L 6 U 69/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 54/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 69/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 92/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Epicondylitis humeri radialis (sog. "Tennisellenbogen") der Klägerin als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) bei der Beklagten vorliegt und ihr damit Leistungen nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) zustehen.

Die am ... 1955 geborene Klägerin war eigenen Angaben zufolge seit 1989 ununterbrochen bei der D D R GmbH & Co. OHG als Reiseverkehrskauffrau und Büroleiterin beschäftigt, bis sie aufgrund betriebsbedingter Kündigung zum 1. April 2007 arbeitslos wurde. Ab 1995 arbeitete die Klägerin in der neu errichteten Filiale im Rathauscenter in D ... Aufgrund ihrer Beschwerden in beiden Armen war sie am 23. Oktober 2003 mit der Diagnose Epicondylitis humeri radialis zuerst am linken und am 16. Juni 2005 angesichts von Enthesopathien (= Entzündung von Sehnen und Sehnenscheiden) am rechten Ellenbogen operiert worden. Eine Arbeitsunfähigkeit sei deswegen nicht gegeben gewesen. Der linke Arm ist seit der Operation beschwerdefrei.

Die Klägerin äußerte im Oktober 2006 gegenüber der Beklagten den Verdacht einer berufsbedingten Erkrankung im Bereich der Arme bis zu den Ellenbogen und gab als Ursache PC-Arbeiten ohne Armablage im Reisebüro an. Auf Nachfrage teilte die Krankenkasse der Klägerin mit, sie sei vom 23. Oktober bis zum 31. Dezember 2003 wegen sonstigen Enthesopathien in ärztlicher Behandlung gewesen (Bl. 9 VA). Ferner wurde eine Arbeitsunfähigkeit vom 16. Juni bis zum 16. August 2005 mitgeteilt.

Dr. S. befundete im Bericht vom 1. November 2006 eine Erstbehandlung am 16. Juni 2003 mit Beschwerden im linken Ellenbogen und stellte die Diagnose einer Epicondylitis humeri radialis. Bei den Ellenbogenoperationen seien Denervierungen nach Wilhelm vorgenommen worden. Eine berufliche Tätigkeit habe die Klägerin ihr gegenüber nicht erwähnt.

Nach der Arbeitgeberauskunft vom 14. November 2006 (Bl. 18 VA) habe die Klägerin bei einer täglichen Arbeitszeit von 7,7 Stunden etwa eine Stunde handschriftliche und für die Dauer von zwei bis drei Stunden maschinelle Arbeiten verrichtet. Täglich habe sie fünf Stunden sitzend und jeweils drei Stunden am Bildschirm mit der PC-Maus gearbeitet. Wegen den Ermittlungen des Präventionsdienstes wird auf den Ermittlungsbericht vom 8. Januar 2007 (Bl. 25 - 27 VA) Bezug genommen. Nach diesem Bericht schätzte die stellvertretende Büroleiterin Frau R. die Eingabetätigkeit per Computertastatur auf maximal zwei Stunden täglich ein, wobei sich diese Zeit auf den Tag verteile, da jeweils nur kurzzeitige Eingaben, wie Adresse oder Suchbegriff, erfolgten. Am Arbeitsplatz könnten Tastatur und Maus flexibel angeordnet werden, auch das Auflegen der Unterarme sei möglich. Gelegentlich müsse die Klägerin an einem Ausweichplatz arbeiten, wo sich die Arbeitsmittel nicht flexibel anordnen ließen. Unter Einbeziehung des "Arbeitsmedizinischen Konsenspapiers" handle es sich daher um eine Mischtätigkeit mit geringem Anteil an Tastatureingaben. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der streitgegenständlichen BK lägen nicht vor.

Mit Bescheid vom 22. Februar 2007 lehnte die Beklagte es ab, die Beschwerden der Klägerin im Bereich beider Unterarme und Ellenbogengelenke als BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihr Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund dieser BK zu gewähren. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes habe keine konkrete Gefährdung im Sinne einer beruflichen Exposition für eine BK nach Nr. 2101 vorgelegen.

Am 21. März 2007 erhob die Klägerin Widerspruch und trug nachfolgend vor, der Technische Aufsichtsdienst habe nicht ihren Arbeitsplatz besichtigt und analysiert, da in ihrem Fall der PC und die Maus zwischen zwei Schreibtischen drehbar auf einem Verbindungstisch angeordnet gewesen seien und von zwei Arbeitsplätzen aus hätten genutzt werden können. Hierbei habe sie die Arme nicht auf einer Ablage entlasten können. Sie habe etwa zu drei Vierteln der täglichen Arbeitszeit Laufkundschaft bedient, wobei immer Eingaben am PC erforderlich gewesen seien. Die Tätigkeit am PC habe mindestens drei Stunden je Arbeitstag betragen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2007, zugegangen am 2. Juli 2007, als unbegründet zurück, da das Bedienen einer Computermaus grundsätzlich keine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 2101 sei. Nach den Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen sei von einer wechselnden Tätigkeit – einerseits von Dateieingaben über Tastatur und Maus, andererseits von einer persönlichen Kundenbetreuung und Zusammenstellung von Unterlagen – auszugehen. Ferner sei der Computer von jeweils zwei Mitarbeitern benutzt worden, so dass eine stets einförmige Belastung nicht gegeben sei. Die bei Stenotypisten und im Schreibdienst vorzufindenden kurzzyklischen, dauernd wiederholenden, feinmotorischen Handtätigkeiten mit sehr hoher Bewegungsfrequenz hätten nicht ermittelt werden können.

Die Klägerin hat mit der am 23. Juli 2007 erhobenen Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau ihr Begehren unter Wiederholung des bisherigen Vortrags weiterverfolgt mit der Behauptung, sie habe mindestens drei Stunden pro Schicht am Computer gearbeitet. In der Reisebürofiliale seien immer zwei Mitarbeiterinnen je Schicht tätig gewesen bei drei vorhandenen Schreibtischen, die jeweils über einen flexibel benutzbaren PC miteinander verbunden gewesen seien. Im Gegensatz zu anderen PC-Arbeitsplätzen sei der Bildschirm mit hängender Tastatur und Maus schwenkbar gewesen. Sie sei gesundheitlich nicht mehr in der Lage, Arbeiten mit Standardtastaturen und mäusen zu verrichten.

Das Sozialgericht hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein arbeitsmedizinisches Gutachten unter dem 24. März 2008 von Dr. B. eingeholt, wegen dessen Inhalt auf Bl. 36 bis 45 d. GA verwiesen wird. Danach hat die Klägerin dort mitgeteilt, sie hätte seit 1995 Beschwerden an den Ellenbogen, wobei die Operation am linken Arm im Jahr 2003 erfolgreich verlaufen sei, während die rechtsseitige Operation sie nicht befriedige, da die Beschwerden fortbestünden, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß. Die Sachverständige hat die Beweglichkeit der Ellenbogen nicht eingeschränkt erhoben. Es liege beidseits eine entzündliche Erkrankung der Muskelsehnenansätze am äußeren Ellenbogen vor. Der Befund am linken Ellenbogen sei unauffällig. Am rechten Ellenbogen habe sich keine Einschränkung der Muskelkraft gefunden. Allerdings habe die Klägerin bei nahezu allen Bewegungen Schmerzen geäußert.

Die Gutachterin hat erläutert, die Ursache einer Epicondylitis humeri radialis seien feinmotorische Tätigkeiten, die zu einer Überforderung bestimmter Muskeln, meist der Finger- und Handstreckermuskulatur, führten. Bei diesem Krankheitsbild handele es sich um eines im Sinne der BK 2101. Die Beschwerden träten zeitnah zur Aufnahme einer ungewohnten Tätigkeit auf, bei der ungeübte Muskulatur besonders beansprucht werde. Eine Epicondylitis nach langjähriger beschwerdefreier Tätigkeit sei daher eher ungewöhnlich, denn grundsätzlich passe sich der Bewegungsapparat höheren und speziellen Belastungen an. Erfahrungsgemäß führten nur konkrete Arbeitsabläufe, wie kurzzyklische, immer wiederkehrende Bewegungsabläufe, bei denen im Handbereich immer die gleichen Muskeln und Sehnen durch gleichartige Belastungen betätigt würden, zur BK 2101. Voraussetzung seien eine hohe Bewegungsfrequenz von mindestens 10.000 Bewegungsabläufen je Stunde oder hochfrequente feinmotorische Tätigkeiten. Die Klägerin habe zwar am PC gearbeitet, sei aber von Frequenzen von 10.000 Bewegungsabläufen je Stunde weit entfernt gewesen. Die Tätigkeit im Reisebüro sei keine repetitive Tätigkeit im Sinne einer BK 2101, sondern eine Mischtätigkeit, bei der neben Kundengesprächen, Katalogbesichtigungen und Sortieren von Unterlagen nur in begrenztem Umfang Daten eingegeben würden. Hinsichtlich der Dauer einer gefährdenden Tätigkeit hätten in allen bekannten Studien die Personen mindestens die Hälfte der Arbeitszeit ununterbrochen am PC gearbeitet. Bei einer Kollegin der Klägerin habe die reine Eingabezeit bei üblichem Arbeitsablauf 24 Minuten je Schicht betragen. Eine reine Eingabezeit von drei Stunden täglich, wie sie im Merkblatt vorausgesetzt sei, erscheine nicht wahrscheinlich. In allen durchgeführten Studien und in den wenigen bisher anerkannten Fällen hätten seien zudem höhere zeitliche Belastungen maßgeblich gewesen. Insgesamt liege zwar ein Krankheitsbild im Sinne von einer BK 2101 vor, allerdings könne eine Kausalität nicht mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Denn weder seien der zeitliche Erkrankungsablauf noch die Tätigkeiten typisch für eine Erkrankung nach BK 2101, und die Einwirkdauer je Schicht könne nicht nachgewiesen werden.

Mit Urteil vom 21. Mai 2008 hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau die Klage abgewiesen, da die Kammer vom Vorliegen einer schädigenden Tätigkeit im Sinne von Nr. 2101 der BKV keine Überzeugung gewinnen konnte. Eine typische Tätigkeit nach der streitgegenständlichen BK mit ständig monotoner und hochfrequenter Wiederholung der Arbeitsabläufe und mit unphysiologischer Handhaltung sei nicht anzunehmen. Es seien nicht andauernd Daten in den PC eingegeben worden, sondern es liege eine Mischtätigkeit im Reisebüro vor ohne eine permanente Beanspruchung der Streckmuskeln.

Gegen das ihr am 5. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. Juli 2008 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrags eingelegt. Sie betont, sie sei seit 1995 in der Reisebürofiliale im Rathauscenter D. tätig gewesen und habe unmittelbar nach Tätigkeitsaufnahme erste Beschwerden an den Sehnenscheiden gehabt. Die Arbeitsplatzanalyse beziehe sich auf eine andere Filiale, die 2006 wegen ausbleibender Kundschaft und damit wegen Unrentabilität geschlossen worden sei. Die Filiale, in der sie tätig gewesen sei, habe dagegen floriert, so dass sich aufgrund des Kundenverkehrs eine Eingabezeit von drei bis vier Stunden täglich ergeben habe. Angesichts der fehlenden Ablagemöglichkeit für die Unterarme sei bei erhöhter Kraftaufwendung das Handgelenk überstreckt worden. Die Klägerin verweist auf ein an ihre Prozessbevollmächtigte unter dem 6. August 2008 gerichtetes Schreiben des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin B., der eine Erstbehandlung wegen Epicondylitis radialis rechts am 3. Juli 1995 mitteilt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Mai 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2007 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 28. Juni 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Epicondylitis humeri radialis an ihren Armen eine Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für richtig. Sie weist darauf hin, dass es bei der Exposition nicht um die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes gehe, sondern um das Ausüben einer ständig monotonen und belastenden Tätigkeit. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen gekündigt worden sei, wenn die Filiale tatsächlich so stark frequentiert worden sei, wie behauptet werde.

Der Berichterstatter hat der Klägerin das von der Bundesregierung herausgegebene Merkblatt zur Berufserkrankung 2101 in der Fassung vom 1. Dezember 2007 übersandt und darauf hingewiesen, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin nicht um eine andauernde ununterbrochene Tätigkeit am Computer, vergleichbar der einer Schreibkraft, gehandelt habe.

Das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat die Klägerin schriftsätzlich am 20. September 2011, die Beklagte am 6. Oktober 2011 gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten (hier: Unfallakte mit Az. ), die sämtlich Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.

Darüber hatte der Senat durch Urteil zu entscheiden, weil der Rechtsstreit nicht nach § 102 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 2 SGG durch eine unterstellte Rücknahme erledigt ist. § 102 Abs. 2 S. 1 SGG ist im Berufungsverfahren nicht anwendbar. Dies gilt zum Einen für eine Berufungsrücknahme selbst. Denn die nach § 153 Abs. 1 SGG vorgesehene entsprechende Anwendung der Vorschriften für das Verfahren vor den Sozialgerichten im Berufungsverfahren setzt voraus, dass die in der jeweiligen Vorschrift angeordnete Rechtsfolge auf das Berufungsverfahren übertragen wird. Diese Rechtsfolge besteht in der Unterstellung einer Klagerücknahme, nicht einer Berufungsrücknahme (BSG, Urt. v. 1.7.2010 – B 13 R 58/09 R – SozR 4-1500 Nr. 1 Rdnr. 19 - 21).

Aber auch eine Klagerücknahme kann im Berufungsverfahren nicht mehr über § 102 Abs. 2 S. 1 SGG unterstellt werden. Denn eine "entsprechende" Anwendung dieser Vorschrift im Sinne von § 153 Abs. 1 SGG ist systematisch und teleologisch zumindest so lange nicht möglich, wie nicht eine vergleichbare Unterstellungsregelung für den Berufungsführer besteht. Es würde gegen den Grundsatz der Waffengleichheit im gerichtlichen Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (zum daraus insgesamt abgeleiteten Grundsatz des fairen Verfahrens vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., vor § 60 Rdnr. 1 b, zum Anspruch auf Waffengleichheit Rdnr. 1 f) verstoßen, wenn zwar die prozessuale Untätigkeit eines erstinstanzlich beklagten Berufungsführers folgenlos bliebe, diejenige des erstinstanzlich obsiegenden Klägers jedoch sogar den Verlust des zu seinen Gunsten ergangenen Urteils zur Folge hätte. Denn auch dies ist nach § 269 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 der Zivilprozessordnung Folge einer Klagerücknahme. Keine andere Betrachtung lässt sich daraus ableiten, dass im vorliegenden Fall Kläger und Berufungsführer identisch sind. Denn es gibt ebenso wenig eine prozessuale Rechtfertigung dafür, Berufungsführer untereinander danach verschieden strengen Obliegenheiten zu unterwerfen, ob sie im Verfahren erster Instanz aktive oder passive Partei waren.

Grundsätzlich kann die Klägerin ihr Begehren der Feststellung einer Listen-BK gemäß den §§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage verfolgen.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Anerkennung ihrer Erkrankung "Epicondylitis humeri radialis" als BK nach Nr. 2101 der Anlage I der BKV nicht zu. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die verfahrensgegenständliche Erkrankung der Klägerin ist zwar eine Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2101, aber die hierfür erforderlichen Einwirkungen (arbeitstechnischen Voraussetzungen) sind aus der Tätigkeitsschilderung der Klägerin und den von der Beklagten erhobenen Umständen nicht abzuleiten. Dabei folgt das Gericht der Sachverständigen Dr. B ...

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (BKV) mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 6 SGB VII. Erkrankungen der BK Nr. 2101 der Anlage I zur BKV sind solche der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die bei der Klägerin diagnostizierte Epicondylitis humeri radialis ist grundsätzlich eine Erkrankung, die von der Listen-BK Nr. 2101 erfasst wird (Merkblatt in der Fassung der letzten Änderung durch Bekanntmachung des BMAS v. 1. 12. 2007, zitiert nach Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2101).

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Folge geltend gemachte Krankheit erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30. April 1985 – 2 RU 43/84 – SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999 – B 2 U 47/98 RSozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001 – B 2 U 16/00 RSozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 – 2 RU 31/90SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Von diesen Voraussetzungen ausgehend ist nach dem Gesamtergebnis der arbeitstechnischen Erhebungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren die BK Nr. 2101 bei der Klägerin nicht festzustellen, wie Dr. B. aus arbeitsmedizinischer Sicht bestätigt hat. Denn die angeschuldigte Tätigkeit der Klägerin als Reiseverkehrsfrau stellt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung im Sinne der angezeigten BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKV dar.

Mit dem Begriff der "arbeitstechnischen Voraussetzungen" sind die für die Anerkennung einer Krankheit als BK erforderlichen besonderen Einwirkungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII gemeint. Es geht darum, welche Einwirkungen vorgelegen haben und wie sie beschaffen gewesen sein müssen, um von einer beruflichen Ursache der eingetretenen Erkrankung ausgehen zu können (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 RSozR 4-2700 § 9 Nr. 7). Dabei sind die im Normtext verwandten Begriffe auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu konkretisieren und dann festzustellen, wie die beruflichen Einwirkungen beschaffen sein müssen, um die betreffende Krankheit hervorrufen zu können (BSG, a.a.O.).

Besonderen Einwirkungen, die als ursächlich für das Auftreten dieser Erkrankung anzusehen sind, war der Klägerin nach Überzeugung des Senats in ihrer konkreten Tätigkeit als Reiseverkehrskauffrau nicht in dem erforderlichen Ausmaß ausgesetzt. Aus den amtlichen Begründungen zu den jeweiligen Fassungen dieser BK (vgl. die Darstellung von Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 BK 2101 Anm. 1) sowie der Art der von der BK erfassten Erkrankungen können hier die maßgeblichen Einwirkungen abgeleitet werden (Becker a.a.O.) als ungewohnte oder lang andauernde mechanische Überbeanspruchung der Hände und Arme. Die Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar für geeignet gehalten:

Kurzzyklische, immer wiederkehrende Bewegungsabläufe, bei denen im Handbereich immer die gleichen Muskeln und Sehnen durch gleichartige Belastungen betätigt werden. Kennzeichnend dafür müsse eine hohe Bewegungsfrequenz von mindestens 10.000 Bewegungsabläufen/Std. oder eine hochfrequente feinmotorische Tätigkeit in achsenungünstiger Auslenkung des Handgelenkes, wie z. B. beim Stricken sein.

Wiederkehrende Arbeiten mit grober Kraftanwendung und hoher Auslenkung des Handgelenkes, z. B. beim Montieren

Tätigkeiten mit häufiger Überstreckung der Hand

Monoton wiederholte plötzliche Drehbewegungen der Hand.

Diese Voraussetzungen verneint die Sachverständige überzeugend. Auch der Senat geht davon aus, dass die PC-Tätigkeit der Klägerin nicht die Voraussetzungen einer kurzzyklischen hochfrequenten Tätigkeit ausfüllt. Nach der Arbeitgeberauskunft bediente die Klägerin den PC mit einer Maus, wobei Bewegungen nicht annähernd in der Häufigkeit anfallen wie beim Maschinenschreiben. Es entspricht den Erfahrungen des Gerichts aus der Arbeit am Computer, dass dabei nicht über eine Stunde und mehr drei Bewegungen pro Sekunde – insgesamt 10.000 Bewegungen/Std. – anfallen. Dies ist für eine längere Zeit auch dann nicht der Fall, wenn zwischendurch Suchwörter oder andere Begriffe über die Tastatur eingegeben werden müssten. Vielmehr nähme dies der Arbeit sogar die immer wiederkehrende gleiche Art der Belastung.

Auch für eine achsenungünstige Auslenkung des Handgelenkes sieht der Senat mit der Sachverständigen keine Hinweise, geschweige denn Belege. Die Behauptung der Klägerin, sie habe die Hände und Unterarme nicht auflegen können, läuft darauf zumindest nicht hinaus. Denn daraus folgt nicht, dass die Klägerin die Handgelenke tatsächlich in eine gebeugte oder überstreckte Haltung gebracht hat, die von der aufliegenden Haltung abweicht. Eine durch die Arbeitsabläufe bedingte Notwendigkeit dazu – wie im Beispielsfall des Strickens – bestand jedenfalls nicht. Zweifelhaft erscheint dem Senat insoweit die Meinung der Sachverständigen, die Verwendung einer Maus führe zu einer leichten Überstreckung des Handgelenkes. Darauf kommt es aber letztlich nicht an, weil mit der Sachverständigen davon auszugehen ist, dass insoweit keine ausreichenden monotonen Belastungen auftreten. Vielmehr ermöglichen Phasen, in denen die Klägerin Kunden Erläuterungen geben, Bilder oder andere Unterlagen zeigen und Unterlagen weglegen bzw. sortieren muss, eine zwischenzeitliche Erholung von jeder monotonen Handgelenkshaltung.

Arbeiten mit grober Kraftanwendung hat die Klägerin selbst nicht beschrieben. Es ist auch nicht vorstellbar, in welchem Zusammenhang sie im Beruf der Reiseverkehrskauffrau, dessen Verrichtungen in der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes beschrieben sind, in nennenswertem Umfang anfallen sollten. Ebenso gilt dies für Arbeiten mit wiederholten Drehbewegungen.

Die globale Behauptung der Klägerin, die Sachverständige habe ihre individuellen Arbeitsplatzanforderungen nicht beachtet, überzeugt nicht. Die Aufgabe der Klägerin in ihrem Beruf als Reiseverkehrskauffrau bestand darin, Reisen zu vermitteln und zu verkaufen. Dazu gehört neben dem Aufrufen von Dateien und der Eingabe von Daten am Computer der stoffliche Umgang mit Vertragsunterlagen und die Erörterung und Sichtung von Reiseangeboten mit den Kunden, wie aus der Buchung von Reisen allgemein bekannt ist. Der Ermittlungsbericht der Präventionsabteilung benennt insoweit als Tätigkeit außerhalb der Computernutzung Beratung, Erläutern von Unterlagen, Telefonieren, Postbearbeitung, handschriftliche Notizen, Taschenrechnernutzung und Holen von Katalogen. Es ist dabei unbeachtlich, ob die im Zusammenhang damit stehenden Erhebungen am Arbeitsplatz nicht den maßgeblichen Arbeitplatz der Klägerin betrafen. Denn die Mitteilungen von Mitarbeiterinnen der gleichen Arbeitgeberin zum Berufsbild der Reiseverkehrskauffrau begegnen jedenfalls keinen Zweifeln.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen hat, seit 1995 an einem neuen Arbeitsplatz eingesetzt worden zu sein, handelt es sich bei den dazu wiedergebenen Arbeitsbedingungen um diejenigen, die die Sachverständige ihrer Beurteilung auch zu Grunde gelegt hat. Zwar erwähnt diese auch das Ergebnis der Beklagten für einen konkreten Arbeitsplatz mit einer Eingabezeit von 24 Minuten, das wohl einen anderen Arbeitsplatz betrifft. Gleichwohl verweist die Sachverständige darauf, Studien zur Beschwerdeverursachung beim Umgang mit Maus und Tastatur hätten eine solche jeweils nur für Personen ergeben, die mindestens die Hälfte der Arbeitszeit ununterbrochen am PC gearbeitet hätten. Eine solche Dauer behauptet hinsichtlich einer ununterbrochenen PC-Tätigkeit nicht einmal die Klägerin selbst; aus der Arbeitgeberauskunft ergibt sie sich erst recht nicht. Soweit die Sachverständige wiedergibt, das Merkblatt enthalte die Voraussetzung einer (nur) dreistündigen Tätigkeit täglich, hat dieses einen solchen Inhalt tatsächlich nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage bzw. ohne Klärungsbedarf über den Fall hinaus, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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