L 16 RJ 4/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 992/96 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 4/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11.08.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rente aus der deutschen Versicherung des Klägers wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach §§ 43, 44 SGB VI.

Der am 1942 geborene Kläger ist ehemaliger jugoslawischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz im Kosovo. In seiner Heimat hat er zwischen April 1965 und August 1994 insgesamt 19 Jahre und 3 Monate Versicherungszeit zurückgelegt.

In der Bundesrepublik war der Kläger vom 19.06.1970 bis 31.11. 1974 insgesamt 54 Monate versicherungspflichtig beschäftigt. Er war bei der Firma H. Gussprodukte GmbH in der Kernmacherei der Sandgießerei tätig. Über die tarifliche Einstufung konnte der Arbeitgeber zunächst keine Auskunft mehr geben, später wurde mitgeteilt, es habe sich um angelernte Arbeiten gehandelt, für die eine Anlernzeit von vier Wochen erforderlich war und die nach Lohngruppe IV bezahlt wurden.

Am 10.05.1994 hat der Kläger beim jugoslawischen Versicherungsträger Rentenantrag gestellt.

Mit dem Rentenantrag wurde ein Untersuchungsbericht vom 07.06. 1994 übersandt. Nach Auffassung der jugoslawischen Ärzte ist er auf Dauer Invalide im Sinne der I. Kategorie und kann auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch zwei Stunden täglich arbeiten. Festgestellt wurde eine Minderfunktion des Herzens bei Herzmuskelschwäche, ein labiler Bluthochdruck und eine Blut- zuckererkrankung. Nach Auffassung der Ärzte der Beklagten, die neben dem Gutachten auch noch ärztliche Unterlagen aus Jugoslawien über stationäre Behandlungen im Jahre 1993 ausgewertet haben, kann der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig eingesetzt werden.

Mit Bescheid vom 12.12.1994 hat die Beklagte den Rentenantrag abgelehnt mit dem Hinweis auf das vollschichtige Leistungsvermögen.

Dieser Entscheidung widersprach der Kläger und trug vor, sein Gesundheitszustand habe sich sehr verschlechtert, deshalb sei eine weitere Untersuchung erforderlich.

Ohne weitere Untersuchung hat die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10.06.1996 zurückgewiesen erneut mit der Begründung, dass noch vollschichtig leichte Arbeiten verrichtet werden können.

Mit der Klage begehrte der Kläger die Rente aus der deutschen Versicherung mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich sehr verschlimmert, der Grad der Invalidität betrage über 80 v.H. Der gerichtliche Sachverständige Dr.Z. hat nach Untersuchung des Klägers am 30.04.1998 ein Gutachten erstellt und dabei folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert: 1. Wirbelsäulenbeschwerden bei Abnutzungserscheinungen ohne neurologische Ausfallserscheinungen. 2. Bluthochdruck ohne Rückwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. 3. Neigung zu Herzrhythmusstörungen. 4. Blutzuckerkrankheit ohne wesentliche Folgeschäden. Bei fehlender Rückwirkung des Bluthochdrucks auf das Herz-Kreislauf-System könne der Kläger leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne schweres Heben und Tragen, ohne Bücken und nicht in Zwangshaltung noch vollschichtig verrichten. Als Gießereiarbeiter sei der Kläger nicht mehr einsetzbar, aber für alle anderen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der Einschränkungen. Auch die Umstellungsfähigkeit sei gegeben.

Mit Urteil vom 11.08.1998 wies das Sozialgericht die Klage ab mit der Begründung, der Kläger könne nach dem Ergebnis der Begutachtung durch Dr.Z. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Arbeiten verrichten; er sei auf alle angelernten und ungelernten Tätigkeiten verweisbar und erfülle nicht die Voraussetzungen für den Rentenbezug.

Seine Berufung vom 05.10.1998 begründete der Kläger sowohl mit seinem Alter als auch mit der Verschlechterung seines Gesundheitszustands. Er bedürfe ständiger Behandlung und befinde sich im Krankenhaus. Auf Aufforderung legte er Berichte über die stationäre Behandlung 1999 im Krankenhaus Pristina vor. Nach kriegsbedingten Unterbrechungen konnte eine Untersuchung des Klägers durch Dr.E. und Dr.K. am 25.06.2001 erfolgen. Zur Untersuchung hatte der Kläger einen Bericht über die Behandlung vom 12.05.2000 bis 16.06.2000 vorgelegt. Im Gutachten vom 26.06.2001 hat Dr.K. folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Beginnende diabetische Polyneuropathie, derzeit symptomatisch lediglich durch eine Areflexie in den unteren Extremitäten ohne sonstige begleitende Ausfälle. 2. Chronisches Spannungskopfschmerz-Syndrom, zum Teil analgetika-induziert.

Trotz der Gesundheitsstörungen, die seit mehreren Jahren bestehen und nicht gebessert werden können, sei es noch möglich, dass der Kläger körperlich mittelschwere bis leichte Arbeiten acht Stunden verrichte, da keine klinisch relevanten Ausfälle der Polyneuropathie festgestellt werden konnten. Nicht mehr zugemutet werden könnten Akkord- oder Schichtarbeiten. Der Kläger könne somit als Gießereiarbeiter nicht mehr tätig sein, er könne jedoch z.B. als Pförtner, Lagerhelfer oder Kontrolleur arbeiten oder andere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Eine Einschränkung der Umstellungsfähigkeit konnte nicht festgestellt werden.

Dr.E. hat im Gutachten vom 11.07.2001 diagnostiziert: 1. Diabetes mellitus mit derzeit unzureichender Blutzuckereinstellung und folgenden Organkomplikationen: a) Verdacht auf beginnende periphere Polyneuropathie b) Verdacht auf beginnende Nephropathie 2. Arterieller Hypertonus mit beginnender hypertensiver Herzerkrankung

3. Koronare Herzerkrankung mit Zustand nach kleinem posteriorem Infarkt 4. Hyperlipidämie. Die Zuckerkrankheit und das Hochdruckleiden, die seit 1994 bekannt seien, stellten ein deutliches Gefäßrisiko zusammen mit den Fettstoffwechselstörungen dar. Wahrscheinlich habe der Kläger 1999 einen Hinterwandinfarkt erlitten. Trotz der Progression der Gesundheitsstörungen bestünden jedoch zum Untersuchungszeitpunkt keine wesentlichen leistungslimitierenden Funktionseinschränkungen, so dass eine Belastbarkeit für leichte körperliche Tätigkeiten weiterhin gegeben sei. Im Vergleich zum Gutachten von Dr.Z. sei eine gewisse Progredienz eingetreten, da damals weder Veränderungen im EKG noch neurologische Ausfallserscheinungen beschrieben wurden. Nicht mehr zugemutet werden könnten schwere oder mittelschwere Arbeiten, sowie Arbeiten im Akkord und im Schichtdienst. Der Kläger sollte auch nicht dauerhaft im Freien oder auf Leitern und Gerüsten arbeiten. Die Arbeiten sollten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichtet werden, am Besten sei aber eine wechselnde Körperhaltung. Aufgrund der Einschränkungen könne der Kläger nicht mehr als Gießereiarbeiter tätig sein, jedoch sei eine Beschäftigung z.B. als Pförtner, Lagerhelfer oder Verkäufer, wie er sie zuletzt im Kosovo ausgeübt habe, noch möglich. Auch die Wegstrecken seien nicht entscheidend verkürzt.

Das Gutachten wurde am 16.07.2001 dem Klägerbevollmächtigten zur Stellungnahme übersandt. Eine Stellungnahme ist nicht eingegangen. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11.08.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.12.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antrag zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Landshut sowie des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach §§ 43, 44 SGB VI, da nicht nachgewiesen ist, dass er aus medizinischen Gründen nur noch weniger als acht Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeiten verrichten kann.

Nach § 43 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie 1. berufsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Nach § 43 Abs.2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Dabei ist bei vollschichtigem Leistungsvermögen der Arbeitsmarkt nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.2 Satz 4 SGB VI). Nach den Auskünften des Arbeitgebers steht für den Senat fest, dass der Kläger in der Bundesrepublik als Gießereiarbeiter angelernte Tätigkeiten verrichtet hat und auch nicht wie ein Facharbeiter bezahlt wurde. Bei der Untersuchung durch Dr.K. hat der Kläger berichtet, keinen Beruf erlernt zu haben und in seiner Heimat zunächst in der Landwirtschaft und nach seiner Rückkehr aus Deutschland als Verkäufer gearbeitet zu haben. Er hat somit weder den Beruf eines Facharbeiters erlernt noch tatsächlich ausgeübt. Die Tätigkeit eines Gießereiarbeiters kann er allerdings nicht mehr ausüben.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend sind diese Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200, § 1246 RVO Nr.138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200, § 1246 RVO Nr.143 mwN - SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.5 -). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Kläger der Gruppe mit dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen, da er keine Ausbildung durchlaufen hat und nur eine vierwöchige Anlernzeit erforderlich war. Er ist somit praktisch auf alle Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, und der Benennung eines konkreten Verweisungsberufes bedarf es daher grundsätzlich nicht (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.50; vgl. auch Niesel KassKomm § 43 SGB VI Anm.122 f).

Solche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes kann der Kläger nach den ärztlichen Unterlagen und den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr.E. und Dr.K. sowie im sozialgerichtlichen Verfahren von Dr.Z. auch noch verrichten. Alle Gutachter, erfahrene Sachverständige, die besonders mit den sozialmedizinischen Fragen vertraut sind, haben gut nachvollziehbar dargestellt, dass sich aus den erhobenen Befunden zwar Leistungseinschränkungen ergeben, dass diese aber nicht so gravierend sind, dass nicht noch leichte Arbeiten unter Beachtung der Einschränkungen vollschichtig möglich sind. Auch wenn sich die Gesundheitsstörungen seit der Begutachtung durch Dr.Z. verschlechtert haben, da 1999 ein leichter Hinterwandinfarkt aufgetreten ist, sind letztlich die Gesundheitsstörungen doch nicht so gravierend, dass ein Leistungsvermögen von weniger als acht Stunden dadurch bedingt ist. Die bestehenden Gesundheitsstörungen haben bisher noch zu keinen so schwerwiegenden Folgeerkrankungen geführt, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, leichte Arbeiten zu verrichten. Aufgrund der Blutzuckerlage ist zwar eine ständige und wirksamere Behandlung erforderlich, die bisherigen Folgeerkrankungen sind aber noch nicht so schwerwiegend, dass wesentliche leistungslimitierende Funktionseinschränkungen vorhanden sind. Bezüglich des Herzinfarkts ist zu sagen ,dass die kardiologischen Diagnosen, die aus dem Klinikzentrum Pristina mitgeteilt wurden, nicht ausreichen, um etwas über den Zeitpunkt oder die Schwere des Infarktes auszusagen. Der Echokardiographiebefund wurde als unauffällig beschrieben und bei der jetzigen Untersuchung ergab sich im Ruhe-EKG eine kleine Hinterwandinfarktnarbe. Allerdings war eine Belastung bis 75 Watt möglich, so dass leichte Arbeiten zumutbar sind. Auch die neurologischen Ausfallerscheinungen sind nicht sehr schwerwiegend. Sofern die Leistungseinschränkungen, wie Vermeidung von Akkord, Nacht- oder Schichtdienst beachtet werden sowie Arbeiten mit dauerhaften Aufenthalt im Freien und auf Leitern und Gerüsten vermieden werden, besteht noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Somit konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger nur mehr weniger als acht Stunden arbeiten kann, so dass er weder die bis 31.12.2000 geltenden Voraussetzungen zur Rentengewährung in der deutschen Versicherung erfüllt, noch die ab 01.01.2001 geltenden Voraussetzungen des § 43 SGB VI bei ihm vorliegen.

Damit erfüllt der Kläger auch nicht die strengeren Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeitsrente nach § 44 a.F. SGB VI, denn er kann noch mehr als nur geringfügige Einkünfte durch die zumutbaren Tätigkeiten erzielen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 Ziffern 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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