Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 Ar 271/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 581/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Verweisbarkeit eines Weber-Facharbeiters.
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Oktober 1995 und unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Januar 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 1994 verurteilt, dem Kläger ab 1. August 1993 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung (12.7.1993).
Der am ...1948 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und hat in seinem Heimatland nach Auskunft des türkischen Arbeitgebers den Beruf eines Webers erlernt (9/1964 bis 9/1965) und dort bis Mai 1972, unterbrochen durch den Wehrdienst (3/68 - 7/70), als Akkordweber gearbeitet. Ein Zeugnis sei ihm nicht erteilt worden, da eine Berufsschule nicht vorhanden gewesen sei. In der Bundesrepublik Deutschland war er vom 30.5.1972 bis 31.7.1992 als Weber versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen der Folgen eines am 30.7.1982 erlittenen Verkehrsunfalls (Brüche am linken Unterschenkel, am linken Mittelfuß und am rechten Ellbogen) beantragte er Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 11.1.1985 wies die Beklagte den Antrag zurück; die Klage vor dem Sozialgericht Augsburg (SG, Az: S 14 Ar 128/85) nahm der Kläger im September 1985 zurück. Seit 21.8.1992 bezieht er - mit Unterbrechungen - Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe (seit 19.4.1996).
Mit Bescheid vom 28.1.1994 lehnte die Beklagte den Antrag vom Juli 1993 nach Begutachtungen auf nervenärztlichem, orthopädischem und allgemeinärztlichem Gebiet ab. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch posttraumatische Aufbrauchveränderungen des rechten Ellenbogengelenkes mit Bewegungsdefizit und Irritation des Ellennervens, Verkürzung des linken Beines bei Zustand nach verheiltem Oberschenkelschaftbruch, Aufbrauchveränderungen des linken Mittelfußes bei Zustand nach Mittelfußbrüchen, Neigung zu Schleimhautentzündungen von Magen und Zwölffingerdarm, Zwölffingerdarmgeschwür im Juni 1992, Übergewicht und Zustand nach Gallenblasenentfernung im Februar 1991 beeinträchtigt. Der Kläger könne jedoch bei Versorgung mit orthopädischem Schuhwerk leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Der Kläger sei in den oberen Bereich der Angelernten einzustufen. Die tarifliche Einstufung in die Facharbeiterlohngruppe sei als qualitätsfremd anzusehen, da nach Auskunft des Arbeitgebers die praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten nur bedingt denjenigen eines gelernten Facharbeites entsprächen. Der Kläger sei auf Tätigkeiten eines Montierers, Sortierers, Kontrolleurs, Warenprüfers oder Endprodukteprüfers in der Metallwaren- bzw. Elektrogeräteindustrie verweisbar (Widerspruchsbescheid vom 8.6.1994).
In seiner Klage vor dem SG hat der Kläger im wesentlichen vorgetragen, er sei entgegen der Ansicht der Beklagten als Facharbeiter einzustufen. Die Tätigkeit als Weber könne er aufgrund seiner erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr ausüben.
Durch Urteil vom 17.10.1995 hat das SG die Klage abgewiesen. Aufgrund der Angaben des Arbeitgebers sowie der Zeugenaussage des früheren Vorgesetzten und Webmeisters ... habe der Kläger eine einem gelernten Weber vergleichbare Beschäftigung ausgeübt und sei deshalb als Facharbeiter einzustufen. Er könne jedoch noch auf die Tätigkeit eines Kontrolleurs in der Warenschau verwiesen werden. Gegen das am 10.11.1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 17.11.1995. Die Tätigkeit als Warenschauer komme bei schlechtem Sehvermögen nicht in Betracht. Eine andere geeignete Verweisungstätigkeit bei Berufsschutz als Facharbeiter sei nicht ersichtlich.
Der Kläger beantragt, die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 17.10.1995 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 28.01.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.06.1994 zu verurteilen, ihm ab 01.08.1993 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.10.1995 zurückzuweisen.
Zur Aufkärung des Sachverhalts hat der Senat Beweis erhoben und den Orthopäden Dr ... , den Internisten Dr ..., den Augenarzt Prof. Dr ... sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr ... zu Sachverständigen bestellt. Auf die nach Untersuchung im März 1997 erstatteten Gutachten (orthopädisch vom 18.3.1997, internistisch vom 15.3.1997, augenärztlich vom 13.3.1997 sowie neurologisch-psychiatrisch vom 26.4.1997), die den Beteiligten jeweils in Abschrift übersandt worden sind, wird wegen der Einzelheiten verwiesen. Nach der berufskundlichen Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Nordbayern vom 19.5.1998 ist der Kläger für eine Tätigkeit als Kontrolleur in der Warenschau nicht geeignet. Andere Verweisungstätigkeiten auf der Ebene von Angelerntenberufen seien nicht ersichtlich.
Nach Ansicht der Beklagten ist der Kläger wie bisher als Angelernter im oberen Bereich einzustufen. Selbst bei einer Bewertung als Facharbeiter sei er auf eine Tätigkeit als Pförtner bzw. Telefonist verweisbar.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozeßakten beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten der Beklagten, die Leistungsakte des Arbeitsamtes Kempten sowie die erledigten Akten des SG Augsburg (S 8 Vs 1014/84, S 14 Ar 81/85, S 14 Ar 128/85). Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß dem Antrag vom 12.7.1993. Ihm steht der Berufsschutz als Facharbeiter zu, eine zumutbare Verweisungstätigkeit ist entgegen der Ansicht des SG nicht vorhanden.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs sind erfüllt. Der Kläger hat im maßgeblichen 5-Jahres-Zeitraum (12.7.1988 bis 11.7.1993) 59 Monate Beitragszeit zurückgelegt. Er ist auch berufsunfähig.
Zur Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögen des Klägers stützt sich der Senat auf die Feststellungen der Sachverständigen Dres ..., ..., ..., ... und Prof. Dr ..., die im wesentlichen zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen.
Danach bestehen auf nervenärztlichem, orthopädischem, internistischem und augenärztlichem Gebiet folgende Gesundheitsstörungen: Zustand nach Läsion des rechten Nervus ulnaris am Ellenbogen nach Fraktur 1982 und Heilung mit überschießender Kallusbildung; Zustand nach Meralgia parästhetika links, Verdacht auf abgelaufene Wurzelschädigung L5 und S1 rechts ohne funktionelle Residuen; geringgradig degenerative HWS-Veränderungen mit Einschränkung der Rotationsfähigkeit der Halswirbelsäule; geringgradig degenerative LWS-Veränderungen mit Abflachung der LWS-Lordose; eine schwere posttraumatische Ellenbogengelenksarthrose rechts mit konzentrischer Bewegungseinschränkung; eine gering- bis mäßiggradige, posttraumatische Coxarthrose links; eine Beinverkürzung links nach konsolidierter Oberschenkelfraktur 1982; eine geringgradige Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits, links stärker als rechts; eine Bewegungseinschränkung des linken oberen und unteren Sprunggelenks; eine Arthrose im Lisfranc- und Chopart-Gelenk posttraumatisch links; ein Zustand nach knöchern fest konsolidierter Metatarsalefraktur II-IV links; eine chronische Ulcuskrankheit mit rezidivierenden Ulcera duedeni von 1983 bis 1992 und Zustand nach Helicobakter-Pylori-Nachweis 6/92; eine ausgeprägte Adipositas; eine Varikosis des linken Unterschenkels sowie eine posttraumatische bzw. postoperative Schwellneigung des linken Unterschenkels bei Zustand nach operativ versorgter Oberschenkeltrümmerfraktur 7/82; 10/92 phlebographischer Ausschluß einer älteren tiefen Beinvenenthrombose; ein diffuser, toxisch nutritiver Leberparenchymschaden, Zustand nach Entfernung der Gallenblase 2/91; anlagebedingte Weitsichtigkeit (Hyperopie), Stabsichtigkeit (Astigmatismus) mit Schwachsichtigkeit links mehr als rechts und unterschiedlicher Brechkraft beider Augen (Anisometropie); eine Schwäche beim Dämmerungssehen sowie erhöhte Blendempfindlichkeit und ein fehlender beidäugiger Bildeindruck mit räumlicher Tiefenwahrnehmung (Stereopsis); Alterssichtigkeit (Presbyopie).
Dem Kläger sind damit Arbeiten in Kälte, Nässe, Zug, Hitze, mit Temperaturschwankungen, mit Heben und Tragen, Hocken, Knien, Bücken, über Kopf oder in sonstiger Zwangshaltung nicht mehr zumutbar. Arbeiten mit hoher Anforderung an das räumliche Sehen, an drehenden, schneidenden und bohrenden Maschinen sowie auf Leitern und Gerüsten sind zu vermeiden. Ebenso sind Arbeiten in Nacht- und Wechselschicht, mit Stress sowie Arbeiten, bei denen mit der rechten Hand bzw. mit dem rechten Arm eine erhebliche Kraft ausgeübt werden muß, nicht mehr möglich. Insbesondere ist der Kläger in Übereinstimmung mit Prof. Dr ... an seinem letzten Arbeitsplatz als Weber nicht mehr konkurrenzfähig, da die Stoffprüfung an einer rotierenden Maschine eine schnelle optische Erfassung von Farbe, Struktur und Materialbeschaffenheit erfordert, woran der Kläger durch seine Augenerkrankung gehindert ist.
Mit diesem Leistungsvermögen kann der Kläger in einer zumutbaren Beschäftigung nicht mehr die Hälfte des Lohnes eines vergleichbaren gesunden Versicherten verdienen. Nach dem Berufsleben in Deutschland in der Zeit von 30.5.1972 bis 31.7.1992 als Weber ist der Kläger innerhalb des vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschemas zur Feststellung des qualitativen Werts des bisherigen Berufs und damit zur Bestimmung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten der Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters zuzuordnen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtspechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat. In der Regel ergibt sich dieser aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden war, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist. Welcher Gruppe des Mehrstufenschemas eine bestimmte Tätigkeit zuzuordnen ist, richtet sich dabei nach der Qualität der verrichteten Arbeit. Kriterien für ein solches Gesamtbild sind die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausübung, die Höhe der Entlohnung und die Anforderungen des Berufes.
Dem Kläger steht bei seiner zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung als Weber ein Berufsschutz als Facharbeiter zu.
Der Kläger ist nicht gelernter Facharbeiter, da er einen anerkannten Ausbildungsberuf iS des § 25 Berufsbildungsgesetz (BBiG) mit mehr als zweijähriger Ausbildung nicht erlernt hat.Die einjährige Ausbildung in der Türkei steht der Ausbildung in Deutschland nicht gleich, da durch sie nicht die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten wie die eines Textilmechanikers (Ausbildungsdauer: 2 Jahre) bzw. die eines Webers (Ausbildungsdauer: 3 Jahre) vermittelt worden sind. Der Kläger hat zwar nach den Angaben des letzten Arbeitgebers vom 1.7.1985 eine Anlernzeit von etwa 2 Jahren absolviert, eine zweijährige Ausbildung zum "Weber" unter der Bezeichnung "Textilmaschinenführer Weberei" mit Ausbildungsvertrag und Prüfung jedoch nicht abgeschlossen.
Der Kläger ist dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen, da er ohne Absolvierung der vorgeschriebenen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf gearbeitet hat und sich durch die praktische Berufsausübung die Kenntnisse angeeignet hat, die ihn befähigen, sich unter gelernten Facharbeitern auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig und damit vollwertig zu behaupten (vgl. BSGE 65, 169 ff.). Nach der Arbeitgeberauskunft vom 1.7.1985 ist der Kläger im Jahr 1972 als "perfekter" Weber in die Firma eingetreten. Er wurde sofort als Weber eingesetzt, wurde mit allen Arbeiten seines Fachbereichs betraut und erhielt wie alle Weber-Facharbeiter die Bezahlung im Akkordlohn nach Lohngruppe A II - 9, Weben, des Lohntarifs für die gewerblichen Arbeitnehmer der Südbayerischen Textilindustrie. Eine Änderung in der beruflichen Einstufung hat sich auch nicht durch den Unfall vom 30.7.1982 ergeben. Nach Unterbrechung durch Arbeitsunfähigkeit und einer Wiedereingliederung war der Kläger bis zur Betriebsstillegung zum 31.7.1992 als Weber eingesetzt und wurde als Facharbeiter entlohnt, wie der Auskunft an das SG vom 2.2.1995 zu entnehmen ist. Unschädlich ist, daß nach der Auskunft vom 4.5.1994 der Kläger nur die theoretische und praktische Kenntnisse für seinen Arbeitsplatz, nicht aber die Kenntnisse eines Facharbeiters mit abgeschlossener Berufsausbildung gehabt hat.
Ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer der Gruppen des Mehrstufenschemas ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde qualitative Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 21). Erforderlich ist eine Gesamtschau aller möglichen Bewertungskriterien, maßgeblich ist also das Gesamtbild. So war der Kläger von Anfang an als Weber eingesetzt. Diese Beschäftigung wie ein Facharbeiter hat der Kläger bis zur Betriebsstillegung in Juli 1992 ausgeführt. Dies entnimmt der Senat insbesondere den Angaben des Zeugen ... vor dem SG, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden können. Danach hat der Kläger zur vollen Zufriedenheit des Arbeitgebers als Weber gearbeitet, Einschränkungen wegen der beruflichen Qualifikation bestanden nicht. Der Kläger wurde von Anfang an als Facharbeiter entlohnt. Die Tätigkeit als Weber erfolgte im Schichtbetrieb, bezahlt wurde im Akkord. Ausdrücklich hat der Arbeitgeber am 4.5.1994 bestätigt, daß die Einstufung nicht aus qualitätsfremden Merkmalen erfolgt ist. Hinzu kommt, daß die Dauer der Berufsausübung Indizwirkung hat, wenn die vorgeschriebene Ausbildung nicht durchlaufen worden ist. So kann nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 143) ohne entsprechende Ausbildung ein Facharbeiterstatus erst nach dreijähriger Berufstätigkeit angenommen werden. Bei einer Berufstätigkeit als Weber von 1972 bis 1992 ist diese Frist weit überschritten.
Insgesamt genießt daher der Kläger den Berufsschutz als Facharbeiter. Er ist daher lediglich auf Tätigkeiten seiner Gruppe und der nächstniedrigeren Gruppe des Mehrstufenschemas mit dem Leitberuf des Angelernten verweisbar. Die Verweisungstätigkeit muß entweder zu den sonstigen staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehören, eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordern oder wegen ihrer Qualität tariflich wie ein sonstiger Ausbildungsberuf bewertet werden (vgl. BSGE 43, 243, 245 f).
Entgegen der Auffassung des SG kann der Kläger nicht auf die Tätigkeit eines Kontrolleurs in der Warenschau verwiesen werden. So hat der augenärztliche Sachverständige überzeugend dargelegt, daß der Kläger wegen seiner Augenerkrankung nicht konkurrenzfähig in der Lage ist, an einer rotierenden Maschine Farbe, Struktur und Beschaffenheit der zu kontrollierenden Materialien optisch und schnell zu erfassen.
Weitere, von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeiten kommen ebenfalls nicht in Betracht. So ist nach der Rechtsprechung des BSG der Arbeitsmarkt für sogenannte gehobene Pförtner verschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 28.5.1991, 13/5 RJ 29/89). Dies stimmt überein mit der berufskundlichen Stellungnahme des Landesarbeitsamtes vom 19.5.1998. Danach ist qualifiziert im Sinne einer für einen Facharbeiter zumutbaren Verweisungstätigkeit eine Pförtnertätigkeit in der Regel erst dann, wenn zusätzliche Aufgaben wie z.B. die Erteilung von Auskünften, die weiterreichende Kenntnisse erfordern, schriftliche Arbeiten, umfangreiche Kontroll- und Sicherheitsaufgaben, die meist körperliche Belastung beinhalten, oder die Bedienung von Telefonanlagen mit mehreren Amtsleitungen zu erfüllen sind. Derartige Arbeitsplätze existieren in sehr viel geringerer Zahl als solche für einfache Pförtner. Sie werden in der Regel innerbetrieblich besetzt. Eine höchstens dreimonatige Einarbeitungszeit reicht erfahrungsgemäß zumal für einen Betriebsfremden wie der Kläger nicht aus.
Ebensowenig kommt eine Verweisungstätigkeit als Telefonist in Betracht. Richtig ist, daß sich der Kläger bei Prüfung der Verweisbarkeit nicht auf mangelnde deutsche Sprachkenntnisse berufen kann. So bezieht sich der Berufsschutz nur auf die fachlichen Kenntnisse, nicht auf die Kenntnisse der deutschen Sprache (vgl. BSG, SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 61; BSGE 68, 87; BSG, SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 11). Die Tätigkeit eines Telefonisten scheitert jedoch an den gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers. So wird nach der berufskundlichen Stellungnahme, der der Senat folgt, diese Tätigkeit ausschließlich im Sitzen ausgeübt. Die Möglichkeit, eigenbestimmt einen Haltungswechsel vornehmen zu können, ist nicht üblich. Überzeugend legen die Sachverständigen dar, daß der Gesundheitszustand des Klägers einen selbstbestimmten regelmäßigen Wechsel der Haltungen erfordert. Dies ist bei der Tätigkeit als Telefonist nicht gewährleistet. Unabhängig davon ist der Kläger mit Berufsschutz als Facharbeiter nicht auf eine Tätigkeit als einfacher Telefonist zumutbar verweisbar. Die Tätigkeit eines Telegrafen-Assistenten nach Vergütungsgruppe VIII des Tarifvertrages der kommunalen Arbeitgeberverbände (Anlage 1 a zum BAT - VKA -) ist aber für den Kläger innerhalb dreier Monate nicht erlernbar, da es sich dort um theoretisch und praktisch gründlich ausgebildete Kräfte handelt (vgl. auch: Bayer. LSG, Urteil vom 25.1.1996, Az: L 10 Ar 430/93).
Weitere zumutbare Verweisungstätigkeiten auf der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe oder zumindest wie solche bewertete Tätigkeiten, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, sind weder von der Beklagten benannt noch dem Senat ersichtlich. Dem Kläger steht sonach Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1.8.1993 zu.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG).
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung (12.7.1993).
Der am ...1948 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und hat in seinem Heimatland nach Auskunft des türkischen Arbeitgebers den Beruf eines Webers erlernt (9/1964 bis 9/1965) und dort bis Mai 1972, unterbrochen durch den Wehrdienst (3/68 - 7/70), als Akkordweber gearbeitet. Ein Zeugnis sei ihm nicht erteilt worden, da eine Berufsschule nicht vorhanden gewesen sei. In der Bundesrepublik Deutschland war er vom 30.5.1972 bis 31.7.1992 als Weber versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen der Folgen eines am 30.7.1982 erlittenen Verkehrsunfalls (Brüche am linken Unterschenkel, am linken Mittelfuß und am rechten Ellbogen) beantragte er Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 11.1.1985 wies die Beklagte den Antrag zurück; die Klage vor dem Sozialgericht Augsburg (SG, Az: S 14 Ar 128/85) nahm der Kläger im September 1985 zurück. Seit 21.8.1992 bezieht er - mit Unterbrechungen - Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe (seit 19.4.1996).
Mit Bescheid vom 28.1.1994 lehnte die Beklagte den Antrag vom Juli 1993 nach Begutachtungen auf nervenärztlichem, orthopädischem und allgemeinärztlichem Gebiet ab. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch posttraumatische Aufbrauchveränderungen des rechten Ellenbogengelenkes mit Bewegungsdefizit und Irritation des Ellennervens, Verkürzung des linken Beines bei Zustand nach verheiltem Oberschenkelschaftbruch, Aufbrauchveränderungen des linken Mittelfußes bei Zustand nach Mittelfußbrüchen, Neigung zu Schleimhautentzündungen von Magen und Zwölffingerdarm, Zwölffingerdarmgeschwür im Juni 1992, Übergewicht und Zustand nach Gallenblasenentfernung im Februar 1991 beeinträchtigt. Der Kläger könne jedoch bei Versorgung mit orthopädischem Schuhwerk leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Der Kläger sei in den oberen Bereich der Angelernten einzustufen. Die tarifliche Einstufung in die Facharbeiterlohngruppe sei als qualitätsfremd anzusehen, da nach Auskunft des Arbeitgebers die praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten nur bedingt denjenigen eines gelernten Facharbeites entsprächen. Der Kläger sei auf Tätigkeiten eines Montierers, Sortierers, Kontrolleurs, Warenprüfers oder Endprodukteprüfers in der Metallwaren- bzw. Elektrogeräteindustrie verweisbar (Widerspruchsbescheid vom 8.6.1994).
In seiner Klage vor dem SG hat der Kläger im wesentlichen vorgetragen, er sei entgegen der Ansicht der Beklagten als Facharbeiter einzustufen. Die Tätigkeit als Weber könne er aufgrund seiner erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr ausüben.
Durch Urteil vom 17.10.1995 hat das SG die Klage abgewiesen. Aufgrund der Angaben des Arbeitgebers sowie der Zeugenaussage des früheren Vorgesetzten und Webmeisters ... habe der Kläger eine einem gelernten Weber vergleichbare Beschäftigung ausgeübt und sei deshalb als Facharbeiter einzustufen. Er könne jedoch noch auf die Tätigkeit eines Kontrolleurs in der Warenschau verwiesen werden. Gegen das am 10.11.1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 17.11.1995. Die Tätigkeit als Warenschauer komme bei schlechtem Sehvermögen nicht in Betracht. Eine andere geeignete Verweisungstätigkeit bei Berufsschutz als Facharbeiter sei nicht ersichtlich.
Der Kläger beantragt, die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 17.10.1995 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 28.01.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.06.1994 zu verurteilen, ihm ab 01.08.1993 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.10.1995 zurückzuweisen.
Zur Aufkärung des Sachverhalts hat der Senat Beweis erhoben und den Orthopäden Dr ... , den Internisten Dr ..., den Augenarzt Prof. Dr ... sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr ... zu Sachverständigen bestellt. Auf die nach Untersuchung im März 1997 erstatteten Gutachten (orthopädisch vom 18.3.1997, internistisch vom 15.3.1997, augenärztlich vom 13.3.1997 sowie neurologisch-psychiatrisch vom 26.4.1997), die den Beteiligten jeweils in Abschrift übersandt worden sind, wird wegen der Einzelheiten verwiesen. Nach der berufskundlichen Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Nordbayern vom 19.5.1998 ist der Kläger für eine Tätigkeit als Kontrolleur in der Warenschau nicht geeignet. Andere Verweisungstätigkeiten auf der Ebene von Angelerntenberufen seien nicht ersichtlich.
Nach Ansicht der Beklagten ist der Kläger wie bisher als Angelernter im oberen Bereich einzustufen. Selbst bei einer Bewertung als Facharbeiter sei er auf eine Tätigkeit als Pförtner bzw. Telefonist verweisbar.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozeßakten beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten der Beklagten, die Leistungsakte des Arbeitsamtes Kempten sowie die erledigten Akten des SG Augsburg (S 8 Vs 1014/84, S 14 Ar 81/85, S 14 Ar 128/85). Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß dem Antrag vom 12.7.1993. Ihm steht der Berufsschutz als Facharbeiter zu, eine zumutbare Verweisungstätigkeit ist entgegen der Ansicht des SG nicht vorhanden.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs sind erfüllt. Der Kläger hat im maßgeblichen 5-Jahres-Zeitraum (12.7.1988 bis 11.7.1993) 59 Monate Beitragszeit zurückgelegt. Er ist auch berufsunfähig.
Zur Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögen des Klägers stützt sich der Senat auf die Feststellungen der Sachverständigen Dres ..., ..., ..., ... und Prof. Dr ..., die im wesentlichen zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen.
Danach bestehen auf nervenärztlichem, orthopädischem, internistischem und augenärztlichem Gebiet folgende Gesundheitsstörungen: Zustand nach Läsion des rechten Nervus ulnaris am Ellenbogen nach Fraktur 1982 und Heilung mit überschießender Kallusbildung; Zustand nach Meralgia parästhetika links, Verdacht auf abgelaufene Wurzelschädigung L5 und S1 rechts ohne funktionelle Residuen; geringgradig degenerative HWS-Veränderungen mit Einschränkung der Rotationsfähigkeit der Halswirbelsäule; geringgradig degenerative LWS-Veränderungen mit Abflachung der LWS-Lordose; eine schwere posttraumatische Ellenbogengelenksarthrose rechts mit konzentrischer Bewegungseinschränkung; eine gering- bis mäßiggradige, posttraumatische Coxarthrose links; eine Beinverkürzung links nach konsolidierter Oberschenkelfraktur 1982; eine geringgradige Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits, links stärker als rechts; eine Bewegungseinschränkung des linken oberen und unteren Sprunggelenks; eine Arthrose im Lisfranc- und Chopart-Gelenk posttraumatisch links; ein Zustand nach knöchern fest konsolidierter Metatarsalefraktur II-IV links; eine chronische Ulcuskrankheit mit rezidivierenden Ulcera duedeni von 1983 bis 1992 und Zustand nach Helicobakter-Pylori-Nachweis 6/92; eine ausgeprägte Adipositas; eine Varikosis des linken Unterschenkels sowie eine posttraumatische bzw. postoperative Schwellneigung des linken Unterschenkels bei Zustand nach operativ versorgter Oberschenkeltrümmerfraktur 7/82; 10/92 phlebographischer Ausschluß einer älteren tiefen Beinvenenthrombose; ein diffuser, toxisch nutritiver Leberparenchymschaden, Zustand nach Entfernung der Gallenblase 2/91; anlagebedingte Weitsichtigkeit (Hyperopie), Stabsichtigkeit (Astigmatismus) mit Schwachsichtigkeit links mehr als rechts und unterschiedlicher Brechkraft beider Augen (Anisometropie); eine Schwäche beim Dämmerungssehen sowie erhöhte Blendempfindlichkeit und ein fehlender beidäugiger Bildeindruck mit räumlicher Tiefenwahrnehmung (Stereopsis); Alterssichtigkeit (Presbyopie).
Dem Kläger sind damit Arbeiten in Kälte, Nässe, Zug, Hitze, mit Temperaturschwankungen, mit Heben und Tragen, Hocken, Knien, Bücken, über Kopf oder in sonstiger Zwangshaltung nicht mehr zumutbar. Arbeiten mit hoher Anforderung an das räumliche Sehen, an drehenden, schneidenden und bohrenden Maschinen sowie auf Leitern und Gerüsten sind zu vermeiden. Ebenso sind Arbeiten in Nacht- und Wechselschicht, mit Stress sowie Arbeiten, bei denen mit der rechten Hand bzw. mit dem rechten Arm eine erhebliche Kraft ausgeübt werden muß, nicht mehr möglich. Insbesondere ist der Kläger in Übereinstimmung mit Prof. Dr ... an seinem letzten Arbeitsplatz als Weber nicht mehr konkurrenzfähig, da die Stoffprüfung an einer rotierenden Maschine eine schnelle optische Erfassung von Farbe, Struktur und Materialbeschaffenheit erfordert, woran der Kläger durch seine Augenerkrankung gehindert ist.
Mit diesem Leistungsvermögen kann der Kläger in einer zumutbaren Beschäftigung nicht mehr die Hälfte des Lohnes eines vergleichbaren gesunden Versicherten verdienen. Nach dem Berufsleben in Deutschland in der Zeit von 30.5.1972 bis 31.7.1992 als Weber ist der Kläger innerhalb des vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschemas zur Feststellung des qualitativen Werts des bisherigen Berufs und damit zur Bestimmung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten der Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters zuzuordnen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtspechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat. In der Regel ergibt sich dieser aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden war, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist. Welcher Gruppe des Mehrstufenschemas eine bestimmte Tätigkeit zuzuordnen ist, richtet sich dabei nach der Qualität der verrichteten Arbeit. Kriterien für ein solches Gesamtbild sind die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausübung, die Höhe der Entlohnung und die Anforderungen des Berufes.
Dem Kläger steht bei seiner zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung als Weber ein Berufsschutz als Facharbeiter zu.
Der Kläger ist nicht gelernter Facharbeiter, da er einen anerkannten Ausbildungsberuf iS des § 25 Berufsbildungsgesetz (BBiG) mit mehr als zweijähriger Ausbildung nicht erlernt hat.Die einjährige Ausbildung in der Türkei steht der Ausbildung in Deutschland nicht gleich, da durch sie nicht die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten wie die eines Textilmechanikers (Ausbildungsdauer: 2 Jahre) bzw. die eines Webers (Ausbildungsdauer: 3 Jahre) vermittelt worden sind. Der Kläger hat zwar nach den Angaben des letzten Arbeitgebers vom 1.7.1985 eine Anlernzeit von etwa 2 Jahren absolviert, eine zweijährige Ausbildung zum "Weber" unter der Bezeichnung "Textilmaschinenführer Weberei" mit Ausbildungsvertrag und Prüfung jedoch nicht abgeschlossen.
Der Kläger ist dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen, da er ohne Absolvierung der vorgeschriebenen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf gearbeitet hat und sich durch die praktische Berufsausübung die Kenntnisse angeeignet hat, die ihn befähigen, sich unter gelernten Facharbeitern auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig und damit vollwertig zu behaupten (vgl. BSGE 65, 169 ff.). Nach der Arbeitgeberauskunft vom 1.7.1985 ist der Kläger im Jahr 1972 als "perfekter" Weber in die Firma eingetreten. Er wurde sofort als Weber eingesetzt, wurde mit allen Arbeiten seines Fachbereichs betraut und erhielt wie alle Weber-Facharbeiter die Bezahlung im Akkordlohn nach Lohngruppe A II - 9, Weben, des Lohntarifs für die gewerblichen Arbeitnehmer der Südbayerischen Textilindustrie. Eine Änderung in der beruflichen Einstufung hat sich auch nicht durch den Unfall vom 30.7.1982 ergeben. Nach Unterbrechung durch Arbeitsunfähigkeit und einer Wiedereingliederung war der Kläger bis zur Betriebsstillegung zum 31.7.1992 als Weber eingesetzt und wurde als Facharbeiter entlohnt, wie der Auskunft an das SG vom 2.2.1995 zu entnehmen ist. Unschädlich ist, daß nach der Auskunft vom 4.5.1994 der Kläger nur die theoretische und praktische Kenntnisse für seinen Arbeitsplatz, nicht aber die Kenntnisse eines Facharbeiters mit abgeschlossener Berufsausbildung gehabt hat.
Ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer der Gruppen des Mehrstufenschemas ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde qualitative Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 21). Erforderlich ist eine Gesamtschau aller möglichen Bewertungskriterien, maßgeblich ist also das Gesamtbild. So war der Kläger von Anfang an als Weber eingesetzt. Diese Beschäftigung wie ein Facharbeiter hat der Kläger bis zur Betriebsstillegung in Juli 1992 ausgeführt. Dies entnimmt der Senat insbesondere den Angaben des Zeugen ... vor dem SG, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden können. Danach hat der Kläger zur vollen Zufriedenheit des Arbeitgebers als Weber gearbeitet, Einschränkungen wegen der beruflichen Qualifikation bestanden nicht. Der Kläger wurde von Anfang an als Facharbeiter entlohnt. Die Tätigkeit als Weber erfolgte im Schichtbetrieb, bezahlt wurde im Akkord. Ausdrücklich hat der Arbeitgeber am 4.5.1994 bestätigt, daß die Einstufung nicht aus qualitätsfremden Merkmalen erfolgt ist. Hinzu kommt, daß die Dauer der Berufsausübung Indizwirkung hat, wenn die vorgeschriebene Ausbildung nicht durchlaufen worden ist. So kann nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 143) ohne entsprechende Ausbildung ein Facharbeiterstatus erst nach dreijähriger Berufstätigkeit angenommen werden. Bei einer Berufstätigkeit als Weber von 1972 bis 1992 ist diese Frist weit überschritten.
Insgesamt genießt daher der Kläger den Berufsschutz als Facharbeiter. Er ist daher lediglich auf Tätigkeiten seiner Gruppe und der nächstniedrigeren Gruppe des Mehrstufenschemas mit dem Leitberuf des Angelernten verweisbar. Die Verweisungstätigkeit muß entweder zu den sonstigen staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehören, eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordern oder wegen ihrer Qualität tariflich wie ein sonstiger Ausbildungsberuf bewertet werden (vgl. BSGE 43, 243, 245 f).
Entgegen der Auffassung des SG kann der Kläger nicht auf die Tätigkeit eines Kontrolleurs in der Warenschau verwiesen werden. So hat der augenärztliche Sachverständige überzeugend dargelegt, daß der Kläger wegen seiner Augenerkrankung nicht konkurrenzfähig in der Lage ist, an einer rotierenden Maschine Farbe, Struktur und Beschaffenheit der zu kontrollierenden Materialien optisch und schnell zu erfassen.
Weitere, von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeiten kommen ebenfalls nicht in Betracht. So ist nach der Rechtsprechung des BSG der Arbeitsmarkt für sogenannte gehobene Pförtner verschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 28.5.1991, 13/5 RJ 29/89). Dies stimmt überein mit der berufskundlichen Stellungnahme des Landesarbeitsamtes vom 19.5.1998. Danach ist qualifiziert im Sinne einer für einen Facharbeiter zumutbaren Verweisungstätigkeit eine Pförtnertätigkeit in der Regel erst dann, wenn zusätzliche Aufgaben wie z.B. die Erteilung von Auskünften, die weiterreichende Kenntnisse erfordern, schriftliche Arbeiten, umfangreiche Kontroll- und Sicherheitsaufgaben, die meist körperliche Belastung beinhalten, oder die Bedienung von Telefonanlagen mit mehreren Amtsleitungen zu erfüllen sind. Derartige Arbeitsplätze existieren in sehr viel geringerer Zahl als solche für einfache Pförtner. Sie werden in der Regel innerbetrieblich besetzt. Eine höchstens dreimonatige Einarbeitungszeit reicht erfahrungsgemäß zumal für einen Betriebsfremden wie der Kläger nicht aus.
Ebensowenig kommt eine Verweisungstätigkeit als Telefonist in Betracht. Richtig ist, daß sich der Kläger bei Prüfung der Verweisbarkeit nicht auf mangelnde deutsche Sprachkenntnisse berufen kann. So bezieht sich der Berufsschutz nur auf die fachlichen Kenntnisse, nicht auf die Kenntnisse der deutschen Sprache (vgl. BSG, SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 61; BSGE 68, 87; BSG, SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 11). Die Tätigkeit eines Telefonisten scheitert jedoch an den gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers. So wird nach der berufskundlichen Stellungnahme, der der Senat folgt, diese Tätigkeit ausschließlich im Sitzen ausgeübt. Die Möglichkeit, eigenbestimmt einen Haltungswechsel vornehmen zu können, ist nicht üblich. Überzeugend legen die Sachverständigen dar, daß der Gesundheitszustand des Klägers einen selbstbestimmten regelmäßigen Wechsel der Haltungen erfordert. Dies ist bei der Tätigkeit als Telefonist nicht gewährleistet. Unabhängig davon ist der Kläger mit Berufsschutz als Facharbeiter nicht auf eine Tätigkeit als einfacher Telefonist zumutbar verweisbar. Die Tätigkeit eines Telegrafen-Assistenten nach Vergütungsgruppe VIII des Tarifvertrages der kommunalen Arbeitgeberverbände (Anlage 1 a zum BAT - VKA -) ist aber für den Kläger innerhalb dreier Monate nicht erlernbar, da es sich dort um theoretisch und praktisch gründlich ausgebildete Kräfte handelt (vgl. auch: Bayer. LSG, Urteil vom 25.1.1996, Az: L 10 Ar 430/93).
Weitere zumutbare Verweisungstätigkeiten auf der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe oder zumindest wie solche bewertete Tätigkeiten, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, sind weder von der Beklagten benannt noch dem Senat ersichtlich. Dem Kläger steht sonach Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1.8.1993 zu.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG).
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