid vom 22.10.1996 erfolgte eine Neufeststellung der kleinen Witwenrente der Klägerin vom 01.08. bis 31.10.1994. Gleichzeitig wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sich ihre Rente wegen der notwendigen Aufteilung auf mehrere Berechtigte ab 01.11.1994 mindern werde. Es wurde ein weiterer Bescheid betreffend die Zeit ab 01.11.1994 angekündigt. Dieser datiert vom 07.11.1996 und enthielt im Wege der Neufeststellung eine Minderung des Witwenrentenanspruchs auf weniger als die Hälfte des ungeteilten Hinterbliebenenrentenanspruchs ab 01.11. 1994. Es wurde eine Überzahlung in Höhe von 13.769,12 DM für die Zeit vom 01.11.1994 bis 31.12.1996 und eine Verminderung des monatlichen Zahlbetrags von 929,19 DM auf 396,95 DM ab 01.01.1997 festgestellt.
Dem widersprach die Klägerin mit der Begründung, die Geschiedene habe wegen Unterhaltsverzicht, Verwirkung und eigenen Einkommens keinen Anspruch auf anteilige Geschiedenenwitwenrente. Nach Hinweis von Seiten der Beklagten, dass die Klägerin von Anfang an von einem möglichen Anspruch der früheren Ehefrau wusste, wandte der Bevollmächtigte ein, die Klägerin habe nicht wissen müssen, dass die frühere Ehefrau möglicherweise einen Hinterbliebenenrentenanspruch geltend machen könne. Im Widerspruchsbescheid vom 01.10.1998 ist u.a. der Hinweis auf den Bescheidzusatz vom 05.01.1995 enthalten.
Mit der Klageerhebung vom 26.10.1998 machte der Bevollmächtigte geltend, auf dem Originalbescheid vom 05.01.1995 sei der genannte Zusatz nicht angebracht gewesen. Die Klägerin genieße Vertrauensschutz. Nach Ansicht der Beklagten ist bei der Betrachtung des Originalbescheids deutlich erkennbar, dass eine dritte Klammer links eingeheftet war und auch am rechten unteren Rand eine frühere Klammerung stattgefunden hat. Der Zusatz habe entfernt werden können.
Das Sozialgericht wies die Klage am 14.07.1999 mit der Begründung ab, die Geschiedene habe einen relevanten Unterhaltsanspruch gehabt, auf den nie verzichtet worden sei. § 45 SGB X sei erfüllt, da der Bescheid vom 05.01.1995 vorläufig gewesen sei. Der Zusatz sei darin enthalten gewesen; dies ergebe sich daraus, dass die Klägerin auch die dort gestellten Fragen innerhalb der Frist von vier Wochen beantwortet habe.
Dagegen legte die Klägerin am 08.09.1999 Berufung ein und machte geltend, die Beantwortung der Fragen im Zusatz sei nicht innerhalb von vier Wochen erfolgt; die entsprechenden Angaben seien vielmehr auf einen Anruf des Herrn D ... ich hin erfolgt. Ihr Schreiben vom 14.02.1995 gehe daher auch auf kein Schreiben der Beklagten vom 05.01.1995 ein. Da sie den Zusatz nicht erhalten habe, sei der Bescheid aufzuheben.
Von Beklagtenseite wurde eingewandt, mit der exakten Beantwortung der Fragen im Zusatz vom 05.01.1995 sei nachgewiesen, dass die Klägerin den Vorbehalt kannte. Der Bescheid sei erst am 19.01.1995 ausgelaufen, so dass die Klägerin die Antwort sehr wohl innerhalb von vier Wochen gegeben habe. Herr D ... sei erst ab 01.05.1995 in der zuständigen Arbeitsgruppe tätig gewesen.
Der Originalbescheid vom 15.01.1995 wurde dem Berufungsgericht am 16.10.2000 vorgelegt.
In der mündlichen Verhandlung am 15.11.2000 beschränkte der Klägerbevollmächtigte die Berufung auf den Zeitraum von November 1994 bis Oktober 1996 und nahm sie hinsichtlich des Bescheids vom 22.10.1996 zurück.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.07.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 07.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1998 aufzuheben, soweit sie den Zeitraum von November 1994 bis Oktober 1996 betreffen.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Klageakten des Sozialgerichts Augsburg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg und der Bescheid vom 07.11.1996 sind insoweit zu beanstanden, als darin eine Erstattungsforderung in Höhe von 13.769,12 DM für rechtens erachtet wurde. Der Bescheid vom 07.11.1996 ist insoweit aufzuheben, als darin für die Zeit von November 1994 bis Oktober 1996 die Bewilligung der ungeteilten Witwenrente zurückgenommen und die entsprechende Überzahlung zurückgefordert wurde. Die Klägerin genießt insoweit Vertrauensschutz.
Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs.1 Satz 1 SGB X). Die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte - die Rechtmäßigkeit der Bewilligung von Witwenrente an die Geschiedene mit Bescheid vom 22.10.1996 ist unstreitig - richtet sich grundsätzlich nach § 45 SGB X. § 48 Abs.1 SGB X, eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse, kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, weil die Anspruchsberechtigung der Geschiedenen objektiv bereits bei Erlass des Bewilligungsbescheids betreffend der großen Witwenrente am 05.01.1995 gegeben war. Es ist kein Ausnahmefall gegeben, der es gerechtfertigt erscheinen ließe, von den notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs.2 SGB X für die Rücknahme für die Vergangenheit abzusehen.
Zwar wies die Beklagte im Widerspruchsverfahren auf § 49 SGB X hin. Danach gelten § 45 Abs.1 bis 4 SGB X nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Der Bevollmächtigte der Geschiedenen hat jedoch gegen den Bewilligungsbescheid vom 07.11.1996 keinen Rechtsbehelf erhoben. Er hat lediglich gegen die ursprüngliche Ablehnung des Hinterbliebenenrentenanspruchs gegenüber der Geschiedenen am 18.11.1994 Widerspruch erhoben. Ein Anwendungsfall des § 49 SGB X ist daher nicht gegeben.
Die Beklagte stützt die Nichtanwendung des § 45 SGB X darauf, wegen des im Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995 enthaltenen Zusatzes liege kein endgültiger Rentenbewilligungsbescheid vor. Der Senat geht davon aus, dass der strittige Zusatz der Bescheidmitteilung vom 05.01.1995 zumindest beigelegen hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der auf einem eigenen Blatt festgehaltene Zusatz fest mit dem Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995 verbunden war. Hierauf deuten die Klammerspuren am unteren Rand des Originalbescheides hin. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich diese Klammern bereits während des Versands gelöst haben. Nachdem die Klägerin jedoch die gleichzeitig auf dem Zusatzblatt gestellten Fragen in der Reihenfolge der Fragestellung innerhalb von vier Wochen entsprechend der Auffordung mit Schreiben vom 14.02.1995 beantwortet hat, bestehen keinerlei Zweifel, dass die Klägerin von diesem Zusatz Kenntnis erlangt hat. Zwar ist im Antwortschreiben kein Bezug genommen worden auf den Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995, jedoch trug das Blatt mit den Zusatzfragen auch kein Datum, so dass ein Unterlassen der Bezugnahme wieder schlüssig ist, wenn das Zusatzblatt lediglich dem Bewilligungsbescheid vom 05.01. 1995 beigelegen hat. Nicht nachvollzogen werden kann die Behauptung des Klägerbevollmächtigten, die Klägerin habe einen Anruf erhalten und dann die entsprechenden Angaben gemacht. Zum einen war Herr D ... erst am 01.05.1995 in der für das Geburtsdatum des Verstorbenen zuständigen Arbeitsgruppe 22 tätig. Im fraglichen Zeitraum war er also einer anderen Arbeitsgruppe zugeteilt. Darüber hinaus bestand nach Aktenlage keinerlei Veranlassung, vor Ablauf von vier Wochen nach Versand des Bewilligungsbescheides am 19.01.1995 weitere Ermittlungen zu tätigen. Auch in der Widerspruchsangelegenheit der Geschiedenen wurde nach Eingang des Widerspruchs am 27.12.1994 erst am 06.03.1995 ein Arbeitsbogen angelegt. Die Arbeitsgruppe 22 hat die Akten der Klägerin am 19.01.1995 an das RMD gesandt, das die Klägerin dann mit Schreiben vom 06.03.1995 wegen der Aufrechterhaltung ihres Widerspruchs gegen die kleine Witwenrente im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 05.01.1995 angeschrieben hat. Die Einlassung des Klägerbevollmächtigten ist daher als Schutzbehauptung zu werten.
Streitentscheidend ist, ob eine "nicht mehr anfechtbare Entscheidung über einen Rentenanspruch" vorliegt, dessen Bindungswirkung nur nach § 45 SGB X durchbrochen werden kann. Zwar hat die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995 im Zusatz als vorläufig bezeichnet und ihn unter dem Vorbehalt der Rückforderung erteilt, falls es zu einer Rentenzahlung an die Geschiedene käme. Damit wollte die Beklagte sicherstellen, dass keine endgültig abschließende Entscheidung über den geltend gemachten Rentenanspruch getroffen würde. § 42 Abs.1 SGB I enthält eine Ermächtigungsgrundlage für den Leistungsträger zum Erlass eines einstweiligen Verwaltungsaktes für den Fall, dass jemand einen Anspruch auf Geldleistungen hat, aber bis zur Feststellung der genauen Höhe des Geschuldeten voraussichtlich noch längere Zeit verstreichen wird. Solange der für den Rentenanspruch erhebliche Sachverhalt noch nicht abschließend geklärt ist, darf nur ein einstweiliger Verwaltungsakt ergehen, aber kein endgültiger Bescheid gemäß § 117 SGB VI. Die Verpflichtung, den Rentenanerkennungsbescheid erst nach Ermittlung des Sachverhalts und unter Berücksichtigung aller für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu erlassen, darf nicht dadurch umgangen werden, dass der Versicherte durch Vorbehalte in Unkenntnis über den ihm monatlich zu Recht zustehenden Zahlbetrag gelassen wird und deswegen mit im Betrag ungewissen Rückforderungen rechnen muss (BSGE vom 28.06.1990 SozR 3-1300 § 32 Nr.2). Soweit ein endgültiger Verwaltungsakt noch nicht ergehen darf, ist die Verwaltung ermächtigt, einstweilige Regelungen zu treffen, nämlich in Form eines Vorschusses (§ 42 SGB I), einer SGB X) oder als vorläufige Leistung (§ 43 SGB I). Eine derartige vorläufige Regelung ist nicht getroffen worden.
Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken (§ 39 Abs.1 Satz 2 SGB X), müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt mitgeteilt werden, d.h. es muss für ihn ersichtlich sein, dass der Bescheid nur vorläufig und nur für eine Übergangszeit gilt (BSG SozR 1200 § 42 Nr.4 S.18; BSG SozR Nr.3 zu § 1299 RVO). Die am 19.01.1995 der Klägerin übermittelte Regelung enhält einen im Sinn einer abschließenden Entscheidung getroffenen Verfügungssatz über den erhobenen Witwenrentenanspruch, ohne hinreichend bestimmt zu verdeutlichen, der darin zuerkannte Rentenzahlbetrag solle der Klägerin nur einstweilig bis zu einer noch zu treffenden abschließenden Entscheidung zustehen. Die Beklagte hat im Bescheid vom 05.01.1995 erklärt, diese erhalte anstelle der bisherigen kleinen Witwenrente große Witwenrente. Anders als der Bescheidentwurf enthält der Originalrentenbescheid an hervorgehobener Stelle keine Einschränkung als "vorläufiger Rentenbescheid". Die Formulierung an hervorgehobener Stelle am Beginn des Bescheides kann und darf ein verständiger Empfänger als abschließende Antwort der Verwaltung auf seinen Rentenantrag verstehen. Der Bescheid war so ausgestaltet, dass er - ein der Klägerin günstiges Ergebnis des anhängigen Widerspruchsverfahrens unterstellt - unverändert und ohne Ergänzung oder Bestätigung durch einen weiteren Hoheitsakt eine dauernde Feststellung des Rentenanspruches enthält.
Etwas anderes ergibt sich aus der Bezeichnung als vorläufig im Zusatzblatt nicht. Will die Beklagte eine lediglich einstweilige Regelung vom Typ eines Vorschusses im Sinn des § 42 Abs.1 SGB I treffen, muss diese wenigstens die typusprägenden Merkmale des einstweiligen Verwaltungsaktes enthalten. Der Bescheid hat daher zumindest zu verdeutlichen, er bewillige wegen eines nach seiner Ansicht dem Grunde nach bestehenden Anspruchs auf Geldleistungen, dessen genaue Höhe noch nicht zeitnah festgestellt werden könne, ein Recht auf Zahlungen, dessen Ausübung risikobehaftet sei, da es noch keinen dauerhaften Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Gezahlten gebe (BSGE vom 29.04.1997 in SozR 3-1300 § 42 Nr.5). Ob diese Mindestregelung verlautbart worden ist, muss in jedem Einzelfall durch Auslegung des Verwaltungsaktes aus der Sicht eines an Treu und Glauben orientierten, mit den Umständen des Falles vertrauten Erklärungsempfängers ermittelt werden. Die Beklagte hat der Klägerin nicht verdeutlicht, ihr solle die Witwenrente nur als Vorschuss oder einstweilig gewährt werden. Hierzu hätte sie der Klägerin mitteilen müssen, welchen Anteil des zuerkannten Rentenzahlbetrags sie wird behalten können und welchen sie möglicherweise wird zurückzahlen müssen und deshalb von vornherein bei ihrer Lebensführung nicht wird einplanen können. Anhand der bekannten Ehelaufzeiten der früheren Ehefrauen des Versicherten wäre dies der Beklagten problemlos möglich gewesen. Der Bürger muss nämlich in die Lage versetzt werden, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob er die ihm bewilligte Begünstigung überhaupt annehmen oder als aufgedrängte Zuwendung ablehnen will und ob er bis zum Erlass des endgültigen Verwaltungsaktes von ihr wirtschaftlich Gebrauch macht oder im Hinblick auf mögliche Rückzahlungspflichten davon absieht (BSGE vom 29.04.1997 aaO). Diesen Mindestanforderungen an die Regelung einer Vorwegzahlung genügt der strittige Bescheid nicht. Vielmehr hat die Beklagte nur die Möglichkeit eines Eingriffs in die Wirksamkeit oder den Regelungsinhalt des Bescheides in Aussicht gestellt, die in den gesetzlich geregelten Fällen (§§ 44 - 49 SGB X) ohnehin auch immer besteht, ohne dass deswegen die abschließende Natur des Bewilligungsbescheides fraglich ist. Nach alledem ist der Bescheid eine Begünstigung auf Verdacht, die rechtswidrig ist, da sie für den unter Umständen nur scheinbar Begünstigten zu Rechtsunsicherheit und zu wirtschaftlichen Belastungen führt. Das bedeutet, dass die Beklagte im Bescheid vom 05.01.1995 eine abschließende Entscheidung über die Zuerkennung einer großen Witwenrente bekannt gegeben hat; eine Rückabwicklung dieser Leistungsbeziehung richtet sich daher nach §§ 50, 45 SGB X.
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt wird nur in den Fällen von § 45 Abs.2 Satz 3 und Abs.3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs.4 Satz 1 SGB X). Die Rücknahme für die Vergangenheit ist daher nur zulässig, soweit der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Schließlich ist eine Rücknahme für die Vergangenheit geboten, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO vorliegen. Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben. Noch viel weniger als die Beklagte, die den Geschiedenenwitwenrentenanspruch abgelehnt hatte, konnte die Klägerin wissen, dass der Geschiedenen ein Anspruch zuzuerkennen und ihre eigene Rente entsprechend zu mindern war. Sie kannte nur die durch den Vorbehalt aufgezeigte Möglichkeit der Rechtswidrigkeit, nicht die tatsächliche Rechtswidrigkeit des begünstigenden Bescheids (ähnlich BSGE vom 28.06.1990 aaO S.12). Im Übrigen hat die Beklagte im Rahmen der "Neufestellung" keinerlei Ermessenserwägungen angestellt, so dass der strittige Bescheid schon deswegen aufzuheben ist. Die Rücknahme nach § 45 SGB X setzt regelmäßig diese Pflicht zur Ermessensausübung voraus (Steinwedel in KassKomm § 45 SGB X, Rdnr.50 ff). Eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung für die Vergangenheit fehlt sonach.
Der Rückforderungsanspruch der Beklagten beschränkt sich auf 1.064,48 DM. Der Rentenbewilligungsbescheid vom 05.01.1995 kann für die Zeit ab 01.11.1996 zurückgenommen werden. Ab Erlass des Bescheides vom 22.10.1996 konnte die Klägerin nicht mehr auf den Bestand es Bewilligungsbescheides vertrauen. Bereits mit diesem Bescheid betreffend die kleine Witwenrente war ihr mitgeteilt worden, dass mehrere Berechtigte Anspruch auf Witwenrente hatten. Sie wurde darüber aufgeklärt, dass die Witwenrente im Verhältnis der Dauer der Ehe mit dem Versicherten zu der Dauer der Ehen den Versicherten mit allen Berechtigten aufzuteilen ist. Auch war ihr das Verhältnis der Dauer ihrer Ehe mit der Gesamtdauer der Ehen des Versicherten bekannt gegeben worden. Dementsprechend ist die Berufung auf die Zeit von November 1994 bis Oktober 1995 beschränkt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
II. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit der Rückforderung einer Überzahlung in Höhe von 12.704,64 DM.
Die Klägerin ist die Witwe des am ...1994 verstobenen Versicherten ... Ihr wurde mit Bescheid vom 14.11.1994 ab 01.08.1994 kleine Witwenrente bewilligt. Nach Einlegung des Widerspruchs gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 05.01.1995 ab 01.11.1994 große Witwenrente. Dem Bescheidentwurf ist folgender Zusatz angeheftet: "Zwischenzeitlich liegt ein Witwenrentenantrag an vor dem 01.07.1977 geschiedene Ehegatten vor. Der Rentenbescheid ergeht daher vorläufig und unter Vorbehalt der Rückforderung, falls es zu einer Rentenzahlung an die frühere Ehefrau kommt. Bitte teilen Sie uns diesbezüglich das Einkommen Ihres Mannes im Jahr vor seinem Tod mit. Haben Sie selbst momentan Schulden? Leben in Ihrem Haushalt weitere unterhaltsberechtigte Personen? Wir erwarten Ihre Antwort in spätestens vier Wochen." Im Tenor des Bescheidentwurfs wird der Rentenbescheid als "vorläufig" bezeichnet. Laut Vermerk wurde der Bescheid am 19.01.1995 abgesandt.
Am 16.02.1995 ging ein Schreiben der Klägerin ein, in dem die Fragen in der Reihenfolge des Zusatzes beantwortet wurden. Nach der Anfrage vom 06.03.1995, ob sich ihr Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.11.1994 durch den Bescheid vom 05.01.1995 erledigt habe, teilte die Klägerin mit Schreiben vom 20.04.1995 mit, sie ziehe ihren Einspruch zurück, da sie "nunmehr die große Witwenrente bekomme."
Die frühere Ehefrau des verstorbenen Versicherten, ... , die mit diesem vom 23.11.1946 bis zur Scheidung der Ehe aus dessen Verschulden am 25.03.1971 verheiratet gewesen war, hatte am 10.08.1994 Hinterbliebenenrente beantragt. Der Verstorbene hatte sich während des Scheidungsverfahrens zu monatlichen Unterhaltszahlungen verpflichtet, die er ab 1984 eingestellt hatte. Mangels tatsächlicher Unterhaltsleistung vor dem Tod war der Hinterbliebenenantrag der Geschiedenen am 18.11. 1994 abgeleht worden. Hiergegen war am 27.12.1994 Widerspruch eingelegt worden, dem mit Bescheid vom 22.10.1996 unter Bewilligung einer großen Witwenrente an Geschiedene ab 01.08.1994 abgeholfen wurde.
Mit Bescheid vom 22.10.1996 erfolgte eine Neufeststellung der kleinen Witwenrente der Klägerin vom 01.08. bis 31.10.1994. Gleichzeitig wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sich ihre Rente wegen der notwendigen Aufteilung auf mehrere Berechtigte ab 01.11.1994 mindern werde. Es wurde ein weiterer Bescheid betreffend die Zeit ab 01.11.1994 angekündigt. Dieser datiert vom 07.11.1996 und enthielt im Wege der Neufeststellung eine Minderung des Witwenrentenanspruchs auf weniger als die Hälfte des ungeteilten Hinterbliebenenrentenanspruchs ab 01.11. 1994. Es wurde eine Überzahlung in Höhe von 13.769,12 DM für die Zeit vom 01.11.1994 bis 31.12.1996 und eine Verminderung des monatlichen Zahlbetrags von 929,19 DM auf 396,95 DM ab 01.01.1997 festgestellt.
Dem widersprach die Klägerin mit der Begründung, die Geschiedene habe wegen Unterhaltsverzicht, Verwirkung und eigenen Einkommens keinen Anspruch auf anteilige Geschiedenenwitwenrente. Nach Hinweis von Seiten der Beklagten, dass die Klägerin von Anfang an von einem möglichen Anspruch der früheren Ehefrau wusste, wandte der Bevollmächtigte ein, die Klägerin habe nicht wissen müssen, dass die frühere Ehefrau möglicherweise einen Hinterbliebenenrentenanspruch geltend machen könne. Im Widerspruchsbescheid vom 01.10.1998 ist u.a. der Hinweis auf den Bescheidzusatz vom 05.01.1995 enthalten.
Mit der Klageerhebung vom 26.10.1998 machte der Bevollmächtigte geltend, auf dem Originalbescheid vom 05.01.1995 sei der genannte Zusatz nicht angebracht gewesen. Die Klägerin genieße Vertrauensschutz. Nach Ansicht der Beklagten ist bei der Betrachtung des Originalbescheids deutlich erkennbar, dass eine dritte Klammer links eingeheftet war und auch am rechten unteren Rand eine frühere Klammerung stattgefunden hat. Der Zusatz habe entfernt werden können.
Das Sozialgericht wies die Klage am 14.07.1999 mit der Begründung ab, die Geschiedene habe einen relevanten Unterhaltsanspruch gehabt, auf den nie verzichtet worden sei. § 45 SGB X sei erfüllt, da der Bescheid vom 05.01.1995 vorläufig gewesen sei. Der Zusatz sei darin enthalten gewesen; dies ergebe sich daraus, dass die Klägerin auch die dort gestellten Fragen innerhalb der Frist von vier Wochen beantwortet habe.
Dagegen legte die Klägerin am 08.09.1999 Berufung ein und machte geltend, die Beantwortung der Fragen im Zusatz sei nicht innerhalb von vier Wochen erfolgt; die entsprechenden Angaben seien vielmehr auf einen Anruf des Herrn D ... ich hin erfolgt. Ihr Schreiben vom 14.02.1995 gehe daher auch auf kein Schreiben der Beklagten vom 05.01.1995 ein. Da sie den Zusatz nicht erhalten habe, sei der Bescheid aufzuheben.
Von Beklagtenseite wurde eingewandt, mit der exakten Beantwortung der Fragen im Zusatz vom 05.01.1995 sei nachgewiesen, dass die Klägerin den Vorbehalt kannte. Der Bescheid sei erst am 19.01.1995 ausgelaufen, so dass die Klägerin die Antwort sehr wohl innerhalb von vier Wochen gegeben habe. Herr D ... sei erst ab 01.05.1995 in der zuständigen Arbeitsgruppe tätig gewesen.
Der Originalbescheid vom 15.01.1995 wurde dem Berufungsgericht am 16.10.2000 vorgelegt.
In der mündlichen Verhandlung am 15.11.2000 beschränkte der Klägerbevollmächtigte die Berufung auf den Zeitraum von November 1994 bis Oktober 1996 und nahm sie hinsichtlich des Bescheids vom 22.10.1996 zurück.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.07.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 07.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1998 aufzuheben, soweit sie den Zeitraum von November 1994 bis Oktober 1996 betreffen.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Klageakten des Sozialgerichts Augsburg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg und der Bescheid vom 07.11.1996 sind insoweit zu beanstanden, als darin eine Erstattungsforderung in Höhe von 13.769,12 DM für rechtens erachtet wurde. Der Bescheid vom 07.11.1996 ist insoweit aufzuheben, als darin für die Zeit von November 1994 bis Oktober 1996 die Bewilligung der ungeteilten Witwenrente zurückgenommen und die entsprechende Überzahlung zurückgefordert wurde. Die Klägerin genießt insoweit Vertrauensschutz.
Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs.1 Satz 1 SGB X). Die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte - die Rechtmäßigkeit der Bewilligung von Witwenrente an die Geschiedene mit Bescheid vom 22.10.1996 ist unstreitig - richtet sich grundsätzlich nach § 45 SGB X. § 48 Abs.1 SGB X, eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse, kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, weil die Anspruchsberechtigung der Geschiedenen objektiv bereits bei Erlass des Bewilligungsbescheids betreffend der großen Witwenrente am 05.01.1995 gegeben war. Es ist kein Ausnahmefall gegeben, der es gerechtfertigt erscheinen ließe, von den notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs.2 SGB X für die Rücknahme für die Vergangenheit abzusehen.
Zwar wies die Beklagte im Widerspruchsverfahren auf § 49 SGB X hin. Danach gelten § 45 Abs.1 bis 4 SGB X nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Der Bevollmächtigte der Geschiedenen hat jedoch gegen den Bewilligungsbescheid vom 07.11.1996 keinen Rechtsbehelf erhoben. Er hat lediglich gegen die ursprüngliche Ablehnung des Hinterbliebenenrentenanspruchs gegenüber der Geschiedenen am 18.11.1994 Widerspruch erhoben. Ein Anwendungsfall des § 49 SGB X ist daher nicht gegeben.
Die Beklagte stützt die Nichtanwendung des § 45 SGB X darauf, wegen des im Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995 enthaltenen Zusatzes liege kein endgültiger Rentenbewilligungsbescheid vor. Der Senat geht davon aus, dass der strittige Zusatz der Bescheidmitteilung vom 05.01.1995 zumindest beigelegen hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der auf einem eigenen Blatt festgehaltene Zusatz fest mit dem Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995 verbunden war. Hierauf deuten die Klammerspuren am unteren Rand des Originalbescheides hin. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich diese Klammern bereits während des Versands gelöst haben. Nachdem die Klägerin jedoch die gleichzeitig auf dem Zusatzblatt gestellten Fragen in der Reihenfolge der Fragestellung innerhalb von vier Wochen entsprechend der Auffordung mit Schreiben vom 14.02.1995 beantwortet hat, bestehen keinerlei Zweifel, dass die Klägerin von diesem Zusatz Kenntnis erlangt hat. Zwar ist im Antwortschreiben kein Bezug genommen worden auf den Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995, jedoch trug das Blatt mit den Zusatzfragen auch kein Datum, so dass ein Unterlassen der Bezugnahme wieder schlüssig ist, wenn das Zusatzblatt lediglich dem Bewilligungsbescheid vom 05.01. 1995 beigelegen hat. Nicht nachvollzogen werden kann die Behauptung des Klägerbevollmächtigten, die Klägerin habe einen Anruf erhalten und dann die entsprechenden Angaben gemacht. Zum einen war Herr D ... erst am 01.05.1995 in der für das Geburtsdatum des Verstorbenen zuständigen Arbeitsgruppe 22 tätig. Im fraglichen Zeitraum war er also einer anderen Arbeitsgruppe zugeteilt. Darüber hinaus bestand nach Aktenlage keinerlei Veranlassung, vor Ablauf von vier Wochen nach Versand des Bewilligungsbescheides am 19.01.1995 weitere Ermittlungen zu tätigen. Auch in der Widerspruchsangelegenheit der Geschiedenen wurde nach Eingang des Widerspruchs am 27.12.1994 erst am 06.03.1995 ein Arbeitsbogen angelegt. Die Arbeitsgruppe 22 hat die Akten der Klägerin am 19.01.1995 an das RMD gesandt, das die Klägerin dann mit Schreiben vom 06.03.1995 wegen der Aufrechterhaltung ihres Widerspruchs gegen die kleine Witwenrente im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 05.01.1995 angeschrieben hat. Die Einlassung des Klägerbevollmächtigten ist daher als Schutzbehauptung zu werten.
Streitentscheidend ist, ob eine "nicht mehr anfechtbare Entscheidung über einen Rentenanspruch" vorliegt, dessen Bindungswirkung nur nach § 45 SGB X durchbrochen werden kann. Zwar hat die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 05.01.1995 im Zusatz als vorläufig bezeichnet und ihn unter dem Vorbehalt der Rückforderung erteilt, falls es zu einer Rentenzahlung an die Geschiedene käme. Damit wollte die Beklagte sicherstellen, dass keine endgültig abschließende Entscheidung über den geltend gemachten Rentenanspruch getroffen würde. § 42 Abs.1 SGB I enthält eine Ermächtigungsgrundlage für den Leistungsträger zum Erlass eines einstweiligen Verwaltungsaktes für den Fall, dass jemand einen Anspruch auf Geldleistungen hat, aber bis zur Feststellung der genauen Höhe des Geschuldeten voraussichtlich noch längere Zeit verstreichen wird. Solange der für den Rentenanspruch erhebliche Sachverhalt noch nicht abschließend geklärt ist, darf nur ein einstweiliger Verwaltungsakt ergehen, aber kein endgültiger Bescheid gemäß § 117 SGB VI. Die Verpflichtung, den Rentenanerkennungsbescheid erst nach Ermittlung des Sachverhalts und unter Berücksichtigung aller für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu erlassen, darf nicht dadurch umgangen werden, dass der Versicherte durch Vorbehalte in Unkenntnis über den ihm monatlich zu Recht zustehenden Zahlbetrag gelassen wird und deswegen mit im Betrag ungewissen Rückforderungen rechnen muss (BSGE vom 28.06.1990 SozR 3-1300 § 32 Nr.2). Soweit ein endgültiger Verwaltungsakt noch nicht ergehen darf, ist die Verwaltung ermächtigt, einstweilige Regelungen zu treffen, nämlich in Form eines Vorschusses (§ 42 SGB I), einer SGB X) oder als vorläufige Leistung (§ 43 SGB I). Eine derartige vorläufige Regelung ist nicht getroffen worden.
Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken (§ 39 Abs.1 Satz 2 SGB X), müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt mitgeteilt werden, d.h. es muss für ihn ersichtlich sein, dass der Bescheid nur vorläufig und nur für eine Übergangszeit gilt (BSG SozR 1200 § 42 Nr.4 S.18; BSG SozR Nr.3 zu § 1299 RVO). Die am 19.01.1995 der Klägerin übermittelte Regelung enhält einen im Sinn einer abschließenden Entscheidung getroffenen Verfügungssatz über den erhobenen Witwenrentenanspruch, ohne hinreichend bestimmt zu verdeutlichen, der darin zuerkannte Rentenzahlbetrag solle der Klägerin nur einstweilig bis zu einer noch zu treffenden abschließenden Entscheidung zustehen. Die Beklagte hat im Bescheid vom 05.01.1995 erklärt, diese erhalte anstelle der bisherigen kleinen Witwenrente große Witwenrente. Anders als der Bescheidentwurf enthält der Originalrentenbescheid an hervorgehobener Stelle keine Einschränkung als "vorläufiger Rentenbescheid". Die Formulierung an hervorgehobener Stelle am Beginn des Bescheides kann und darf ein verständiger Empfänger als abschließende Antwort der Verwaltung auf seinen Rentenantrag verstehen. Der Bescheid war so ausgestaltet, dass er - ein der Klägerin günstiges Ergebnis des anhängigen Widerspruchsverfahrens unterstellt - unverändert und ohne Ergänzung oder Bestätigung durch einen weiteren Hoheitsakt eine dauernde Feststellung des Rentenanspruches enthält.
Etwas anderes ergibt sich aus der Bezeichnung als vorläufig im Zusatzblatt nicht. Will die Beklagte eine lediglich einstweilige Regelung vom Typ eines Vorschusses im Sinn des § 42 Abs.1 SGB I treffen, muss diese wenigstens die typusprägenden Merkmale des einstweiligen Verwaltungsaktes enthalten. Der Bescheid hat daher zumindest zu verdeutlichen, er bewillige wegen eines nach seiner Ansicht dem Grunde nach bestehenden Anspruchs auf Geldleistungen, dessen genaue Höhe noch nicht zeitnah festgestellt werden könne, ein Recht auf Zahlungen, dessen Ausübung risikobehaftet sei, da es noch keinen dauerhaften Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Gezahlten gebe (BSGE vom 29.04.1997 in SozR 3-1300 § 42 Nr.5). Ob diese Mindestregelung verlautbart worden ist, muss in jedem Einzelfall durch Auslegung des Verwaltungsaktes aus der Sicht eines an Treu und Glauben orientierten, mit den Umständen des Falles vertrauten Erklärungsempfängers ermittelt werden. Die Beklagte hat der Klägerin nicht verdeutlicht, ihr solle die Witwenrente nur als Vorschuss oder einstweilig gewährt werden. Hierzu hätte sie der Klägerin mitteilen müssen, welchen Anteil des zuerkannten Rentenzahlbetrags sie wird behalten können und welchen sie möglicherweise wird zurückzahlen müssen und deshalb von vornherein bei ihrer Lebensführung nicht wird einplanen können. Anhand der bekannten Ehelaufzeiten der früheren Ehefrauen des Versicherten wäre dies der Beklagten problemlos möglich gewesen. Der Bürger muss nämlich in die Lage versetzt werden, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob er die ihm bewilligte Begünstigung überhaupt annehmen oder als aufgedrängte Zuwendung ablehnen will und ob er bis zum Erlass des endgültigen Verwaltungsaktes von ihr wirtschaftlich Gebrauch macht oder im Hinblick auf mögliche Rückzahlungspflichten davon absieht (BSGE vom 29.04.1997 aaO). Diesen Mindestanforderungen an die Regelung einer Vorwegzahlung genügt der strittige Bescheid nicht. Vielmehr hat die Beklagte nur die Möglichkeit eines Eingriffs in die Wirksamkeit oder den Regelungsinhalt des Bescheides in Aussicht gestellt, die in den gesetzlich geregelten Fällen (§§ 44 - 49 SGB X) ohnehin auch immer besteht, ohne dass deswegen die abschließende Natur des Bewilligungsbescheides fraglich ist. Nach alledem ist der Bescheid eine Begünstigung auf Verdacht, die rechtswidrig ist, da sie für den unter Umständen nur scheinbar Begünstigten zu Rechtsunsicherheit und zu wirtschaftlichen Belastungen führt. Das bedeutet, dass die Beklagte im Bescheid vom 05.01.1995 eine abschließende Entscheidung über die Zuerkennung einer großen Witwenrente bekannt gegeben hat; eine Rückabwicklung dieser Leistungsbeziehung richtet sich daher nach §§ 50, 45 SGB X.
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt wird nur in den Fällen von § 45 Abs.2 Satz 3 und Abs.3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs.4 Satz 1 SGB X). Die Rücknahme für die Vergangenheit ist daher nur zulässig, soweit der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Schließlich ist eine Rücknahme für die Vergangenheit geboten, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO vorliegen. Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben. Noch viel weniger als die Beklagte, die den Geschiedenenwitwenrentenanspruch abgelehnt hatte, konnte die Klägerin wissen, dass der Geschiedenen ein Anspruch zuzuerkennen und ihre eigene Rente entsprechend zu mindern war. Sie kannte nur die durch den Vorbehalt aufgezeigte Möglichkeit der Rechtswidrigkeit, nicht die tatsächliche Rechtswidrigkeit des begünstigenden Bescheids (ähnlich BSGE vom 28.06.1990 aaO S.12). Im Übrigen hat die Beklagte im Rahmen der "Neufestellung" keinerlei Ermessenserwägungen angestellt, so dass der strittige Bescheid schon deswegen aufzuheben ist. Die Rücknahme nach § 45 SGB X setzt regelmäßig diese Pflicht zur Ermessensausübung voraus (Steinwedel in KassKomm § 45 SGB X, Rdnr.50 ff). Eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung für die Vergangenheit fehlt sonach.
Der Rückforderungsanspruch der Beklagten beschränkt sich auf 1.064,48 DM. Der Rentenbewilligungsbescheid vom 05.01.1995 kann für die Zeit ab 01.11.1996 zurückgenommen werden. Ab Erlass des Bescheides vom 22.10.1996 konnte die Klägerin nicht mehr auf den Bestand es Bewilligungsbescheides vertrauen. Bereits mit diesem Bescheid betreffend die kleine Witwenrente war ihr mitgeteilt worden, dass mehrere Berechtigte Anspruch auf Witwenrente hatten. Sie wurde darüber aufgeklärt, dass die Witwenrente im Verhältnis der Dauer der Ehe mit dem Versicherten zu der Dauer der Ehen den Versicherten mit allen Berechtigten aufzuteilen ist. Auch war ihr das Verhältnis der Dauer ihrer Ehe mit der Gesamtdauer der Ehen des Versicherten bekannt gegeben worden. Dementsprechend ist die Berufung auf die Zeit von November 1994 bis Oktober 1995 beschränkt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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