Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 SB 347/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 102/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 34/02 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Als Vergleichsmaßstab für die Bewertung von "Umweltkrankheiten" - wie dem Multiple Chemical Sensivity-Syndrom - kommen die in Ziff 26.3 S 60 f AHP unter "neurologischen Persönlichkeitsstörungen" genannten stärker behindernden psychovegetativen oder psychischen Störungen in Betracht (ebenso LSG für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil vom 03.04.2001 Az L 6 SB 53/00, bestätigt durch Urteil des BSG vom 27.02.2002 Az B 9 SB 6/01 R).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 22.09.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Behinderungen des Klägers mit einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigsten 50 statt 30 zu bewerten sind.
Der am 1949 geborene Kläger führt seine Behinderungen auf toxische Belastungen in seinem jahrzehntelang ausgeübten Beruf als Schreiner zurück. Eine Berufskrankheit ist bei ihm nicht anerkannt.
Der Beklagte stellte erstmals mit Bescheid vom 22.02.1996 als Behinderungen mit einem GdB von 20 fest: 1. Seelische Störung mit chronisch-depressiver Verstimmung und Somatisierungsneigung. 2. Polyneuropathie.
Im Widerspruchsverfahren half der Beklagte dem Widerspruch insofern ab, als er mit Teilabhilfebescheid vom 27.03.1997 für die Behinderungen einen GdB von 30 feststellte. Den Widerspruch im Übrigen wies er mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1997 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg hat der Kläger beantragt, die Diagnose unter 1. im Bescheid vom 22.02.1996 als unzutreffend aus dem Bescheid zu streichen, die Art der unter Ziffer 2 anerkannten Polyneuropathie festzustellen und "Folgen einer chronischen Holzmittel- und Lösungsmittelintoxikation" festzustellen. Das SG hat von dem Chirurgen Dr.H. ein Terminsgutachten vom 05.03.1998 eingeholt. Dieser hat die Behinderungen des Klägers wie der Beklagte bezeichnet und den Gesamt-GdB ebenfalls mit 30 bewertet. Der mit Gutachten vom 25.05.1999 gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Dermatologe und Umweltmediziner Dr.K.E.M. hat beim Kläger im Hinblick auf seine berufliche Schadstoffexposition eine toxische Encephalopathie und Perfusionsminderung des Gehirns, Hirnstammschädigung, Polyneuropathie mit Verdacht auf autonome Neuropathie, Autoimmunität gegen Gangliosid und myelinassoziiertes Glyoprotien vom IgM-Typ und ein seborrhoisches Ekzem diagnostiziert. Für die toxische Enecphalopathie hat er einen Einzel-GdB von 40 sowie für die Hirnstammschädigung und Polyneuropathie jeweils einen Einzel-GdB von 20 angenommen und den Gesamt-GdB ab 12/1995 mit 60 bewertet. Der Beklagte hat sich mit einer nervenärztlichen Stellungnahme des PD Dr.K. vom 23.06.1999 gegen das Gutachten des Dr.K.E.M. gewandt und differenzialdiagnostisch das Vorliegen einer Neurasthenie durch Intoxikation für möglich gehalten. Die Funktionsbeeinträchtigungen entsprächen einer seelischen Störung mit Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und seien mit einem GdB von 30 angemessen bewertet.
Das SG ist dem Gutachten des Dr.H. gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 22.09.1999 abgewiesen. Eine eigenständige Bewertung eines Multiple Chemikal Sensitivity (MCS)-Syndroms hat es mit der Begründung abgelehnt, ein solches sei als Erkrankung in der wissenschaftlichen Medizin derzeit noch umstritten.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Senat hat zur Abklärung der beim Kläger bestehenden Behinderungen ein Gutachten des Prof.Dr.Th.E. (G.), Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, vom 18.09.2001 sowie zur Feststellung des GdB ein Gutachten des Arztes für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin Dr.J.A.R. vom 29.11.2001 eingeholt. Prof.Dr.Th.E. hat beim Kläger keinen Anhalt für eine umweltmedizinisch-humantoxikologisch relevante Belastung gefunden. Die interdisziplinäre Diagnostik hat beim Kläger Hinweise für das Vorliegen einer psycho-vegetativen Erkrankung mit Leistungsminderung in Form einer Neurasthenie und polyneuropathisch bedingte distale Parästhesien ohne motorische Einschränkungen gefunden. Dr.J.A.R. hat die Gesundheitsstörung "Neurasthenie mit chronisch depressiver Stimmungslage und diffusen Befindlichkeitsstörungen" mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Einen Verdacht auf sensorische Polyneuropathie hat er mit einem Einzel-GdB von 10, den Gesamt-GdB mit 30 eingeschätzt.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 26.10.1999 beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 22.09.1999 aufzuheben und den Bescheid vom 22.02.1996 idF des Teilabhilfebescheides vom 27.03.1997, beide idF des Widerspruchsbescheides vom 14.05.1997, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen GdB von wenigstens 50 anzuerkennen sowie die im Bescheid vom 22.02.1996 aufgenommene Diagnose "Seelische Störung mit chronisch-depressiver Verstimmung und Somatisierungsneigung" ersatzlos zu entfernen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten hat mit Schriftsatz vom 01.12.1999 beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 22.09.1999 zurückzuweisen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten hat sich bereit erklärt, die Behinderungen aus dem Verfügungssatz des Bescheides vom 22.02.1996 herauszunehmen.
Der Kläger ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und war auch nicht vertreten.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, nach Lage der Akten zu entscheiden.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Archivakte des SG Würzburg S 5 U 229/95 und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126 SGG nach Lage der Akten.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30.
Das Vorliegen einer Behinderung und den GdB stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des Behinderten fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs 1 Sätze 1 und 3 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - ). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs 3 Satz 1 SGB IX). Die Gesamtauswirkung der Behinderung darf nicht durch Anwendung irgendwelcher mathematischer Formeln, sondern muss aufgrund einer nachvollziehbaren ärztlichen Einschätzung festgesetzt werden (BSG SozR 3870 § 3 Nr 4 zum im Wesentlichen inhaltsgleichen § 4 Abs 3 Satz 1 SchwbG, aufgehoben durch Art 63 SGB IX).
Die Behinderungen des Klägers sind mit einem Gesamt-GdB von 30 zutreffend bewertet. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Gutachten des Prof.Dr.Th.E. und Dr.J.A.R ...
Prof.Dr.Th.E. hat in für den Senat nachvollziehbarer Weise eine eigenständige Erkrankung durch ein sogenanntes MCS-Syndrom verneint. Nach den gutachtlichen Feststellungen des Sachverständigen ist es trotz verschiedenster Ansätze zur wissenschaftlichen Untersuchung der MCS-Problematik bisher noch nicht gelungen, ein abgrenzbares Syndrom mit einer zuzuordnenden Pathogenese zu beschreiben. Es handelt sich bei MCS vielmehr um eine bloße Arbeitshypothese (so auch SG Dortmund vom 15.10.2001 Az: S 11 U 120/00), die sich nur auf individuelle subjektive Symptome von Beschwerden stützen kann, die Umweltexpositionen zugeschrieben werden und die nicht als zur Zeit messbare, objektiv erwiesene Krankheiten anzusehen sind. Die von Prof.Dr.Th.E. beim Kläger im Rahmen eines humanbiomonitoring durchgeführten Schadstoffanalysen zeigten, dass die gemessenen Werte für die Parameter PCP und Lindan deutlich unterhalb der von der Kommission Humanbiomonitoring des Umweltbundesamtes 1998 herausgegebenen Referenzwerte lagen. Die differenzialdiagnostisch durchgeführte interdisziplinäre Diagnostik (Dermatologie/Allergologie, Psychosomatik, Neurologie/Neurophysiologie, HNO, Orthopädie, Augenheilkunde, Lungenfunktion, Zahn-Mund-Kieferheilkunde) hat aber Hinweise für das Vorliegen einer psychovegetativen Erkrankung mit Leistungsminderung in Form einer Neurasthenie und polyneuropathisch bedingte distale Parästhesien ohne motorische Einschränkungen ergeben, die bei der Bestimmung des GdB zu berücksichtigen sind.
Der Sachverständige Dr.J.A.R. hat die Feststellung eines GdB vorliegend als äußerst schwierig bezeichnet und die Auffassung vertreten, dass die sozialmedizinische Beurteilung hier an Grenzen stoße, weil sich im Falle des Klägers objektive Befunde und subjektive Befindensstörungen nahezu diametral gegenüberstünden. Die beim Kläger durchgeführte neurologisch-psychiatrische Diagnostik konnte keine Strukturschädigung des Hirns nachweisen. Eine durch organische Lösungsmittelgemische verursachte toxische Encephalopathie kann unter Berücksichtigung der Einwirkung durch Lösungsmittelgemische und der beim Kläger bestehenden unspezifischen Symptome, insbesondere Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, Müdigkeit und Leistungsschwäche, lediglich als Verdachtsdiagnose einer beginnenden Encephalopathie nicht völlig ausgeschlossen werden, jedoch ist eine Sicherung dieser Diagnose nicht gelungen. Die Abgrenzung zur Neurasthenie ist schwierig vorzunehmen. Die subjektiven Beschwerden weisen auf eine mögliche, beginnende Polyneuropathie und Encephalopathie hin, ohne dass diese Erkrankungen durch Befunde nachvollzogen werden können. Hierdurch wird die sozialmedizinische Beurteilung und Einordnung der Befindensstörungen erschwert.
Angesichts dieser medizinischen Ausgangslage sind Funktionsstörungen, die einen höheren GdB als 30 bedingen zur Überzeugung des Senats unter Würdigung sämtlicher vorhandener medizinischer Unterlagen nicht nachgewiesen. Eine Verdachtsdiagnose kann nicht zur Begründung eines höheren GdB herangezogen werden. Im Hinblick auf die eingehende interdisziplinäre Untersuchung des Klägers im Rahmen der Begutachtung durch Prof.Dr.Th.E. ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die von dem Sachverständigen der ersten Instanz gemäß § 109 SGG, Dr.K.E.M. angenommen vielfältigen Funktionsstörungen tatsächlich in dem beschriebenen Ausmaß vorliegen. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Sachverständigenbeirat beim Bundesminister für Arbeit (vgl Tagung der Sektion Versorgungsmedizin vom 25.- 26.11.1998) der Auffassung, dass bei der Bewertung sogenannter "Umweltkrankheiten" - wie dem MCS-Syndrom -, die mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungeinbußen und Körperfunktionsstörungen, denen kein oder primär kein organischer Befund zu Grunde liegt, einhergehen, als Vergleichsmaßstab am ehesten die in Ziffer 26.3 Seite 60 ff der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) 1996 unter "neurologische Persönlichkeitsstörungen" genannten stärker behindernden psycho-vegetativen oder psychischen Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und eventuellen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht kommen (ebenso Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.04.2001, Az: L 6 SB 53/00, bestätigt durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27.02.2002, Az: B 9 SB 6/01 R). Schwere neurologische oder psychische Störungen, die einen höheren GdB als 30 nahelegen, sind beim Kläger nicht erkennbar.
Über den Antrag des Klägers, die Behinderung "Seelische Störung mit chronich-depressiver Verstimmung und Somatisierungsneigung" ersatzlos zu streichen, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, da der Beklagte sich bereit erklärt hat, die Behinderungen aus dem Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides entsprechend dem Urteil des BSG vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R - herauszunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
II. Außergerichtliche Kosten sind zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Behinderungen des Klägers mit einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigsten 50 statt 30 zu bewerten sind.
Der am 1949 geborene Kläger führt seine Behinderungen auf toxische Belastungen in seinem jahrzehntelang ausgeübten Beruf als Schreiner zurück. Eine Berufskrankheit ist bei ihm nicht anerkannt.
Der Beklagte stellte erstmals mit Bescheid vom 22.02.1996 als Behinderungen mit einem GdB von 20 fest: 1. Seelische Störung mit chronisch-depressiver Verstimmung und Somatisierungsneigung. 2. Polyneuropathie.
Im Widerspruchsverfahren half der Beklagte dem Widerspruch insofern ab, als er mit Teilabhilfebescheid vom 27.03.1997 für die Behinderungen einen GdB von 30 feststellte. Den Widerspruch im Übrigen wies er mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.1997 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg hat der Kläger beantragt, die Diagnose unter 1. im Bescheid vom 22.02.1996 als unzutreffend aus dem Bescheid zu streichen, die Art der unter Ziffer 2 anerkannten Polyneuropathie festzustellen und "Folgen einer chronischen Holzmittel- und Lösungsmittelintoxikation" festzustellen. Das SG hat von dem Chirurgen Dr.H. ein Terminsgutachten vom 05.03.1998 eingeholt. Dieser hat die Behinderungen des Klägers wie der Beklagte bezeichnet und den Gesamt-GdB ebenfalls mit 30 bewertet. Der mit Gutachten vom 25.05.1999 gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Dermatologe und Umweltmediziner Dr.K.E.M. hat beim Kläger im Hinblick auf seine berufliche Schadstoffexposition eine toxische Encephalopathie und Perfusionsminderung des Gehirns, Hirnstammschädigung, Polyneuropathie mit Verdacht auf autonome Neuropathie, Autoimmunität gegen Gangliosid und myelinassoziiertes Glyoprotien vom IgM-Typ und ein seborrhoisches Ekzem diagnostiziert. Für die toxische Enecphalopathie hat er einen Einzel-GdB von 40 sowie für die Hirnstammschädigung und Polyneuropathie jeweils einen Einzel-GdB von 20 angenommen und den Gesamt-GdB ab 12/1995 mit 60 bewertet. Der Beklagte hat sich mit einer nervenärztlichen Stellungnahme des PD Dr.K. vom 23.06.1999 gegen das Gutachten des Dr.K.E.M. gewandt und differenzialdiagnostisch das Vorliegen einer Neurasthenie durch Intoxikation für möglich gehalten. Die Funktionsbeeinträchtigungen entsprächen einer seelischen Störung mit Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und seien mit einem GdB von 30 angemessen bewertet.
Das SG ist dem Gutachten des Dr.H. gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 22.09.1999 abgewiesen. Eine eigenständige Bewertung eines Multiple Chemikal Sensitivity (MCS)-Syndroms hat es mit der Begründung abgelehnt, ein solches sei als Erkrankung in der wissenschaftlichen Medizin derzeit noch umstritten.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Senat hat zur Abklärung der beim Kläger bestehenden Behinderungen ein Gutachten des Prof.Dr.Th.E. (G.), Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, vom 18.09.2001 sowie zur Feststellung des GdB ein Gutachten des Arztes für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin Dr.J.A.R. vom 29.11.2001 eingeholt. Prof.Dr.Th.E. hat beim Kläger keinen Anhalt für eine umweltmedizinisch-humantoxikologisch relevante Belastung gefunden. Die interdisziplinäre Diagnostik hat beim Kläger Hinweise für das Vorliegen einer psycho-vegetativen Erkrankung mit Leistungsminderung in Form einer Neurasthenie und polyneuropathisch bedingte distale Parästhesien ohne motorische Einschränkungen gefunden. Dr.J.A.R. hat die Gesundheitsstörung "Neurasthenie mit chronisch depressiver Stimmungslage und diffusen Befindlichkeitsstörungen" mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Einen Verdacht auf sensorische Polyneuropathie hat er mit einem Einzel-GdB von 10, den Gesamt-GdB mit 30 eingeschätzt.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 26.10.1999 beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 22.09.1999 aufzuheben und den Bescheid vom 22.02.1996 idF des Teilabhilfebescheides vom 27.03.1997, beide idF des Widerspruchsbescheides vom 14.05.1997, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen GdB von wenigstens 50 anzuerkennen sowie die im Bescheid vom 22.02.1996 aufgenommene Diagnose "Seelische Störung mit chronisch-depressiver Verstimmung und Somatisierungsneigung" ersatzlos zu entfernen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten hat mit Schriftsatz vom 01.12.1999 beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 22.09.1999 zurückzuweisen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten hat sich bereit erklärt, die Behinderungen aus dem Verfügungssatz des Bescheides vom 22.02.1996 herauszunehmen.
Der Kläger ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und war auch nicht vertreten.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, nach Lage der Akten zu entscheiden.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Archivakte des SG Würzburg S 5 U 229/95 und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126 SGG nach Lage der Akten.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30.
Das Vorliegen einer Behinderung und den GdB stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des Behinderten fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs 1 Sätze 1 und 3 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - ). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs 3 Satz 1 SGB IX). Die Gesamtauswirkung der Behinderung darf nicht durch Anwendung irgendwelcher mathematischer Formeln, sondern muss aufgrund einer nachvollziehbaren ärztlichen Einschätzung festgesetzt werden (BSG SozR 3870 § 3 Nr 4 zum im Wesentlichen inhaltsgleichen § 4 Abs 3 Satz 1 SchwbG, aufgehoben durch Art 63 SGB IX).
Die Behinderungen des Klägers sind mit einem Gesamt-GdB von 30 zutreffend bewertet. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Gutachten des Prof.Dr.Th.E. und Dr.J.A.R ...
Prof.Dr.Th.E. hat in für den Senat nachvollziehbarer Weise eine eigenständige Erkrankung durch ein sogenanntes MCS-Syndrom verneint. Nach den gutachtlichen Feststellungen des Sachverständigen ist es trotz verschiedenster Ansätze zur wissenschaftlichen Untersuchung der MCS-Problematik bisher noch nicht gelungen, ein abgrenzbares Syndrom mit einer zuzuordnenden Pathogenese zu beschreiben. Es handelt sich bei MCS vielmehr um eine bloße Arbeitshypothese (so auch SG Dortmund vom 15.10.2001 Az: S 11 U 120/00), die sich nur auf individuelle subjektive Symptome von Beschwerden stützen kann, die Umweltexpositionen zugeschrieben werden und die nicht als zur Zeit messbare, objektiv erwiesene Krankheiten anzusehen sind. Die von Prof.Dr.Th.E. beim Kläger im Rahmen eines humanbiomonitoring durchgeführten Schadstoffanalysen zeigten, dass die gemessenen Werte für die Parameter PCP und Lindan deutlich unterhalb der von der Kommission Humanbiomonitoring des Umweltbundesamtes 1998 herausgegebenen Referenzwerte lagen. Die differenzialdiagnostisch durchgeführte interdisziplinäre Diagnostik (Dermatologie/Allergologie, Psychosomatik, Neurologie/Neurophysiologie, HNO, Orthopädie, Augenheilkunde, Lungenfunktion, Zahn-Mund-Kieferheilkunde) hat aber Hinweise für das Vorliegen einer psychovegetativen Erkrankung mit Leistungsminderung in Form einer Neurasthenie und polyneuropathisch bedingte distale Parästhesien ohne motorische Einschränkungen ergeben, die bei der Bestimmung des GdB zu berücksichtigen sind.
Der Sachverständige Dr.J.A.R. hat die Feststellung eines GdB vorliegend als äußerst schwierig bezeichnet und die Auffassung vertreten, dass die sozialmedizinische Beurteilung hier an Grenzen stoße, weil sich im Falle des Klägers objektive Befunde und subjektive Befindensstörungen nahezu diametral gegenüberstünden. Die beim Kläger durchgeführte neurologisch-psychiatrische Diagnostik konnte keine Strukturschädigung des Hirns nachweisen. Eine durch organische Lösungsmittelgemische verursachte toxische Encephalopathie kann unter Berücksichtigung der Einwirkung durch Lösungsmittelgemische und der beim Kläger bestehenden unspezifischen Symptome, insbesondere Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, Müdigkeit und Leistungsschwäche, lediglich als Verdachtsdiagnose einer beginnenden Encephalopathie nicht völlig ausgeschlossen werden, jedoch ist eine Sicherung dieser Diagnose nicht gelungen. Die Abgrenzung zur Neurasthenie ist schwierig vorzunehmen. Die subjektiven Beschwerden weisen auf eine mögliche, beginnende Polyneuropathie und Encephalopathie hin, ohne dass diese Erkrankungen durch Befunde nachvollzogen werden können. Hierdurch wird die sozialmedizinische Beurteilung und Einordnung der Befindensstörungen erschwert.
Angesichts dieser medizinischen Ausgangslage sind Funktionsstörungen, die einen höheren GdB als 30 bedingen zur Überzeugung des Senats unter Würdigung sämtlicher vorhandener medizinischer Unterlagen nicht nachgewiesen. Eine Verdachtsdiagnose kann nicht zur Begründung eines höheren GdB herangezogen werden. Im Hinblick auf die eingehende interdisziplinäre Untersuchung des Klägers im Rahmen der Begutachtung durch Prof.Dr.Th.E. ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die von dem Sachverständigen der ersten Instanz gemäß § 109 SGG, Dr.K.E.M. angenommen vielfältigen Funktionsstörungen tatsächlich in dem beschriebenen Ausmaß vorliegen. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Sachverständigenbeirat beim Bundesminister für Arbeit (vgl Tagung der Sektion Versorgungsmedizin vom 25.- 26.11.1998) der Auffassung, dass bei der Bewertung sogenannter "Umweltkrankheiten" - wie dem MCS-Syndrom -, die mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungeinbußen und Körperfunktionsstörungen, denen kein oder primär kein organischer Befund zu Grunde liegt, einhergehen, als Vergleichsmaßstab am ehesten die in Ziffer 26.3 Seite 60 ff der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) 1996 unter "neurologische Persönlichkeitsstörungen" genannten stärker behindernden psycho-vegetativen oder psychischen Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und eventuellen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht kommen (ebenso Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.04.2001, Az: L 6 SB 53/00, bestätigt durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27.02.2002, Az: B 9 SB 6/01 R). Schwere neurologische oder psychische Störungen, die einen höheren GdB als 30 nahelegen, sind beim Kläger nicht erkennbar.
Über den Antrag des Klägers, die Behinderung "Seelische Störung mit chronich-depressiver Verstimmung und Somatisierungsneigung" ersatzlos zu streichen, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, da der Beklagte sich bereit erklärt hat, die Behinderungen aus dem Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides entsprechend dem Urteil des BSG vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R - herauszunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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