Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 101 AS 1725/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 1029/11 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. April 2011 aufgehoben. Dem Kläger wird für die Zeit ab dem 01. November 2010 Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung von Rechtsanwalt S H bewilligt. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers gegen den den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist zulässig und begründet. Er hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Das Sozialgericht hat im angefochtenen Beschluss zu Unrecht eine hinreichende Erfolgsaussicht verneint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten ist auf den für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag zu beziehen. Hieran anknüpfend ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Kläger aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, § 73 a RdNr. 7a). Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der hinreichenden Erfolgsaussicht ist unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu beachten, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung nicht dazu führen darf, die Klärung der Tatsachen und Rechtsfragen selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, weil Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet, auch wenn der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden braucht, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfG, 1. Senat, 2. Kammer, Beschluss vom 28. November 2007 – 1 BvR 68/07, 1BvR 70/07, 1 BvR 71/07 -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – L 25 AS 435/08 AS PKH -; jeweils zitiert nach juris). Dementsprechend dürfen schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG a. a. O.).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die hinreichende Erfolgsaussicht hier zu bejahen. Der Kläger ficht in der Sache den Bescheid vom 10. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2009 an, mit dem der Beklagte ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 18. August 2009, dem Zeitpunkt der Antragstellung bei dem Beklagten selbst, bis zum 28. Februar 2010 bewilligte. Der Kläger wendet sich ausschließlich gegen den Leistungsbeginn, die Leistungsgewährung habe bereits zum 16. Juli 2009 zu erfolgen. An diesem Tag wurde dem Kläger vom Bezirksamt P von B - Sozialamt -, Fachbereich Materielle Leistungen, eine Mittellosigkeitsbescheinigung ausgehändigt, da seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach den dortigen Feststellungen so ungünstig seien, dass ohne Beeinträchtigung des Lebensunterhalts die Finanzierung eines neuen Personalausweises nicht möglich sei. Die Bescheinigung enthält weiter den Zusatz: "ALG II beantragt – derzeit ohne".
Die auf einen früheren Leistungsbeginn gerichtete Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen, die die Bewilligung der Leistungsgewährung zu einem früheren Zeitpunkt rechtfertigen, hinreichend wahrscheinlich.
Der Kläger, dem vom Sozialamt am 16. Juli 2009 Mittellosigkeit bescheinigt wurde, hat - jedenfalls am 18. August 2009 - gemäß § 37 Abs. 1 SGB II einen wirksamen Antrag gestellt. Danach werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf Antrag erbracht, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II aber nicht für Zeiten vor Antragstellung. Nach § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so gilt dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist.
Es spricht allerdings einiges dafür, dass der Kläger bereits zuvor am 16. Juli 2009 einen früher wirksamen Antrag bei dem Sozialamt als unzuständigen Leistungsträger gestellt hat. Die Auslegung eines Antrags auf Gewährung von Sozialleistungen folgt dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R - in SozR 4 – 4200 § 7 Nr. 13). Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Sozialleistung begehrt, die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 16/09 R - in SozR 4 - 4200 § 37 Nr. 3 m. w. N.). Der für Sozialhilfe zuständige Senat des BSG hat bereits entschieden (Urteil vom 26. August 2008 - B 8/9b SO 18/07 R - in SozR 4 - 3500 § 18 Nr. 1), dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass ein Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch wegen der gleichen Ausgangslage (Bedürftigkeit und Bedarf) auch als Antrag nach dem SGB II zu werten ist. Der 14. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2010, a. a. O., ausgeführt, in einem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch könne auch zugleich ein Antrag auf Gewährung von ALG II liegen. Ob und gegebenenfalls welchen Antrag der Kläger bei seiner Vorsprache beim Sozialamt des Bezirksamts Pankow von Berlin am 16. Juli 2009 tatsächlich gestellt hat, ist bisher nicht festgestellt. Es ist weder geklärt, ob sich sein Anliegen ausdrücklich (nur) auf die Erteilung einer Mittellosigkeitsbescheinigung zur Finanzierung eines Personalausweises beschränkte, noch wie die Notiz der Sachbearbeiterin, ALG II sei (bereits) beantragt, zustande gekommen ist. Dies ist schon deshalb zu hinterfragen, weil zum 16. Juli 2009 eben kein Formvordruck für ALG II - Leistungen festzustellen ist. Diese von Amts wegen nach § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durchzuführende Ermittlung kann durch die Befragung des Klägers, die Beiziehung des Vorgangs beim Sozialamt (GZ: Soz E 5425) und/oder die Befragung des zuständigen Sachbearbeiters beim Sozialamt als Zeuge erfolgen. Ließe sich danach eine – mündliche – Antragstellung nicht feststellen, so wäre zu prüfen, ob sich ein Einstehenmüssen des Beklagten nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergibt. Möglicherweise hätte sich insbesondere dem Mitarbeiter des Sozialamts aufdrängen müssen, dass bei bescheinigter Mittellosigkeit eine formelle Antragstellung auf Leistungen der Grundsicherung bzw. der Sozialhilfe anzuraten ist. Ein etwaiges Unterlassen des Sozialamts dürfte dem Beklagten auch zurechenbar sein. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch grundsätzlich auch aus dem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden ergeben. Einer anderen Behörde als der für die Entscheidung über die begehrte Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht, deren Verletzung zu einem sozialrechtlichen Herstallungsanspruch gegen die zuständige Behörde führt, dann obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (so BSG in SozR 3 – 1200 § 14 Nr. 22 m. w. N.). Dass das Sozialamt arbeitsteilig in das Verfahren beim Beklagten eingeschaltet war, dürfte hier zwar nicht zu bejahen sein. Allerdings hat das BSG einen Herstellungsanspruch aber auch bei Bestehen eines Konkurrenzverhältnisses zwischen zwei Leistungen angenommen (vgl. BSG in SozR 1200 § 14 Nr. 19). Danach ist eine dem zuständigen Leistungsträger zurechenbare Beratungspflicht einer anderen Behörde zumindest dann anzunehmen, wenn die Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiell-rechtlich eng miteinander verknüpft sind, die andere Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund eines bestehenden Kontaktes der aktuelle "Ansprechpartner" ist und die Behörde aufgrund der ihr bekannten Umstände erkennen kann, dass bei dem Antragsteller im Hinblick auf das andere sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf besteht (vgl. BSG in SozR 3-1200 § 14 Nr. 22). Eine derartige Fallkonstellation kommt hier in Betracht, denn das Sozialamt wird ebenso wie der Beklagte wegen Bedürftigkeit und Bedarf des Hilfesuchenden in Anspruch genommen (s. o.), die sachliche Zuständigkeit des einzelnen Leistungsträgers hängt im Wesentlichen von der Erwerbsfähigkeit der Hilfebedürftigen ab. Dies rechtfertigt es, grundsätzlich einen Beratungsfehler des Sozialamts dem Beklagten zuzurechnen. Ob ein solcher Beratungsfehler und die weiteren Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hier vorliegen, ist noch zu ermitteln. Erst wenn das Gericht alle Ermittlungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung aller speziellen Umstände des Einzelfalls ausgeschöpft hat, stellt sich die Frage nach der objektiven Beweislast (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, §103 RdNr. 19a m. w. N.).
Der Senat hält es für hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger in der Zeit vom 16. Juli 2009 bis zum 17. August 2009 auch die übrigen Voraussetzungen einer Leistungsgewährung nach § 7 Abs. 1 SGB II erfüllt. Er war in diesem Zeitraum 45 Jahre alt, dürfte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt haben und erwerbsfähig gewesen sein. Für seine Hilfebedürftigkeit auch in diesem Zeitraum spricht die Mittellosigkeitsbescheinigung des Sozialamts. Ob die Hilfebedürftigkeit des Klägers durch ein Überbrückungsgeld nach § 51 Strafvollzugsgesetz aus seiner Zeit der Haft vom 13. Mai 2009 bis zum 30. Juni 2009 oder aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, ist noch festzustellen.
Da die Prozesskostenhilfebedürftigkeit des Klägers mit der am 01. November 2010 zu den Gerichtsakten gelangten Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht worden und mithin ab diesem Zeitpunkt Bewilligungsreife gegeben gewesen ist, war Prozesskostenhilfe ab diesem Zeitpunkt zu bewilligen. Der Senat hat keine Zweifel, dass er auch weiterhin nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur in Raten aufzubringen (§ 114 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO, § 177 SGG.
Gründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers gegen den den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist zulässig und begründet. Er hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Das Sozialgericht hat im angefochtenen Beschluss zu Unrecht eine hinreichende Erfolgsaussicht verneint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten ist auf den für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag zu beziehen. Hieran anknüpfend ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Kläger aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, § 73 a RdNr. 7a). Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der hinreichenden Erfolgsaussicht ist unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu beachten, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung nicht dazu führen darf, die Klärung der Tatsachen und Rechtsfragen selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, weil Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet, auch wenn der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden braucht, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfG, 1. Senat, 2. Kammer, Beschluss vom 28. November 2007 – 1 BvR 68/07, 1BvR 70/07, 1 BvR 71/07 -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – L 25 AS 435/08 AS PKH -; jeweils zitiert nach juris). Dementsprechend dürfen schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG a. a. O.).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die hinreichende Erfolgsaussicht hier zu bejahen. Der Kläger ficht in der Sache den Bescheid vom 10. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2009 an, mit dem der Beklagte ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 18. August 2009, dem Zeitpunkt der Antragstellung bei dem Beklagten selbst, bis zum 28. Februar 2010 bewilligte. Der Kläger wendet sich ausschließlich gegen den Leistungsbeginn, die Leistungsgewährung habe bereits zum 16. Juli 2009 zu erfolgen. An diesem Tag wurde dem Kläger vom Bezirksamt P von B - Sozialamt -, Fachbereich Materielle Leistungen, eine Mittellosigkeitsbescheinigung ausgehändigt, da seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach den dortigen Feststellungen so ungünstig seien, dass ohne Beeinträchtigung des Lebensunterhalts die Finanzierung eines neuen Personalausweises nicht möglich sei. Die Bescheinigung enthält weiter den Zusatz: "ALG II beantragt – derzeit ohne".
Die auf einen früheren Leistungsbeginn gerichtete Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen, die die Bewilligung der Leistungsgewährung zu einem früheren Zeitpunkt rechtfertigen, hinreichend wahrscheinlich.
Der Kläger, dem vom Sozialamt am 16. Juli 2009 Mittellosigkeit bescheinigt wurde, hat - jedenfalls am 18. August 2009 - gemäß § 37 Abs. 1 SGB II einen wirksamen Antrag gestellt. Danach werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf Antrag erbracht, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II aber nicht für Zeiten vor Antragstellung. Nach § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so gilt dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist.
Es spricht allerdings einiges dafür, dass der Kläger bereits zuvor am 16. Juli 2009 einen früher wirksamen Antrag bei dem Sozialamt als unzuständigen Leistungsträger gestellt hat. Die Auslegung eines Antrags auf Gewährung von Sozialleistungen folgt dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R - in SozR 4 – 4200 § 7 Nr. 13). Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Sozialleistung begehrt, die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 16/09 R - in SozR 4 - 4200 § 37 Nr. 3 m. w. N.). Der für Sozialhilfe zuständige Senat des BSG hat bereits entschieden (Urteil vom 26. August 2008 - B 8/9b SO 18/07 R - in SozR 4 - 3500 § 18 Nr. 1), dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass ein Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch wegen der gleichen Ausgangslage (Bedürftigkeit und Bedarf) auch als Antrag nach dem SGB II zu werten ist. Der 14. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2010, a. a. O., ausgeführt, in einem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch könne auch zugleich ein Antrag auf Gewährung von ALG II liegen. Ob und gegebenenfalls welchen Antrag der Kläger bei seiner Vorsprache beim Sozialamt des Bezirksamts Pankow von Berlin am 16. Juli 2009 tatsächlich gestellt hat, ist bisher nicht festgestellt. Es ist weder geklärt, ob sich sein Anliegen ausdrücklich (nur) auf die Erteilung einer Mittellosigkeitsbescheinigung zur Finanzierung eines Personalausweises beschränkte, noch wie die Notiz der Sachbearbeiterin, ALG II sei (bereits) beantragt, zustande gekommen ist. Dies ist schon deshalb zu hinterfragen, weil zum 16. Juli 2009 eben kein Formvordruck für ALG II - Leistungen festzustellen ist. Diese von Amts wegen nach § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durchzuführende Ermittlung kann durch die Befragung des Klägers, die Beiziehung des Vorgangs beim Sozialamt (GZ: Soz E 5425) und/oder die Befragung des zuständigen Sachbearbeiters beim Sozialamt als Zeuge erfolgen. Ließe sich danach eine – mündliche – Antragstellung nicht feststellen, so wäre zu prüfen, ob sich ein Einstehenmüssen des Beklagten nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergibt. Möglicherweise hätte sich insbesondere dem Mitarbeiter des Sozialamts aufdrängen müssen, dass bei bescheinigter Mittellosigkeit eine formelle Antragstellung auf Leistungen der Grundsicherung bzw. der Sozialhilfe anzuraten ist. Ein etwaiges Unterlassen des Sozialamts dürfte dem Beklagten auch zurechenbar sein. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch grundsätzlich auch aus dem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden ergeben. Einer anderen Behörde als der für die Entscheidung über die begehrte Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht, deren Verletzung zu einem sozialrechtlichen Herstallungsanspruch gegen die zuständige Behörde führt, dann obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (so BSG in SozR 3 – 1200 § 14 Nr. 22 m. w. N.). Dass das Sozialamt arbeitsteilig in das Verfahren beim Beklagten eingeschaltet war, dürfte hier zwar nicht zu bejahen sein. Allerdings hat das BSG einen Herstellungsanspruch aber auch bei Bestehen eines Konkurrenzverhältnisses zwischen zwei Leistungen angenommen (vgl. BSG in SozR 1200 § 14 Nr. 19). Danach ist eine dem zuständigen Leistungsträger zurechenbare Beratungspflicht einer anderen Behörde zumindest dann anzunehmen, wenn die Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiell-rechtlich eng miteinander verknüpft sind, die andere Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund eines bestehenden Kontaktes der aktuelle "Ansprechpartner" ist und die Behörde aufgrund der ihr bekannten Umstände erkennen kann, dass bei dem Antragsteller im Hinblick auf das andere sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf besteht (vgl. BSG in SozR 3-1200 § 14 Nr. 22). Eine derartige Fallkonstellation kommt hier in Betracht, denn das Sozialamt wird ebenso wie der Beklagte wegen Bedürftigkeit und Bedarf des Hilfesuchenden in Anspruch genommen (s. o.), die sachliche Zuständigkeit des einzelnen Leistungsträgers hängt im Wesentlichen von der Erwerbsfähigkeit der Hilfebedürftigen ab. Dies rechtfertigt es, grundsätzlich einen Beratungsfehler des Sozialamts dem Beklagten zuzurechnen. Ob ein solcher Beratungsfehler und die weiteren Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hier vorliegen, ist noch zu ermitteln. Erst wenn das Gericht alle Ermittlungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung aller speziellen Umstände des Einzelfalls ausgeschöpft hat, stellt sich die Frage nach der objektiven Beweislast (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, §103 RdNr. 19a m. w. N.).
Der Senat hält es für hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger in der Zeit vom 16. Juli 2009 bis zum 17. August 2009 auch die übrigen Voraussetzungen einer Leistungsgewährung nach § 7 Abs. 1 SGB II erfüllt. Er war in diesem Zeitraum 45 Jahre alt, dürfte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt haben und erwerbsfähig gewesen sein. Für seine Hilfebedürftigkeit auch in diesem Zeitraum spricht die Mittellosigkeitsbescheinigung des Sozialamts. Ob die Hilfebedürftigkeit des Klägers durch ein Überbrückungsgeld nach § 51 Strafvollzugsgesetz aus seiner Zeit der Haft vom 13. Mai 2009 bis zum 30. Juni 2009 oder aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, ist noch festzustellen.
Da die Prozesskostenhilfebedürftigkeit des Klägers mit der am 01. November 2010 zu den Gerichtsakten gelangten Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht worden und mithin ab diesem Zeitpunkt Bewilligungsreife gegeben gewesen ist, war Prozesskostenhilfe ab diesem Zeitpunkt zu bewilligen. Der Senat hat keine Zweifel, dass er auch weiterhin nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur in Raten aufzubringen (§ 114 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO, § 177 SGG.
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