L 2 U 215/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 U 524/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 215/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 15.05.2001 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, in Abänderung ihres Bescheides vom 14.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1999 dem Kläger ab 14.11.1996 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente zur Entschädigung einer Lärmschwerhörigkeit.

Der Kläger hatte seine letzte potenziell gehörschädigende Tätigkeit im November 1996 ausgeübt. Mit Bescheid vom 14.09.1999 erkannte die Beklagte die Hörstörung des Klägers als Berufskrankheit nach Nr.2301 der Anlage zur BKVO an. Als Folgen der Berufskrankheit wurden nicht anerkannt: die Hörstörungen, soweit nicht lärmbedingt und Ohrgeräusche beiderseits. Anspruch auf eine Rente bestehe nicht, weil die Erkrankung keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit zur Folge habe.

Die Beklagte hatte zunächst ein Gutachten von dem HNO-Arzt Dr.L. vom 29.09.1998 eingeholt. Der Sachverständige ermittelte im Sprachaudiogramm einen beidseitigen Hörverlust von 40 v.H. und schätzte die MdE auf 15 v.H.

Der beratende HNO-Arzt der Beklagten Dr.K. stellte fest, sprachaudiometrisch lägen die Hörverluste beidseits korrekt bei 40 %. Das Gesamtwortverstehen sei mit Blick auf das Zahlenverstehen nicht stimmig, es könne nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass hierin eine gewisse Aggravationstendenz zum Ausdruck komme. Der Hörverlust im Tonaudiogramm betrage auf dem rechten Ohr 25 % und auf dem linken 30 %. Zur Tabelle Röser 80 stehe jedoch im Königsteiner Merkblatt, es sei ferner zu berücksichtigen, dass sich bei Anwendung dieser Tabelle aus dem Tonaudiogramm zumeist ein etwas höherer prozentualer Hörverlust als aus dem Sprachaudiogramm ergebe. Hier sei genau das Gegenteil der Fall, deshalb empfehle er ein weiteres Gutachten.

Der als Sachverständige gehörte HNO-Arzt Prof.Dr.B. kam in seinem Gutachten vom 17.03.1999 zu dem Ergebnis, es bestehe kein Anhalt für eine Aggravation. Unter Berücksichtigung aller klinischen Hörtests liege eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit vor. Die MdE hierfür betrage 20 v.H.

Hierzu führte Dr.K. aus, die MdE liege unter 10 v.H. Nach Tabelle 3 des Königsteiner Merkblattes (Feldmann) sei nach den sprachaudiometrischen Hörverlusten eine MdE um 15 bis 20 v.H. anzunehmen. Es gebe jedoch lediglich das Tonaudiogramm vom 16.04.1997 das tatsächliche Hörvermögen bei Beendigung der Lärmtätigkeit wieder. Aus den Tonhörkurven ergäben sich Hörverluste von 15 % auf dem rechten und 20 % auf dem linken Ohr. Wenn ein verlässliches Sprachaudiogramm nicht vorliege, könne der Hörverlust hilfsweise auch aus dem Tonaudiogramm nach der Tabelle Röser 1980 ermittelt werden. Daraus ergebe sich eine MdE um weniger als 10 v.H. Das spätere Tonaudiogramm erschien dem Sachverständigen nicht verwertbar, weil entsprechend seinen früheren Ausführungen die Hörverlustdifferenz zum Tonaudiogramm nicht plausibel sei. Sie werde es erst dann, wenn man beim Kläger, in seinem Alter nicht ungewöhnlich, auch eine zentrale (im Gehirn lokalisierte) Spracherkennungs- bzw. Verwertungsstörung annehme. Von daher seien die aktenkundigen Sprachaudiogramme für eine gutachtliche Beurteilung nicht verwertbar.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.1999 als unbegründet zurück.

Der im anschließenden Klageverfahren als Sachverständige gehörte HNO-Arzt Prof.Dr.J. schätzte die lärmbedingte MdE auf 15 v.H. für die Zeit ab 13.11.1996. Für den Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus der Lärmtätigkeit stellte er zwar einen prozentualen Hörverlust nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen nach Feldmann aus dem Sprachaudiogramm von 30 % und nach dem einfachen Gesamtwortverstehen von 40 % für das linke Ohr fest, korrigierte letzteres jedoch auf 30 %. Bei der Abwägung der Kriterien, die für eine lärmbedingte Schwerhörigkeit des Klägers sprechen, führte er hierzu aus, die Symmetrie der Kurven sei die Regel bei der Lärmschwerhörigkeit, wenngleich sie nicht zum Dogma erhoben werden könne. Die Abweichung von der Symmetrieregel sei im vorliegenden Fall mit immerhin 40 dB HV bei 6 kHz so groß, dass zu folgern sei, dass der Teil der Schwerhörigkeit des linken Ohres, der den des rechten Ohres übersteige, berufsfremde Ursachen haben müsse. Es sei also gedanklich die Schwerhörigkeit des rechten Ohres auch auf das linke zu übertragen. Hieraus ergebe sich eine MdE um 15 v.H. statt 20 v.H.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.05.2001 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich auf das Gutachten des Prof.Dr.J. gestützt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er weist darauf hin, dass die Messwerte des Sachverständigen Dr.L. in Wahrheit eine MdE um 20 v.H. bedingten und Prof. Dr.B. die MdE mit 20 v.H. eingeschätzt habe. Eine Korrektur der asymmetrischen Lärmschwerhörigkeit sei nach Schönberger-Mehrtens-Valentin Arbeitsunfall und Berufskrankheit 6. Auflage S.395 im vorliegenden Fall nicht zulässig.

Der Senat hat ein Gutachten von dem HNO-Arzt Dr.H. vom 17.03.2002 eingeholt. Der Sachverständige legt zunächst die Bewertungskriterien nach dem Königsteiner Merkblatt dar. Danach ist die zur Ermittlung der MdE entscheidende Begutachtungsgrundlage das gewichtete Gesamtwortverstehen, das jedoch nur bis zur geringgradigen Lärmschwerhörigkeit anzuwenden ist. Liegt der prozentuale Hörverlust zwischen 20 und 40 %, ist daraus der MdE-Vorschlag zu entwickeln. Liegt der prozentuale Hörverlust über 40 %, ist der Hörverlust noch einmal unter Berücksichtigung des einfachen Gesamtwortverstehens zu ermitteln. Dieses ist zugrunde zu legen, wenn der Hörverlust 50 % oder mehr beträgt. Liegt der prozentuale Hörverlust andererseits unter 20 %, ist das Tonaudiogramm unter Verwendung der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser (1980) für die Bewertung heranzuziehen. Die MdE-Bewertung ist nach der Tabelle Feldmann (1995) zu ermitteln. Überschneidungen gibt es in der Tabelle nicht, da die Bereiche für das Gesamtwortverstehen zahlenmäßig exakt abgegrenzt sind. Ein belästigender Begleittinnitus kann die MdE erhöhen. Nach den vom Sachverständigen hierfür angesetzten Kriterien erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für eine solche MdE-Erhöhung nicht.

Bei der Berücksichtigung von Vorschäden ist ausgeführt, ein geringfügiger seitendifferenter Hörverlust auf einem Ohr aufgrund einer zusätzlichen Schwerhörigkeitsursache sei für sich allein im versicherungsrechtlichen Sinne nicht erheblich und somit nicht als Vorschaden zu berücksichtigen.

Die erste aktenkundige sprachaudiometrische Prüfung stamme aus dem Jahre 1998, gefertigt von Dr.L ... Danach habe ein geringfügig schlechteres Hörvermögen links gegenüber rechts bestanden. Aus den Werten ergebe sich ein Gesamtwortverstehen von einfach 195 und gewichtet 165 rechts und somit ein prozentualer Hörverlust von 40 % sowie ein Gesamtwortverstehen von einfach 180 und gewichtet 160 links und somit auch links ein prozentualer Hörverlust von 40 %. Auch bei der Plausibilitätsüberprüfung anhand der Werte aus dem Tonaudiogramm nach der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser 1973 ergebe sich beiderseits ein Hörverlust von 40 %. Nach allen zur Verfügung stehenden Tabellen und Berechnungsanleitungen sei für einen beiderseitigen Hörverlust von 40 % die MdE mit 20 v.H. einzuschätzen. Dies gehe u.a. einleuchtend aus der Tabelle Feldmann hervor. Es sei deshalb schwer nachzuvollziehen, warum Dr.L. trotz eindeutiger Messwerte die MdE mit 15 v.H. eingeschätzt habe. Die Einschätzung der MdE auf 20 v.H. decke sich aus den gleichen Gründen auch mit der des Prof.Dr.B.

Folge man der Empfehlung Brusis 1996 wegen der unterschiedlichen Werte auf beiden Ohren, ergäbe sich aus den Messergebnissen des Prof.Dr.J. sogar eine MdE um 25 v.H. Da jedoch erst bei der Messung durch diesen Sachverständigen trotz Lärmkarenz eine deutlich höhere Diskrepanz zwischen rechts und links als bei allen Voruntersuchungen aufgetreten sei, müsse diese zusätzliche Hörminderung als nicht durch Lärm hervorgerufen angesehen und vernachlässigt werden. Es könne aber dennoch nicht angehen, dass das Hörvermögen rechts gedanklich für links angenommen werde, denn auch bei allen Voruntersuchern habe ein schlechteres Hörvermögen links als rechts bestanden, das bei der Berechnung berücksichtigt werden müsse. Schließe man bei der Schätzung der lärmbedingten MdE auch den noch nicht quälenden, kompensierten, gelegentlichen Tinnitus mit ein, sei die MdE seit 01.01.1993 für die Lärmschwerhörigkeit des Klägers, die wesentlich durch berufsbedingte Lärmeinwirkungen verursacht oder mitverursacht sei, mit 20 v.H. einzuschätzen.

Hiergegen hat die Beklagte zunächst eingewendet, aus dem Tonaudiogramm des Dr.L. errechne sich ein Hörverlust von beidseits 30 %. Aus diesem Grund sei ein neues Gutachten bei Prof. Dr.B. in Auftrag gegeben worden. Aus dessen Tonaudiogramm errechne sich jedoch nur ein Hörverlust von rechts 15 % und links 30 %.

Die Beklagte hat ferner bemängelt, dass Dr.H. lediglich die Sprachaudiogramme zugrunde lege und sich nicht mit der Tatsache auseinandersetze, dass die aus den Tonaudiogrammen errechneten Hörverluste jeweils niedriger gewesen seien. Zum anderen müsse sich die MdE-Einschätzung nach dem Tonaudiogramm vom 16.04.1997 richten, das der die Berufskrankheitenanzeige erstattende Dr.D. vorgelegt habe. Dieses Audiogramm liege dem Ende der Lärmexposition am zeitlich Nächsten. Daraus errechne sich ein Hörverlust von rechts 15 % und links 30 %, was einer MdE von Null entspreche.

Die Beklagte hat des Weiteren ein Gutachten des HNO-Arztes Dr.T. vorgelegt. Dieser schätzt die berufsbedingte MdE für den Hörverlust mit 15 v.H. ein und hält eine MdE-Erhöhung wegen des lärmbedingten Tinnitus auf 20 v.H. für geboten. Letzterem hat sich die Beklagte wiederum nicht angeschlossen. Der Sachverständige Dr.H. hat insoweit klargestellt, dass er den Tinnitus ohnehin nicht als MdE-erhöhend angesehen habe. Zur Bemessung des Hörverlustes führt Prof.Dr.T. u.a. aus, die Assymetrie zwischen rechts und links führe zwar insbesondere sprachaudiometrisch zu einer ins Gewicht fallenden stärkeren Ausprägung des Hörverlustes links, liege aber letztlich dennoch grenzwertig im Rahmen dessen, was auch bei reiner Lärmschwerhörigkeit zu beobachten sei. Im Übrigen müsse man sich am besten Audiogramm orientieren, da die Plausibilität der anderen, schlechteren Sprachaudiogramme nicht zu belegen sei. Danach sei nach dem Audiogramm des Prof.Dr.J. von einer MdE um 15 v.H. auszugehen, da auch bei einer Konstellation von geringgradiger Hörstörung rechts und gering- bis mittelgradiger Hörstörung links - hier sei das gewichtete Gesamtwortverstehen nicht voll anzusetzen - nur eine MdE von 15 v.H. resultiere.

Hierzu hat Dr.H. im Einzelnen anhand der Messwerte des Dr.L. dargelegt, dass sich nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser 1973 ein beidseitiger Hörverlust von 40 % ergebe. Nach den einschlägigen und anerkannten Tabellen resultiere daraus eine MdE um 20 v.H. Auch aus dem Tonaudiogramm ergebe sich beidseits ein Hörverlust von 40 %. Da es sich unstrittig um ein Tonaudiogramm mit unregelmäßigem Verlauf der Tongehörskurve handele, werde die entsprechende Tabelle nach Röser 1973 angewendet. Nach der detaillierten Auflistung der Werte ergebe sich aus dem Tonaudiogramm vom 04.09.1998 ein Wert von rechts 40 und links 47. Die Auffassung des Prof.Dr.B. bezüglich der Ermittlung der MdE und deren Einschätzung decke sich mit der seinen.

Die weitere Argumentation der Beklagten gehe an den Vorgaben des Königsteiner Merkblattes vorbei, das eindeutig festlege, dass die sprachaudiometrischen Messdaten als Grundlage für die Bewertung der MdE heranzuziehen seien. Soweit die Beklagte fordere, dass sich die Einschätzung der MdE nach dem Tonaudiogramm des Dr.D. zu richten habe, fügt der Sachverständige eine Berechnung des prozentualen Hörverlustes aus diesem Tonaudiogramm an. Sie ergibt rechts einen Wert von 36 und links von 44. Lege man diese errechneten Werte der Tabelle zur Ermittlung der MdE aus den Schwerhörigkeitsgraden für beide Ohren zugrunde, ergebe sich ebenfalls eine MdE um 20 v.H.

Hierzu hat die Beklagte wiederum ein Gutachten der HNO-Ärztin Dr.B. vorgelegt, die sich zum größeren Teil mit der Einbeziehung des Tinnitus beschäftigt. Zur MdE-Bildung nach dem Hörverlust führt sie aus, der Tonhörverlust aus dem Gutachten des Dr.L. betrage beidseits 30 %. Weiter ist hierzu als Begründung oder Erläuterung nichts ausgeführt. Nach dem Königsteiner Merkblatt ergebe sich bei Anwendung der Tabelle Röser 1980 aus dem Tonaudiogramm zumeist ein etwas höherer prozentualer Hörverlust als aus dem Sprachaudiogramm. Ein umgekehrtes Verhältnis sei nicht Merkmal einer peripheren Innenohrschwerhörigkeit, zu der auch die Lärmschwerhörigkeit zähle. Es könne Hinweis auf eine zentrale Verarbeitungsstörung des Gehörten sein. Im Fall des Klägers sei eher anzunehmen, dass für ihn aus Gründen mundartlicher Prägung das Verständnis der genormten Einsilber im Freiburger Sprachtest erschwert gewesen sei. Nach dem Königsteiner Merkblatt könne der prozentuale Hörverlust hilfsweise aus dem Tonaudiogramm ermittelt werden, wenn die sprachaudiometrische Untersuchung keine verlässlichen Werte ergeben habe. Aus den übereinstimmenden tonaudiometrischen Untersuchungen verschiedener Untersucher zu verschiedenen Zeiten ergebe sich im Grad der Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer geringgradigen, lärmbedingten Schwerhörigkeit beim Kläger. Eine Bezugnahme auf konkrete Messwerte enthält die Stellungnahme jedoch nicht. Die MdE wegen der Berufskrankheit sei bei beidseitig geringgradiger Schwerhörigkeit auf 15 v.H. einzuschätzen.

Der Kläger beantragt, dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 15.05. 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 14.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom vom 01.12.1999 zu verurteilen, ihm wegen seiner Lärmschwerhörigkeit Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu zahlen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Augsburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist auch begründet, denn der Kläger hat Anspruch auf Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. wegen der Folgen seiner als Berufskrankheit anerkannten Lärmschwerhörigkeit.

Die Entscheidung über den Rechtsstreit richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, denn der Versicherungsfall ist spätestens mit dem Ausscheiden aus der gehörbelastenden Tätigkeit zum 13. November 1996 eingetreten. Nach Meinung aller Sachverständigen kann sich eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ausscheiden aus der Lärmbelastung nicht mehr bilden oder verschlechtern.

Das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 Satz 2 RVO iVm Nr.2301 der Anlage zur BKVO ist durch die Beklagte rechtsverbindlich festgestellt worden.

Die für die Gewährung einer Verletztenrente nach § 581 RVO maßgebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (BSG SozR 2200 § 581 Nr.22, 28). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen hierzu haben keine verbindliche Wirkung, sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Bei der Bewertung der MdE sind auch die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr.23 mwN). Dementsprechend haben sich zur Bemessung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung eine Reihe von Erfahrungswerten herausgebildet, die den Charakter von allgemeinen Erfahrungssätzen haben, die der Einschätzung durch Sachverständige und der Einschaltung der Gerichte zugrunde gelegt werden können. Bei der Bewertung von Hörverlusten ist dies im Wesentlichen das Königsteiner Merkblatt (vgl. BSG SozR 3-2200 § 581 Nr.8).

Beim Kläger besteht eine durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. Das ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Gutachten des Sachverständigen Dr.H. , der sich detailliert auf die Vorgaben des Königsteiner Merkblattes und alle von den vorhergehenden Sachverständigen erhobenen Messdaten stützen kann. Danach ist zunächst und allein entscheidungserheblich davon auszugehen, dass das Sprachaudiogramm, wie sich aus dem Königsteiner Merkblatt ausdrücklich ergibt, die Grundlage der MdE-Einschätzung bildet und hierbei wiederum beim Schwerhörigkeitsgrad des Klägers das so genannte gewichtete Gesamtwortverstehen. Aus den Sprachaudiogrammen des Dr.L. und des Prof.Dr.B. ist eine MdE von 20 v.H. zu ermitteln. Der MdE-Einschätzung des Prof.Dr.J. ist für den vorliegenden Fall nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass in ihm eine Zunahme der Hörverminderung festgestellt ist, die nach dem Gutachten des Dr.H. der MdE-Bemessung für die Lärmschwerhörigkeit entgegensteht, hätte der MdE-Bildung nicht gefolgt werden können, weil nach den gutachterlichen Feststellungen des Dr.H. und des Prof.Dr.T. der Korrektur der seitendifferenzierten Messergebnisse nicht zugestimmt werden könnte.

Nicht gefolgt werden kann der Beklagten auch mit der von Dr.B. vertretenen These, wonach im vorliegenden Fall nicht die Sprachaudiogramme, sondern die Tonaudiogramme und zwar das von 1997 zugrunde zu legen seien. Es ist zunächst schon nicht näher dargelegt, wie Dr.B. angesichts der detailliert aufgelisteten Messwerte und der jeweils herangezogenen Tabellen durch Dr.H. zu dem Ergebnis kommt, die übereinstimmenden tonaudiometrischen Untersuchungen zu verschiedenen Zeiten ergäben im Grad der Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer geringgradigen, lärmbedingten Schwerhörigkeit. Zu dem von der Beklagten genannten Tonaudiogramm von 1997 hat der Sachverständige Dr.H. nachgewiesen, dass sich bei seiner Verwendung ebenfalls eine MdE um 20 v.H. ergäbe. Die von Dr.H. zugrunde gelegten Messwerte sind von keinem Sachverständigen in Frage gestellt worden.

Die Beklagte begehrt im Übrigen, wie bereits oben zur Maßgeblichkeit des Sprachaudiogramms mit Bezugnahme auf den Sachverständigen Dr.H. und das Königsteiner Merkblatt ausgeführt, zu Unrecht die Maßgeblichkeit von Tonaudiogrammen.

Dr.K. , der ansonsten ebenfalls ausführt, dass sich aus dem Sprachaudiogramm des Dr.L. ein beidseitiger Hörverlust von 40 % ergibt, beruft sich hier zu Unrecht auf das Königsteiner Merkblatt. Der Satz, es sei zu berücksichtigen, dass sich bei Anwendung der Tabelle Röser 1980 zumeist ein etwas höherer prozentualer Hörverlust als aus dem Sprachaudiogramm ergebe, rechtfertigt für sich noch nicht die Verwerfung des Sprachaudiogramms. Eine solche Schlussfolgerung ist der zitierten Stelle nicht zu entnehmen, im Übrigen drückt sie nicht einmal eine Gesetzmäßigkeit aus, wenn von "zumeist" die Rede ist. Entscheidend ist jedoch, dass nach dem Königsteiner Merkblatt der Rückgriff auf die Tabelle Röser 1980 nur dann möglich ist, wenn die sprachaudiometrische Untersuchung keine verlässlichen Werte ergeben hat, z.B. weil der Versicherte nur über geringe Deutschkenntnisse verfügt oder weil bei einem Aktengutachten ein verlässliches Sprachaudiogramm nicht vorliegt. Der Verdacht des Dr.K. auf Aggravation ist von keinem der untersuchenden HNO-Ärzte erhoben und von dem Sachverständigen Prof.Dr.B. ausdrücklich ausgeräumt worden. Auch sonst hat keiner der untersuchenden Sachverständigen irgendeinen Sachverhalt festgestellt, der Zweifel an der Verlässlichkeit der sprachaudiometrischen Untersuchung hätte begründen können. Die Ausführungen der Dr.B. , hier liege ein Hinweis auf eine zentrale Verarbeitungsstörung des Gehörten vor, es sei aber noch eher anzunehmen, dass für den Kläger aus Gründen mundartlicher Prägung das Verständnis der genormten Einsilber im Freiburger Sprachtest erschwert gewesen sei, sind mit nichts begründet. Dem "Hinweis", der ohnehin noch keinen Beweis darstellt, ist im Verwaltungsverfahren bereits gutachterlich nachgegangen worden, ohne dass er in irgendeiner Weise bestätigt worden wäre. Für die "mundartliche Prägung" des Klägers, den Dr.B. nie gesehen hat, git es in den Akten nicht einmal einen Hinweis. Es ist davon abgesehen jedoch befremdlich, wenn einem möglicherweise mundartlich geprägten deutschen Versicherten bei der Erfassung von Einsilbern dasselbe Sprachverständnis unterstellt wird wie einem nicht Deutsch verstehenden Ausländer. Dem Königsteiner Merkblatt ist dahingehend jedenfalls nichts zu entnehmen.

Insgesamt erscheint das Verhalten der Beklagten von der nachhaltigen Intention geprägt, dem Kläger günstige Gutachtensergebnisse in Frage zu stellen und dem Kläger ungünstige herbeizuführen und sich ihnen auch bei wechselnden Argumentationen und ohne Rücksicht auf ihre Fundierung anzuschließen.

Der Anspruch auf Verletztenrente für den Kläger beginnt mit dem 14.11.1996, da die anerkannte Lärmschwerhörigkeit mit einer MdE von 20 v.H. spätestens mit dem Tag des Ausscheidens aus der gehörgefährdenden Tätigkeit am 13.11.1996 bestanden haben muss und ein früherer Eintritt der rentenberechtigenden MdE mangels entsprechender Untersuchungen nicht nachweisbar ist (§ 580 Abs.2 und 4 RVO).

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Begehren obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach §§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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