L 6 RJ 484/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 737/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 484/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Juni 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 1.1.2001 - auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1943 geborene Kläger besitzt nach seinen Angaben keine Berufsausbildung; nach einer Tätigkeit als landwirtschaftlicher Arbeiter von 1957 bis Anfang 1962 ist er ab 27.3.1962 bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit (Gonarthrose rechts) am 26.1.1999 bei der A.Brauerei K. AG (A.-Brauerei) als Verkaufsfahrer beschäftigt gewesen (Be- und Entladen eines LKW und Beliefern der Heimdienstkunden). Er ist als solcher nach Bewertungsgruppe IV (Tätigkeitsbeispiel: "Kraftfahrer, die überwiegend auf feste Bestellung nach Menge und Sorte ausliegefern - Bestellfahrer -") des Mantel-Tarifvertrags für das Braugewerbe in Bayern (TV) entlohnt worden; zuzüglich hat er eine Hektoliterprovision erhalten. Die Anlernzeit für diese Tätigkeit hat ein bis zwei Monate betragen. Es hat sich um eine schwere körperliche Arbeit, verbunden mit häufigem Aufspringen auf und Abspringen von der Ladefläche, gehandelt.

Mit Bescheid vom 22.6.1999 und Widerspruchsbescheid vom 26.10.1999 lehnte die Beklagte den am 1.3.1999 gestellten Antrag des Klägers auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit ab. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (sc. in der bis 31.12.2000 geltenden alten Fassung - a.F. - ), da er nach den im Verwaltungsverfahren zu seinem Gesundheitszustand und beruflichen Leistungsvermögen sowie zu seinem beruflichen Werdegang getroffenen Feststellungen nicht berufsunfähig im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift sei; er sei nämlich vollschichtig leistungsfähig und könne nach seinem beruflichen Werdegang auf Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden. Er habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, da er erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI sei.

Mit der am 12.11.1999 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Rentenanspruch weiter. Er begehre aufgrund seines Antrags vom 1.3.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, da er täglich nicht mehr länger als zwei Stunden arbeiten könne. Zur Begründung legte er Atteste des Arztes für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren Dr. V. vom 6.12.1999 und 25.10.1999 vor.

Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten bei, erholte Befundberichte einschließlich medizinischer Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers (Arzt für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Dr. F. , Befundbericht vom 20.12. 1999; Dr. W. , Chefarzt der Abteilung Unfallchirurgie des Klinikums K. , Befundbericht vom 17.1.2000) und ließ sich von der A.-Brauerei Auskünfte über den Inhalt der Berufstätigkeit des Klägers erteilen.

Sodann holte das SG von dem Facharzt für Orthopädie Dr. W. zu Gesundheitszustand und beruflichem Leistungsvermögen des Klägers ein medizinisches Sachverständigengutachten ein (vom 1.3.2000). Dr. W. kam zum Ergebnis, daß der Kläger seit dem 8.2.2000 (Einsetzen einer Totalendoprothese rechtes Kniegelenk) bis zu einem halben Jahr oder auch länger keine Arbeiten mehr verrichten könne; dann sei eine neue Überprüfung nötig.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.6.2000 wies das SG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente, da er nicht wenigstens berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI (sc. a.F.) sei. Er könne nämlich nach dem Ergebnis der durchgeführten medizinischen Ermittlungen ohne rechtserhebliche qualitative Einschränkungen noch vollschichtig arbeiten, er sei nach dem festgestellten Berufsbild als angelernter Arbeiter des unteren Bereichs im Sinn der Rechtsprechung des BSG zu beurteilen und sei somit auf alle Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Erst recht sei der Kläger nicht erwerbsunfähig im Sinne der noch strengeren Vorschrift des § 44 Abs. 2 SGB VI (sc. a.F.).

Am 10.8.2000 ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 13.7.2000 zugestellte Urteil ein. Zur Begründung trug er unter Hinweis auf das Gutachten von Dr. W. vor, er sei wenigstens ab Februar 2000 bis zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt erwerbsunfähig; auch sei die von Dr. W. empfohlene internistische Begutachtung noch erforderlich.

Der Senat zog die Klageakten des SG Augsburg und die Verwaltungsakten der Beklagten bei, holte eine Auskunft von der A.-Brauerei ein, die auch den TV umfaßte, und erholte Befundberichte einschließlich medizinischer Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers (Dr. V. , Befundbericht vom 19.12.2000; Dr. W. , Befundbericht vom 4.3.2001).

Außerdem holte der Senat medizinische Sachverständigengutachten ein von dem Arzt für Orthopädie Dr. F. (Gutachten vom 2.9.2001) und von dem Internisten Dr. E. (Gutachten vom 14.9.2001).

Folgende Gesundheitsstörungen wurden beim Kläger hierbei festgestellt:

- Geringe Spondylarthrose der Halswirbelsäule.

- Initiale Spondylose der Lendenwirbelsäule.

- Minimalarthrose der Hüftgelenke.

- Totalendoprothetischer Ersatz des rechten Kniegelenks, Retropatellararthrose und minimale Gonarthrose links.

- Operativ herbeigeführte Versteifung des linken oberen Sprunggelenks, geringe Sprunggelenksarthrose rechts, Spreizsenkfüße mit Zehendeformierungen.

- Leichtes Impingementsyndrom und Omarthrose beidseits, Schultereckgelenksarthrose links mehr als rechts.

- Leichte Handgelenksarthrose links.

- Übergewichtigkeit; mäßige Varikosis beidseits, geringe Ödeme am rechten Unterschenkel.

- Asthma bronchiale mit Verdacht auf allergische Komponente, derzeit lediglich grenzwertige Funktionsstörungen.

- Arterieller Hypertonus.

- Verdacht auf beginnendes metabolisches Syndrom mit Adipositas Grad I, Hypercholesterinämie und Verdacht auf latenten Diabetes mellitus.

Der Kläger wurde von Dr. E. , der die Ergebnisse der Begutachtung zusammenfaßte, für fähig erachtet, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig zu verrichten; hierbei seien Überkopfarbeiten ebensowenig zumutbar wie häufiges Bücken, Zwangshaltungen, grobmanuelle Tätigkeiten links, Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, Tätigkeiten in kniender oder hockender Stellung, Akkordarbeit sowie Arbeiten mit Belastung der Atemwege durch Staub, reizende Dämpfe oder Gase. Der Kläger könne mit einem links geführten Stock Fußwege von mehr als 500 Meter an einem Stück in angemessener Geschwindigkeit (höchstens 15 Minuten für 500 Meter) zurücklegen, um die Entfernungen zwischen Wohnung, öffentlichem Verkehrsmittel und Arbeitsplatz vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende zu überwinden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 27.6.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.6.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1.3.1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise - ab 1.1.2001 - eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 27.6.2000 ist nicht zu beanstanden, da der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, daß dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht, vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI. Für den Anspruch des Klägers sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 1.1.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit sinngemäß auch (hilfsweise) vorgetragen ist, daß jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12. 2000 gegeben sei, vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI a.F., da er ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom 1.3.1999 bis jetzt nicht im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen beim Kläger nicht vor.

Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist bereits eingeschränkt. Er kann aber unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen noch vollschichtig verrichten; hierbei sind Überkopfarbeiten ebensowenig zumutbar wie häufiges Bücken, Zwangshaltungen, grobmanuelle Tätigkeiten links, Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, Tätigkeiten in kniender oder hockender Stellung, Akkordarbeit sowie Arbeiten mit Belastung der Atemwege durch Staub, reizende Dämpfe oder Gase. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, da der Kläger die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10).

Dieses berufliche Leistungsvermögen des Klägers ergibt sich vor allem aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. F. und des Internisten Dr. E ... Der Senat schließt sich den Aussagen dieser schlüssigen und überzeugenden Gutachten an.

Beim Kläger liegen folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen vor:

- Geringe Spondylarthrose der Halswirbelsäule.

- Initiale Spondylose der Lendenwirbelsäule.

- Minimalarthrose der Hüftgelenke.

- Totalendoprothetischer Ersatz des rechten Kniegelenks, Retropatellararthrose und minimale Gonarthrose links.

- Operativ herbeigeführte Versteifung des linken oberen Sprunggelenks, geringe Sprunggelenksarthrose rechts, Spreizsenk- füße mit Zehendeformierungen.

- Leichtes Impingementsyndrom und Omarthrose beidseits, Schultereckgelenksarthrose links mehr als rechts.

- Leichte Handgelenksarthrose links.

- Übergewichtigkeit; mäßige Varikosis beidseits, geringe Ödeme am rechten Unterschenkel.

- Asthma bronchiale mit Verdacht auf allergische Komponente, derzeit lediglich grenzwertige Funktionsstörungen.

- Arterieller Hypertonus.

- Verdacht auf beginnendes metabolisches Syndrom mit Adipositas Grad I, Hypercholesterinämie und Verdacht auf latenten Diabetes mellitus.

Qualitativ wird das Leistungsvermögen von des Klägers durch Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet durch das Asthma bronchiale, den arteriellen Hypertonus und die Rezidivvarikosis links beeinträchtigt. Aufgrund der erhobenen Befunde besteht der Verdacht, daß es sich bei dem Asthma bronchiale um ein sogenanntes gemischtförmiges Asthma handelt. Neben einer peripheren Obstruktion deutet das Blutbild auf eine aller-gische Komponente hin. Dies sollte im Rahmen der hausärztlichen Behandlung abgeklärt werden; so könnte eine Dispositionsprophylaxe bei bekannten Allergenen erfolgen. Derzeit besteht zumindest keine relevante Einschränkung der Lungenfunktion, so daß der Aussage des behandelnden Arztes Dr. V. vom 25.10.1999 widersprochen werden muß, es liege eine ständige Einschränkung der Lungenfunktion vor. Das Hochdruckleiden wird bisher nicht therapiert. Unter adäquater Therapie sind lediglich schwere körperliche Tätigkeiten auszuschließen. Eine Rezidivvarikosis nach Varizenoperation des linken Beins wurde bisher nicht beschrieben. Die jetzt erhobenen Befunde zeigen eine Rezidivvarikosis mit diskreten Insuffizienzzeichen. Qualitative Leistungseinschränkungen müssen hier auch nach entspechender Therapie berücksichtigt werden. Eine arterielle Verschlusskrankheit von sozialmedizinischer Relevanz findet sich dagegen nicht. Auf orthopädischem Fachgebiet ist eine Leistungseinschränkung vor allem durch Gesundheitsstörungen der unteren Extremitäten bedingt, insbesondere durch den totalendoprothetischen Ersatz des rechten Kniegelenks und des versteiften Sprunggelenks links, sowie die mäßigen Verschleißerscheinungen am rechten Sprunggelenk, so daß gehende und stehende Tätigkeiten stark eingeschränkt sind. Dagegen ergeben sich nur geringe degenerative Veränderungen im Bereich der Schulter und des linken Handgelenks. Die Schultergelenke sind passiv nahezu frei beweglich. Die Beweglichkeit des linken Handgelenks ist bei nur geringen degenerativen Veränderungen etwas eingeschränkt; es sind dadurch nur grobmanuelle Tätigkeiten ausgeschlossen. Der Beschwielungszustand - vor allem der rechten Hand - beweist im übrigen, daß manuelle Tätigkeiten verrichtet werden. Eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt sich im übrigen auch auf orthopädischem Fachgebiet nicht.

Nach dem beruflichen Leistungsvermögen ist weiterer Ausgangspunkt für die Feststellung der Berufsunfähigkeit der Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI Rdnr. 21 ff. mit weiteren Nachweisen). Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend der eines Verkaufsfahrers, wie ihn der Kläger bei der A.-Brauerei ausgeübt hat. Diesem Beruf ist der Kläger ganz offensichtlich nicht mehr gewachsen.

Obwohl der Kläger seinen maßgeblichen Beruf nicht mehr ausüben kann, ist er aber dennoch nicht berufsunfähig. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr.138).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbi1dungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des ange1ernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließ1ich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbi1dung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar des unteren Bereichs (Ausbildungs- oder Anlernzeit von 3 Monaten bis zu einem Jahr, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45), zuzuordnen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Die im TV geregelte Zuordnung der Berufstätigkeit des Klägers als Bestellfahrer zur sehr heterogenen Bewertungsgruppe IV, in die neben vielen un- und angelernten Arbeitern auch Facharbeiter eingereiht werden, kann nur auf dem qualitätsfremden Gesichtspunkt der erhöhten körperlichen Belastung und der nervlichen Belastung durch das Führen eines Lastkraftwagens im Straßenverkehr beruhen, da keine wesentlichen qualitätsbildenden Faktoren erkennbar sind (wie auch bei anderen Tätigkeitsbeispielen der Bewertungsgruppe IV, z. B. bei "einfachen Arbeiten im Lager" oder beim "Fahren eines Gabelstaplers"); letztlich bestand die Tätigkeit des Klägers nur darin, eventuell mit Hilfe eines Stadtplans die Kunden aufzufinden und ihnen die Getränke nach Liste zu übergeben. Damit muß für eine sachgerechte Einreihung der Berufstätigkeit in das Mehrstufenschema des BSG auf die Anlernzeit von etwa zwei Monaten, zu der Erwerb der Fahrerlaubnis hinzukommt (nicht die Ausbildung zum Berufskraftfahrer, die der Kläger nach seinen Angaben nicht zurückgelegt hat), zurückgegriffen werden, was dazu führt, daß der Kläger höchstens als angelernter Arbeiter des unteren Bereichs anzusehen ist.

Als angelerntem Arbeiter des unteren Bereichs ist dem Kläger die Verweisung auf praktisch alle - auch ungelernten - Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen er körperlich, geistig und seelisch gewachsen ist. Letztlich kann dahinstehen, welcher Qualifikationsebene der Kläger zuzuordnen ist. Er ist nämlich jedenfalls auf die Tätigkeiten der Bewertungsgruppe III des TV verweisbar, da diese nur eine Stufe unter der für den Kläger anwendbaren Bewertungsgruppe IV liegt. In Betracht kommen hierbei, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden ist, das "Ausstellen und Prüfen von Lieferscheinen für den Versand", die "Torkontrollen" oder die "Tätigkeiten im Wachdienst"; es kann nach dem beruflichen Leistungsvermögen und dem beruflichen Werdegang des Klägers kein Zweifel bestehen, daß er diesen Berufstätigkeiten körperlich und geistig gewachsen wäre. Einwendungen hat der Kläger auch nicht erhoben. Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, daß nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und daß hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8).

Der Kläger, der keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat, hat erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 SGB VI a.F., weil er die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift nicht erfüllt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F. sind solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie der Kläger - (irgend)eine Berufstätigkeit noch vollschichtig ausüben können; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F. hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn ein Versicherter - wie der Kläger - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen vollschichtig ausüben kann.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 27.6.2000 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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