Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 376/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 534/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.06.1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ...1955 geborene Kläger hat von 1971 bis 1973 eine Ausbildung zum Sozialversicherungsangestellten absolviert und in diesem Beruf bis 1981 gearbeitet. Anschließend war er bis 1986 als selbstständiger Handelsvertreter tätig, von 1986 bis Ende 1993 arbeitete er versicherungspflichtig mit Unterbrechungen ua als Bauhelfer. Nach mehreren stationären Entziehungsbehandlungen (wegen Alkoholkrankheit) und Rehabilitationsverfahren wird der Kläger seit 1994 im Haus H ... in P ... betreut. Seit 15.06.1999 befindet er sich in einem Wohnheim (mit betreutem Wohnen), das vom Personal des Hauses H ... (sozialtherapeutische Einrichtung für chronisch Abhängige) geführt wird.
Den Rentenantrag des Klägers vom 06.06.1994 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.08.1994 ab nach Auswertung des Entlassungsberichts der Fachklinik W ... (stationärer Aufenthalt des Klägers vom 18.01. bis 16.06.1994). Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei zwar beeinträchtigt durch "chronischen Alkoholismus, Leberparenchymschädigung, Diabetes mellitus"; er könne aber noch leichte Arbeiten im Wechselrhythmus vollschichtig verrichten. Im Widerspruchsverfahren gelangten sowohl der Neurologe und Psychiater Prof. Dr.Dr.N ... wie auch der Internist Dr.H ... zu dem Ergebnis, dem Kläger seien noch leichte Tätigkeiten in Vollschicht zumutbar (Gutachten vom 24.03.1999). Die Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 15.05.1995 hat der Kläger am 13.06.1995 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Nach Beinahme von Befundberichten des Allgemeinarztes Dr.Nä ... und des Orthopäden Dr.B ... hat das SG den Psychotherapeuten Dr.H ... zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Im Gutachten vom 21.01.1998 vertrat dieser die Auffassung, dem Kläger könne eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr abverlangt werden. Beim Kläger handele es sich um eine Alkoholkrankheit, chronische Pankreatitis, Diabetes mellitus, kortikale Hirnsubstanzminderung und eine leichte alkoholbedingte Polyneuropathie. Es sei davon auszugehen, dass bereits 1987 eine Hirnsubstanzminderung mit hirnorganischem Psychosyndrom vorgelegen habe. Die Symptomatik habe sich durch den Fortgang der Alkoholkrankheit verstärkt, sodass nach der Heilbehandlung in W ... (Juni 1994) eine Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nicht mehr möglich gewesen sei.
Dieser Leistungsbeurteilung hat sich das SG angeschlossen und die Beklagte mit Urteil vom 24.06.1998 verpflichtet, den Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Dauer ab dem 06.06.1994 anzuerkennen und ab dem 01.07.1994 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Den Ausführungen der Klinik W ... sei zu entnehmen, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht einsatzfähig sei, sondern für die Ausübung von Beschäftigungen des festen Rahmens einer beschützenden Einrichtung bedürfe, weil ihm krankheitsbedingt die entsprechenden Grundfähigkeiten zur Alltagsbewältigung abhanden gekommen seien. Dies decke sich mit den Feststellungen des Sachverständigen Dr.H ... Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei seit der Reha-Maßnahme in W ... als aufgehoben anzusehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie ist der Auffassung, beim Kläger bestehe weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten (Stellungnahme von Dr.Fr ... vom 24.09.1998). Nach Aktenlage sei von einem gleichbleibenden Befund seit der Entlassung aus der Fachklinik W ... und der Begutachtung durch Prof.Dr.N ... im März 1995 mit dem genannten Leistungsvermögen auszugehen.
Der Senat hat die Unterlagen der Sozialverwaltung des Bezirks Oberfranken sowie den Arztbrief des Diabeteszentrum M ... (Aufenthalt vom 14.08. bis 02.09.1998) zum Verfahren beigezogen. Das Haus H ... (DO Suchthilfe) hat mitgeteilt, der Kläger habe in der Vergangenheit nur eine längerfristige Arbeitstrainigsmaßnahme im Bezirkskrankenhaus L ... absolvieren können, bei der er kein Einkommen erzielt habe. Vom 07.01.1998 bis 29.02.2000 habe der Kläger als Hospitant bei der SECA (Selbsthilfeeinrichtung für chronisch abhängig Erkrankte) in P ... Buchbindearbeiten verrichtet; eine Entlohnung sei nicht erfolgt. Beweis erhoben hat der Senat durch die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens. Der ärztliche Sachverständige Dr.M ... gelangte im Gutachten vom 28.10.2000 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, die durch den Alkoholabusus hervorgerufenen körperlichen Schäden hätten seit der Begutachtung durch Dr.H ... eher zugenommen. Der Kläger sei wegen seiner schweren Krankheitserscheinungen weiterhin nicht in der Lage, sich außerhalb des Wohnheimes zu beschäftigen, da er der ständigen Betreuung und Begleitung durch geeignetes Betreuungspersonal, insbesondere auch seinen Ergotherapeuten bedürfe. Er könne allenfalls stundenweise an leichten Tätigkeiten mit zahlreichen Unterbrechungen unter Anleitung und Unterstützung seines Therapeuten teilnehmen. Wesentliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihm zur Zeit nicht möglich.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 24.06.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die bereits genannten Unterlagen, die Streitakten erster und zweiter Instanz sowie die Unterlagen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel der Beklagten ist aber nicht begründet. Das SG hat im Urteil vom 24.06.1998 zutreffend entschieden, dass beim Kläger der Leistungsfall der EU im Juni 1994 eingetreten ist und ihm demgemäß Leistungen wegen EU ab 01.07.1994 zustehen.
Der Senat stimmt mit den Ausführungen und der Leistungsbeurteilung des ärztlichen Sachverständigen Dr.H ... im Gutachten vom 21.01.1998 überein. Der Kläger ist danach seit Juni 1994 (Beendigung der Reha-Maßnahme in der Klinik W ...) als erwerbsunfähig iS des § 44 Abs 2 SGB VI (in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung) anzusehen. Dr.M ... hat in seinem Gutachten vom 28.10.2000 dieser Beurteilung ausdrücklich zugestimmt.
Der Kläger leidet an erheblichen psychischen, zerebralen und körperlichen Folgen seines langjährigen massiven Alkoholabusus. Diese zeigen sich als hirnorganisches Psychosyndrom, hirnorganische Wesensänderung mit pathologischer Affektlabilität, Neigung zu erheblichen, reizbar-mürrischen, dysphorischen, depressiven Verstimmungen, schwer einzudämmende Erregungen, Gespannheit, ängstlich-misstrauische Abwehr und Beeinträchtigung der hirnorganischen Leistungsfähigkeit. Letztere wird insbesondere deutlich an einer Minderung differenzierter intellektueller kognitiver Fähigkeiten, Funktionen und Gedächtnis-Merkfähigkeits-Erinnerungsstörungen. Daneben bestehen als körperliche Folgen des chronischen Alkoholismus eine chronische Bauchspeicheldrüsen- entzündung mit Verdauungsstörungen, starkem Meteorismus sowie ein schwerer insulinpflichtiger und schwierig einzustellender Diabetes mellitus.
Mit diesen Gesundheitsstörungen ist der Kläger bereits seit 1994 nicht mehr für erwerbsbringende Tätigkeiten einsetzbar, wie die ärztlichen Sachverständigen Dr.H ... und Dr.M ... begründet dargelegt haben.
Zur Überzeugung des Senats folgt dies aber auch aus den zum Berufungsverfahren beigezogenen Unterlagen der Sozialverwaltung des Bezirks Oberfranken. Aus den Berichten der sozialtherapeutischen Einrichtung für chronisch Abhängige Haus H ... der Jahre 1994 bis ins Jahr 2000 wird deutlich, dass der Kläger immer nur einsetzbar war für Tätigkeiten, bei denen er unter Betreuung stand. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich auch aus dem Entlassungsbericht der Fachklinik W ... vom 20.07.1994 ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers nicht entnehmen, da dieser wegen weiter notwendiger psychischer Unterstützung in die Seca-Nachsorgeeinrichtung verlegt wurde. Dort sollte ihm die Möglichkeit geboten werden, verschiedene berufliche Tätigkeiten "abzuwägen". Das Haus H ... hat am 20.09.1994 der Sozialhilfeverwaltung des Bezirks Oberfranken mitgeteilt, dass "der Kläger nicht in der Lage ist, außerhalb eines geschützten therapeutischen Rahmens eigenständig und trocken zu leben". Aus den weiteren Berichten des Hauses H ... an den Bezirk Oberfranken ergibt sich zudem, dass der Kläger seit damals und in der folgenden Zeit aus psycho-sozialer Sicht nicht in der Lage war, durch eigene Arbeit seine materielle Außenwelt selbstständig zu gestalten und somit seinen Lebensunterhalt zu sichern (so im Schreiben des Hauses H ... vom 20.12.1994). In der Folgezeit, auch das geht aus den Unterlagen des Bezirks Oberfranken hervor, war der Kläger nicht stabil genug, um "auf dem freien Arbeitsmarkt bestehen zu können". Im Bericht über die ambulante Untersuchung des Klägers im Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie L ... vom 19.09.1995 wird erwähnt, dass zu dieser Zeit eine Leistung, wie sie im alltäglichen Berufsleben gefordert wird, nur sehr schwer vorstellbar sei; eine Resozialisierung in das normale Arbeitsleben sei nur stufenförmig zu empfehlen. In der Folgezeit konnte der Kläger immer nur Tätigkeiten im Rahmen einer Betreuung ausüben und war auch auf ein "betreutes Wohnen" angewiesen. Er kann auch weiterhin nur in regelmäßige therapeutisch ausgerichtete Beschäftigungsangebote eingebunden werden. Seit 1994 war er bereits nicht mehr in der Lage, zu betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Nach den Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr.H ... und Dr.M ... besteht auch keine begründete Aussicht, dass beim Kläger die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit, dh in einem Zeitraum von drei Jahren behoben sein kann. Der Senat hat daher die Verurteilung nur zu einer befristeten Rente (vgl § 102 Abs 2 SGB VI) nicht für angemessen gehalten.
Die Wartezeit für die Gewährung von Leistungen wegen EU ist nach dem aktenkundigen Versicherungsverlauf vom 08.03.1999 erfüllt (§ 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI). Nach den Feststellungen der Beklagten sind auch die weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung gegeben. Dem Kläger stehen somit die gesetzlichen Rentenleistungen wegen EU ab 01.07.1994 zu (§ 99 Abs 1 SGB VI). Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ...1955 geborene Kläger hat von 1971 bis 1973 eine Ausbildung zum Sozialversicherungsangestellten absolviert und in diesem Beruf bis 1981 gearbeitet. Anschließend war er bis 1986 als selbstständiger Handelsvertreter tätig, von 1986 bis Ende 1993 arbeitete er versicherungspflichtig mit Unterbrechungen ua als Bauhelfer. Nach mehreren stationären Entziehungsbehandlungen (wegen Alkoholkrankheit) und Rehabilitationsverfahren wird der Kläger seit 1994 im Haus H ... in P ... betreut. Seit 15.06.1999 befindet er sich in einem Wohnheim (mit betreutem Wohnen), das vom Personal des Hauses H ... (sozialtherapeutische Einrichtung für chronisch Abhängige) geführt wird.
Den Rentenantrag des Klägers vom 06.06.1994 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.08.1994 ab nach Auswertung des Entlassungsberichts der Fachklinik W ... (stationärer Aufenthalt des Klägers vom 18.01. bis 16.06.1994). Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei zwar beeinträchtigt durch "chronischen Alkoholismus, Leberparenchymschädigung, Diabetes mellitus"; er könne aber noch leichte Arbeiten im Wechselrhythmus vollschichtig verrichten. Im Widerspruchsverfahren gelangten sowohl der Neurologe und Psychiater Prof. Dr.Dr.N ... wie auch der Internist Dr.H ... zu dem Ergebnis, dem Kläger seien noch leichte Tätigkeiten in Vollschicht zumutbar (Gutachten vom 24.03.1999). Die Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 15.05.1995 hat der Kläger am 13.06.1995 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Nach Beinahme von Befundberichten des Allgemeinarztes Dr.Nä ... und des Orthopäden Dr.B ... hat das SG den Psychotherapeuten Dr.H ... zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Im Gutachten vom 21.01.1998 vertrat dieser die Auffassung, dem Kläger könne eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr abverlangt werden. Beim Kläger handele es sich um eine Alkoholkrankheit, chronische Pankreatitis, Diabetes mellitus, kortikale Hirnsubstanzminderung und eine leichte alkoholbedingte Polyneuropathie. Es sei davon auszugehen, dass bereits 1987 eine Hirnsubstanzminderung mit hirnorganischem Psychosyndrom vorgelegen habe. Die Symptomatik habe sich durch den Fortgang der Alkoholkrankheit verstärkt, sodass nach der Heilbehandlung in W ... (Juni 1994) eine Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nicht mehr möglich gewesen sei.
Dieser Leistungsbeurteilung hat sich das SG angeschlossen und die Beklagte mit Urteil vom 24.06.1998 verpflichtet, den Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Dauer ab dem 06.06.1994 anzuerkennen und ab dem 01.07.1994 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Den Ausführungen der Klinik W ... sei zu entnehmen, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht einsatzfähig sei, sondern für die Ausübung von Beschäftigungen des festen Rahmens einer beschützenden Einrichtung bedürfe, weil ihm krankheitsbedingt die entsprechenden Grundfähigkeiten zur Alltagsbewältigung abhanden gekommen seien. Dies decke sich mit den Feststellungen des Sachverständigen Dr.H ... Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei seit der Reha-Maßnahme in W ... als aufgehoben anzusehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie ist der Auffassung, beim Kläger bestehe weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten (Stellungnahme von Dr.Fr ... vom 24.09.1998). Nach Aktenlage sei von einem gleichbleibenden Befund seit der Entlassung aus der Fachklinik W ... und der Begutachtung durch Prof.Dr.N ... im März 1995 mit dem genannten Leistungsvermögen auszugehen.
Der Senat hat die Unterlagen der Sozialverwaltung des Bezirks Oberfranken sowie den Arztbrief des Diabeteszentrum M ... (Aufenthalt vom 14.08. bis 02.09.1998) zum Verfahren beigezogen. Das Haus H ... (DO Suchthilfe) hat mitgeteilt, der Kläger habe in der Vergangenheit nur eine längerfristige Arbeitstrainigsmaßnahme im Bezirkskrankenhaus L ... absolvieren können, bei der er kein Einkommen erzielt habe. Vom 07.01.1998 bis 29.02.2000 habe der Kläger als Hospitant bei der SECA (Selbsthilfeeinrichtung für chronisch abhängig Erkrankte) in P ... Buchbindearbeiten verrichtet; eine Entlohnung sei nicht erfolgt. Beweis erhoben hat der Senat durch die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens. Der ärztliche Sachverständige Dr.M ... gelangte im Gutachten vom 28.10.2000 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, die durch den Alkoholabusus hervorgerufenen körperlichen Schäden hätten seit der Begutachtung durch Dr.H ... eher zugenommen. Der Kläger sei wegen seiner schweren Krankheitserscheinungen weiterhin nicht in der Lage, sich außerhalb des Wohnheimes zu beschäftigen, da er der ständigen Betreuung und Begleitung durch geeignetes Betreuungspersonal, insbesondere auch seinen Ergotherapeuten bedürfe. Er könne allenfalls stundenweise an leichten Tätigkeiten mit zahlreichen Unterbrechungen unter Anleitung und Unterstützung seines Therapeuten teilnehmen. Wesentliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihm zur Zeit nicht möglich.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 24.06.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die bereits genannten Unterlagen, die Streitakten erster und zweiter Instanz sowie die Unterlagen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel der Beklagten ist aber nicht begründet. Das SG hat im Urteil vom 24.06.1998 zutreffend entschieden, dass beim Kläger der Leistungsfall der EU im Juni 1994 eingetreten ist und ihm demgemäß Leistungen wegen EU ab 01.07.1994 zustehen.
Der Senat stimmt mit den Ausführungen und der Leistungsbeurteilung des ärztlichen Sachverständigen Dr.H ... im Gutachten vom 21.01.1998 überein. Der Kläger ist danach seit Juni 1994 (Beendigung der Reha-Maßnahme in der Klinik W ...) als erwerbsunfähig iS des § 44 Abs 2 SGB VI (in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung) anzusehen. Dr.M ... hat in seinem Gutachten vom 28.10.2000 dieser Beurteilung ausdrücklich zugestimmt.
Der Kläger leidet an erheblichen psychischen, zerebralen und körperlichen Folgen seines langjährigen massiven Alkoholabusus. Diese zeigen sich als hirnorganisches Psychosyndrom, hirnorganische Wesensänderung mit pathologischer Affektlabilität, Neigung zu erheblichen, reizbar-mürrischen, dysphorischen, depressiven Verstimmungen, schwer einzudämmende Erregungen, Gespannheit, ängstlich-misstrauische Abwehr und Beeinträchtigung der hirnorganischen Leistungsfähigkeit. Letztere wird insbesondere deutlich an einer Minderung differenzierter intellektueller kognitiver Fähigkeiten, Funktionen und Gedächtnis-Merkfähigkeits-Erinnerungsstörungen. Daneben bestehen als körperliche Folgen des chronischen Alkoholismus eine chronische Bauchspeicheldrüsen- entzündung mit Verdauungsstörungen, starkem Meteorismus sowie ein schwerer insulinpflichtiger und schwierig einzustellender Diabetes mellitus.
Mit diesen Gesundheitsstörungen ist der Kläger bereits seit 1994 nicht mehr für erwerbsbringende Tätigkeiten einsetzbar, wie die ärztlichen Sachverständigen Dr.H ... und Dr.M ... begründet dargelegt haben.
Zur Überzeugung des Senats folgt dies aber auch aus den zum Berufungsverfahren beigezogenen Unterlagen der Sozialverwaltung des Bezirks Oberfranken. Aus den Berichten der sozialtherapeutischen Einrichtung für chronisch Abhängige Haus H ... der Jahre 1994 bis ins Jahr 2000 wird deutlich, dass der Kläger immer nur einsetzbar war für Tätigkeiten, bei denen er unter Betreuung stand. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich auch aus dem Entlassungsbericht der Fachklinik W ... vom 20.07.1994 ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers nicht entnehmen, da dieser wegen weiter notwendiger psychischer Unterstützung in die Seca-Nachsorgeeinrichtung verlegt wurde. Dort sollte ihm die Möglichkeit geboten werden, verschiedene berufliche Tätigkeiten "abzuwägen". Das Haus H ... hat am 20.09.1994 der Sozialhilfeverwaltung des Bezirks Oberfranken mitgeteilt, dass "der Kläger nicht in der Lage ist, außerhalb eines geschützten therapeutischen Rahmens eigenständig und trocken zu leben". Aus den weiteren Berichten des Hauses H ... an den Bezirk Oberfranken ergibt sich zudem, dass der Kläger seit damals und in der folgenden Zeit aus psycho-sozialer Sicht nicht in der Lage war, durch eigene Arbeit seine materielle Außenwelt selbstständig zu gestalten und somit seinen Lebensunterhalt zu sichern (so im Schreiben des Hauses H ... vom 20.12.1994). In der Folgezeit, auch das geht aus den Unterlagen des Bezirks Oberfranken hervor, war der Kläger nicht stabil genug, um "auf dem freien Arbeitsmarkt bestehen zu können". Im Bericht über die ambulante Untersuchung des Klägers im Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie L ... vom 19.09.1995 wird erwähnt, dass zu dieser Zeit eine Leistung, wie sie im alltäglichen Berufsleben gefordert wird, nur sehr schwer vorstellbar sei; eine Resozialisierung in das normale Arbeitsleben sei nur stufenförmig zu empfehlen. In der Folgezeit konnte der Kläger immer nur Tätigkeiten im Rahmen einer Betreuung ausüben und war auch auf ein "betreutes Wohnen" angewiesen. Er kann auch weiterhin nur in regelmäßige therapeutisch ausgerichtete Beschäftigungsangebote eingebunden werden. Seit 1994 war er bereits nicht mehr in der Lage, zu betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Nach den Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr.H ... und Dr.M ... besteht auch keine begründete Aussicht, dass beim Kläger die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit, dh in einem Zeitraum von drei Jahren behoben sein kann. Der Senat hat daher die Verurteilung nur zu einer befristeten Rente (vgl § 102 Abs 2 SGB VI) nicht für angemessen gehalten.
Die Wartezeit für die Gewährung von Leistungen wegen EU ist nach dem aktenkundigen Versicherungsverlauf vom 08.03.1999 erfüllt (§ 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI). Nach den Feststellungen der Beklagten sind auch die weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung gegeben. Dem Kläger stehen somit die gesetzlichen Rentenleistungen wegen EU ab 01.07.1994 zu (§ 99 Abs 1 SGB VI). Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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