L 20 RJ 79/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 1162/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 79/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.12.1999 und der Bescheid der Beklagten vom 26.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.1998 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 15.02.1996 verurteilt, die der Klägerin ab 01.10.1995 gewährte kleine Witwenrente von Beginn an nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs - Sechstes Buch - neu festzustellen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Neufeststellung der der Klägerin gewährten Witwenrente in einem Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Die am 1960 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Mit Bescheid vom 08.08.1981 gewährte ihr die LVA Hessen eine sog "große" Witwenrente nach § 1268 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus der Versicherung des am 1957 geborenen und am 02.10.1980 verstorben Versicherten I. N ... Nach Verzug der Klägerin in ihre türkische Heimat gewährte die Beklagte als die nach den Bestimmungen des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens zuständige Verbindungsstelle diese Rente mit Bescheid vom 24.01.1986 als Auslandsrente in Höhe von zuletzt 932,25 DM monatlich weiter.

Im August 1995 teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch ohne Angabe eines Zeitpunktes mit, dass ihr Sohn Zihem nicht mehr von ihr erzogen werde. Auf Nachfrage der Beklagten bestätigte die Klägerin am 07.02.1996 schriftlich, dass ihr Sohn am 15.09.1995 zu seinem Großvater gezogen sei.

Mit Bescheid vom 15.02.1996 gewährte die Beklagte der Klägerin daraufhin ab dem 01.10.1995 lediglich die "kleine" Witwenrente in Höhe von 117,53 DM monatlich. Bei deren Berechnung wurde fiktiv eine kleine Witwenrente nach dem Recht der RVO zum Todeszeitpunkt des Versicherten I. N. zugrunde gelegt und auf den Stand zum 31.12.1991 hochgerechnet. Dabei wurden die Werte der nach den Vorschriften der RVO berechneten großen Witwenrente berücksichtigt und die Zurechnungszeit (ZZ) außer Acht gelassen, so dass anstelle von 466 nur noch 88 Kalendermonate (also die der ZZ entsprechenden 378 Kalendermonate weniger) zur Anrechnung kamen. Bei der Umwertung ermittelte die Beklagte den Zwischenwert der maßgebenden Entgeltpunkte (EP) durch (zweimalige) Teilung mit dem aktuellen Rentenwert am 31.12.1991 (21,44) und mit dem Rentenartfaktor 0,25 für die kleine Witwenrente (fiktiver Zahlbetrag nach altem Recht 105,20 DM: 41,44 = 2,5386: 0,25 = 10,1544 EP, die sich durch den Zuschlag nach Art 82 des Rentenreformgesetzes 1992 -RRG 1992- auf 10,1688 EP erhöhten). Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 23.02.1998 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung dieses Rentenbescheides nach § 44 SGB X. Der Versicherungsfall der kleinen Witwenrente sei am 01.10.1995 eingetreten und somit neues Recht anzuwenden gewesen. Zwar betrage der Rentenartfaktor nur noch 0,25, jedoch seien jetzt die Zurechnungszeiten zu berücksichtigen. Selbst bei Anwendbarkeit des bis 31.12.1991 geltenden Rentenrechts stehe die Witwenrente mit einem höheren Zahlbetrag zu, weil ihre Berechnung mit dem Rentenartfaktor 0,4 zu erfolgen habe.

Mit Bescheid vom 26.01.1998 lehnte die Beklagte die Neufeststellung der kleinen Witwenrente ab. Diese habe nicht nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) berechnet werden dürfen. Mangels Neuberechnung der Witwenrente sei die Besitzschutzvorschrift des § 88 Abs 2 SGB VI nicht anwendbar. Die nach § 307 SGB VI umgewertete große Witwenrente habe jedoch eine Zurechnungszeit enthalten, so dass nicht auf die durch Umwertung dieser Rente ermittelten EP zurückgegriffen werden dürfe, die fiktive Berechnung im Bescheid vom 15.02.1996 (ohne ZZ) vielmehr zu Recht erfolgt sei.

Der hiergegen am 03.11.1998 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 03.12.1998).

Dagegen hat die Klägerin am 23.12.1998 Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.12.1999 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Neufeststellung der kleinen Witwenrente nach den Vorschriften des SGB VI. Eine solche habe nur dann zu erfolgen, wenn weitere, bislang unberücksichtigt gelassene rentenrechtlich relevante Zeiten hinzukämen oder die Rente bei Eintritt eines neuen Versicherungsfalles nach jetzt geltendem Recht festzustellen sei. Nach der RVO beruhe die Witwenrente auf einem einheitlichen Versicherungsfall. Erst durch das SGB VI seien die kleine und die große Witwenrente als eigenständige Ansprüche ausgestaltet worden. Mit dem Wegfall der Erziehung des Kindes Zihem durch die Klägerin sei deshalb kein neuer Versicherungsfall eingetreten. Die Beklagte habe folglich bei der Umwandlung der großen in die kleine Witwenrente zu Recht die Berechnungsvorschrift des § 1268 Abs 1 RVO angewandt und die in der großen Witwenrente enthaltene Zurechnungszeit des § 1260 Abs 1 RVO außer Acht gelassen. Ferner habe sie die kleine Witwenrente aufgrund des am 01.01.1992 bestehenden Rentenanspruchs zutreffend umgewertet. Nach § 307 SGB VI seien die persönlichen EP der Klägerin durch die Beklagte korrekt ermittelt und der Rentenartfaktor 0,25 für die kleine Witwenrente zugrunde gelegt worden, da nach § 67 Nr 5 SGB VI an den für die Rente zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Rentenartfaktor anzuknüpfen sei. Besitzschutzvorschriften seien zu Gunsten der Klägerin nicht vorhanden, da kein neuer Versicherungsfall eingetreten, sondern nur eine Umwertung vorgenommen worden sei.

Gegen das am 14.01.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 09.02.2000 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegte und mit Schriftsatz vom 21.07.2000 begründete Berufung der Klägerin: Zwar stelle die Umwandlung der großen in die kleine Witwenrente keinen neuen Versicherungsfall dar. Wenn jedoch in der (nach dem Recht der RVO festgestellten) großen Witwenrente die kleine Witwenrente bereits enthalten sei, müsse auch diese nach altem Recht ermittelt werden; in Höhe des sich daraus ergebenden und (zu den Anpassungsstichtagen) zu dynamisierenden Zahlbetrages habe die Klägerin Besitzschutz. Diesen habe die Beklagte nicht beachtet, sondern die Umwertung der Witwenrente unzutreffend durchgeführt. Nach § 307 SGB VI sei die Umwertung in persönliche EP nur für bereits laufende Renten und ohne Auswirkung auf die Höhe des Zahlbetrags vorzunehmen, was die Beklagte und das SG vorliegend nicht beachtet hätten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Bayreuth vom 21.12.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.10.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.12.1998 zu verurteilen, die ihr ab dem 01.10.1995 gewährte kleine Witwenrente nach den Vorschriften des SGB VI neu festzustellen, hilfweise die kleine Witwenrente in der Höhe zu zahlen, die sich bei ihrer Berechnung nach dem Recht der RVO ergeben hätte. Ferner beantragt sie die Zulassung der Revision.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 21.12.1999 zurückzuweisen.

Nach RVO-Recht sei die kleine Witwenrente im Vergleich zur großen Witwenrente bedeutend niedriger gewesen, wobei auch das alte Recht keine Besitzschutzregelung enthalten habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gebe es auch keine Besitzschutzregelung / Übergangsvorschrift beim Übergang des alten Rechtes der RVO in das neue Recht des SGB VI. Darüber hinaus sei es keinem Versicherten gestattet, sich die Berechnungsfaktoren seiner Rente herauszusuchen. Der Rentenartfaktor für die kleine Witwenrente sei vielmehr abschließend in § 67 SGB VI geregelt.

Auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes = SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel erweist sich als in der Sache begründet, denn das SG hat die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.10.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.12.1998 zu Unrecht abgewiesen, weil die Klägerin Anspruch auf Neufeststellung ihrer Witwenrente ab dem 01.10.1995 in einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X hat.

Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, wenn bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Bei der hier allein in Betracht kommenden ersten Alternative ist also zu prüfen, ob auf Grund unrichtiger Rechtsanwendung Leistungen in zu geringer Höhe bewilligt wurden. Zur richtigen oder unrichtigen Rechtsanwendung gehört vorrangig die Bestimmung der Rechtsgrundlage des fraglichen Leistungsanspruchs, dh die Festlegung, welches Recht für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und parallel dazu für die Berechnung der "kleinen Witwernrente" ab 01.10.1995 maßgebend gewesen ist.

Nach Auffassung des Senats hat die Beklagte im Bescheid vom 15.02.1996 bei der Berechnung der nach Ende der Erziehung ihres Sohnes Zihem ab dem 01.10.1995 an die Klägerin zu zahlenden kleinen Witwenrente zu Unrecht die Bestimmungen der RVO angewandt, die mit Wirkung vom 01.01.1992 durch das SGB VI ersetzt worden sind (vgl Art 83 Nr 7 RRG 1992 vom 18.12.1989 - BGBl I S 2261 -), ohne dass einer der übergangsrechtlich geregelten Ausnahmefälle für die Fortgeltung des "alten" Rechts vorliegt.

Welches Recht bei der Neuberechnung der Witwenrente der Klägerin in einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus § 300 SGB VI. Dessen Abs 1 bestimmt, dass die Vorschriften des SGB VI "vom Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens" an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Diese am 01.01.1992 in Kraft getretene Vorschrift beantwortet die Frage, ob auf einen bestimmten Sachverhalt "altes" oder "neues" Recht Anwendung findet (vgl BSG vom 18.06.1997 - 5 RJ 36/96 in SozR 3-2600 § 300 Nr 11; vom 12.05.1998 - B 5 RJ 8/97 R in SozR 3-2200 § 1251 Nr 12 S 76; vom 24.02.1999 - B 5 RJ 28/98 R in SozR 3-2600 § 300 Nr 14; BSG vom 08.11.1995 - 13 RJ 5/95 in SozR 3-2600 § 300 Nr 5; vom 30.01.1997 - 4 RA 55/95 in SozR 3-2600 § 300 Nr 10, S 38; vom 30.10.1997 - 13 RJ 71/96 in SozR 3-2600 § 300 Nr 12 und vom 30.10.1997 - 13 RJ 3/97 - nicht veröffentlicht).

Gegenüber § 300 Abs 1-4 SGB VI hat zwar die Regelung des § 306 Abs 1 SGB VI grundsätzlich Vorrang (vgl § 300 Abs 5 SGB VI); sie wird jedoch ihrerseits wiederum durch § 300 Abs 3 SGB VI verdrängt (sog Rückausnahme). Hiernach gilt § 300 Abs 1 SGB VI auch dann, wenn nach dem maßgeblichen Zeitpunkt eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist und damit persönliche EP neu zu ermitteln sind (die Fälle des § 300 Abs 2 SGB VI sind auch hier ausgenommen).

Der Senat braucht sich vorliegend mit dem Verhältnis der §§ 300 Abs 3 und 306 Abs 1 SGB VI zueinander und zu § 300 Abs 1 SGB VI nicht zu befassen, weil die beiden erstgenannten Bestimmungen hier von vorneherein nicht zum Tragen kommen. Während § 300 Abs 3 SGB VI den Fall regelt, ob und nach welchem Recht (RVO oder SGB VI) eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist, spricht § 306 Abs 1 SGB VI vom "Anspruch auf Leistung einer Rente vor dem Zeitpunkt der Änderungen rentenrechtlicher Vorschriften" und bestimmt, dass solche Renten nur wegen einer späteren (dh zum Zeitpunkt einer nach Leistungsbeginn in Kraft getretenen) Rechtsänderung grundsätzlich nicht neu berechnet werden. Beide Vorschriften betreffen also sog Bestandsrenten, die bei In-Kraft-Treten des SGB VI (01.01.1992) oder bei späteren Änderungen dieses Gesetzes bereits "laufen" (= gezahlt werden oder - bei nachträglicher Erstfeststellung durch den Versicherungsträger - gezahlt werden müssen). § 300 Abs 3 SGB VI regelt demgemäß nur, welches Recht bei der Neufeststellung derselben Rente anzuwenden ist, gilt also nicht bei der "Umwandlung" in eine andere Rentenart (vgl Kasseler Kommentar - Niesel § 300 SB VI Rdnr 17). Gleiches gilt auch für § 306 Abs 1 SGB VI. Ist also zB nach dem 31.12.1991 der Anspruch auf eine nach RVO-Recht berechnete Rente entfallen und war stattdessen eine andere Rentenart zu leisten, war auf die neue Rente das SGB VI auch dann anzuwenden, wenn sich die neue Rente nahtlos an die bisher erbrachte Leistung angeschlossen hat.

So liegen die Verhältnisse hier. Im Rahmen der Klärung nach § 44 SGB X, ob die Beklagte bei der Erteilung des Bescheides vom 15.02.1996 rechtmäßig gehandelt hat, geht es im ersten Prüfungsabschnitt zunächst noch nicht um die "Neufeststellung" einer bereits geleisteten Rente (diese Neufeststellung erfolgt in einem zweiten Akt nach der Rechtsprüfung des bindend gewordenen Ausgangsbescheides), sondern um die Rechtmäßigkeit der erstmaligen Feststellung der kleinen Witwenrente, nachdem die Voraussetzungen der großen Witwenrente entfallen waren und diese Rechtswirkung durch Erteilung eines Aufhebungsbescheides nach § 48 SGB X festgestellt worden war. Die äußere Verbindung beider Verwaltungsregelungen (zukunftsgerichtete, am Eintritt der Sachverhaltsänderung orientierte Aufhebung der mit Bescheid vom 08.08.1981 bewilligten großen Witwenrente und Erstbewilligung der kleinen Witwenrente) ändert nichts daran, dass es sich um zwei verschiedene, unterschiedliche Sachverhalte regelnde Verwaltungsentscheidungen handelt.

§ 46 SGB VI regelt den Anspruch des überlebenden Ehegatten auf kleine und große Witwenrente (Abs 1 und 2). Im Gegensatz zum früheren Recht der RVO sind diese Renten nach dem RRG 1992 im SGB VI als eigenständige Ansprüche ausgestaltet (vgl Kasseler Kommentar - Gürtner § 46 SGB VI Rdnr 2; ebenso Niesel aaO § 300 SGB VI Rdnr 19: "Ist statt einer am 01.01.1992 bezogenen Altersrente nahtlos eine andere Rentenart zu leisten, gilt neues Recht, weil eine eigenständige Rentenbewilligung vorliegt. Gleiches gilt im Verhältnis von kleiner und großer Witwenrente, weil es sich um unterschiedliche Rentenarten handelt").

Auch die Beklagte (vgl Schriftsatz vom 21.09.2000) geht bei der kleinen und großen Witwenrente von zwei unterschiedlichen Rentenarten aus (so auch Verbandskommentar, Stand Juni 2000, Rdnr 3 zu § 46 SGB VI), behandelt aber die (anstelle der nach RVO-Recht gezahlten großen Witwenrente) erstmals nach In-Kraft-Treten des RRG 1992 festzustellende kleine Witwenrente als sog "Bestandsrente" iSd §§ 300 Abs 3 und 306 Abs 1 SGB VI, weil sie auf dem (für beide Leistungen einheitlichen) Versicherungsfall des Todes des Versicherten beruhe und auch sonst alle Leistungselemente der kleinen Witwenrente (latent) bereits in der großen Witwenrente enthalten seien. Das trifft zwar zu; gleichwohl widerspricht die Verfahrensweise der Beklagten nach Auffassung des Senats der in § 300 Abs 1 SGB VI getroffenen Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, dass bei Bewilligung einer anders gearteten, an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpften und abweichend berechneten Rente nach dem Stichtag einer maßgeblichen Rechtsänderung (hier 01.01.1992) neues Recht anzuwenden ist, zumal wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung und Zahlung der anderen Rentenart erst unter der Geltung des neuen Rechts eingetreten sind. Abgesehen davon wurde im RRG 1992 das bisher (nach dem Recht der RVO) für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts maßgebende Versicherungsfallprinzip aufgegeben; für die Bewilligung von Leistungen nach dem neuen Recht (SGB VI) sollte es nur noch darauf ankommen, ob im Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung bzw des geltend gemachten Rentenbeginns sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden, selbst wenn der den Anspruch auslösende Sachverhalt bereits vorher gegeben war. Dagegen standen nach dem Recht der RVO Leistungen oder Leistungserhöhungen für laufende Renten in der Regel (dh ohne ausdrücklich bestimmte Ausdehnung auf Bestandsrenten) nicht zu, wenn bei In-kraft-Treten der entsprechenden Gesetze der Versicherungsfall bereits eingetreten war.

In Übereinstimmung mit den zitierten Autoren des Kasseler Kommentars (aaO) vertritt deshalb auch der erkennende Senat die Auffassung, dass es sich bei der kleinen und großen Witwenrente um eigenständige und unterschiedliche Rentenarten handelt, was auch in den die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen und die Berechnung regelnden Vorschriften der §§ 46 Abs 1 und 2, 66 Abs 2 Nr 2 und 67 Nrn 5 und 6 SGB VI klar zum Ausdruck kommt. Mittelbar ergibt sich diese Sicht des Gesetzgebers auch aus den Regelungen des § 115 Abs 1 Satz 2 iVm Abs 3 Satz 2 SGB VI. Wenn schon bei Bezieherinnen einer kleinen Witwenrente nach Vollendung des 45.Lebensjahres von Amts wegen die große Witwenrente zu gewähren ist, muss dies erst recht im umgekehrten Falle gelten (Weiterzahlung der kleinen Witwenrente bei Wegfall der für die große Witwenrente geforderten zusätzlichen Voraussetzungen), da hier das Fortbestehen der Witweneigenschaft nach dem Tod des Versicherten ebenso eindeutig aus dem Akteninhalt festzustellen ist wie die Erfüllung der Altersvoraussetzung (45.Lebensjahr). Mit Recht wird deshalb von Niesel (Kass.Komm. § 115 Rdnr 5) die Auffassung vertreten, dass ein Antrag (auch dann) entbehrlich ist, wenn wegen geänderter Verhältnisse statt der großen nur noch die kleine Witwenrente zusteht. Es handelt sich insoweit um eine Ungenauigkeit im Gesetzeswortlaut, weil nicht die große Witwenrente in niedrigerer Höhe, sondern eine andere Rente, nämlich die kleine Witwenrente zu leisten ist, die allerdings ausnahmslos mit einem geringeren Zahlbetrag verbunden ist.

Selbst wenn der Beklagten und dem SG in der Bewertung der kleinen Witwenrente als (notwendig in der großen Witwenrente enthaltene) Bestandsrente iSd §§ 300 Abs 3, 306 Abs 1 SGB VI zu folgen wäre, hätte bei der zum 01.10.1995 erfolgten Umwandlung neues Recht zur Anwendung kommen müssen, weil mit der Feststellung der kleinen Witwenrente eine Neubestimmung der EP unumgänglich war. Auch wenn die Neuermittlung der EP lediglich darin bestanden hätte, dass die bereits nach § 307 Abs 1 SGB VI durch Umwertung ermittelten EP um die auf die ZZ entfallenden EP gekürzt worden wären, liegt darin eine Neubestimmung, welche zur Anwendung des neuen Rechts führt. Abgesehen davon ist der erstmals ab 01.10.1995 zustehenden kleinen Witwenrente eine längere ZZ zugrunde zu legen (vgl § 59 Abs 3 SGB VI) als dies bei der nach altem Recht berechneten großen Witwenrente der Fall war. Auch dieser Umstand hätte zur Neubestimmung der EP mit Wirkung vom 01.10.1995 führen müssen.

Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass der Rentenversicherungsträger neues Recht anzuwenden hat, wenn er bei laufenden Renten die EP neu bestimmen muss (vgl BT Drucks 11/4124, S 206 zu § 291 Abs 3 = § 300 Abs 3 SGB VI).

Die Klägerin hat somit Anspruch auf Neufeststellung ihrer kleinen Witwenrente ab dem 01.10.1995 nach den Vorschriften des SGB VI, da der Sachverhalt für die erstmalige Festsetzung der kleinen Witwenrente (der Wegfall der Kindererziehung ihres Sohnes Zihem ab dem 15.09.1995) nach In-Kraft-Treten des SGB VI zum 01.01.1992 eingetreten ist.

Da die Klägerin mit ihrem Hauptantrag erfolgreich war, durfte über den Hilfsantrag nicht mehr entschieden werden. Gleichwohl ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass der Hilfsantrag ins Leere gegangen wäre, weil die Beklagte die kleine Witwenrente tatsächlich in der nach altem Recht berechneten Höhe erbringt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung war die Revision zum BSG zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved