L 16 RJ 610/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 462/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 610/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 8. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung, insbesondere die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Der 1945 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Jugoslawien - jetzt Staatliche Gemeinschaft Serbien und Montenegro - und bezieht dort aufgrund eines auf jugoslawische Rentenleistungen beschränkten Rentenantrags vom 28.01.1994 seit 28.01.1994 eine Invalidenrente (Rentenbescheid vom 10.04.1996).

Er hat nach (widersprüchlichen) eigenen Angaben möglicherweise im ehemaligen Jugoslawien den Beruf des Werkzeugmachers erlernt und dort vom 10.01.1966 bis 06.01.1967, vom 20.05.1967 bis 07.10.1968 sowie vom 01.02.1978 bis 31.05.1984 8 Jahre, 8 Monate und 14 Tage an Versicherungszeiten zurückgelegt (JU-D 205 vom 16.02.2001, Rentenbescheid vom 10.04.1996). Vom 11.06.1984 bis 12.04.1996 war der Kläger arbeitssuchend geführt ohne finanzielle Entschädigung (Bescheinigung der Anstalt der Republik Serbien für den Arbeitsmarkt Belgrad, Dienststelle für Beschäftigung P. , Abt. für Arbeitsvermittlung S. vom 31.10.2002)

In Deutschland hat der Kläger vom 20.01.1969 bis 06.02.1976 insgesamt 86 Monate Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Er war hier nach eigenen Angaben als Arbeiter in einer Maschinenfabrik versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 07.10.1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Hinweis auf seine jugoslawische Invalidenrente eine "Berufsunfähigkeitsrente (Invalidenrente)".

Die Beklagte zog ein Gutachten der jugoslawischen Invalidenkommission vom 13.12.1996 (in Abschrift - JU 207 vom 9.02.2001) bei. Der Kläger gab dort an, bereits in der Jugend hätten Verhaltensänderungen begonnen, seine Arbeitsstelle habe er eigenwillig verlassen und er lasse sich seitdem beim Neuropsychiater ambulant behandeln. In den letzten drei Jahren sei er viermal stationär behandelt worden. Er klagte über Schlaflosigkeit sowie undefinierte Angstgefühle und gab "Beziehungsideen der Verfolgung und des Suizids" an. Die Kommission stellte eine chronisch-paranoide Psychose mit Folgeerscheinungen in der affektiven und Willenssphäre fest. Ab Antragstellung (28.01.1994) liege bei ihm die 1. Invaliditätskategorie vor. Er sei weder fähig zur Ausübung seines Berufes noch einer anderweitigen entsprechenden Tätigkeit.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag vom 07.10.1999 ab (Bescheid vom 06.03.2001). Ausgehend vom Datum der Antragstellung seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente nicht erfüllt. Im Zeitraum vom 07.10.1994 bis 06.10.1999 habe der Kläger keine Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Eine vorzeitige Wartezeiterfüllung liege nicht vor. Auch sei die Zeit von Juni 1984 bis September 1999 nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Für Zeiten bis zum Dezember 1998 sei im Zeitpunkt der Antragstellung eine Belegung auch nicht mehr möglich gewesen.

Auf den Widerspruch des Klägers (Schreiben vom 24.04.2001) holte die Beklagte ein Gutachten des Psychiaters Dr. A. vom 03.12.2001 ein. Dieser stellte nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 26.11.2001 folgende Diagnosen:

1. Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis 2. Wirbelsäulenbezogene Beschwerden bei Abnutzungserscheinun- gen im LWS-Bereich 3. Varizen an den unteren Extremitäten 4. Extrem lückenhaftes, sanierungsbedürftiges Gebiss.

Der Kläger gab an, er habe ab 1985 zunehmende Probleme bei der Arbeit gehabt, die zur Entlassung geführt hätten. Seit 1986 arbeite er nicht mehr. Eine psychiatrische oder medikamentöse Behandlung erfolge nicht. Dr. A. kam zu dem Ergebnis, aufgrund der chronisch progredienten psychotischen Erkrankung, die offensichtlich seit Jahren bestehe, sei die Leistungsfähigkeit des Klägers praktisch aufgehoben. Es sei anzunehmen, dass die Erkrankung bereits 1994 bestanden habe und der Kläger seither auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter zweistündig erwerbstätig sein konnte.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 20.12. 2001). Der Kläger sei seit dem 28.01.1994 erwerbsunfähig. Ausgehend von diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung aber nicht erfüllt. Der maßgebende Zeitraum vom 28.01.1989 bis 27.01.1994 enthalte weder Pflichtbeiträge noch Verlängerungstatbestände. Die Zeit vom Juni 1984 bis Dezember 1993 sei nicht mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Für Zeiten bis zum 31.12.1992 könnten auch keine freiwilligen Beiträge mehr entrichtet werden. Dass die Erwerbsminderung spätestens zum 01.06. 1986 eingetreten sei, wofür letztmalig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt wären, habe medizinisch nicht festgestellt werden können.

Gegen den am 21.12.2001 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 19.03.2002 - beim Sozialgericht Landshut (SG) eingegangen am 26.03.2002 - Klage erhoben. Er sei nicht nur erwerbsgemindert, sondern überhaupt nicht erwerbsfähig und befinde sich seit 1993 in der Neuropsychiatrischen Klinik in S. in Behandlung. Er benötige regelmäßige und ununterbrochene medizinische Behandlung.

Auf Anfrage des SG hat der Kläger mitgeteilt, Unterlagen über ärztliche Behandlungen bis 1986 könne er nicht mehr vorlegen. Das Archiv sei 1999 bombardiert worden (Schreiben vom 08.07. 2002).

Das SG wies die Klage ab (Gerichtsbescheid vom 08.10.2002), weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht erfüllt seien. Stelle man auf die Rentenanträge vom 28.01.1994 bzw. 07.10.1999 ab, fehle es seit 01.06.1984 an jeglichen Versicherungs- und Anwartschaftserhaltungszeiten, wobei die Zeit des Rentenbezugs in Jugoslawien ab Januar 1994 keine Anwartschaftserhaltungszeit sei. Freiwillige Beiträge könnten allenfalls für die Zeit ab 01.01.1994 bzw. 01.01.1999 nachentrichtet werden. Für eine vorzeitige Wartezeiterfüllung oder den Eintritt des Leistungsfalles vor dem 01.01.1994 bestünde, wenn man auf die Rentenanträge bzw. auf den Vortrag des Klägers abstelle, er sei bereits seit 1993 erwerbsunfähig, kein Anhaltspunkt.

Gegen den am 23.10.2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger durch (kommentarlose) Übersendung einer Bescheinigung der Arbeitsvermittlung P. über eine Zeit der Arbeitslosigkeit vom 11.06.1984 bis 12.04.1996 - beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingegangen am 02.12.2002 - Berufung eingelegt. Eine Begründung erfolgte nicht.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 08.10. 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 06.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2001 aufzuhe- ben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Be- rufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewäh- ren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und die Prozessakten des Sozialgerichts Landshut beigezogen sowie Übersetzungen der vom Kläger an das SG übersandten Entlassungsberichte des Allgemeinen Krankenhauses S. über stationäre Behandlungen des Klägers vom 01.02.1994 bis 22.03.1994, 25.04.1995 bis 29.06.1995 sowie 29.11.1995 bis 05.02.1996 eingeholt. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten und die Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Kläger hat mit der Übersendung der Bescheinigung über seine Arbeitslosigkeit vom 11.06.1984 bis 12.04.1996 und des Deckblattes des Gerichtsbescheides vom 08.10.2002 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die vom Sozialgericht Landshut getroffene, auf die Nichterfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen gestützte und insbesondere mit dem Fehlen rentenrechtlicher Zeiten ab Juni 1984 begründete Entscheidung angreifen will.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht Landshut hat die Klage gegen den Bescheid vom 06.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2001 mit Gerichtsbescheid vom 08.10.2002 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind.

Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe des Gerichtsbescheides Bezug genommen (§ 153 Abs.2 SGG). Ergänzend ist auszuführen, dass es für die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht - wie in den angegriffenen Entscheidungen des SG und der Beklagten ausgeführt - auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung ankommt. Allerdings sind das SG und die Beklagte im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass für einen Eintritt der Erwerbsminderung bis zum Juni 1986, dem Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, keine Anhaltspunkte bestehen.

Die Zeit der Arbeitslosigkeit (ohne Leistungsbezug) in Jugoslawien vom 11.06.1984 bis 12.04.1996 ist bei der Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht als Streckungstatbestand (§ 43 Abs. 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - i.d. bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung - a.F. -) oder Anwartschaftserhaltungszeit (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F.) zu berücksichtigen. Das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien - jetzt Staatliche Gemeinschaft Serbien und Montenegro - als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2600 § 250 SGB VI Nr. 3) weiterhin anwendbare deutsch-jugoslawische Abkommen über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 (BGBl.II 1969 S.1438) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30.09.1974 (BGBl.II 1975 S.390) enthält hierzu keine Gleichstellungsregelung (vgl. BSGE 86, 153; SozR 3-2600 § 197 Nr. 4).

Medizinische Unterlagen über Behandlungen des Klägers in Jugoslawien können nach seinen Angaben nicht mehr vorgelegt werden. Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass beim Kläger bereits seit seiner Jugend Verhaltensänderungen bestanden, die jedoch zumindest bis zum Mai 1984 einer Erwerbstätigkeit des Klägers nicht entgegenstanden. Ob und inwieweit psychische Gesundheitsstörungen 1984 zur Arbeitsaufgabe geführt haben, lässt sich den Unterlagen nicht entnehmen. Der Kläger hat lediglich gegenüber Dr. A. angegeben, ihm seien zu Unrecht Fehler angelastet worden, weshalb er schließlich entlassen worden sei. Dies lässt keine Rückschlüsse auf seinen damaligen Gesundheitszustand zu. Eine stationäre Behandlung des Klägers ist nach seinen Angaben erstmals 1993 sowie nach den Entlassungsberichten des Allgemeinen Krankenhauses S. nochmals 1994, 1995 und zum Jahreswechsel 1995/96 jeweils wegen einer paranoiden Psychose erfolgt. Die Berichte geben aber keinen Aufschluss über die frühere Entwicklung der Erkrankung, die ggf. Anlass zu einer Begutachtung nach Aktenlage geben könnte. Unterlagen aus der Zeit von 1986 bis 1996 sind nicht mehr verfügbar, da das entsprechende Archiv nach Angaben des Klägers 1999 zerstört wurde.

Nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsätzen der objektiven Beweislast (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 7. Auflage Rdnr.19a m.w.N.) trägt der Kläger die Folgen für den fehlenden Nachweis eines für ihn günstigen, anspruchsbegründenden früheren Eintritts einer Erwerbsminderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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