L 20 RJ 672/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 509/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 672/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 192/02 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.10.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die im Jahre 1955 in der Türkei geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und nach ihren Angaben von 1972 bis zu ihrer Erkrankung am 12.05.1997 in Deutschland als Schleiferin, Packerin, Näherin und zuletzt als Metallarbeiterin versicherungspflichtig gearbeitet. Anschließend war sie arbeitsunfähig und arbeitslos bzw arbeitssuchend.

Am 27.01.1998 beantragte die Klägerin wegen dauernder Kopfschmerzen sowie Schmerzen in der linken Körperseite einschließlich Schulter und Arm die Bewilligung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung legte sie ein Attest des praktischen Arztes S. vor, wonach sie seit mehreren Jahren an einem chronisch rezidivierenden Cervikalsyndrom leide. Die Beklagte ließ die Klägerin durch die Orthopädin Dr.B. untersuchen (Gutachten vom 09.03.1998), nach deren Beurteilung die Klägerin durchaus in der Lage sei, leichte wechselnde Tätigkeiten vollschichtig auszuführen. Der Neurologe und Psychiater Dr.P. führte im Gutachten vom 23.03.1998 aus, die Klägerin könne auch im Hinblick auf die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen (analgetikainduzierte Kopfschmerzen und Wirbelsäulen-Syndrom ohne morphologische Grundlage) zumindest leichte Arbeiten im Sitzen, Stehen oder Wechselrhythmus bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen (Nachtschicht, Zeitdruck) vollschichtig verrichten. Im Hinblick auf diese Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.03.1998 und Widerspruchsbescheid vom 04.06.1998 den Rentenantrag ab.

Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat zunächst Befundberichte des Anästhesisten Dr.K. und des Allgemeinmediziners S. , die Schwerbehindertenakte des AVF Würzburg, die Unterlagen des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Würzburg und des MDK Würzburg zum Verfahren beigezogen. Zur Frage des Leistungsvermögens der Klägerin hat das SG die Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Epileptologie Dr.S. gehört, die im Gutachten vom 18.11.1999 eine schwerere psychiatrische oder neurologische Gesundheitsstörung nicht feststellen konnte. Ein chronisches Schmerzsyndrom sei lediglich als subjektiver Befund zu bestätigen. Wegen der stark psychisch geprägten Schmerzfixierung bestehe eine Einschränkung auf leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Stellung. Arbeitsbedingungen mit besonderen nervlichen Belastungen wie Akkord- oder Fließbandarbeit und Nachtschicht seien zu vermeiden, ebenso Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungsapparates. Der auf Antrag der Klägerin gehörte Sachverständige Prof.Dr.G. beurteilte deren Erwerbsfähigkeit im Gutachten vom 12.05.2000 dahingehend, dass leichte körperliche und einfache geistige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei entsprechender Willensanspannung sowie unter Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen vollschichtig verrichtet werden können.

Mit Urteil vom 10.10.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen ist es den Beurteilungen der von ihm gehörten Sachverständigen Dr.S. und Prof.Dr.G. gefolgt, wonach ein vollschichtiges Einsatzvermögen unter gewissen qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben sei. Da die Klägerin nach ihrem beruflichen Werdegang auf alle ihr gesundheitlich zumutbaren Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne und insoweit als vollschichtig belastbar anzusehen sei, könne dahingestellt bleiben, ob sie auch in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit noch einsatzfähig sei.

Mit der dagegen eingelegten Berufung macht die Klägerin in erster Linie geltend, der psychiatrischer Beurteilung unterliegende Sachverhalt, insbesondere die manisch-depressiven Probleme seien nicht gewürdigt worden. Diesbezüglich habe sich ihre Situation zwischenzeitlich weiter verschlimmert. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie sich als Ausländerin psychoreaktiv anders verhalte (als einheimische Versicherte), sollte im Berufungsverfahren durch ein ergänzendes Gutachten geklärt werden, ob Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Grund ihrer psychischen Labilität bestehe.

Nach Beinahme der Unterlagen und eines Befundberichtes des Allgemeinmediziners S. hörte der Senat den Neurologen und Psychiater Dr.O. (Gutachten vom 29.11.2001). Auch dieser hält (Diagnosen: Chronisches Schmerzsyndrom, somatoforme Störung mit anhaltender Schmerzstörung) leichte bis mittelschwere Arbeiten bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen vollschichtig für zumutbar. Dieses Gutachten wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin unter dem 17.12.2001 zur Kenntnis und abschließenden Antragstellung bis 18.01.2002 zugestellt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 10.10.2000 sowie den Bescheid vom 03.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen EU, hilfsweise wegen Berufsufähigkeit, ab 01.02.1998 zu gewähren. Hilfsweise beantragt sie, ein Gutachten gem § 109 SGG bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.von B. einzuholen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten erster und zweiter Instanz wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 10.10.2000 vielmehr zu Recht festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Bewilligung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat. Denn die Klägerin ist weder berufs- noch erwerbsunfähig im Sinne des Gesetzes. Das vom Senat eingeholte Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr.O. vom 29.11.2001 hat das Ermittlungsergebnis des SG in vollem Umfang bestätigt. Somit ist die Klägerin, die auf Grund ihres versicherungspflichtigen Erwerbslebens uneingeschränkt auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar ist, bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen (die insgesamt aber keine betriebsunüblichen Arbeitsplatzbedingungen darstellen) noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Der Klägerin stehen daher Rentenleistungen wegen BU und EU nach den §§ 43, 44 SGB VI aF nicht zu. Da die Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren keinerlei neue Gesichtspunkte erbracht haben, wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die zutreffenden Gründe im angefochtenen Urteil verwiesen (§ 153 Abs 2 SGG).

Dem hilfsweise gestellten Antrag, den Neurologen und Psychiater Dr.von B. gem § 109 SGG im Berufungsverfahren als Sachverständigen zu hören, war nicht stattzugeben. Seiner Zulassung stehen die Gründe des § 109 Abs 2 SGG entgegen. Außer der notwendigerweise mit der Vertagung der mündlichen Verhandlung und der Einholung des Gutachtens verbundenen Verzögerung des Rechtsstreits ist der Antrag nach freier Überzeugung des Senats aus grober Nachlässigkeit nicht früher gestellt worden. Das Gutachten des Sachverständigen Dr.O. wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin unter dem 17.12.2001 zur Kenntnis und abschließenden Antragstellung bis 18.01.2002 zugestellt. Daraus war für die Klägerin eindeutig erkennbar, dass der Senat die Beweiserhebung als abgeschlossen betrachtete. Im Allgemeinen erscheint eine Überlegungsfrist von einem Monat zur Prüfung der Frage, ob ein Antrag nach § 109 SGG gestellt werden soll, ausreichend. Bis zur gerichtsinternen Entscheidung, die Streitsache zur mündlichen Verhandlung zu nehmen, sind etwa fünf Monate verstrichen, ohne dass seitens der Klägerin von der Möglichkeit der Antragstellung nach § 109 Abs 2 SGG Gebrauch gemacht wurde. Der erst am 07.06.2002 nach Zugang der Ladung zum Termin bei Gericht eingegangene Antrag gem § 109 SGG ist deshalb verspätet gestellt worden (vgl Meyer-Ladewig SGG 6.Aufl § 109 RdNr 8 a mwN aus der Rechtsprechung).

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved