Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 Ar 644/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 70/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Oktober 1997 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 14. Juli 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 1995 wird abgewiesen.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am ...1944 geborene Klägerin hat von September 1959 bis August 1960 den Beruf einer Hausgehilfin erlernt und nach ihren Angaben bis August 1961 ausgeübt. Anschließend ist sie bis 30.11.1972 als Textilarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Wie sich aus ihrem Versicherungsverlauf ergibt, ist sie sodann bis 15.4.1973 arbeitsunfähig krank gewesen. Es liegt diesbezüglich ein vertrauensärztliches Gutachten Dr.Sch ... vom 16.11.1972 vor, das von einer Arbeitsunfähigkeit für sechs Wochen spricht. Nach einer anschließenden Zeit als Hausfrau hat sie sich am 16.9.1974 arbeitslos gemeldet und am 2.12.1974 wegen Verschleißerscheinungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation beantragt. Die Arbeitslosigkeit ist im Versicherungsverlauf bis 15.3.1975 als nicht anrechenbar vermerkt. Vom 20.3.1975 bis 12.4.1975 hat sich eine ebenfalls nicht anrechenbare Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit angeschlossen. Vom 14.4.1975 bis 31.10.1975 ist die Klägerin dann wieder versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, und zwar halbtags als Raumpflegerin bei der Firma K ... Blumenimport, N ... Vom 1.11.1975 bis 22.4.1976 ist die Klägerin arbeitslos gemeldet gewesen, unterbrochen durch eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit vom 23.1. bis 11.4.1976; diesbezüglich ist aufgrund einer Begutachtung am 1.4.1976 vom Vertrauensärztlichen Dienst zum 12.4.1976 für den Beruf einer Textilarbeiterin Arbeitsfähigkeit festgestellt worden, eine Berufstätigkeit ohne schweres Heben und dauerndes Bücken sei wieder möglich. Im Zeitraum 7.5. bis 24.5.1976 hat die Klägerin einen Pflichtbeitrag als Ausfahrerin für das Dental-Labor L ..., A ..., gezahlt. Im Anschluß daran hat sie sich vom 26.5.1976 bis 23.6.1976 einer medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation im Kurheim E ..., Bad F ..., unterzogen, aus der sie laut Ärztlichem Schlußbericht vom 23.6.1976 arbeitsfähig mit sieben Tagen Arbeitsruhe entlassen worden ist; im Entlassungsbericht hieß es, Maßnahmen der Berufsförderung seien nicht angezeigt. Mit Bescheiden vom 6.8.1976 und 15.11.1976 hat die Beklagte sodann einen Vorbereitungslehrgang und die Umschulung zur Bürokauffrau bewilligt, wobei sie aufgrund einer Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes/Dr.W ... vom 7.3.1976 davon ausging, daß die Erwerbsfähigkeit der Klägerin bei weiterer Ausübung des Berufs als Textilarbeiterin gefährdet sei. Der weitere Versicherungsverlauf der Klägerin stellt sich wie folgt dar: 01.07.1976 bis 10.06.1977 Pflichtbeiträge wegen der (aus gesundheitlichen Gründen - Überforderung - dann nicht abgeschlossenen) Umschulung zur Bürokauffrau; 11.06.1977 bis 5.7.1977 Anrechnungszeiten wegen Krankheit und dann - bis 06.10.1977 - Arbeitslosigkeit; 07.10.1977 bis 30.11.1977 Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft bzw. Mutterschutz; 01.12.1977 bis 31.10.1978 Pflichtbeiträge für Kindererziehung (Tochter S ..., geboren am 24.10.1977). Vom 01.12.1977 bis 23.10.1987 (dem von der Klägerin angegebenen Ende der Erziehung) hat die Beklagte Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gespeichert. Weitere rentenrechtliche Zeiten liegen nicht vor. Vom September 1989 bis Mai 1993 ist die Klägerin stundenweise einer geringfügigen Beschäftigung (ohne Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung) nachgegangen.
Aus dem Versicherungsverlauf ergibt sich, daß der Zeitraum 01.07.1972 bis 31.10.1978 36 Pflichtbeiträge umfaßt; im Zeitraum 01.07.1972 bis 30.11.1987 sind (nur) 24 Monate unbelegt.
Nach 1983 ist die Klägerin erstmals im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens im September 1989 mit der Beklagten in Verbindung getreten.
Den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit vom 21.10.1993 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.1994 und Widerspruchsbescheid vom 12.10.1995 ab. Die Versicherte sei zwar seit 30.06.1992, dem Beginn einer stationären Behandlung in der Neurologischen Klinik des Zentralklinikums A ..., auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch halb- bis unter vollschichtig leistungsfähig. Ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß den §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) bestehe jedoch nicht, da in diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentenleistung nicht mehr erfüllt seien; die letzten rentenrechtlichen Zeiten seien nämlich im Oktober 1987 zurückgelegt worden. Vor dem 30.06.1992 habe eine rentenrelevante Leistungsminderung für Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht vorgelegen. Bezüglich des Gesundheitszustands und des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin lagen der Beklagten ein Gutachten des Internisten Dr.S ... vom 05.04.1994, ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Schi ... vom 07.06.1994 sowie zahlreiche medizinische Unterlagen vor, aus denen nach Ansicht des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten ein früherer Eintritt eines unter vollschichtigen Leistungsvermögens jedoch nicht zu belegen war.
Dr.S ... hatte bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: I. Chronisches depressives Syndrom. II. Bluthochdruck. III. Stimmbandlähmung nach Operation eines Kropfrezidivs im Januar 1993. IV. Neigung zu Kreuzschmerzen bei Aufbraucherscheinungen der Lendenwirbelsäule mit geringfügigem Wirbelgleiten des 5. Lendenwirbelkörpers auf dem 1. Kreuzbeinwirbel. V. Zervikalsyndrom bei Aufbraucherscheinungen der Halswirbelsäule. VI. Migräne. Zum beruflichen Leistungsvermögen war von Dr.S ... ausgeführt worden, Leistungseinschränkungen ergäben sich aufgrund des Bluthochdruckleidens insofern, als die Versicherte körperlich schwere Arbeiten nicht mehr und körperlich mittelschwere Tätigkeiten allenfalls kurzfristig verrichten könne. Wegen einer leichten Sprachbeeinträchtigung (Heiserkeit und kloßige Sprache) aufgrund der bei einer zweiten Kropfoperation aufgetretenen Stimmbandlähmung könne die Versicherte keine Tätigkeiten mehr verrichten, bei denen sie viel sprechen müsse; gelegentliches Sprechen sei aber durchaus zumutbar. Die Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule erlaubten nur noch Tätigkeiten im Wechselrhythmus von Sitzen, Gehen und Stehen, ohne häufiges Bücken, ohne lange einseitige Körperhaltung und ohne Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten von mehr als 10 Kilogramm. Schließlich bestehe bei der Versicherten noch eine chronifizierte Depression mit Schlafstörungen, Schwindelbeschwerden und vermehrter Erschöpfbarkeit. Ohne Berücksichtigung der zuletzt genannten, das nervenärztliche Fachgebiet betreffenden Befunde könne die Versicherte körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichten.
Wegen der Ablehnung ihres Rentenantrags erhob die Klägerin am 25.10.1995 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg; sie machte den Eintritt der Erwerbsminderung bereits vor 1984 geltend.
Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten bei und erholte Befundberichte sowie Unterlagen über ärztliche Behandlungen der Klägerin (Dr.E ..., Lungen- und Bronchialheilkunde, Befundbericht vom 07.12.1995; Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K ..., EEG-Befund vom 12.06.1985; Nervenarzt Dr.P ..., , Auskunft vom 13.12.1995; Arzt für Allgemeinmedizin Dr.Z ..., Befundbericht vom 18.01.1996; Neurologische Klinik der Technischen Universität M ..., Arztbrief Prof.Dr.St .../ Dr.M ... vom 22.03.1973; Dr.Me ..., Internist - Kardiologie, Befundbericht vom 06.02.1996; Neurologische Klinik des Zentralklinikums A ... , Arztbrief Prof.Dr.Stö .../ Dr.Sche .../Dr.H ... vom 11.08.1992; ...-Klinik A ..., Arztbrief Dr.T ... vom 18.09.1990; Frauenarzt Dr.J ..., Befundbericht vom 28.02.1996; Internist Dr.Pf ..., Befundbericht vom 03.05.1996).
In einer Auskunft vom 21.05.1997 teilte der letzten Arbeitgeber der Klägerin, die Fa ...-Werke, dem SG mit, die Klägerin sei vom 07.05.1991 bis 26.05.1993 als geringfügig beschäftigte Servicekraft im Außendienst tätig gewesen (Aufgaben: Lieferung der Ware und deren Verräumung in die Regale, Pflege der Regale). Die vertragliche Arbeitszeit habe weniger als 15 Stunden wöchentlich betragen. Aus der vom Arbeitgeber vorgelegten Tabelle der Monatslöhne und dem Stundenlohn von 12 DM ist zu entnehmen, daß die Klägerin immer unter 10 Stunden wöchentlich gearbeitet hat.
Während des anhängigen Klageverfahrens führte die Beklagte bei der Klägerin vom 22.06. bis 31.07.1996 ein stationäres Heilverfahren in der Herz-Kreislaufklinik der Beklagte in Bad W ... durch, aus dem die Klägerin als vollschichtig leistungsfähig für bis mittelschwere Arbeiten entlassen wurde.
Das SG holte über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen der Klägerin (insbes. auch bezüglich des Zeitpunkts 30.06.1984) von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie - Sozialmedizin Dr.Pa ... ein medizinisches Sachverständigengutachten ein (vom 24.09.1996). In einer ergänzenden Stellungnahme (vom 28.02.1997) setzte sich Frau Dr.Pa ... mit ablehnenden Äußerungen des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten - Frau Dr.N ... (vom 19.11.1996) und Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ka ... (vom 21.01.1997) - auseinander. In einer weiteren Stellungnahme bekräftigte der sozialmedizinische Dienst - Dr.Ka ... (vom 25.07.1997) - seine bisherige Auffassung.
Frau Dr.Pa ... stellte in ihrem Gutachten vom 24.09.1996 bei der Klägerin folgende Diagnosen: 1. Chronifizierte generalisierte Angststörung bei depressiv-strukturierter Primärpersönlichkeit; 2. migräniforme Kopfschmerzen; 3. Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit gelegentlichem Wurzelreiz; 4. asthmoide Bronchitis, Bluthochdruck; 5. Recurrensparese und Hypoparathyreoidismus nach Strumarezidivoperation Januar 1993. Die Diagnosen 1 bis 3 bestünden schon seit den siebziger Jahren; die Diagnosen unter 4 seien 1989, die Diagnose 5 erst 1993 hinzugekommen. Die Angststörung habe spätestens 1982 ein solches Ausmaß erreicht, daß die Klägerin von da an und auch während des gesamten folgenden Zeitraums für eine geregelte vollschichtige Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr belastbar gewesen sei. Möglich gewesen seien allenfalls stundenweise leichte Arbeiten, wie sie dann auch von der Klägerin zeitweise ausgeführt worden seien. Ein Besserungsaussicht bestehe nicht.
Die Beklagte erachtete die für die Vergangenheit vorliegende medizinische Dokumentation für nicht ausreichend, um ein bereits am 30.06.1984 vorliegendes unter vollschichtiges Leistungsvermögen zu beweisen.
Das SG verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 15.10.1997, der Klägerin ab 01.10.1993 bis 30.09.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen; im übrigen wies es die Klage ab. Im Anschluß an das Ergebnis der Begutachtung durch Frau Dr.Pa ... ging das SG davon aus, daß die Klägerin bereits ab 1982 für eine geregelte vollschichtige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr belastbar und damit erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 2SGB VI gewesen sei; daher seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI erfüllt. Der Rentenbeginn ergebe sich aus den §§ 101 Abs. 1, 99 Abs. 1 SGB VI abhängig vom Antragszeitpunkt und dem Eintritt der Erwerbsminderung. Die Rente sei nach § 102 Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB VI zu befristen gewesen, da Frau Dr.Pa ... nur von einem unter vollschichtigen Leistungsvermögen spreche, ohne sich darauf festzulegen, daß das Leistungsvermögen bereits auf Dauer auf weniger als zwei Stunden gesunken sei.
Am 10.02.1998 ging die Berufung der Beklagten gegen dieses ihr am 19.01.1998 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Zur Begründung trug sie sinngemäß u.a. vor, da Frau Dr.Pa ... formuliert habe, "es spreche mehr dafür als dagegen", daß die Klägerin bereits vor 1984 keine kontinuierliche vollschichtige Erwerbstätigkeit mehr habe verrichten können, fehle es an der diesbezüglich erforderlichen mit an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Auch sei eine Rentenberechnung nicht möglich, da vom SG der Monat des Eintritts der Erwerbsminderung im Jahre 1982 nicht festgestellt worden sei und sich auch nicht aus den Akten ergebe.
Der Senat zog die Verwaltungsakten der Beklagten und die Klageakten des SG bei und erholte von Frau Dr.Pa ... eine Stellungnahme zum Zeitpunkt des Absinkens der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin auf weniger als vollschichtig bzw. weniger als halbschichtig sowie zum Grad der Wahrscheinlichkeit der Aussagen über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen der Klägerin.
In ihrer "gutachtlichen nervenärztlichen Stellungnahme" vom 02.10.1998 äußerte Frau Dr.Pa ..., mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei die Klägerin ab 01.01.1983 nicht mehr vollschichtig belastbar gewesen. Ab wann in der Vergangenheit das berufliche Leistungsvermögen auf unter halbschichtig gesunken sei, könne nur mit einem geringeren Grad an Wahrscheinlichkeit auf September 1989 datiert werden.
Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten wandte im wesentlichen ein - "psychiatrisch-psychologische Stellungnahme nach Aktenlage" der Fachärztin für Psychiatrie - Rehabilitationswesen - Sozialmedizin Dr.med.Dipl.-Psychologin W ... vom 12.11.1998 -, die vorhandene medizinische Dokumentation reiche nicht aus, um die Frage des Zeitpunkts, ab wann in der Vergangenheit ein unter vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen vorgelegen habe, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu beantworten.
Im Termin vom 18.05.1999 legte die Klägerin sodann Anschlußberufung ein und begehrte die Verurteilung der Beklagten zu einer unbefristeten Rentenleistung. Einen Antrag der Beklagten auf Ablehnung der Sachverständigen Frau Dr.Pa ... wegen Besorgnis der Befangenheit verwarf der Senat gleichzeitig als verspätet und damit unzulässig.
Der Senat setzte sodann die Beweisaufnahme fort und holte von der Ärztin für Pharmakologie & Toxikologie sowie Psychiatrie, Psychotherapie Dr.Schl ... ein medizinisches Sachverständigengutachten ein, insbesondere zu der Frage, welches - vor allem quantitative - berufliche Leistungsvermögen bei der Klägerin ab Oktober 1987 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne.
Frau Dr.Schl ... stellte bei der Klägerin eine schwere neurotische Störung auf dem Boden einer Persönlichkeitsstörung fest; hierbei handle es sich um eine Frühstörung und es bestünden erhebliche Ich-Funktionsstörungen. Nach der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10) lägen bei der Klägerin eine Dysthymie, eine generalisiere Angststörung und eine ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung vor.
Aus dem medizinischen Erfahrungswissen ließen sich zum Leistungsvermögen der Klägerin retrospektiv keine präziseren quantifizierenden Aussagen treffen. Es gebe keinen medizinischen oder psychologischen Test, mit dem sich zum jetzigen Zeitpunkt die Schwere der 1987 bestehenden psychischen Behinderung objektiv erfassen ließe. Die Frage, ob bei der Klägerin 1987 bereits ein unter vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen vorgelegen habe, könne aus medizinischer Sicht nicht exakt beantwortet werden. Aus dem Akteninhalt und dem Ergebnis der aktuellen Untersuchung ergebe sich eine progrediente Symptomatik.
Der Senat hat sodann im Hinblick auf die Schwierigkeit der medizinischen Beurteilung von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ki ... ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt (vom 10.11.2000).
Dr.Ki ... führte aus, es dürfte ärztlicherseits Übereinstimmung bestehen, daß es sich bei der Klägerin um eine dekompensierte neurotische Störung handle. Ab wann der Zeitpunkt der endgültigen Dekompensation anzusetzen sei, sei jedoch aus seiner Sicht praktisch nicht möglich zu entscheiden. Vor allen Dingen sei es aufgrund der vorliegenden Befunde nicht möglich, eine eindeutige sozialmedizinische Zäsur für den Zeitpunkt Dezember 1987 festzulegen. Daß bereits zu Beginn des Jahres 1970 eine generalisierte Angststörung bei der Klägerin vorgelegen haben sollte, ergebe sich aus den aus der damaligen Zeit vorliegenden Befunden nicht. Es bestünden keine Zweifel daran, daß zum heutigen Zeitpunkt die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit mit der notwendigen Regelmäßigkeit nachzugehen. Es lasse sich jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit aussagen, daß eine zeitlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit bereits ab Dezember 1987 vorgelegen habe. Die Tatsache, daß dies nicht möglich sei, beruhe dabei zum einen darauf, daß die medizinische - insbesondere auch die psychiatrische - Dokumentation lückenhaft sei; die früheren Untersucher bis zum Jahre 1994 seien nämlich nicht mit der Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit befaßt worden. Zum andern beruhe sie darauf, daß gerade bei psychoreaktiven Krankheitsbildern eine retrospektive Beurteilung oft nicht möglich sei (wohingegen sich diese Möglichkeit bei endogenen Psychosen manchmal ergebe). Zusammenfassend sei festzustellen, daß bei der Klägerin - überschaubar bereits seit Beginn der siebziger Jahre - eine neurotische Depression bei einer primär psychasthenischen, einfach strukturierten, wenig durchsetzungsfähigen Persönlichkeit vorliege. Daß diese Gesundheitsstörung, die bereits seit knapp 30 Jahren überschaubar sei, zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit geführt habe, sei nicht zu bezweifeln. Ab Dezember 1987 habe die Klägerin vollschichtig nur noch körperlich leichte und geistig einfache Arbeiten verrichten können, wie z.B. als Textilarbeiterin, Ladenhilfe oder Hilfsarbeiterin. Eine Umstellungsfähigkeit in diesem Berufsspektrum sei ab Dezember 1987 noch gegeben gewesen. Nicht mehr zumutbar gewesen seien Schicht- oder Akkordarbeit, Arbeiten, die eine gewisse psychische Belastbarkeit erfordert hätten, sowie Arbeiten unter Exposition gegenüber physikalischen oder chemischen Reizen. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte hätten ab Dezember 1987 nicht bestanden. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich ab 1987 offenbar verschlechtert. Diese Verschlechterung bestehe darin, daß das Ausmaß der psychischen Störungen zugenommen habe. Als Termin sei - sofern dies retrospektiv überhaupt möglich sei - der Zeitpunkt der Gutachtenserstellung durch Frau Dr. Pa ... anzunehmen, nämlich der September 1996.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.10.1997 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.1995 abzuweisen.
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.10.1997 zurückzuweisen und die Beklagte unter Abänderung dieses Urteils sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.1995 zu verurteilen, ihr ab 01.10.1993 unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Augsburg vom 15.10.1997 ist zulässig und auch begründet, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit (verminderter Erwerbsfähigkeit) hat.
Der Anspruch der Klägerin ist wegen der Antragstellung am 21.10.1993, also nach dem 31.03.1992, nicht mehr nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) und ihrer Nebengesetze (hierunter insbesondere das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG -) zu beurteilen, sondern nach denjenigen des SGB VI, vgl. § 300 Abs. 1 und 2 SGB I SGB VI. Dies ist für die Klägerin jedoch im Ergebnis ohne rechtliche Auswirkungen, da die für den vorliegenden Fall wesentlichen Vorschriften in beiden Gesetzen praktisch übereinstimmen. Die im folgenden zitierten Rechtsgrundlagen sind die bis 31.12.2000 geltenden Normen, da die Klägerin einen bis dahin bereits bestehenden Anspruch geltend macht, und durch das Gesetz zur Reform der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) keine Änderung eingetreten ist, die für die Klägerin günstig wäre, so daß sie auch ab 1.1.2001 keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat (vgl. insbesondere Art. 1 Nr. 8 Abs. 3, Nr. 10 und Nr. 42 des Gesetzes vom 20.12.2000).
Der Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit setzt zunächst voraus, daß in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt worden sind, vgl. §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.2, 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Diese Voraussetzung wäre unter Berücksichtigung der vorliegenden Aufschubtatbestände, vgl. §§ 43 Abs. 3, 44 Abs. 4 SGB VI letztmalig dann erfüllt, wenn die Erwerbsminderung spätestens im Dezember 1987 eingetreten wäre (der maßgebliche - durch Aufschubtatbestände verlängerte - Fünfjahreszeitraum 01.07.1972 bis 30.11.1987 umfaßt 36 Pflichtbeitragsmonate und 24 unbelegte Monate).
Insbesondere wird der Zeitraum von fünf Jahren nicht durch eine Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit noch weiter verlängert, die vor dem 31.12.1983 begonnen und bis zum Eintritt der Erwerbsminderung angedauert hätte, 43 Abs. 3 Nr. 1, 44 Abs. 4 SGB VI (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 22.4.1992 5 RJ 74/91 = SozR 3-2200 § 1259 RVO Nr. 12). Die Klägerin ist nämlich zum 16.4.1973 für ihren Beruf als Textilarbeiterin vom vertrauensärztlichen Dienst gesundgeschrieben worden, da sie sonst (dies würde aus dem Versicherungsverlauf hervorgehen) mangels Erschöpfung dieses Anspruchs weiter Krankengeld bezogen und eine Anrechnungszeit zurückgelegt hätte - dies um so mehr, als sie sich damals entschlossen hatte, Hausfrau zu sein; in dieser Situation würde ein Verzicht auf zustehendes Krankengeld jeder Lebenserfahrung widersprechen. Damit ist die Lücke vom 1.5.1973 bis 31.3.1975 (23 Monate) nicht schließbar (ab 1.4.1975 bis 23.10.1987 ist der Versicherungsverlauf dann lückenlos). Durch die Aufnahme der Beschäftigung als Raumpflegerin vom 14.4. bis 31.10.1975 hat sich die Arbeitsunfähigkeit zunächst nach diesem Beruf gerichtet. Den zuletzt - ab 24.5.1976 - ausgeübten Beruf einer Ausfahrerin hat die Klägerin nicht krankheitsbedingt, sondern wegen Beginns der berufsfördernden Maßnahmen aufgegeben. Anläßlich der letzten im Versicherungsverlauf dokumentierten Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit (im Anschluß an die berufsfördernden Maßnahmen) vom 11.6. bis 5.7.1977 ist die Klägerin offensichtlich gesundgeschrieben worden; sie hätte nämlich nach der bisherigen Bezugsdauer von Krankengeld (selbst wenn man unzulässigerweise bis zum Ende der Beschäftigung als Textilarbeiterin zurückginge: vom 30.11.1972 bis 5.7.1977 nur insgesamt etwa 42 Wochen Arbeitsunfähigkeit) noch Anspruch auf dieses gehabt und es auch sicher beansprucht, wenn nur die Voraussetzungen dafür (Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit) vorgelegen hätten. Wie sich aus den Darlegungen von Frau Dr.Schl ... und Dr.Ki ... zweifelsfrei ergibt, können die Auswirkungen der für die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin entscheidenden psychischen Erkrankung nicht in die Vergangenheit zurück exakt genug beurteilt werden, somit eben auch nicht für die Zeit vor dem 1.1.1984. Es ist jedenfalls bei der Lückenhaftigkeit der medizinischen Dokumentation ausgeschlossen, eine etwaige Arbeitsunfähigkeit, die über den 5.7.1977 hinaus viele Jahre hinweg hätte andauern müssen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Sonstige Aufschubtatbestände liegen ersichtlich nicht vor.
Die Klägerin ist vor 1988 noch nicht im Sinn des § 43 Abs. 2 SGB VI berufsunfähig gewesen. Hiernach sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Das Vorliegen der hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit ist bei der Klägerin jedenfalls vor 1988 nicht beweisbar.
Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen der Klägerin war bereits vor 1988 eingeschränkt. Sie konnte nämlich bei der Möglichkeit eines Wechsels von Sitzen, Gehen und Stehen körperlich leichte und geistig einfache Arbeiten noch vollschichtig (d.h. etwa acht Stunden täglich) verrichten. Häufiges Bücken war dabei ebensowenig zumutbar wie lange einseitige Körperhaltungen, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten von mehr als 10 Kilogramm, Schicht- oder Akkordarbeit, Arbeiten, die eine gewisse psychische Belastbarkeit erfordert hätten, sowie Arbeiten unter Exposition gegenüber physikalischen oder chemischen Reizen. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte lagen mangels entsprechender Befunde nicht vor; die Klägerin konnte die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen (vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 = SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10).
Dieses vor 1988 bestehende berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ergibt sich aus den im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten des Internisten Dr.S ... und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Schi ..., vor allem aber aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten der Ärztin für Pharmakologie & Toxikologie sowie Psychiatrie - Psychotherapie Dr.Schl ... und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ki ... Der Senat schließt sich den Aussagen dieser schlüssigen und überzeugenden Gutachten an.
Bei der Klägerin haben ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bereits vor 1988 folgende Gesundheitsstörungen vorgelegen: I. Neurotische Störung. II. Migräniforme Kopfschmerzen. III. Bluthochdruck. IV. Neigung zu Kreuzschmerzen bei Aufbraucherscheinungen der Lendenwirbelsäule mit geringfügigem Wirbelgleiten des 5. Lendenwirbelkörpers auf dem 1. Kreuzbeinwirbel sowie Zervikalsyndrom bei Aufbraucherscheinungen der Halswirbelsäule mit gelegentlichem Wurzelreiz. Diese Gesundheitsstörungen haben nur die oben aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen bedingt, nicht jedoch eine zeitliche Beschränkung des beruflichen Leistungsvermögens bewirkt. Für das berufliche Leistungsvermögen entscheidend ist die neurotische Störung.
Die Klägerin ist vor 1988 noch nicht berufsunfähig gewesen, auch wenn ihr berufliches Leistungsvermögen - wie oben dargelegt - bereits eingeschränkt war und sie ihren zuletzt ausgeübten Beruf als Ausfahrerin wohl nicht mehr ausüben konnte. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr.138).
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.5).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Klägerin höchstens der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar des unteren Bereichs (Ausbildungs- oder Anlernzeit von 3 Monaten bis zu einem Jahr, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45), zuzuordnen.
Als ungelernter Arbeiterin waren der Klägerin alle Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen sie körperlich, geistig und seelisch gewachsen war. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es damit grundsätzlich nicht. Auch lag bei der Klägerin vor 1988 weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einer Versicherten erforderlich machen würde, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen ist. Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz tatsächlich hätte vermittelt werden können, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, daß nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und daß hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8).
Die Klägerin, die vor 1988 nicht berufsunfähig war, weil sie jedenfalls in einem anderen als dem bisherigen Beruf noch vollschichtig arbeiten konnte, war erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinn des § 44 Abs. 2 SGB VI, weil sie damals die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit nicht erfüllt hat. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI sind nämlich solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie die Klägerin vor 1988 - eine Tätigkeit vollschichtig ausüben können; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Eintritt des unter vollschichtigen Leistungsvermögens noch im Dezember 1987 (wie für einen Rentenanspruch erforderlich), ist zwar gut möglich, läßt sich aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen, d.h. so, daß kein Vernünftiger daran noch zweifelt; dies wäre jedoch erforderlich (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz - SGG -, §§ 118 Rdnr.5, 128 Rdnr. 3 mit weiteren Nachweisen). Grundsätzlich läßt der Begriff der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" einen gewissen Rest an Unsicherheit zu (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O.). Das Gericht darf und muß sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen, der den Zweifeln Einhalt gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so BGH-Urteil vom 17.02.1970 - III ZR 139/67 = BGHZ 53, 245, 256); es muß für den Richter das Gefühl des Zweifels beseitigt sein (zu dieser Formulierung vgl. BSG-Urteil vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55 = BSGE 7, 103, 106; vgl. auch BSG-Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = Breith 1994, 46, 47). Dies ist im vorliegenden Fall insbesondere im Hinblick auf die überzeugenden Gutachten der Ärztin für Pharmakologie & Toxikologie sowie Psychiatrie Psychotherapie Dr.Schl ... und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ki ... nicht erreichbar. Beide Sachverständige haben überzeugend dargelegt, daß die Auffassung von Frau Dr.Pa ..., es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, daß die Klägerin bereits seit 1983 nicht mehr vollschichtig leistungsfähig sei, wegen der Besonderheit des Krankheitsbildes und der fehlenden Dokumentation nicht haltbar ist.
So weist Frau Dr.Schl ... darauf hin, daß sich aus dem medizinischen Erfahrungswissen zum Leistungsvermögen der Klägerin retrospektiv keine präzisen quantifizierenden Aussagen treffen lassen. Es gibt keinen medizinischen oder psychologischen Test, mit dem sich zum jetzigen Zeitpunkt die Schwere der 1987 bestehenden psychischen Behinderung objektiv erfassen läßt. Aus dem Akteninhalt und den Ergebnissen der aktuellen Untersuchungen ergibt sich eine progrediente Symptomatik.
Im Anschluß an Dr.Ki ... ist bei der Klägerin von einer dekompensierten neurotischen Störung auszugehen. Wann der Zeitpunkt der endgültigen Dekompensation anzusetzen ist, ist jedoch nicht möglich zu entscheiden. Vor allen Dingen ist es aufgrund der vorliegenden Befunde unmöglich, eine eindeutige sozialmedizinische Zäsur für den Zeitpunkt Dezember 1987 festzulegen. Daß bereits zu Beginn des Jahres 1970 eine generalisierte Angststörung bei der Klägerin vorgelegen haben sollte, wie Frau Dr.Pa ... meint, ergibt sich aus den aus der damaligen Zeit vorliegenden Befunden nicht. Es bestehen keine Zweifel daran, daß zum heutigen Zeitpunkt die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit mit der notwendigen Regelmäßigkeit nachzugehen. Es läßt sich jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit aussagen, daß eine zeitlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit bereits ab Dezember 1987 vorgelegen hat. Die Tatsache, daß dies nicht möglich ist, beruht dabei zum einen darauf, daß die medizinische - insbesondere auch die psychiatrische - Dokumentation lückenhaft ist; die früheren Untersucher - bis zum Jahre 1994 - sind nämlich nicht mit der Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit befaßt worden. Zum andern beruht sie darauf, daß gerade bei psychoreaktiven Krankheitsbildern eine retrospektive Beurteilung oft nicht machbar ist (wohingegen sich diese Möglichkeit bei endogenen Psychosen manchmal ergibt).
Damit steht fest, daß die Klägerin, bei der die Erwerbsminderung erst nach Dezember 1987 eingetreten ist, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind auch nicht nach den §§ 43 Abs. 4, 44 Abs. 4 SGB VI in Verbindung mit § 53 SGB VI erfüllt, weil es keinerlei Hinweise darauf gibt, daß die Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines Tatbestandes eingetreten wäre, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit, Wehr- oder Zivildienstbeschädigung, Gewahrsam im Sinne des § 1 des Häftlingshilfegesetzes, Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung).
Der Klägerin hilft auch nicht die Möglichkeit der §§ 241 Abs. 2, 240 Abs. 2 SGB VI, da sie die Zeit ab Januar 1984 nicht voll mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt hat und sie auch nicht mehr mit solchen Zeiten belegen kann.
Freiwillige Beiträge, die im vorliegenden Fall als Anwartschaftserhaltungszeiten in Betracht kämen, hätten jeweils bis zum 31.12. des Jahres, für das sie gelten hätten sollen, gezahlt werden müssen, vgl. § 1418 Abs. 1 RVO, bzw. - ab 1992 - bis zum 31.3. des Folgejahres, vgl. 197 Abs. 2 SGB VI.
Eine Zulassung der Klägerin zur nachträglichen Beitragszahlung ist nicht möglich. Es kann vorliegend dahinstehen, ob hinsichtlich der Versäumung der Zahlungsfrist von freiwilligen Beiträgen unter der Geltung der RVO Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gemäß § 27 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) zulässig gewesen wäre. Denn eine etwa statthafte Wiedereinsetzung wäre schon deshalb nicht möglich, weil nicht erkennbar ist, daß die Klägerin ohne ihr Verschulden gehindert gewesen wäre, freiwillige Beträge rechtzeitig zu entrichten. Die bei der Klägerin möglicherweise vorhandene Unkenntnis über die gesetzlichen Regelungen - insbesondere betreffend die Möglichkeit, durch Entrichtung freiwilliger Beträge die Rentenanwartschaft zu erhalten - ist einem Unverschulden an der Säumnis nicht gleichzusetzen; dies folgt aus dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen (vgl. hierzu BSG SozR 3-1300 § 27 SGB X Nr.3 - insbesondere S.14 ff. -). Aus eben diesem Grund scheitert auch eine Zulassung zur nachträglichen Beitragszahlung aufgrund des vor dem 01.01.1992 geltenden Rechtsinstituts der Nachsichtgewährung - oder für die Zeit nach dem 31.12. 1991 - gemäß § 197 Abs.3 SGB VI.
Eine Berechtigung der Klägerin, freiwillige Beiträge für die nicht belegten Zeiten ab März 1985 nachzuzahlen, kann auch nicht über einen sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründet werden, da dieser einen Beratungsfehler voraussetzt (vgl. u.a. BSG SozR 1200 § 14 SGB I Nr. 15 und 25; SozR 3-1200 § 14 SGB I Nr. 5 und 6). Ein Gelegenheit, die Klägerin zu beraten, hat sich nach 1983 für die Beklagte jedenfalls nicht mehr rechtzeitig (d.h. spätestens noch 1987) ergeben, da die Klägerin nach 1983 erstmals im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens im September 1989 mit der Beklagten in Verbindung getreten ist. Zu diesem Zeitpunkt ist es bereits nicht mehr möglich gewesen, freiwillige Beiträge für 1987 und 1988 zu entrichten.
Da bei der Klägerin die Erwerbsminderung erst nach Dezember 1987 eingetreten ist und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch beim Eintritt der Erwerbsminderung nach Dezember 1987 nicht mehr vorliegen und auch nicht mehr herstellbar sind, die Klägerin somit keinen Rentenanspruch hat, war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Augsburg vom 15.10.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Anschlußberufung der Klägerin war dementsprechend zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am ...1944 geborene Klägerin hat von September 1959 bis August 1960 den Beruf einer Hausgehilfin erlernt und nach ihren Angaben bis August 1961 ausgeübt. Anschließend ist sie bis 30.11.1972 als Textilarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Wie sich aus ihrem Versicherungsverlauf ergibt, ist sie sodann bis 15.4.1973 arbeitsunfähig krank gewesen. Es liegt diesbezüglich ein vertrauensärztliches Gutachten Dr.Sch ... vom 16.11.1972 vor, das von einer Arbeitsunfähigkeit für sechs Wochen spricht. Nach einer anschließenden Zeit als Hausfrau hat sie sich am 16.9.1974 arbeitslos gemeldet und am 2.12.1974 wegen Verschleißerscheinungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation beantragt. Die Arbeitslosigkeit ist im Versicherungsverlauf bis 15.3.1975 als nicht anrechenbar vermerkt. Vom 20.3.1975 bis 12.4.1975 hat sich eine ebenfalls nicht anrechenbare Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit angeschlossen. Vom 14.4.1975 bis 31.10.1975 ist die Klägerin dann wieder versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, und zwar halbtags als Raumpflegerin bei der Firma K ... Blumenimport, N ... Vom 1.11.1975 bis 22.4.1976 ist die Klägerin arbeitslos gemeldet gewesen, unterbrochen durch eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit vom 23.1. bis 11.4.1976; diesbezüglich ist aufgrund einer Begutachtung am 1.4.1976 vom Vertrauensärztlichen Dienst zum 12.4.1976 für den Beruf einer Textilarbeiterin Arbeitsfähigkeit festgestellt worden, eine Berufstätigkeit ohne schweres Heben und dauerndes Bücken sei wieder möglich. Im Zeitraum 7.5. bis 24.5.1976 hat die Klägerin einen Pflichtbeitrag als Ausfahrerin für das Dental-Labor L ..., A ..., gezahlt. Im Anschluß daran hat sie sich vom 26.5.1976 bis 23.6.1976 einer medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation im Kurheim E ..., Bad F ..., unterzogen, aus der sie laut Ärztlichem Schlußbericht vom 23.6.1976 arbeitsfähig mit sieben Tagen Arbeitsruhe entlassen worden ist; im Entlassungsbericht hieß es, Maßnahmen der Berufsförderung seien nicht angezeigt. Mit Bescheiden vom 6.8.1976 und 15.11.1976 hat die Beklagte sodann einen Vorbereitungslehrgang und die Umschulung zur Bürokauffrau bewilligt, wobei sie aufgrund einer Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes/Dr.W ... vom 7.3.1976 davon ausging, daß die Erwerbsfähigkeit der Klägerin bei weiterer Ausübung des Berufs als Textilarbeiterin gefährdet sei. Der weitere Versicherungsverlauf der Klägerin stellt sich wie folgt dar: 01.07.1976 bis 10.06.1977 Pflichtbeiträge wegen der (aus gesundheitlichen Gründen - Überforderung - dann nicht abgeschlossenen) Umschulung zur Bürokauffrau; 11.06.1977 bis 5.7.1977 Anrechnungszeiten wegen Krankheit und dann - bis 06.10.1977 - Arbeitslosigkeit; 07.10.1977 bis 30.11.1977 Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft bzw. Mutterschutz; 01.12.1977 bis 31.10.1978 Pflichtbeiträge für Kindererziehung (Tochter S ..., geboren am 24.10.1977). Vom 01.12.1977 bis 23.10.1987 (dem von der Klägerin angegebenen Ende der Erziehung) hat die Beklagte Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gespeichert. Weitere rentenrechtliche Zeiten liegen nicht vor. Vom September 1989 bis Mai 1993 ist die Klägerin stundenweise einer geringfügigen Beschäftigung (ohne Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung) nachgegangen.
Aus dem Versicherungsverlauf ergibt sich, daß der Zeitraum 01.07.1972 bis 31.10.1978 36 Pflichtbeiträge umfaßt; im Zeitraum 01.07.1972 bis 30.11.1987 sind (nur) 24 Monate unbelegt.
Nach 1983 ist die Klägerin erstmals im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens im September 1989 mit der Beklagten in Verbindung getreten.
Den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit vom 21.10.1993 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.1994 und Widerspruchsbescheid vom 12.10.1995 ab. Die Versicherte sei zwar seit 30.06.1992, dem Beginn einer stationären Behandlung in der Neurologischen Klinik des Zentralklinikums A ..., auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch halb- bis unter vollschichtig leistungsfähig. Ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß den §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) bestehe jedoch nicht, da in diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentenleistung nicht mehr erfüllt seien; die letzten rentenrechtlichen Zeiten seien nämlich im Oktober 1987 zurückgelegt worden. Vor dem 30.06.1992 habe eine rentenrelevante Leistungsminderung für Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht vorgelegen. Bezüglich des Gesundheitszustands und des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin lagen der Beklagten ein Gutachten des Internisten Dr.S ... vom 05.04.1994, ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Schi ... vom 07.06.1994 sowie zahlreiche medizinische Unterlagen vor, aus denen nach Ansicht des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten ein früherer Eintritt eines unter vollschichtigen Leistungsvermögens jedoch nicht zu belegen war.
Dr.S ... hatte bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: I. Chronisches depressives Syndrom. II. Bluthochdruck. III. Stimmbandlähmung nach Operation eines Kropfrezidivs im Januar 1993. IV. Neigung zu Kreuzschmerzen bei Aufbraucherscheinungen der Lendenwirbelsäule mit geringfügigem Wirbelgleiten des 5. Lendenwirbelkörpers auf dem 1. Kreuzbeinwirbel. V. Zervikalsyndrom bei Aufbraucherscheinungen der Halswirbelsäule. VI. Migräne. Zum beruflichen Leistungsvermögen war von Dr.S ... ausgeführt worden, Leistungseinschränkungen ergäben sich aufgrund des Bluthochdruckleidens insofern, als die Versicherte körperlich schwere Arbeiten nicht mehr und körperlich mittelschwere Tätigkeiten allenfalls kurzfristig verrichten könne. Wegen einer leichten Sprachbeeinträchtigung (Heiserkeit und kloßige Sprache) aufgrund der bei einer zweiten Kropfoperation aufgetretenen Stimmbandlähmung könne die Versicherte keine Tätigkeiten mehr verrichten, bei denen sie viel sprechen müsse; gelegentliches Sprechen sei aber durchaus zumutbar. Die Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule erlaubten nur noch Tätigkeiten im Wechselrhythmus von Sitzen, Gehen und Stehen, ohne häufiges Bücken, ohne lange einseitige Körperhaltung und ohne Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten von mehr als 10 Kilogramm. Schließlich bestehe bei der Versicherten noch eine chronifizierte Depression mit Schlafstörungen, Schwindelbeschwerden und vermehrter Erschöpfbarkeit. Ohne Berücksichtigung der zuletzt genannten, das nervenärztliche Fachgebiet betreffenden Befunde könne die Versicherte körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichten.
Wegen der Ablehnung ihres Rentenantrags erhob die Klägerin am 25.10.1995 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg; sie machte den Eintritt der Erwerbsminderung bereits vor 1984 geltend.
Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten bei und erholte Befundberichte sowie Unterlagen über ärztliche Behandlungen der Klägerin (Dr.E ..., Lungen- und Bronchialheilkunde, Befundbericht vom 07.12.1995; Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K ..., EEG-Befund vom 12.06.1985; Nervenarzt Dr.P ..., , Auskunft vom 13.12.1995; Arzt für Allgemeinmedizin Dr.Z ..., Befundbericht vom 18.01.1996; Neurologische Klinik der Technischen Universität M ..., Arztbrief Prof.Dr.St .../ Dr.M ... vom 22.03.1973; Dr.Me ..., Internist - Kardiologie, Befundbericht vom 06.02.1996; Neurologische Klinik des Zentralklinikums A ... , Arztbrief Prof.Dr.Stö .../ Dr.Sche .../Dr.H ... vom 11.08.1992; ...-Klinik A ..., Arztbrief Dr.T ... vom 18.09.1990; Frauenarzt Dr.J ..., Befundbericht vom 28.02.1996; Internist Dr.Pf ..., Befundbericht vom 03.05.1996).
In einer Auskunft vom 21.05.1997 teilte der letzten Arbeitgeber der Klägerin, die Fa ...-Werke, dem SG mit, die Klägerin sei vom 07.05.1991 bis 26.05.1993 als geringfügig beschäftigte Servicekraft im Außendienst tätig gewesen (Aufgaben: Lieferung der Ware und deren Verräumung in die Regale, Pflege der Regale). Die vertragliche Arbeitszeit habe weniger als 15 Stunden wöchentlich betragen. Aus der vom Arbeitgeber vorgelegten Tabelle der Monatslöhne und dem Stundenlohn von 12 DM ist zu entnehmen, daß die Klägerin immer unter 10 Stunden wöchentlich gearbeitet hat.
Während des anhängigen Klageverfahrens führte die Beklagte bei der Klägerin vom 22.06. bis 31.07.1996 ein stationäres Heilverfahren in der Herz-Kreislaufklinik der Beklagte in Bad W ... durch, aus dem die Klägerin als vollschichtig leistungsfähig für bis mittelschwere Arbeiten entlassen wurde.
Das SG holte über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen der Klägerin (insbes. auch bezüglich des Zeitpunkts 30.06.1984) von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie - Sozialmedizin Dr.Pa ... ein medizinisches Sachverständigengutachten ein (vom 24.09.1996). In einer ergänzenden Stellungnahme (vom 28.02.1997) setzte sich Frau Dr.Pa ... mit ablehnenden Äußerungen des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten - Frau Dr.N ... (vom 19.11.1996) und Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ka ... (vom 21.01.1997) - auseinander. In einer weiteren Stellungnahme bekräftigte der sozialmedizinische Dienst - Dr.Ka ... (vom 25.07.1997) - seine bisherige Auffassung.
Frau Dr.Pa ... stellte in ihrem Gutachten vom 24.09.1996 bei der Klägerin folgende Diagnosen: 1. Chronifizierte generalisierte Angststörung bei depressiv-strukturierter Primärpersönlichkeit; 2. migräniforme Kopfschmerzen; 3. Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit gelegentlichem Wurzelreiz; 4. asthmoide Bronchitis, Bluthochdruck; 5. Recurrensparese und Hypoparathyreoidismus nach Strumarezidivoperation Januar 1993. Die Diagnosen 1 bis 3 bestünden schon seit den siebziger Jahren; die Diagnosen unter 4 seien 1989, die Diagnose 5 erst 1993 hinzugekommen. Die Angststörung habe spätestens 1982 ein solches Ausmaß erreicht, daß die Klägerin von da an und auch während des gesamten folgenden Zeitraums für eine geregelte vollschichtige Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr belastbar gewesen sei. Möglich gewesen seien allenfalls stundenweise leichte Arbeiten, wie sie dann auch von der Klägerin zeitweise ausgeführt worden seien. Ein Besserungsaussicht bestehe nicht.
Die Beklagte erachtete die für die Vergangenheit vorliegende medizinische Dokumentation für nicht ausreichend, um ein bereits am 30.06.1984 vorliegendes unter vollschichtiges Leistungsvermögen zu beweisen.
Das SG verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 15.10.1997, der Klägerin ab 01.10.1993 bis 30.09.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen; im übrigen wies es die Klage ab. Im Anschluß an das Ergebnis der Begutachtung durch Frau Dr.Pa ... ging das SG davon aus, daß die Klägerin bereits ab 1982 für eine geregelte vollschichtige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr belastbar und damit erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 2SGB VI gewesen sei; daher seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI erfüllt. Der Rentenbeginn ergebe sich aus den §§ 101 Abs. 1, 99 Abs. 1 SGB VI abhängig vom Antragszeitpunkt und dem Eintritt der Erwerbsminderung. Die Rente sei nach § 102 Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB VI zu befristen gewesen, da Frau Dr.Pa ... nur von einem unter vollschichtigen Leistungsvermögen spreche, ohne sich darauf festzulegen, daß das Leistungsvermögen bereits auf Dauer auf weniger als zwei Stunden gesunken sei.
Am 10.02.1998 ging die Berufung der Beklagten gegen dieses ihr am 19.01.1998 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Zur Begründung trug sie sinngemäß u.a. vor, da Frau Dr.Pa ... formuliert habe, "es spreche mehr dafür als dagegen", daß die Klägerin bereits vor 1984 keine kontinuierliche vollschichtige Erwerbstätigkeit mehr habe verrichten können, fehle es an der diesbezüglich erforderlichen mit an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Auch sei eine Rentenberechnung nicht möglich, da vom SG der Monat des Eintritts der Erwerbsminderung im Jahre 1982 nicht festgestellt worden sei und sich auch nicht aus den Akten ergebe.
Der Senat zog die Verwaltungsakten der Beklagten und die Klageakten des SG bei und erholte von Frau Dr.Pa ... eine Stellungnahme zum Zeitpunkt des Absinkens der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin auf weniger als vollschichtig bzw. weniger als halbschichtig sowie zum Grad der Wahrscheinlichkeit der Aussagen über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen der Klägerin.
In ihrer "gutachtlichen nervenärztlichen Stellungnahme" vom 02.10.1998 äußerte Frau Dr.Pa ..., mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei die Klägerin ab 01.01.1983 nicht mehr vollschichtig belastbar gewesen. Ab wann in der Vergangenheit das berufliche Leistungsvermögen auf unter halbschichtig gesunken sei, könne nur mit einem geringeren Grad an Wahrscheinlichkeit auf September 1989 datiert werden.
Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten wandte im wesentlichen ein - "psychiatrisch-psychologische Stellungnahme nach Aktenlage" der Fachärztin für Psychiatrie - Rehabilitationswesen - Sozialmedizin Dr.med.Dipl.-Psychologin W ... vom 12.11.1998 -, die vorhandene medizinische Dokumentation reiche nicht aus, um die Frage des Zeitpunkts, ab wann in der Vergangenheit ein unter vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen vorgelegen habe, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu beantworten.
Im Termin vom 18.05.1999 legte die Klägerin sodann Anschlußberufung ein und begehrte die Verurteilung der Beklagten zu einer unbefristeten Rentenleistung. Einen Antrag der Beklagten auf Ablehnung der Sachverständigen Frau Dr.Pa ... wegen Besorgnis der Befangenheit verwarf der Senat gleichzeitig als verspätet und damit unzulässig.
Der Senat setzte sodann die Beweisaufnahme fort und holte von der Ärztin für Pharmakologie & Toxikologie sowie Psychiatrie, Psychotherapie Dr.Schl ... ein medizinisches Sachverständigengutachten ein, insbesondere zu der Frage, welches - vor allem quantitative - berufliche Leistungsvermögen bei der Klägerin ab Oktober 1987 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne.
Frau Dr.Schl ... stellte bei der Klägerin eine schwere neurotische Störung auf dem Boden einer Persönlichkeitsstörung fest; hierbei handle es sich um eine Frühstörung und es bestünden erhebliche Ich-Funktionsstörungen. Nach der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10) lägen bei der Klägerin eine Dysthymie, eine generalisiere Angststörung und eine ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung vor.
Aus dem medizinischen Erfahrungswissen ließen sich zum Leistungsvermögen der Klägerin retrospektiv keine präziseren quantifizierenden Aussagen treffen. Es gebe keinen medizinischen oder psychologischen Test, mit dem sich zum jetzigen Zeitpunkt die Schwere der 1987 bestehenden psychischen Behinderung objektiv erfassen ließe. Die Frage, ob bei der Klägerin 1987 bereits ein unter vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen vorgelegen habe, könne aus medizinischer Sicht nicht exakt beantwortet werden. Aus dem Akteninhalt und dem Ergebnis der aktuellen Untersuchung ergebe sich eine progrediente Symptomatik.
Der Senat hat sodann im Hinblick auf die Schwierigkeit der medizinischen Beurteilung von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ki ... ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt (vom 10.11.2000).
Dr.Ki ... führte aus, es dürfte ärztlicherseits Übereinstimmung bestehen, daß es sich bei der Klägerin um eine dekompensierte neurotische Störung handle. Ab wann der Zeitpunkt der endgültigen Dekompensation anzusetzen sei, sei jedoch aus seiner Sicht praktisch nicht möglich zu entscheiden. Vor allen Dingen sei es aufgrund der vorliegenden Befunde nicht möglich, eine eindeutige sozialmedizinische Zäsur für den Zeitpunkt Dezember 1987 festzulegen. Daß bereits zu Beginn des Jahres 1970 eine generalisierte Angststörung bei der Klägerin vorgelegen haben sollte, ergebe sich aus den aus der damaligen Zeit vorliegenden Befunden nicht. Es bestünden keine Zweifel daran, daß zum heutigen Zeitpunkt die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit mit der notwendigen Regelmäßigkeit nachzugehen. Es lasse sich jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit aussagen, daß eine zeitlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit bereits ab Dezember 1987 vorgelegen habe. Die Tatsache, daß dies nicht möglich sei, beruhe dabei zum einen darauf, daß die medizinische - insbesondere auch die psychiatrische - Dokumentation lückenhaft sei; die früheren Untersucher bis zum Jahre 1994 seien nämlich nicht mit der Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit befaßt worden. Zum andern beruhe sie darauf, daß gerade bei psychoreaktiven Krankheitsbildern eine retrospektive Beurteilung oft nicht möglich sei (wohingegen sich diese Möglichkeit bei endogenen Psychosen manchmal ergebe). Zusammenfassend sei festzustellen, daß bei der Klägerin - überschaubar bereits seit Beginn der siebziger Jahre - eine neurotische Depression bei einer primär psychasthenischen, einfach strukturierten, wenig durchsetzungsfähigen Persönlichkeit vorliege. Daß diese Gesundheitsstörung, die bereits seit knapp 30 Jahren überschaubar sei, zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit geführt habe, sei nicht zu bezweifeln. Ab Dezember 1987 habe die Klägerin vollschichtig nur noch körperlich leichte und geistig einfache Arbeiten verrichten können, wie z.B. als Textilarbeiterin, Ladenhilfe oder Hilfsarbeiterin. Eine Umstellungsfähigkeit in diesem Berufsspektrum sei ab Dezember 1987 noch gegeben gewesen. Nicht mehr zumutbar gewesen seien Schicht- oder Akkordarbeit, Arbeiten, die eine gewisse psychische Belastbarkeit erfordert hätten, sowie Arbeiten unter Exposition gegenüber physikalischen oder chemischen Reizen. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte hätten ab Dezember 1987 nicht bestanden. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich ab 1987 offenbar verschlechtert. Diese Verschlechterung bestehe darin, daß das Ausmaß der psychischen Störungen zugenommen habe. Als Termin sei - sofern dies retrospektiv überhaupt möglich sei - der Zeitpunkt der Gutachtenserstellung durch Frau Dr. Pa ... anzunehmen, nämlich der September 1996.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.10.1997 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.1995 abzuweisen.
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.10.1997 zurückzuweisen und die Beklagte unter Abänderung dieses Urteils sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.1995 zu verurteilen, ihr ab 01.10.1993 unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Augsburg vom 15.10.1997 ist zulässig und auch begründet, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit (verminderter Erwerbsfähigkeit) hat.
Der Anspruch der Klägerin ist wegen der Antragstellung am 21.10.1993, also nach dem 31.03.1992, nicht mehr nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) und ihrer Nebengesetze (hierunter insbesondere das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG -) zu beurteilen, sondern nach denjenigen des SGB VI, vgl. § 300 Abs. 1 und 2 SGB I SGB VI. Dies ist für die Klägerin jedoch im Ergebnis ohne rechtliche Auswirkungen, da die für den vorliegenden Fall wesentlichen Vorschriften in beiden Gesetzen praktisch übereinstimmen. Die im folgenden zitierten Rechtsgrundlagen sind die bis 31.12.2000 geltenden Normen, da die Klägerin einen bis dahin bereits bestehenden Anspruch geltend macht, und durch das Gesetz zur Reform der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) keine Änderung eingetreten ist, die für die Klägerin günstig wäre, so daß sie auch ab 1.1.2001 keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat (vgl. insbesondere Art. 1 Nr. 8 Abs. 3, Nr. 10 und Nr. 42 des Gesetzes vom 20.12.2000).
Der Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit setzt zunächst voraus, daß in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt worden sind, vgl. §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.2, 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Diese Voraussetzung wäre unter Berücksichtigung der vorliegenden Aufschubtatbestände, vgl. §§ 43 Abs. 3, 44 Abs. 4 SGB VI letztmalig dann erfüllt, wenn die Erwerbsminderung spätestens im Dezember 1987 eingetreten wäre (der maßgebliche - durch Aufschubtatbestände verlängerte - Fünfjahreszeitraum 01.07.1972 bis 30.11.1987 umfaßt 36 Pflichtbeitragsmonate und 24 unbelegte Monate).
Insbesondere wird der Zeitraum von fünf Jahren nicht durch eine Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit noch weiter verlängert, die vor dem 31.12.1983 begonnen und bis zum Eintritt der Erwerbsminderung angedauert hätte, 43 Abs. 3 Nr. 1, 44 Abs. 4 SGB VI (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 22.4.1992 5 RJ 74/91 = SozR 3-2200 § 1259 RVO Nr. 12). Die Klägerin ist nämlich zum 16.4.1973 für ihren Beruf als Textilarbeiterin vom vertrauensärztlichen Dienst gesundgeschrieben worden, da sie sonst (dies würde aus dem Versicherungsverlauf hervorgehen) mangels Erschöpfung dieses Anspruchs weiter Krankengeld bezogen und eine Anrechnungszeit zurückgelegt hätte - dies um so mehr, als sie sich damals entschlossen hatte, Hausfrau zu sein; in dieser Situation würde ein Verzicht auf zustehendes Krankengeld jeder Lebenserfahrung widersprechen. Damit ist die Lücke vom 1.5.1973 bis 31.3.1975 (23 Monate) nicht schließbar (ab 1.4.1975 bis 23.10.1987 ist der Versicherungsverlauf dann lückenlos). Durch die Aufnahme der Beschäftigung als Raumpflegerin vom 14.4. bis 31.10.1975 hat sich die Arbeitsunfähigkeit zunächst nach diesem Beruf gerichtet. Den zuletzt - ab 24.5.1976 - ausgeübten Beruf einer Ausfahrerin hat die Klägerin nicht krankheitsbedingt, sondern wegen Beginns der berufsfördernden Maßnahmen aufgegeben. Anläßlich der letzten im Versicherungsverlauf dokumentierten Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit (im Anschluß an die berufsfördernden Maßnahmen) vom 11.6. bis 5.7.1977 ist die Klägerin offensichtlich gesundgeschrieben worden; sie hätte nämlich nach der bisherigen Bezugsdauer von Krankengeld (selbst wenn man unzulässigerweise bis zum Ende der Beschäftigung als Textilarbeiterin zurückginge: vom 30.11.1972 bis 5.7.1977 nur insgesamt etwa 42 Wochen Arbeitsunfähigkeit) noch Anspruch auf dieses gehabt und es auch sicher beansprucht, wenn nur die Voraussetzungen dafür (Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit) vorgelegen hätten. Wie sich aus den Darlegungen von Frau Dr.Schl ... und Dr.Ki ... zweifelsfrei ergibt, können die Auswirkungen der für die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin entscheidenden psychischen Erkrankung nicht in die Vergangenheit zurück exakt genug beurteilt werden, somit eben auch nicht für die Zeit vor dem 1.1.1984. Es ist jedenfalls bei der Lückenhaftigkeit der medizinischen Dokumentation ausgeschlossen, eine etwaige Arbeitsunfähigkeit, die über den 5.7.1977 hinaus viele Jahre hinweg hätte andauern müssen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Sonstige Aufschubtatbestände liegen ersichtlich nicht vor.
Die Klägerin ist vor 1988 noch nicht im Sinn des § 43 Abs. 2 SGB VI berufsunfähig gewesen. Hiernach sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Das Vorliegen der hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit ist bei der Klägerin jedenfalls vor 1988 nicht beweisbar.
Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen der Klägerin war bereits vor 1988 eingeschränkt. Sie konnte nämlich bei der Möglichkeit eines Wechsels von Sitzen, Gehen und Stehen körperlich leichte und geistig einfache Arbeiten noch vollschichtig (d.h. etwa acht Stunden täglich) verrichten. Häufiges Bücken war dabei ebensowenig zumutbar wie lange einseitige Körperhaltungen, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten von mehr als 10 Kilogramm, Schicht- oder Akkordarbeit, Arbeiten, die eine gewisse psychische Belastbarkeit erfordert hätten, sowie Arbeiten unter Exposition gegenüber physikalischen oder chemischen Reizen. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte lagen mangels entsprechender Befunde nicht vor; die Klägerin konnte die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen (vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 = SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10).
Dieses vor 1988 bestehende berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ergibt sich aus den im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten des Internisten Dr.S ... und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Schi ..., vor allem aber aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten der Ärztin für Pharmakologie & Toxikologie sowie Psychiatrie - Psychotherapie Dr.Schl ... und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ki ... Der Senat schließt sich den Aussagen dieser schlüssigen und überzeugenden Gutachten an.
Bei der Klägerin haben ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bereits vor 1988 folgende Gesundheitsstörungen vorgelegen: I. Neurotische Störung. II. Migräniforme Kopfschmerzen. III. Bluthochdruck. IV. Neigung zu Kreuzschmerzen bei Aufbraucherscheinungen der Lendenwirbelsäule mit geringfügigem Wirbelgleiten des 5. Lendenwirbelkörpers auf dem 1. Kreuzbeinwirbel sowie Zervikalsyndrom bei Aufbraucherscheinungen der Halswirbelsäule mit gelegentlichem Wurzelreiz. Diese Gesundheitsstörungen haben nur die oben aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen bedingt, nicht jedoch eine zeitliche Beschränkung des beruflichen Leistungsvermögens bewirkt. Für das berufliche Leistungsvermögen entscheidend ist die neurotische Störung.
Die Klägerin ist vor 1988 noch nicht berufsunfähig gewesen, auch wenn ihr berufliches Leistungsvermögen - wie oben dargelegt - bereits eingeschränkt war und sie ihren zuletzt ausgeübten Beruf als Ausfahrerin wohl nicht mehr ausüben konnte. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr.138).
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.5).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Klägerin höchstens der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar des unteren Bereichs (Ausbildungs- oder Anlernzeit von 3 Monaten bis zu einem Jahr, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45), zuzuordnen.
Als ungelernter Arbeiterin waren der Klägerin alle Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen sie körperlich, geistig und seelisch gewachsen war. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es damit grundsätzlich nicht. Auch lag bei der Klägerin vor 1988 weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einer Versicherten erforderlich machen würde, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen ist. Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz tatsächlich hätte vermittelt werden können, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, daß nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und daß hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8).
Die Klägerin, die vor 1988 nicht berufsunfähig war, weil sie jedenfalls in einem anderen als dem bisherigen Beruf noch vollschichtig arbeiten konnte, war erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinn des § 44 Abs. 2 SGB VI, weil sie damals die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit nicht erfüllt hat. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI sind nämlich solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie die Klägerin vor 1988 - eine Tätigkeit vollschichtig ausüben können; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Eintritt des unter vollschichtigen Leistungsvermögens noch im Dezember 1987 (wie für einen Rentenanspruch erforderlich), ist zwar gut möglich, läßt sich aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen, d.h. so, daß kein Vernünftiger daran noch zweifelt; dies wäre jedoch erforderlich (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz - SGG -, §§ 118 Rdnr.5, 128 Rdnr. 3 mit weiteren Nachweisen). Grundsätzlich läßt der Begriff der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" einen gewissen Rest an Unsicherheit zu (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O.). Das Gericht darf und muß sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen, der den Zweifeln Einhalt gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so BGH-Urteil vom 17.02.1970 - III ZR 139/67 = BGHZ 53, 245, 256); es muß für den Richter das Gefühl des Zweifels beseitigt sein (zu dieser Formulierung vgl. BSG-Urteil vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55 = BSGE 7, 103, 106; vgl. auch BSG-Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = Breith 1994, 46, 47). Dies ist im vorliegenden Fall insbesondere im Hinblick auf die überzeugenden Gutachten der Ärztin für Pharmakologie & Toxikologie sowie Psychiatrie Psychotherapie Dr.Schl ... und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.Ki ... nicht erreichbar. Beide Sachverständige haben überzeugend dargelegt, daß die Auffassung von Frau Dr.Pa ..., es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, daß die Klägerin bereits seit 1983 nicht mehr vollschichtig leistungsfähig sei, wegen der Besonderheit des Krankheitsbildes und der fehlenden Dokumentation nicht haltbar ist.
So weist Frau Dr.Schl ... darauf hin, daß sich aus dem medizinischen Erfahrungswissen zum Leistungsvermögen der Klägerin retrospektiv keine präzisen quantifizierenden Aussagen treffen lassen. Es gibt keinen medizinischen oder psychologischen Test, mit dem sich zum jetzigen Zeitpunkt die Schwere der 1987 bestehenden psychischen Behinderung objektiv erfassen läßt. Aus dem Akteninhalt und den Ergebnissen der aktuellen Untersuchungen ergibt sich eine progrediente Symptomatik.
Im Anschluß an Dr.Ki ... ist bei der Klägerin von einer dekompensierten neurotischen Störung auszugehen. Wann der Zeitpunkt der endgültigen Dekompensation anzusetzen ist, ist jedoch nicht möglich zu entscheiden. Vor allen Dingen ist es aufgrund der vorliegenden Befunde unmöglich, eine eindeutige sozialmedizinische Zäsur für den Zeitpunkt Dezember 1987 festzulegen. Daß bereits zu Beginn des Jahres 1970 eine generalisierte Angststörung bei der Klägerin vorgelegen haben sollte, wie Frau Dr.Pa ... meint, ergibt sich aus den aus der damaligen Zeit vorliegenden Befunden nicht. Es bestehen keine Zweifel daran, daß zum heutigen Zeitpunkt die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit mit der notwendigen Regelmäßigkeit nachzugehen. Es läßt sich jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit aussagen, daß eine zeitlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit bereits ab Dezember 1987 vorgelegen hat. Die Tatsache, daß dies nicht möglich ist, beruht dabei zum einen darauf, daß die medizinische - insbesondere auch die psychiatrische - Dokumentation lückenhaft ist; die früheren Untersucher - bis zum Jahre 1994 - sind nämlich nicht mit der Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit befaßt worden. Zum andern beruht sie darauf, daß gerade bei psychoreaktiven Krankheitsbildern eine retrospektive Beurteilung oft nicht machbar ist (wohingegen sich diese Möglichkeit bei endogenen Psychosen manchmal ergibt).
Damit steht fest, daß die Klägerin, bei der die Erwerbsminderung erst nach Dezember 1987 eingetreten ist, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind auch nicht nach den §§ 43 Abs. 4, 44 Abs. 4 SGB VI in Verbindung mit § 53 SGB VI erfüllt, weil es keinerlei Hinweise darauf gibt, daß die Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines Tatbestandes eingetreten wäre, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit, Wehr- oder Zivildienstbeschädigung, Gewahrsam im Sinne des § 1 des Häftlingshilfegesetzes, Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung).
Der Klägerin hilft auch nicht die Möglichkeit der §§ 241 Abs. 2, 240 Abs. 2 SGB VI, da sie die Zeit ab Januar 1984 nicht voll mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt hat und sie auch nicht mehr mit solchen Zeiten belegen kann.
Freiwillige Beiträge, die im vorliegenden Fall als Anwartschaftserhaltungszeiten in Betracht kämen, hätten jeweils bis zum 31.12. des Jahres, für das sie gelten hätten sollen, gezahlt werden müssen, vgl. § 1418 Abs. 1 RVO, bzw. - ab 1992 - bis zum 31.3. des Folgejahres, vgl. 197 Abs. 2 SGB VI.
Eine Zulassung der Klägerin zur nachträglichen Beitragszahlung ist nicht möglich. Es kann vorliegend dahinstehen, ob hinsichtlich der Versäumung der Zahlungsfrist von freiwilligen Beiträgen unter der Geltung der RVO Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gemäß § 27 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) zulässig gewesen wäre. Denn eine etwa statthafte Wiedereinsetzung wäre schon deshalb nicht möglich, weil nicht erkennbar ist, daß die Klägerin ohne ihr Verschulden gehindert gewesen wäre, freiwillige Beträge rechtzeitig zu entrichten. Die bei der Klägerin möglicherweise vorhandene Unkenntnis über die gesetzlichen Regelungen - insbesondere betreffend die Möglichkeit, durch Entrichtung freiwilliger Beträge die Rentenanwartschaft zu erhalten - ist einem Unverschulden an der Säumnis nicht gleichzusetzen; dies folgt aus dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen (vgl. hierzu BSG SozR 3-1300 § 27 SGB X Nr.3 - insbesondere S.14 ff. -). Aus eben diesem Grund scheitert auch eine Zulassung zur nachträglichen Beitragszahlung aufgrund des vor dem 01.01.1992 geltenden Rechtsinstituts der Nachsichtgewährung - oder für die Zeit nach dem 31.12. 1991 - gemäß § 197 Abs.3 SGB VI.
Eine Berechtigung der Klägerin, freiwillige Beiträge für die nicht belegten Zeiten ab März 1985 nachzuzahlen, kann auch nicht über einen sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründet werden, da dieser einen Beratungsfehler voraussetzt (vgl. u.a. BSG SozR 1200 § 14 SGB I Nr. 15 und 25; SozR 3-1200 § 14 SGB I Nr. 5 und 6). Ein Gelegenheit, die Klägerin zu beraten, hat sich nach 1983 für die Beklagte jedenfalls nicht mehr rechtzeitig (d.h. spätestens noch 1987) ergeben, da die Klägerin nach 1983 erstmals im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens im September 1989 mit der Beklagten in Verbindung getreten ist. Zu diesem Zeitpunkt ist es bereits nicht mehr möglich gewesen, freiwillige Beiträge für 1987 und 1988 zu entrichten.
Da bei der Klägerin die Erwerbsminderung erst nach Dezember 1987 eingetreten ist und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch beim Eintritt der Erwerbsminderung nach Dezember 1987 nicht mehr vorliegen und auch nicht mehr herstellbar sind, die Klägerin somit keinen Rentenanspruch hat, war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Augsburg vom 15.10.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Anschlußberufung der Klägerin war dementsprechend zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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