L 4 KR 168/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 229/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 168/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger freiwilliges Mitglied der Beklagten ist.

Der am 1960 geborene Kläger bezieht seit 01.01.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte hat dem Kläger bereits mit Schreiben vom 10.02.1999 mitgeteilt, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner seien nicht gegeben.

Der Kläger war vom 28.07.1999 bis 17.01.2000 freiwillig bei der Beklagten versichert. Ein Bescheid darüber erging nicht. Die Mitgliedschaft endete, weil der Kläger trotz Hinweis vom 06.12.1999 die fälligen Beiträge nicht bezahlte hatte. Den Bescheid vom 17.12.2000, der das Ende der Mitgliedschaft feststellte, ließ der Kläger unbeanstandet. Am 10.11.2000 heiratete der Kläger die bei der Beklagten versicherte Frau B. H ... Die Beklagte hat mit dem Tag der Eheschließung den Kläger bei seiner Ehefrau mitversichert.

Mit Bescheid vom 11.07.2001 beendete die Beklagte die kostenlose Familienversicherung ausdrücklich zum 13.07.2001. Sie gab an, es sei das Einkommen (Rente) des Ehemannes nicht mitgeteilt worden. Erst heute (11.07.2001) habe die LVA Schwaben mitgeteilt, dass der Kläger eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von 793,39 DM beziehe. Eine kostenlose Mitversicherung sei bei dieser Einkommenshöhe nicht möglich. Die ausgestellte Krankenversicherungskarte verliere mit dem 13.07.2001 ihre Gültigkeit und sei schnellstmöglich zurückzugeben.

Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein, verbunden mit dem Antrag, den Kläger bis auf weiteres bei der Beklagten zu versichern. Der Kläger sei von der Beklagten falsch beraten worden. Die LVA habe bis Februar 2001 den Beitragsanteil an die Beklagte abgeführt. Die Beklagte habe die vereinnahmten Beiträge komplett wieder an die LVA zurückgeführt und den Kläger bis einschließlich Februar 2001 freiwillig versichert. Der Rentenbezug sei der Beklagten seit November 1999 bekannt gewesen. Die fristlose Kündigung sei daher rechtlich nicht haltbar. Der Kläger sei selbstverständlich bereit, sich freiwillig versichern zu lassen.

Die Beklagte hat daraufhin am 07.08.2001 ausgeführt, der Kläger habe seit seiner Heirat am 10.11.2000 keinen Familienhilfeanspruch gehabt. Aus diesem Grund sei auch keine Familienversicherung entstanden. Da auf Grund der Rechtslage keine Familienversicherung entstanden sei, bestehe auch kein Recht auf freiwillige Weiterversicherung.

Am 10.08.2001 erging ein weiterer Bescheid, mit dem die Beklagte die Möglichkeit einer am Vortag "beantragten" freiwilligen Weiterversicherung verneinte. Der Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schreiben vom 16.08.2001 Widerspruch gegen die Ablehnung der freiwilligen Versicherung ein. Er wies darauf hin, die kostenlose Familienversicherung habe zum 13.07.2001 geendet. Bereits mit Schreiben vom 09.08.2001 sei Antrag auf freiwillige Weiterversicherung gestellt worden, die Dreimonatsfrist sei also eingehalten worden.

Die Beklagte half im Widerspruchsbescheid vom 30.08.2001 den Widersprüchen nicht ab. Die Familienversicherung sei auf Grund falscher Angaben des Klägers durchgeführt worden, die Direktion Günzburg habe die irrtümlich durchgeführte Familienversicherung mit 13.07.2001 beendet. Voraussetzung für eine freiwillige Versicherung nach einer Familienversicherung sei, dass der Anspruch erlischt. Dieser könne aber nur erlöschen, wenn er vorher bestanden habe. Eine freiwillige Versicherung sei deshalb nicht möglich.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Ziel auf freiwillige Weiterversicherung weiter. Er habe zu keinem Zeitpunkt falsche Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen getätigt. Es sei einzig und alleine an der Beklagten gelegen, dass sein Einkommen übersehen wurde. Die Beklagte habe den Fehler erst registriert, nachdem die LVA eine Mitteilung über die Rente gemacht hatte. Die Beklagte hätte den Kläger zumindest als freiwilliges Mitglied rückwirkend versichern müssen, nachdem sie seine Vermögensverhältnisse nicht berücksichtigt habe. § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X, wonach Verwaltungsakte rückwirkend aufzuheben seien, sei nicht einschlägig. Der Kläger habe keine falschen oder unvollständigen Angaben gemacht.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 04.07.2002 die streitgegenständlichen Bescheide abgeändert und festgestellt, dass der Kläger in der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem 14.07.2001 freiwillig weiterzuversichern ist. Vorab sei festzustellen, dass die Familienversicherung im Sinne von § 10 Abs.1 SGB V im Falle des Klägers zu Unrecht durchgeführt worden sei, weil dieser ein Gesamteinkommen gehabt habe, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschritten habe. Die Gründe für das Zustandekommen der zu Unrecht durchgeführten Familienversicherung könnten dahingestellt bleiben. Die freiwillige Krankenversicherung des Klägers bei der Beklagten sei zu Unrecht am 17.01.2000 beendet worden. Aus der Zahlungserinnerung vom 06.12.1999 ergebe sich nicht, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt ordnungsgemäß belehrt worden sei. Es sei auf den ursprünglich zutreffend bestandenen Status eines freiwillig Versicherten abzustellen. Zur Frage der Rückabwicklung könne den Gründen des Urteils des BSG vom 07.12.2000 (B 10 KR 3/99 R) entnommen werden, dass für den Beginn der freiwilligen Krankenversicherung (hier erneute freiwillige Krankenversicherung) auf die Beendigung der zu Unrecht durchgeführten Familienversicherung abzustellen sei, hier also auf den 14.07.2001. Ab diesem Zeitpunkt sei der Kläger gemäß § 9 SGB V wieder freiwillig weiter zu versichern, wobei er die entsprechenden Beiträge nachentrichten müsse. Dies gelte auch für die rückständigen Beiträge aus der Zeit bis zur Beendigung der freiwilligen Versicherung am 17.01.2000, da sich der jetzige Status als freiwillig Krankenversicherter von dem ursprünglichen Status ableite. Nur die Zeit der Versicherung über den Sozialhilfeträger sowie die der zu Unrecht durchgeführten Familienversicherung sei bei der Betragsnachentrichtung auszunehmen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Das Sozialgericht Augsburg habe zu Unrecht die freiwillige Weiterversicherung festgestellt. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei nicht der Ausschluss des Klägers wegen Zahlungsverzug aus der freiwilligen Versicherung zum 17.01.2000, sondern allein der Widerspruch und die Klage gegen die Kündigung der Familienversicherung sowie die beantragte freiwillige Weiterversicherung im Anschluss an die nicht zu Stande gekommene Familienversicherung. Der Ausschluss zum 17.01.2000 entspreche § 191 Nr.3 SGB V. Er sei im Übrigen von der Klägerseite niemals angezweifelt worden und rechtswirksam. Der Kläger habe damals billigend in Kauf genommen, dass sein Versicherungsschutz endete.

Eine Familienversicherung am 10.11.2000 sei, wenn überhaupt, nur auf Grund der unvollständigen Angaben des Klägers zu Stande gekommen. Es sei als eine Schutzbehauptung anzusehen, dass der Kläger die bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente angegeben habe. Der Verwaltungsakt habe auf unvollständigen Angaben des Klägers beruht, er sei aus diesem Grund nach § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X rückwirkend aufzuheben gewesen. Da beim Kläger weder eine Familienversicherung noch der Anspruch auf diese bestanden habe, seien die Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung nicht erfüllt. Die Entscheidung des BSG vom 07.12.2000 betreffe einen anderen Sachverhalt, nämlich eine früher bestehende Familienversicherung, die geendet habe. Deshalb könnten die Ausführungen zum nachträglichen freiwilligen Beitritt zur Krankenversicherung hier nicht angewendet werden.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4.07.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Ausführungen des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der LVA Oberbayern und der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis im Urteil vom 04.07.2002 zutreffend festgestellt, dass der Kläger ab dem 14.07.2001 freiwillig weiterzuversichern ist.

Gemäß § 9 Abs.1 Ziffer 2 SGB V können der freiwilligen Versicherung beitreten u.a. Personen, deren Versicherung nach § 10 SGB V erlischt oder nur deswegen nicht besteht, weil die Voraussetzungen des § 10 Abs.3 vorliegen, wenn sie oder der Elternteil, aus dessen Versicherung die Familienversicherung abgeleitet wurde, die in Nr.1 genannte Vorversicherungszeit erfüllen. Die Vorversicherungszeit erfordert gemäß § 9 Abs.1 Nr.1, dass Versicherte in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens zwölf Monate versichert waren. Der Kläger erfüllt laut Bestätigung der Beklagten die Vorversicherungszeit. Er war bis 27.07.1999 pflichtversichert.

Beim Kläger ist auch eine Versicherung nach § 10 SGB V "erloschen". Die Familienversicherung des Klägers, deren Voraussetzungen unstreitig deshalb nicht gegeben waren, weil er Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hat, ist gleichwohl faktisch ab 10.11.2000 (Beginn der Ehe) durchgeführt worden. Die Beklagte hätte, da ein Verwaltungsakt über das Bestehen der Familienversicherung nicht ergangen ist, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (siehe Urteil des BSG vom 07.12.2000 SozR 3-2500 § 10 Nr.19) die Möglichkeit gehabt, rückwirkend durch Bescheid festzustellen, dass eine Familienversicherung in der Vergangenheit nicht bestanden hat, ohne die sich aus den §§ 45, 48 Abs.1 SGB X folgenden Einschränkungen beachten zu müssen. Diese Möglichkeit hat die Beklagte jedoch nicht gewählt. Sie hat vielmehr im streitgegenständlichen Bescheid vom 11.07.2001 die Familienversicherung zum 13.07.2001 beendet. Dies bedeutet, dass sie das Vorliegen der Familienversicherung bis zum 13.07.2001 anerkannt hat. Auch der Widerspruchsbescheid geht davon aus, dass die Versicherung zum 13.07.2001 beendet wurde. Die Beklagte hat dort zwar auch ausgeführt, der Anspruch auf Familienversicherung sei nicht von einer Abmeldung bzw. Kündigung abhängig und den Bescheid vom 11.07.2001 insoweit "berichtigt", als sie von einem Nichtbestehen der Familienversicherung ausgeht. Diese reformatio in peius ist, so wie sie durchgeführt wurde, nicht zulässig (siehe hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage Rdziff.5 zu § 85). Damit bleibt es dabei, dass bis 13.07.2001 eine Familienversicherung gemäß § 10 SGB V bestanden hat.

Die Beklagte hat diese Familienversicherung durch den Bescheid vom 11.07.2001 beendet, was zum Erlöschen geführt hat. § 9 Abs.1 Nr.2 SGB V unterscheidet nicht zwischen rechtmäßige und unrechtmäßiger Familienversicherung.

Da der Bevollmächtigte des Klägers die freiwillige Weiterversicherung bereits im August 2001 beantragt hat, ist die Voraussetzung des § 9 Abs.2 SGB V gegeben, wonach der Beitritt der Krankenkasse innerhalb von drei Monaten anzuzeigen ist. Die mit Bescheid vom 10.08.2001 ausgesprochene Ablehnung der freiwilligen Versicherung ist damit nicht rechtens. Der Kläger ist ab 14.07.2001 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Er hat ab diesem Tag Beiträge nachzuentrichten. Da es sich nicht um eine freiwillige Weiterversicherung handelt, ist nicht entscheidungserheblich, wie die Familienversicherung zustande kam (siehe BSG a.a.O., S.84).

Den Ausführungen des Sozialgerichts, dass bereits auf die freiwillige Versicherung ab 28.07.1999 abzustellen sei, folgt der Senat nicht. Diese freiwillige Versicherung wurde nämlich ausdrücklich mit Bescheid vom 17.01.2000 beendet, der Bescheid ist bestandskräftig. Seine Rechtmäßigkeit ist deshalb nicht mehr zu prüfen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Beklagten und Berufungsklägerin.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, nämlich ob eine unrechtmäßige oder tatsächlich durchgeführte Familienversicherung den Tatbestand das § 9 Abs.1 Nr.2 SGB V erfüllen kann, wird die Revision zugelassen (§ 160 Abs.2 Nr.1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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