Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 6327/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2546/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.04.2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2007 und des Bescheids vom 10.07.2012 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger wegen seiner anerkannten Berufskrankheit nach der Nr. 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung bereits ab dem 01.01.2011 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v.H. zu gewähren.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über den Zeitpunkt der Erhöhung einer Verletztenrente.
Mit Bescheid vom 10.03.2004 anerkannte die Beklagte gegenüber dem 1933 geborenen Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) "Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura" und gewährte dem Kläger deswegen gleichzeitig eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vom Hundert (v.H.) ab dem 18.12.2001. Als Folgen der Berufskrankheit wurden asbestbedingte röntgenologische Veränderungen der Lunge und der Pleura mit hierdurch verursachter mittelgradiger restriktiver Ventilationsstörung sowie Störung des pulmonalen Gasaustauschs unter Belastung anerkannt. Als Erkrankungsfolge abgelehnt wurden der Bluthochdruck und eine Herzerkrankung des Klägers. Die Beklagte setzte insoweit ein pneumologisches Gutachten des Dr. R. vom 03.02.2004 um.
Bei einem zur Rentenprüfung erstellten Gutachten vom 12.04.2006 teilte Dr. R. eine Zunahme der restriktiven Ventilationsstörung mit, wonach erstmals eine eindeutige respiratorische Partialinsuffizienz unter der Belastung von 50 Watt gemessen worden sei. Dadurch bestehe seit dem Untersuchungszeitpunkt eine MdE um 40 v.H.
Mit Bescheid vom 07.06.2006 erhöhte die Beklagte deswegen die Verletztenrente ab dem 01.05.2006 auf 40 % der Vollrente. Der deswegen eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, dass nunmehr eine MdE um 50 v.H. vorliege.
Mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 19.10.2006 vertrat Dr. T. die Meinung, dass sich eine wesentliche Befundänderung gegenüber dem Vergleichsgutachten aus dem Jahr 2004 insbesondere röntgenologisch nicht ergeben habe. Bei den nunmehr nachgewiesenen Entzündungsparametern handele es sich möglicherweise um eine Erklärung für eine Verschlechterung der Lungenfunktion, welche jedoch nicht zweifelfrei eine Folge der Asbestose sei. Da auch schwankende Messwerte vorlägen, könne eine anhaltende Verschlechterung nicht angenommen werden.
Mit weiterem Gutachten vom 14.06.2007 bestätigte Dr. R. die Annahme einer MdE um 40 v.H. wegen einer Verschlimmerung entsprechend dem Gutachten vom 12.04.2006 (Dr. R.). Wesentlich für die Bemessung der MdE bei Asbestose sei die inspiratorische Vitalkapazität (IVC). Die MdE bei IVC-Werten zwischen 50 und 60 % betrage 40 bis 60 v.H.; nach dem Gesamtbild des Klägers (Ausmaß der Restriktion, Blutwerte, Beschwerden und kardiale Folgeerkrankung) sei von einer MdE um 40 v.H. auszugehen.
In Übereinstimmung mit diesem Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2007 zurück.
Der Kläger hat am 07.12.2007 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Im Klageverfahren legte die Beklagte ein aktuelles Gutachten des Prof. Dr. K. vom 13.11.2009 vor, in welchem dieser die MdE auf 50 v.H. schätzte, da die IVC bei 53 % liege, der Sauerstoffpartialdruck unter dem Mindestsoll sei und ausgeprägte Pleuraveränderungen vorlägen.
Der Kläger hat sich vor dem SG insbesondere auf dieses Gutachten gestützt und einen Befundbericht des Nephrologen Dr. B. vom 28.06.2010 vorgelegt, welcher nahelege, dass eine mittlerweile aufgetretene schwere Nierenerkrankung vorliege, welche ebenfalls durch die BK verursacht sei. Das SG hat ein lungenfachärztliches Gutachten nach Aktenlage bei Prof. Dr. T. (17.05.2010) mit ergänzender Stellungnahme (16.08.2010) sowie eine schriftliche Auskunft des Dr. B. (21.07.2010) eingeholt.
Mit Urteil vom 19.4.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Gerichtsgutachter Prof. Dr. T. habe zunächst die übereinstimmende Annahme der Vorgutachter, es liege ein Beurteilungsrahmen angesichts der IVC Befunde zwischen einer MdE von 40 v.H. und 60 v.H. vor, bestätigt. Innerhalb dieses Rahmens sei jedoch lediglich eine MdE um 40 v.H. anzunehmen, da ein Teil der Verschlechterung nicht auf die anerkannte BK, sondern auf hiervon unabhängige Erkrankungen zurückzuführen sei (seit 2003 computertomographisch nachgewiesene Herzvergrößerung, Bluthochdruck, koronare Herzerkrankung und Herzrhythmusstörungen). Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. sei ein Ursachenzusammenhang dieser Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit der BK medizinisch nicht begründbar. Dies werde durch die Auskunft des Dr. B. bestätigt, wonach der langjährige Bluthochdruck und die generalisierte Arteriosklerose des Klägers als Ursachen der koronaren Herzkrankheit zu bezeichnen seien. Der Bluthochdruck und die Herzerkrankung seien im Übrigen bereits mit Bescheid vom 10.03.2004 bindend als Folgen der BK abgelehnt worden. Der hierauf zurückführende Anteil der Verschlimmerung müsse daher bei der Schätzung der MdE außer Betracht bleiben. Zu Grunde zu legen sei ferner, dass die ursprüngliche MdE-Festsetzung bei 30 v.H. gelegen habe und die feststellbare Verschlimmerung keine 20 Prozentpunkte ausmache. Schließlich könne die Nierenerkrankung des Klägers nicht MdE-erhöhend herangezogen werden, da sowohl Prof. Dr. T. als auch Dr. B. diese auf den langjährigen Bluthochdruck und die Arteriosklerose, nicht jedoch auf die anerkannte BK, zurückführten. Das Urteil ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 17.05.2011 zugestellt worden.
Deswegen hat der Bevollmächtigte des Klägers am 17.06.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt, mit der er sich auf sein bisheriger Vorbringen stützt. Die berufskrankheitsbedingten Erkrankungen des Klägers rechtfertigten eine MdE um 50 v.H.
Der Kläger hat zunächst beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.04.2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten Berufskrankheit nach der Nr. 4103 der Berufskrankheitenliste eine Rente ab dem 01.03.2006 nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren.
Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat der Pneumologe PD Dr. W. am 12.02.2012 ein Sachverständigengutachten erstellt, in welchem ein Fortschreiten der Restriktion als kontinuierlicher Prozess angenommen wird, wonach ab dem 30.06.2010 eine MdE um 45 v.H. und ab dem 01.01.2011 eine MdE um 50 v.H. anzunehmen sei. Dies hat der Gutachter in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 25.06.2012 bekräftigt.
Daraufhin hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.07.2012 mit Wirkung ab dem 01.01.2012 eine Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. bewilligt. Ein früherer Zeitpunkt komme für die Erhöhung der Verletztenrente nicht in Betracht, weil die wesentliche Zunahme einer asbestbedingten Ventilationsstörung zu einem früheren Zeitpunkt nicht nachgewiesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.04.2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2007 sowie des Bescheides vom 10.07.2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten Berufskrankheit nach der Nr. 4103 der Berufskrankheitenliste eine Rente nach einer MdE um 50 v.H. bereits ab dem 01.01.2011 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass mit dem Bescheid vom 10.07.2012 der Rentenanspruch des Klägers in zutreffender Höhe festgestellt worden sei.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Akten des SG und des LSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 153 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist im Hinblick auf den vom Kläger zuletzt gestellten Antrag im vollen Umfang begründet.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wobei die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII). Dabei richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22).
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfall- bzw. Berufskrankheitsfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Unfalls oder der Berufskrankheit beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22.08.1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Für die beim Kläger anerkannte BK Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV "Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura" ist in der beim Kläger vorliegenden Ausprägung nach dem Stand der unfallmedizinischen Lehrmeinung eine MdE um 40 - 60 v.H. anzunehmen, wozu zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des SG und zusätzlich auf die eingeholten Gutachten Bezug genommen wird.
Der Kläger hat angesichts seiner progredienten Erkrankung bereits ab dem 01.01.2011 einen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer auf 50 v.H. verminderten MdE. Nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters PD Dr. W. ist insofern wegen einer seit November 2009 eingetretenen Verschlechterungstendenz ein Zeitpunkt zu schätzen, der auch nach Auffassung des Senats mit der Wahl des Stichtags des 01.01.2012 durch die Beklagte deutlich zu spät angenommen wurde. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger von dem Gutachter bereits im Dezember 2011 untersucht worden ist und hierbei keine Anhaltspunkte vorlagen, dass abweichend von dem als progredient anzunehmenden Krankheitsverlauf erst zum Untersuchungszeitpunkt eine abrupte Verschlechterung anzunehmen ist. Wegen der Progredienz der Erkrankung, auf die alle Gutachter hinweisen, hält auch der Senat es daher in Übereinstimmung mit dem Gutachter für angemessen, als Stichtag der maßgeblichen Verschlechterung den 01.01.2011 zu wählen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über den Zeitpunkt der Erhöhung einer Verletztenrente.
Mit Bescheid vom 10.03.2004 anerkannte die Beklagte gegenüber dem 1933 geborenen Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) "Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura" und gewährte dem Kläger deswegen gleichzeitig eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vom Hundert (v.H.) ab dem 18.12.2001. Als Folgen der Berufskrankheit wurden asbestbedingte röntgenologische Veränderungen der Lunge und der Pleura mit hierdurch verursachter mittelgradiger restriktiver Ventilationsstörung sowie Störung des pulmonalen Gasaustauschs unter Belastung anerkannt. Als Erkrankungsfolge abgelehnt wurden der Bluthochdruck und eine Herzerkrankung des Klägers. Die Beklagte setzte insoweit ein pneumologisches Gutachten des Dr. R. vom 03.02.2004 um.
Bei einem zur Rentenprüfung erstellten Gutachten vom 12.04.2006 teilte Dr. R. eine Zunahme der restriktiven Ventilationsstörung mit, wonach erstmals eine eindeutige respiratorische Partialinsuffizienz unter der Belastung von 50 Watt gemessen worden sei. Dadurch bestehe seit dem Untersuchungszeitpunkt eine MdE um 40 v.H.
Mit Bescheid vom 07.06.2006 erhöhte die Beklagte deswegen die Verletztenrente ab dem 01.05.2006 auf 40 % der Vollrente. Der deswegen eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, dass nunmehr eine MdE um 50 v.H. vorliege.
Mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 19.10.2006 vertrat Dr. T. die Meinung, dass sich eine wesentliche Befundänderung gegenüber dem Vergleichsgutachten aus dem Jahr 2004 insbesondere röntgenologisch nicht ergeben habe. Bei den nunmehr nachgewiesenen Entzündungsparametern handele es sich möglicherweise um eine Erklärung für eine Verschlechterung der Lungenfunktion, welche jedoch nicht zweifelfrei eine Folge der Asbestose sei. Da auch schwankende Messwerte vorlägen, könne eine anhaltende Verschlechterung nicht angenommen werden.
Mit weiterem Gutachten vom 14.06.2007 bestätigte Dr. R. die Annahme einer MdE um 40 v.H. wegen einer Verschlimmerung entsprechend dem Gutachten vom 12.04.2006 (Dr. R.). Wesentlich für die Bemessung der MdE bei Asbestose sei die inspiratorische Vitalkapazität (IVC). Die MdE bei IVC-Werten zwischen 50 und 60 % betrage 40 bis 60 v.H.; nach dem Gesamtbild des Klägers (Ausmaß der Restriktion, Blutwerte, Beschwerden und kardiale Folgeerkrankung) sei von einer MdE um 40 v.H. auszugehen.
In Übereinstimmung mit diesem Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2007 zurück.
Der Kläger hat am 07.12.2007 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Im Klageverfahren legte die Beklagte ein aktuelles Gutachten des Prof. Dr. K. vom 13.11.2009 vor, in welchem dieser die MdE auf 50 v.H. schätzte, da die IVC bei 53 % liege, der Sauerstoffpartialdruck unter dem Mindestsoll sei und ausgeprägte Pleuraveränderungen vorlägen.
Der Kläger hat sich vor dem SG insbesondere auf dieses Gutachten gestützt und einen Befundbericht des Nephrologen Dr. B. vom 28.06.2010 vorgelegt, welcher nahelege, dass eine mittlerweile aufgetretene schwere Nierenerkrankung vorliege, welche ebenfalls durch die BK verursacht sei. Das SG hat ein lungenfachärztliches Gutachten nach Aktenlage bei Prof. Dr. T. (17.05.2010) mit ergänzender Stellungnahme (16.08.2010) sowie eine schriftliche Auskunft des Dr. B. (21.07.2010) eingeholt.
Mit Urteil vom 19.4.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Gerichtsgutachter Prof. Dr. T. habe zunächst die übereinstimmende Annahme der Vorgutachter, es liege ein Beurteilungsrahmen angesichts der IVC Befunde zwischen einer MdE von 40 v.H. und 60 v.H. vor, bestätigt. Innerhalb dieses Rahmens sei jedoch lediglich eine MdE um 40 v.H. anzunehmen, da ein Teil der Verschlechterung nicht auf die anerkannte BK, sondern auf hiervon unabhängige Erkrankungen zurückzuführen sei (seit 2003 computertomographisch nachgewiesene Herzvergrößerung, Bluthochdruck, koronare Herzerkrankung und Herzrhythmusstörungen). Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. sei ein Ursachenzusammenhang dieser Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit der BK medizinisch nicht begründbar. Dies werde durch die Auskunft des Dr. B. bestätigt, wonach der langjährige Bluthochdruck und die generalisierte Arteriosklerose des Klägers als Ursachen der koronaren Herzkrankheit zu bezeichnen seien. Der Bluthochdruck und die Herzerkrankung seien im Übrigen bereits mit Bescheid vom 10.03.2004 bindend als Folgen der BK abgelehnt worden. Der hierauf zurückführende Anteil der Verschlimmerung müsse daher bei der Schätzung der MdE außer Betracht bleiben. Zu Grunde zu legen sei ferner, dass die ursprüngliche MdE-Festsetzung bei 30 v.H. gelegen habe und die feststellbare Verschlimmerung keine 20 Prozentpunkte ausmache. Schließlich könne die Nierenerkrankung des Klägers nicht MdE-erhöhend herangezogen werden, da sowohl Prof. Dr. T. als auch Dr. B. diese auf den langjährigen Bluthochdruck und die Arteriosklerose, nicht jedoch auf die anerkannte BK, zurückführten. Das Urteil ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 17.05.2011 zugestellt worden.
Deswegen hat der Bevollmächtigte des Klägers am 17.06.2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt, mit der er sich auf sein bisheriger Vorbringen stützt. Die berufskrankheitsbedingten Erkrankungen des Klägers rechtfertigten eine MdE um 50 v.H.
Der Kläger hat zunächst beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.04.2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten Berufskrankheit nach der Nr. 4103 der Berufskrankheitenliste eine Rente ab dem 01.03.2006 nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren.
Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat der Pneumologe PD Dr. W. am 12.02.2012 ein Sachverständigengutachten erstellt, in welchem ein Fortschreiten der Restriktion als kontinuierlicher Prozess angenommen wird, wonach ab dem 30.06.2010 eine MdE um 45 v.H. und ab dem 01.01.2011 eine MdE um 50 v.H. anzunehmen sei. Dies hat der Gutachter in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 25.06.2012 bekräftigt.
Daraufhin hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.07.2012 mit Wirkung ab dem 01.01.2012 eine Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. bewilligt. Ein früherer Zeitpunkt komme für die Erhöhung der Verletztenrente nicht in Betracht, weil die wesentliche Zunahme einer asbestbedingten Ventilationsstörung zu einem früheren Zeitpunkt nicht nachgewiesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.04.2011 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2007 sowie des Bescheides vom 10.07.2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten Berufskrankheit nach der Nr. 4103 der Berufskrankheitenliste eine Rente nach einer MdE um 50 v.H. bereits ab dem 01.01.2011 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass mit dem Bescheid vom 10.07.2012 der Rentenanspruch des Klägers in zutreffender Höhe festgestellt worden sei.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Akten des SG und des LSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 153 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist im Hinblick auf den vom Kläger zuletzt gestellten Antrag im vollen Umfang begründet.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wobei die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII). Dabei richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22).
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfall- bzw. Berufskrankheitsfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Unfalls oder der Berufskrankheit beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22.08.1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Für die beim Kläger anerkannte BK Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV "Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura" ist in der beim Kläger vorliegenden Ausprägung nach dem Stand der unfallmedizinischen Lehrmeinung eine MdE um 40 - 60 v.H. anzunehmen, wozu zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des SG und zusätzlich auf die eingeholten Gutachten Bezug genommen wird.
Der Kläger hat angesichts seiner progredienten Erkrankung bereits ab dem 01.01.2011 einen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer auf 50 v.H. verminderten MdE. Nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters PD Dr. W. ist insofern wegen einer seit November 2009 eingetretenen Verschlechterungstendenz ein Zeitpunkt zu schätzen, der auch nach Auffassung des Senats mit der Wahl des Stichtags des 01.01.2012 durch die Beklagte deutlich zu spät angenommen wurde. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger von dem Gutachter bereits im Dezember 2011 untersucht worden ist und hierbei keine Anhaltspunkte vorlagen, dass abweichend von dem als progredient anzunehmenden Krankheitsverlauf erst zum Untersuchungszeitpunkt eine abrupte Verschlechterung anzunehmen ist. Wegen der Progredienz der Erkrankung, auf die alle Gutachter hinweisen, hält auch der Senat es daher in Übereinstimmung mit dem Gutachter für angemessen, als Stichtag der maßgeblichen Verschlechterung den 01.01.2011 zu wählen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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