L 18 SB 108/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 SB 430/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 108/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 18.05.2000 aufgehoben. Der Bescheid vom 14.11.1997 und der Teilabhilfebescheid vom 15.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.06.1998 werden abgeändert.
II. Der Beklagte wird verurteilt, für die Behinderungen des Klägers ab 22.12.1998 einen Gesamt-GdB von 30 festzustellen.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zur Hälfte zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger schwerbehindert ist.

Der Beklagte stellte bei dem am 28.10.1949 geborenen Kläger erstmals mit Bescheid vom 14.11.1997 und Teilabhilfebescheid vom 15.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.06.1998 als Behinderungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 20 fest: 1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden (Einzel-GdB 20) 2. Herzschrittmacher (Einzel-GdB 10) 3. Teilverlust des Dickdarms (Einzel-GdB 10).

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Bayreuth Krankengeschichten und ärztliche Befunde des Klägers beigezogen und von dem Internisten Dr.T. ein (Termins-) Gutachten vom 08.07.1999 eingeholt. Dieser hat die myocardiale Leistungsminderung bei Herzschrittmacherimplantation mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet und ab 22.12.1998 (Nachweis durch Herzkatheter) den Gesamt-GdB mit 30 eingeschätzt. Der vom SG gem § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Internist und Kardiologe Dr.G.K. hat im Gutachten vom 18.01.2000/07.02.2000 beim Kläger Herzrhytmusstörungen mit Kreislaufdysfunktion und vegetativer Begleitsymptomatik bei Verdacht auf intermittierendem Vorhofflimmern diagnostiziert und den Gesamt-GdB auf 50 bis 60 geschätzt.

Der Beklagte hat sich gegen das Gutachten des Dr.G.K. gewandt und mit Vergleichsangebot vom 14.03.2000 sich bereit erklärt, die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers mit einem Gesamt-GdB von 30 zu bewerten.

Das SG ist dem Gutachten des Dr.G.K. gefolgt und hat den Beklagten mit Urteil vom 18.05.2000 verpflichtet, die Behinderungen des Klägers mit einem Gesamt-GdB von 50 zu bewerten.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt und sich unter Bezugnahme auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Internistin Dr.U.W. vom 27.06.2000 gegen die Einschätzung des GdB durch Dr.G.K. gewandt. Der Senat hat von dem Chefarzt Prof.Dr.J.W. , Medizinische Klinik, Kardiologie, des Juliusspitals Würzburg, ein Gutachten vom 31.05.2001 eingeholt. Dieser hat auf seinem Fachgebiet lediglich einen Einzel-GdB von 10 angesetzt und den Gesamt-GdB mit 20 eingeschätzt. Dr.U.W. hat in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.08.2001 an einem Einzel-GdB von 20 für das internistische Fachgebiet und einem Gesamt-GdB von 30 festgehalten.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des SG Bayreuth vom 18.05.2000 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.11.1997 und den Teilabhilfebescheid vom 15.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.06.1998 abzuweisen, soweit sie über das Vergleichsangebot vom 14.03.2000 hinausgeht.

Der Kläger beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 18.05.2000 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Urteil des SG Bayreuth ist aufzuheben, da der Kläger nicht schwerbehindert ist. Der Kläger hat nur einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30.

Für die Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ist es erforderlich, dass die Auswirkungen einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung vorliegen, die auf einem regelwidrigen, körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht (§ 3 Abs 1 SchwbG). Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen insgesamt sind gem § 3 Abs 2 SchwbG als GdB nach Zehnergraden abgestuft von 20 bis 100 festzustellen. Bei Vorliegen mehrerer Behinderungen ist deren Gesamt-Auswirkung maßgebend; diese darf nicht durch Anwendung irgendwelcher mathematischer Formeln, sondern muss auf Grund einer nachvollziehbaren ärztlichen Einschätzung festgesetzt werden (§ 4 Abs 3 Satz 2 SchwbG und BSG SozR 3870 § 3 Nr 4).

Die Behinderungen des Klägers sind - entsprechend dem Vergleichsangebot des Beklagten vom 14.03.2000 - ab 22.12.1998 mit einem Gesamt-GdB von 30 zu bewerten. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des Dr.T. und des Prof.Dr.J.W. sowie der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr.U.W. vom 29.08.2001. Die linksventrikuläre Globalfunktion des Herzens ist beim Kläger nur leicht eingeschränkt und die beginnende Koronarverengung wirkt sich nicht auf die Befindlichkeit aus. Die Herzrhytmusstörungen konnten anlässlich der Begutachtung bei Prof.Dr.J.W. durch eine Umprogrammierung des Schrittmachers beseitigt werden. Der Senat hält aber die von Prof.Dr.J.W. deswegen für die kardiologische Funktionseinschränkungen vorgeschlagene niedrigere GdB-Bewertung aus den von Dr.U.W. genannten Gründen nicht für geboten. Zum Zeitpunkt der Begutachtung bei Prof.Dr.J.W. bestand nämlich bereits eine Linksherzhypertrophie infolge eines Bluthochdrucks, so dass weiterhin ein Einzel-GdB von 20 für das Herzleiden und damit ein Gesamt-GdB von 30 gerechtfertigt ist.

Der von Dr.G.K. angenommene Einzel-GdB-Wert von 50 auf kardiologischem Gebiet ist anhand der vorliegenden Befunde nicht nachvollziehbar und bewegt sich nicht im Rahmen der vom Senat zu beachtenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG 1996 (AHP). Bei der von Prof.Dr.J.W. festgestellten regelrechten Schrittmacherfunktion und einer ausgezeichneten kardialen Belastbarkeit bis 200 Watt bei normaler linksventrikulärer Pumpfunktion kann ein höherer Einzel-GdB als 20 für das Herzleiden nicht angenommen werden. Geht man davon aus, dass Rhytmusstörungen nach Implantation des Herzschrittmachers vor der Umstellung durch Prof.Dr.J.W. im April 2001 vorhanden gewesen sind, sind diese für die zurückliegende Zeit allenfalls mit einem GdB von 10 bis 30 zu bewerten (vgl AHP RdNr 26.9 S 89), so dass ein höherer GdB-Wert als 20 auf koronarem Gebiet auch für die Zeit von 1997 bis April 2001 nicht vertretbar ist.

Die durch das Darmleiden bedingten Behinderungen und deren Bewertung mit einem Einzel-GdB von 10 sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die beim Kläger im Mai 2001 aufgetretenen zusätzlichen Beschwerden der Halswirbelsäule werden nach seinen Angaben mit Erfolg orthopädisch behandelt. Es verbleibt daher bei einem Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden des Klägers.

Bei Einzel-GdB-Werten von 2 mal 20 und 1 mal 10 wird unter Berücksichtigung der AHP ein höherer Gesamt-GdB als 30 nicht erreicht. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte nicht addiert werden (vgl AHP RdNr 19 Abs 1 S 33). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (aaO Abs 3 S 34). Zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen führen nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen (aaO Abs 4 S 35).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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