Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
189
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 189 AS 15170/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 11. Juni 2012 bis zum 30. November 2012, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 374,- EUR monatlich zu gewähren. Für den Monat Juni sind die Leistungen anteilig zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen. 2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für Staatsangehörige eines europäischen Mitgliedstaates (Ungarn). Der am 11. Juni 2012 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Antrag des die ungarische Staatsangehörigkeit besitzenden Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab Antragstellung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der gesetzlich zustehenden Höhe zu gewähren, ist zulässig und in dem tenorierten Umfang begründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet entsprechende Anwendung. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist danach zunächst ein Anordnungsgrund. Dieser liegt in der Notwendigkeit der Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, die sich regelmäßig aus der Eilbedürftigkeit ergibt. Es soll verhindert werden, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Außerdem muss ein Anordnungsanspruch bestehen. Dieser bezieht sich auf den materiell-rechtlichen Anspruch des Antragstellers. Sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010, Az. L 7 KA 139/09 B ER). Je gewichtiger der Anordnungsgrund, d.h. je größer die Eilbedürftigkeit oder Schwere des drohenden Nachteils, desto geringere Anforderungen sind an den Nachweis des Vorliegens des Anordnungsanspruchs zu stellen und umgekehrt. Gleichzeitig ersetzt auch ein klar vorliegender Anordnungsanspruch nicht vollständig das erforderliche Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragssteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung als auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vornehmen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur dann allein an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist ausschließlich anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, - Az. 1 BvR 596/05 -). Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegend gegeben. Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten eidesstattlichen Versicherung verfügt der Antragsteller über keinerlei Einkommen oder Vermögen, von dem er seinen Lebensunterhalt auch nur vorübergehend bestreiten könnte. Der Anordnungsgrund ergibt sich bereits aus dem existenzsichernden Charakter der begehrten Leistungen. Das Abwarten des Abschlusses des Klageverfahrens ohne hinreichende Sicherung des Existenzminimums ist dem Antragsteller unzumutbar, insoweit treten im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung rein fiskalische Interessen des Antragsgegners hinter den Interessen des Antragstellers an der Gewährleistung seines Existenzminimums zurück. Auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist hinreichend glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat durch die Vorlage von Kontoauszügen und seiner eidesstattlichen Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht, hilfebedürftig i.S.d. § 9 SGB II zu sein. Der Antragsteller ist erwerbsfähig und hat die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Zwar hat der Antragsteller derzeit keine Kosten der Unterkunft und Heizung, jedoch ist sein Regelbedarf nach § 20 SGB II nicht gedeckt. Der Antragsteller hat auch seinen gewöhnlichen – rechtmäßigen – Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 FreizügG/EU; der Antragsteller verfügt über eine entsprechende Freizügigkeitsbescheinigung. Der Antragsteller ist als ungarischer Staatsangehöriger entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind zwar Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Jedoch ist nach Auffassung der Kammer dieser Leistungsausschluss für Ausländer nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass er auf Unionsbürger keine Anwendung findet, so dass der Antragsteller vom Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses nicht erfasst wird (so auch: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, - L 14 AS 763/12 B ER -; SG Berlin Urteil v. 27.03.2012, - S 110 AS 28262/11 -; Beschluss v. 26.03.2012, - S 96 AS 6145/12 ER -; Beschluss vom 29. März 2012, - S 43 AS 6270/12 ER -; SG Dresden v. 05.08.2011, - S 36 AS 3461/11 ER -; LSG Berlin-Brandenburg v. 30.11.2010 – L 34 AS 1501/10 B ER; SG Berlin v. 24.05.2011 - S 149 AS 17644/09; Schreiber in: info also 2008, 3, 9; Geiger in: info also 2010, 147, 150; aA:; LSG Berlin-Brandenburg v. 29.02.2012, - L 20 AS 2347/11 B ER -; v. 3. April 2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen v. 22.06.2010 - L 1 AS 36/08 und v. 15.06.2007 – L 20 B 59/07 AS ER; LSG Baden-Württemberg v. 15.04.2010 - L 13 AS 1124/10 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg v. 25.03.2010 - L 29 AS 2128/09 B ER; LSG Hessen v. 13.09.2007 - L 9 AS 44/07 ER; LSG Niedersachsen-Bremen v. 02.08.2007 - L 9 AS 447/07 ER). Somit hat der Antragsteller nach Auffassung des Gerichts einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, obwohl sich sein Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist, soweit er auch Unionsbürger betreffen soll, mit höherrangigem europäischem Sekundärrecht, nämlich mit Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) Nr. 883/2004, Abl L 166 vom 30.04.2004, S. 1-123) nicht vereinbar (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, - L 14 AS 763/12 B ER -; SG Berlin Urteil v. 27.03.2012, - S 110 AS 28262/11 -; Beschluss v. 26.03.2012, - S 96 AS 6145/12 ER -; Beschluss vom 29. März 2012, - S 43 AS 6270/12 ER -; SG Dresden v. 05.08.2011, - S 36 AS 3461/11 ER -; LSG Hessen Beschluss v. 14.07.2011 - L 7 AS 107/11 B ER; vgl auch LSG Bayern, Beschluss v. 12.03.2008 - L 7 B 1104/07 AS ER -; SG Berlin, Urteil v. 24.05.2011 - S 149 AS 17644/09 -). Die Antragsteller können sich auf das dort kodifizierte Gleichbehandlungsgebot berufen. In Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 hat der europäische Verordnungsgeber ein striktes Gleichbehandlungsgebot normiert, ohne dort aber die generelle Möglichkeit einer Rechtfertigung ähnlich Art. 24 Abs. 2 2004/38/EG zuzulassen. Gemäß Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 haben, sofern in der Verordnung selbst nichts anderes bestimmt ist, Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Anders als die Vorgängerregelung - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - erfasst der persönliche Anwendungsbereich der seit dem 1. Mai 2010 geltenden VO (EG) Nr. 883/2004 (Verabschiedung der Durchführungsverordnung 987/2009 - Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 nicht mehr nur Arbeitnehmer und Selbständige, sondern "alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen." Mit den "Rechtsvorschriften" sind ausweislich der Begriffsbestimmung des Art. 1 Buchstabe l) alle Rechtsvorschriften "in Bezug auf die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweige der sozialen Sicherheit" gemeint. Dort wiederum ist u. a. der Zweig der "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" genannt. Diese Rechtsvorschriften gelten für den Antragsteller, der beispielsweise Arbeitsvermittlungsleistungen in Anspruch nehmen kann und auf den grundsätzlich auch die Rechtsvorschriften des SGB II Anwendung finden (vgl. Thie/Schoch in: Münder, LPK-SGB II, 4. Aufl., Rn 17 zu § 7). Da die Vorgängerregelung VO (EWG) Nr. 1408/71 im Wesentlichen nur Arbeitnehmer und Selbständige betraf, fand sie naturgemäß keine Anwendung auf Unionsbürger, deren Recht zum Aufenthalt in Deutschland nur auf dem Zweck der Arbeitssuche beruhte. Insoweit vermag die Argumentation des LSG Berlin-Brandenburg (v. 03.04.2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -) nicht zu überzeugen, die einen Vorrang der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber der Verordnung VO (EG) Nr. 883/2004 unter anderem aus dem Umstand ableiten will, dass der EuGH in seiner Vorabentscheidung vom 04.06.2009 -Vatsouras, Koupatantze, C-22/08, C-23/08- die Anwendbarkeit der VO (EWG) Nr. 1408/71 seinerzeit nicht problematisierte, sondern maßgeblich auf die Richtlinie 2004/38/EG abstellte und diese für anwendbar hielt. Denn es liegt nahe, dass der EuGH seinerzeit in Bezug auf die arbeitsuchenden Kläger Vatsouras und Koupatantze nicht die Anwendbarkeit einer Verordnung prüfte, welche in ihrem Anwendungsbereich ohnehin auf Arbeitnehmer und Selbständige beschränkt war. Aus der Vorabentscheidung vom 04.06.2009 -Vatsouras, Koupatantze, C-22/08, C-23/08 lassen sich nach Auffassung des Gerichts deshalb keine Rückschlüsse in Bezug auf den Standpunkt des EuGH zum Verhältnis der Richtlinie 2004/38/EG zur VO (EWG) Nr. 1408/71 oder gar zu deren Nachfolgerregelung VO (EG) Nr. 883/2004 ziehen. Die Leistungen des SGB II fallen auch ausdrücklich in den sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004. In Art. 3 Abs. 5 VO (EG) Nr. 883/2004 heißt es zwar, dass "diese Verordnung [ ] weder auf die soziale und medizinische Fürsorge noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anwendbar [ist]". Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung erfasst der Anwendungsbereich jedoch ausdrücklich auch "die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Artikel 70". Diese Vorschrift wiederum trifft Regelungen für "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen". Die Leistungen nach dem SGB II, welche neben bestimmten Leistungen nach dem SGB XII im Anhang X der Verordnung ausdrücklich angeführt sind, fallen unter den Begriff der besonderen beitragsunabhängigen Leistungen im Sinne des Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004 (BSG Urteil v. 18.01.2011 - B 4 AS 14/10 R). Eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern in Bezug auf diese besonderen beitragsunabhängigen Leistungen lässt – insoweit abschließend – die Verordnung selbst in Art. 70 Abs. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 zu, wonach "die in Absatz 2 genannten Leistungen [ ] ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt [werden]". Aufgrund dieser Wohnortklausel dürfen Leistungen nicht in einen anderen Mitgliedstaat exportiert werden. Die Antragsteller wohnen jedoch nach Lage der Akten tatsächlich in Deutschland. Weitere Vorbehalte für eine Ungleichbehandlung sind der Verordnung nicht zu entnehmen. Eine Übertragung der Rechtfertigung aus Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG auf die VO (EG) Nr. 883/2004 scheidet nach Auffassung des Gerichts aus. Es erscheint auch nicht mit dem Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs 6-64 - "Costa/E.N.E.L.", EuGHE 1964, 1141; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az: 2 BvR 687/85) vereinbar, das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 iVm Art. 3 Abs. 3, Art. 70, Anhang X der VO (EG) Nr. 883/2004 entgegen seinem klaren und eindeutigen Wortlaut einschränkend dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass die Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II iVm Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG arbeitsuchenden Unionsbürgern nicht gewährt werden müssen (so aber LSG Berlin-Brandenburg v. 29.02.2012, - L 20 AS 2347/11 B ER -). Insbesondere ergibt sich eine solche Auslegungsmöglichkeit nicht aus dem Umstand, dass die genannte Richtlinie und die Verordnung am selben Tag (29. April 2004) erlassen wurden. Denn im Jahr 2004 bestand – damals noch ohne die entsprechende Durchführungsverordnung 987/2009 (Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) und ohne den Anhang X – keinerlei Widerspruch zwischen Richtlinie und Verordnung. Während die Verordnung eine unmittelbare Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gleichbehandlung der Unionsbürger in Bezug auf deren Rechte betreffend diverse Sozialleistungen regelte, sah die Richtlinie im Kontext aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen das allgemeine Recht aller Mitgliedstaaten vor, Leistungsvorbehalte für bestimmte Konstellationen im nationalen Leistungsrecht zu verankern. Mithin erscheint es insoweit auch nicht zielführend, eine vorrangige Anwendbarkeit der Richtlinie aufgrund einer vermeintlichen Spezialität anzunehmen (so aber: LSG Berlin-Brandenburg v. 3. April 2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -). Zum einen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum – wie das LSG Berlin-Brandenburg (v. 3. April 2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -) meint – bei der Frage der Gewährung von Sozialleistungen eine Richtlinie über aufenthaltsrechtliche Bestimmungen gegenüber einer Verordnung über die Koordinierung von Sozialleistungen spezieller sein soll. Zum anderen stand – wie bereits ausgeführt – ursprünglich die Verordnung der Richtlinie ebenso wenig entgegen wie die Richtlinie der Verordnung. Es wäre zu keinerlei Kollision gekommen, wenn der nationale Gesetzgeber den Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wie geschehen geregelt und sodann der europäische Verordnungsgeber jedoch darauf verzichtet hätte, die Leistungen nach dem SGB II ausdrücklich in den Anhang X der VO (EG) Nr. 883/2004 aufzunehmen und dadurch die Bundesrepublik Deutschland mit Inkrafttreten der Verordnung ausdrücklich zu verpflichten, eine ungleiche Behandlung von Unionsbürgern und Deutschen in Bezug auf Leistungen nach dem SGB II zu vermeiden. Nachdem aber nunmehr seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zum 1. Mai 2010 (Verabschiedung der Durchführungsverordnung 987/2009 - Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) der Anhang X iVm Art. 4, 3 Abs. 3, 70 VO (EG) Nr. 883/2004 ausdrücklich die Leistungen nach dem SGB II – abgesehen von dem in Art. 24 SGB II a.F. geregelten Zuschlag – in den sachlichen Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 einbezieht, besteht seitdem eine Kollision mit der nationalen Vorschrift in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Diese Kollision kann nach Auffassung des Gerichts nicht zu Lasten des vorrangigen Europarechts aufgelöst werden (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs 6-64 - "Costa/E.N.E.L.", EuGHE 1964, 1141; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az: 2 BvR 687/85). Vielmehr ist das nationale Recht europarechtskonform unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 auszulegen. Nach alledem wäre eine im SGB II geregelte Ungleichbehandlung von arbeitsuchenden Deutschen und arbeitsuchenden Unionsbürgern mit Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht vereinbar, so dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Leistungsausschluss europarechtskonform einschränkend auszulegen ist und solchermaßen auf den vorliegenden Fall eines arbeitsuchenden ungarischen Staatsangehörigen keine Anwendung findet (so auch: SG Berlin Urteil v. 27.03.2012, - S 110 AS 28262/11 -; Beschluss v. 26.03.2012, - S 96 AS 6145/12 ER -; Beschluss vom 29. März 2012, - S 43 AS 6270/12 ER -; SG Dresden v. 05.08.2011, - S 36 AS 3461/11 ER -; SG Berlin v. 24.05.2011 - S 149 AS 17644/09). Der Antragsteller hat demnach einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Der glaubhaft gemachte ungedeckte monatliche Bedarf des Antragstellers ermittelt sich wie folgt: Regelbedarf nach § 20 SGB II 374,- EUR
Für den Monat Juni sind die Leistungen anteilig für 18 Tage zu gewähren. Die aus dem Tenor ersichtliche zeitliche Begrenzung der Stattgabe bis einschließlich Dezember 2012 ist der Regelung in § 41 SGB II sowie dem Umstand geschuldet, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes situationsgebunden und damit ständiger Veränderung unterworfen sind. Einstweiliger Rechtsschutz dient indessen ausschließlich der Behebung gegenwärtiger Notlagen, nicht aber der längerfristigen Regelung in der Zukunft liegender Sachverhalte. Dies zugrunde gelegt und ausgehend von der gegenwärtigen Eilbedürftigkeit erscheint es in Ausübung des nach §§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, 929 Abs. 1 ZPO eröffneten freien gerichtlichen Ermessens sachgerecht, die Stattgabe auf den tenorierten Zeitraum zu begrenzen, welcher nur unmaßgeblich unterhalb des beantragten Zeitraums liegt. Nach alledem war dem Antrag in dem tenorierten Umfang stattzugeben.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG, wobei in analoger Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu berücksichtigen war, dass der Antragsteller allenfalls geringfügig unterlag.
Gründe:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für Staatsangehörige eines europäischen Mitgliedstaates (Ungarn). Der am 11. Juni 2012 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Antrag des die ungarische Staatsangehörigkeit besitzenden Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab Antragstellung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der gesetzlich zustehenden Höhe zu gewähren, ist zulässig und in dem tenorierten Umfang begründet. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet entsprechende Anwendung. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist danach zunächst ein Anordnungsgrund. Dieser liegt in der Notwendigkeit der Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, die sich regelmäßig aus der Eilbedürftigkeit ergibt. Es soll verhindert werden, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Außerdem muss ein Anordnungsanspruch bestehen. Dieser bezieht sich auf den materiell-rechtlichen Anspruch des Antragstellers. Sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010, Az. L 7 KA 139/09 B ER). Je gewichtiger der Anordnungsgrund, d.h. je größer die Eilbedürftigkeit oder Schwere des drohenden Nachteils, desto geringere Anforderungen sind an den Nachweis des Vorliegens des Anordnungsanspruchs zu stellen und umgekehrt. Gleichzeitig ersetzt auch ein klar vorliegender Anordnungsanspruch nicht vollständig das erforderliche Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragssteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung als auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vornehmen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur dann allein an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist ausschließlich anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, - Az. 1 BvR 596/05 -). Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegend gegeben. Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten eidesstattlichen Versicherung verfügt der Antragsteller über keinerlei Einkommen oder Vermögen, von dem er seinen Lebensunterhalt auch nur vorübergehend bestreiten könnte. Der Anordnungsgrund ergibt sich bereits aus dem existenzsichernden Charakter der begehrten Leistungen. Das Abwarten des Abschlusses des Klageverfahrens ohne hinreichende Sicherung des Existenzminimums ist dem Antragsteller unzumutbar, insoweit treten im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung rein fiskalische Interessen des Antragsgegners hinter den Interessen des Antragstellers an der Gewährleistung seines Existenzminimums zurück. Auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist hinreichend glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat durch die Vorlage von Kontoauszügen und seiner eidesstattlichen Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht, hilfebedürftig i.S.d. § 9 SGB II zu sein. Der Antragsteller ist erwerbsfähig und hat die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Zwar hat der Antragsteller derzeit keine Kosten der Unterkunft und Heizung, jedoch ist sein Regelbedarf nach § 20 SGB II nicht gedeckt. Der Antragsteller hat auch seinen gewöhnlichen – rechtmäßigen – Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 FreizügG/EU; der Antragsteller verfügt über eine entsprechende Freizügigkeitsbescheinigung. Der Antragsteller ist als ungarischer Staatsangehöriger entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind zwar Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Jedoch ist nach Auffassung der Kammer dieser Leistungsausschluss für Ausländer nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass er auf Unionsbürger keine Anwendung findet, so dass der Antragsteller vom Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses nicht erfasst wird (so auch: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, - L 14 AS 763/12 B ER -; SG Berlin Urteil v. 27.03.2012, - S 110 AS 28262/11 -; Beschluss v. 26.03.2012, - S 96 AS 6145/12 ER -; Beschluss vom 29. März 2012, - S 43 AS 6270/12 ER -; SG Dresden v. 05.08.2011, - S 36 AS 3461/11 ER -; LSG Berlin-Brandenburg v. 30.11.2010 – L 34 AS 1501/10 B ER; SG Berlin v. 24.05.2011 - S 149 AS 17644/09; Schreiber in: info also 2008, 3, 9; Geiger in: info also 2010, 147, 150; aA:; LSG Berlin-Brandenburg v. 29.02.2012, - L 20 AS 2347/11 B ER -; v. 3. April 2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen v. 22.06.2010 - L 1 AS 36/08 und v. 15.06.2007 – L 20 B 59/07 AS ER; LSG Baden-Württemberg v. 15.04.2010 - L 13 AS 1124/10 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg v. 25.03.2010 - L 29 AS 2128/09 B ER; LSG Hessen v. 13.09.2007 - L 9 AS 44/07 ER; LSG Niedersachsen-Bremen v. 02.08.2007 - L 9 AS 447/07 ER). Somit hat der Antragsteller nach Auffassung des Gerichts einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, obwohl sich sein Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist, soweit er auch Unionsbürger betreffen soll, mit höherrangigem europäischem Sekundärrecht, nämlich mit Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) Nr. 883/2004, Abl L 166 vom 30.04.2004, S. 1-123) nicht vereinbar (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, - L 14 AS 763/12 B ER -; SG Berlin Urteil v. 27.03.2012, - S 110 AS 28262/11 -; Beschluss v. 26.03.2012, - S 96 AS 6145/12 ER -; Beschluss vom 29. März 2012, - S 43 AS 6270/12 ER -; SG Dresden v. 05.08.2011, - S 36 AS 3461/11 ER -; LSG Hessen Beschluss v. 14.07.2011 - L 7 AS 107/11 B ER; vgl auch LSG Bayern, Beschluss v. 12.03.2008 - L 7 B 1104/07 AS ER -; SG Berlin, Urteil v. 24.05.2011 - S 149 AS 17644/09 -). Die Antragsteller können sich auf das dort kodifizierte Gleichbehandlungsgebot berufen. In Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 hat der europäische Verordnungsgeber ein striktes Gleichbehandlungsgebot normiert, ohne dort aber die generelle Möglichkeit einer Rechtfertigung ähnlich Art. 24 Abs. 2 2004/38/EG zuzulassen. Gemäß Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 haben, sofern in der Verordnung selbst nichts anderes bestimmt ist, Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Anders als die Vorgängerregelung - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - erfasst der persönliche Anwendungsbereich der seit dem 1. Mai 2010 geltenden VO (EG) Nr. 883/2004 (Verabschiedung der Durchführungsverordnung 987/2009 - Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 nicht mehr nur Arbeitnehmer und Selbständige, sondern "alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen." Mit den "Rechtsvorschriften" sind ausweislich der Begriffsbestimmung des Art. 1 Buchstabe l) alle Rechtsvorschriften "in Bezug auf die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweige der sozialen Sicherheit" gemeint. Dort wiederum ist u. a. der Zweig der "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" genannt. Diese Rechtsvorschriften gelten für den Antragsteller, der beispielsweise Arbeitsvermittlungsleistungen in Anspruch nehmen kann und auf den grundsätzlich auch die Rechtsvorschriften des SGB II Anwendung finden (vgl. Thie/Schoch in: Münder, LPK-SGB II, 4. Aufl., Rn 17 zu § 7). Da die Vorgängerregelung VO (EWG) Nr. 1408/71 im Wesentlichen nur Arbeitnehmer und Selbständige betraf, fand sie naturgemäß keine Anwendung auf Unionsbürger, deren Recht zum Aufenthalt in Deutschland nur auf dem Zweck der Arbeitssuche beruhte. Insoweit vermag die Argumentation des LSG Berlin-Brandenburg (v. 03.04.2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -) nicht zu überzeugen, die einen Vorrang der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber der Verordnung VO (EG) Nr. 883/2004 unter anderem aus dem Umstand ableiten will, dass der EuGH in seiner Vorabentscheidung vom 04.06.2009 -Vatsouras, Koupatantze, C-22/08, C-23/08- die Anwendbarkeit der VO (EWG) Nr. 1408/71 seinerzeit nicht problematisierte, sondern maßgeblich auf die Richtlinie 2004/38/EG abstellte und diese für anwendbar hielt. Denn es liegt nahe, dass der EuGH seinerzeit in Bezug auf die arbeitsuchenden Kläger Vatsouras und Koupatantze nicht die Anwendbarkeit einer Verordnung prüfte, welche in ihrem Anwendungsbereich ohnehin auf Arbeitnehmer und Selbständige beschränkt war. Aus der Vorabentscheidung vom 04.06.2009 -Vatsouras, Koupatantze, C-22/08, C-23/08 lassen sich nach Auffassung des Gerichts deshalb keine Rückschlüsse in Bezug auf den Standpunkt des EuGH zum Verhältnis der Richtlinie 2004/38/EG zur VO (EWG) Nr. 1408/71 oder gar zu deren Nachfolgerregelung VO (EG) Nr. 883/2004 ziehen. Die Leistungen des SGB II fallen auch ausdrücklich in den sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004. In Art. 3 Abs. 5 VO (EG) Nr. 883/2004 heißt es zwar, dass "diese Verordnung [ ] weder auf die soziale und medizinische Fürsorge noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anwendbar [ist]". Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung erfasst der Anwendungsbereich jedoch ausdrücklich auch "die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Artikel 70". Diese Vorschrift wiederum trifft Regelungen für "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen". Die Leistungen nach dem SGB II, welche neben bestimmten Leistungen nach dem SGB XII im Anhang X der Verordnung ausdrücklich angeführt sind, fallen unter den Begriff der besonderen beitragsunabhängigen Leistungen im Sinne des Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004 (BSG Urteil v. 18.01.2011 - B 4 AS 14/10 R). Eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern in Bezug auf diese besonderen beitragsunabhängigen Leistungen lässt – insoweit abschließend – die Verordnung selbst in Art. 70 Abs. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 zu, wonach "die in Absatz 2 genannten Leistungen [ ] ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt [werden]". Aufgrund dieser Wohnortklausel dürfen Leistungen nicht in einen anderen Mitgliedstaat exportiert werden. Die Antragsteller wohnen jedoch nach Lage der Akten tatsächlich in Deutschland. Weitere Vorbehalte für eine Ungleichbehandlung sind der Verordnung nicht zu entnehmen. Eine Übertragung der Rechtfertigung aus Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG auf die VO (EG) Nr. 883/2004 scheidet nach Auffassung des Gerichts aus. Es erscheint auch nicht mit dem Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs 6-64 - "Costa/E.N.E.L.", EuGHE 1964, 1141; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az: 2 BvR 687/85) vereinbar, das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 iVm Art. 3 Abs. 3, Art. 70, Anhang X der VO (EG) Nr. 883/2004 entgegen seinem klaren und eindeutigen Wortlaut einschränkend dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass die Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II iVm Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG arbeitsuchenden Unionsbürgern nicht gewährt werden müssen (so aber LSG Berlin-Brandenburg v. 29.02.2012, - L 20 AS 2347/11 B ER -). Insbesondere ergibt sich eine solche Auslegungsmöglichkeit nicht aus dem Umstand, dass die genannte Richtlinie und die Verordnung am selben Tag (29. April 2004) erlassen wurden. Denn im Jahr 2004 bestand – damals noch ohne die entsprechende Durchführungsverordnung 987/2009 (Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) und ohne den Anhang X – keinerlei Widerspruch zwischen Richtlinie und Verordnung. Während die Verordnung eine unmittelbare Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gleichbehandlung der Unionsbürger in Bezug auf deren Rechte betreffend diverse Sozialleistungen regelte, sah die Richtlinie im Kontext aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen das allgemeine Recht aller Mitgliedstaaten vor, Leistungsvorbehalte für bestimmte Konstellationen im nationalen Leistungsrecht zu verankern. Mithin erscheint es insoweit auch nicht zielführend, eine vorrangige Anwendbarkeit der Richtlinie aufgrund einer vermeintlichen Spezialität anzunehmen (so aber: LSG Berlin-Brandenburg v. 3. April 2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -). Zum einen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum – wie das LSG Berlin-Brandenburg (v. 3. April 2012, - L 5 AS 2157/11 B ER -) meint – bei der Frage der Gewährung von Sozialleistungen eine Richtlinie über aufenthaltsrechtliche Bestimmungen gegenüber einer Verordnung über die Koordinierung von Sozialleistungen spezieller sein soll. Zum anderen stand – wie bereits ausgeführt – ursprünglich die Verordnung der Richtlinie ebenso wenig entgegen wie die Richtlinie der Verordnung. Es wäre zu keinerlei Kollision gekommen, wenn der nationale Gesetzgeber den Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wie geschehen geregelt und sodann der europäische Verordnungsgeber jedoch darauf verzichtet hätte, die Leistungen nach dem SGB II ausdrücklich in den Anhang X der VO (EG) Nr. 883/2004 aufzunehmen und dadurch die Bundesrepublik Deutschland mit Inkrafttreten der Verordnung ausdrücklich zu verpflichten, eine ungleiche Behandlung von Unionsbürgern und Deutschen in Bezug auf Leistungen nach dem SGB II zu vermeiden. Nachdem aber nunmehr seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zum 1. Mai 2010 (Verabschiedung der Durchführungsverordnung 987/2009 - Abl L 284 vom 30.10.2009, S. 1-31) der Anhang X iVm Art. 4, 3 Abs. 3, 70 VO (EG) Nr. 883/2004 ausdrücklich die Leistungen nach dem SGB II – abgesehen von dem in Art. 24 SGB II a.F. geregelten Zuschlag – in den sachlichen Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 einbezieht, besteht seitdem eine Kollision mit der nationalen Vorschrift in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Diese Kollision kann nach Auffassung des Gerichts nicht zu Lasten des vorrangigen Europarechts aufgelöst werden (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs 6-64 - "Costa/E.N.E.L.", EuGHE 1964, 1141; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az: 2 BvR 687/85). Vielmehr ist das nationale Recht europarechtskonform unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 auszulegen. Nach alledem wäre eine im SGB II geregelte Ungleichbehandlung von arbeitsuchenden Deutschen und arbeitsuchenden Unionsbürgern mit Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht vereinbar, so dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Leistungsausschluss europarechtskonform einschränkend auszulegen ist und solchermaßen auf den vorliegenden Fall eines arbeitsuchenden ungarischen Staatsangehörigen keine Anwendung findet (so auch: SG Berlin Urteil v. 27.03.2012, - S 110 AS 28262/11 -; Beschluss v. 26.03.2012, - S 96 AS 6145/12 ER -; Beschluss vom 29. März 2012, - S 43 AS 6270/12 ER -; SG Dresden v. 05.08.2011, - S 36 AS 3461/11 ER -; SG Berlin v. 24.05.2011 - S 149 AS 17644/09). Der Antragsteller hat demnach einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Der glaubhaft gemachte ungedeckte monatliche Bedarf des Antragstellers ermittelt sich wie folgt: Regelbedarf nach § 20 SGB II 374,- EUR
Für den Monat Juni sind die Leistungen anteilig für 18 Tage zu gewähren. Die aus dem Tenor ersichtliche zeitliche Begrenzung der Stattgabe bis einschließlich Dezember 2012 ist der Regelung in § 41 SGB II sowie dem Umstand geschuldet, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes situationsgebunden und damit ständiger Veränderung unterworfen sind. Einstweiliger Rechtsschutz dient indessen ausschließlich der Behebung gegenwärtiger Notlagen, nicht aber der längerfristigen Regelung in der Zukunft liegender Sachverhalte. Dies zugrunde gelegt und ausgehend von der gegenwärtigen Eilbedürftigkeit erscheint es in Ausübung des nach §§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, 929 Abs. 1 ZPO eröffneten freien gerichtlichen Ermessens sachgerecht, die Stattgabe auf den tenorierten Zeitraum zu begrenzen, welcher nur unmaßgeblich unterhalb des beantragten Zeitraums liegt. Nach alledem war dem Antrag in dem tenorierten Umfang stattzugeben.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG, wobei in analoger Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu berücksichtigen war, dass der Antragsteller allenfalls geringfügig unterlag.
Rechtskraft
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