Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SB 822/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 117/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 04.07.2000 aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 30.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.1998 abgeändert.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zu gewähren.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zustehen.
Der Beklagte stellte bei dem am 1941 geborenen Kläger auf dessen Antrag vom 05.07.1997 mit Bescheid vom 15.09.1997 (erstmals) einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Im Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB und die Gewährung der Merkzeichen G, H, aG und B. Der Beklagte erhöhte mit Teilabhilfebescheid vom 30.09.1998 den GdB ab Antragstellung auf 60 und stellte als Behinderungen fest: 1. Neurochirurgisch operativ behandelter Nervus axillaris-Abriss links (Einzel-GdB 30) 2. Spalthautdeckung eines traumatischen Fußdefekts links Versteifung des oberen Sprunggelenkes links Versteifung des unteren Sprunggelenkes links (Einzel-GdB 30) 3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Degenerative Veränderungen (Einzel-GdB 20) 4. Bluthochdruck (Einzel-GdB 10)
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, Bl, H, RF und 1.Klasse verneinte er.
Den Widerspruch im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.1998 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth hat der Kläger die Feststellung eines höheren GdB und die Gewährung der Merkzeichen G, aG, H und B begehrt. Der vom SG mit Gutachten vom 18.05.1999 terminsärztlich gehörte Prof.Dr.H.S. hat den Gesamt-GdB des Klägers mit 60 eingeschätzt und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B bis Ende September 1998 bejaht. Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Dr.H.G. hat in seinem Gutachten vom 08.07.1999 die Behinderungen mit einem Gesamt-GdB von 60 bewertet und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, H und B bejaht.
Der Beklagte hat nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr.H.T. vom 06.08.1999 mit Schriftsatz vom 29.10.1999 (Eingang beim SG am 03.11.1999) angeboten, die Merkzeichen B und G für die Zeit vom 05.07.1997 (Antragstellung) bis 30.09.1998 zu gewähren. Der Kläger hat daran festgehalten, dass ihm die Merkzeichen B und G auch für die Zeit nach dem 30.09.1998 zuerkannt werden (Schreiben vom 20.04.2000 und 17.05.2000). Weitere Merkzeichen und die Feststellung eines höheren GdB hat er nicht mehr geltend gemacht (Schreiben vom 15.03.2000).
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 04.07.2000 "die über das angenommene Teil-Anerkenntnis vom 03.11.1999 hinausgehende Klage" abgewiesen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens G über den 30.09.1998 hinaus hat es deshalb verneint, weil der Einzel-GdB für die Behinderung des linken Fußes nur 30 betrage. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens B hat es nicht für gegeben erachtet, weil der Kläger die bei ihm möglicherweise in öffentlichen Verkehrsmitteln bestehende erhöhte Unfallgefahr durch das Festhalten mit der uneingeschränkt funktionsfähigen rechten Hand und durch erhöhte Aufmerksamkeit kompensieren könne.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung eingelegt und die Zuerkennung der Merkzeichen B und G über den 30.09.1998 hinaus begehrt. Der Senat hat von dem Orthopäden Dr.A.D. ein Gutachten vom 08.12.2000/09.02.2001/23.03.2001 eingeholt. Dieser hat beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen G und B bejaht. Der Beklagte hat sich mit versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Chirurgen Dr.H. vom 11.01.2001, 08.03.2001 und 25.04.2001 gegen das Gutachten des Dr.A.D. gewandt. Der Kläger hat Fotos vom 18.09.2001 seines linken Fußes vorgelegt, die eine große und kleine offene Wunde im Fußsohlenbereich zeigen, des Weiteren ein Gutachten vom 16.02.2001 des Ltd. Arztes der Unfallchirurgischen Abteilung des Klinikums Kulmbach, Dr.H. , ferner ärztliche Atteste des Dr.S. vom 20.09.2001 und des Dr.K. vom 24.09.2001.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 04.07.2000 aufzuheben und den Abhilfe-Bescheid vom 30.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.1998 abzuändern und dem Kläger die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 04.07.2000 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakten des Beklagten, die beigezogene Unfallakte der Tiefbau-Berufsgenossenschaft, Gebietsverwaltung Ost, 5-96/13725/3E und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Dem Kläger stehen die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zu.
Die Entscheidung konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter ergehen (§ 155 Abs 3 und 4 SGG; Meyer-Ladewig, SGG, 6.Auflage, § 155 Rdnr 11).
Streitig ist nur noch die Gewährung der Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus. Das SG hat das "Teilvergleichsangebot" des Beklagten vom 29.10.1999 zu Recht als Teilanerkenntnis gewertet. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis mit Schreiben vom 20.04. und 17.05.2000 konkludent angenommen, indem er erklärt hat, die Merkzeichen B und G müssten ihm auch für die Zeit nach dem 30.09.1998 zuerkannt werden. Für die Form der Annahme gelten dieselben Vorschriften wie für das Anerkenntnis selbst (aaO § 109 Rdnr 22). Ob eine Annahme des Anerkenntnisses gewollt ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (aaO Rdnr 21 unter Verw auf BSG SozR Nr 3 zu § 101 SGG).
Der Kläger erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens G auch über den 30.09.1998 hinaus. Er ist erheblich gehbehindert. Voraussetzung für die Gewährung des Merkzeichens G ist das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (vgl § 60 Abs 1 Schwerbehindertengesetz -SchwbG-). Der Kläger ist in seinem Gehvermögen durch seine Gesundheitsstörungen so stark eingeschränkt, dass er Wegstrecken, die im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, nicht mehr zu bewältigen vermag. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt als ortsübliche Wegstrecke eine Strecke von zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (BSG SozR 3870 § 60 Nr 2). Die Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, ist anhand der tatsächlichen Auswirkungen der medizinisch festgestellten Funktionsausfälle festzustellen. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG 1996 (AHP), Rdnr 30 Abs 3, sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule (LWS) bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, zB bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Aus orthopädischer Sicht liegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nach den Feststellungen des vom Senat gehörten Sachverständigen Dr.A.D. vor. Danach bestehen beim Kläger eine erhebliche Belastungsstörung des linken Fußes infolge traumatischen Fußdefektes nach operativer Resektion des 5.Strahles, Spalthautdeckung und nachfolgenden freien mikrovaskulären Radialislappen mit verbliebenen ungünstigen Narbenverhältnissen an der Belastungsfläche sowie Teilversteifung der Fußgelenke. Hinzu kommen Beschwerden der LWS und eine gewichtsmäßige Überforderung des Skelettsystems durch ein Körpergewicht von 100 kg bei einer Körpergröße von 168 cm. Bereits der Verlust des V.Mittelfußknochens führt zu einer wesentlichen Belastungsstörung des linken Fußes. Zusätzlich verbleibt in solchen verletzten Skelettanteilen eine Bewegungseinschränkung in den betroffenen Gelenken. Die stark verhornte Narbe, die in Längsrichtung im Hauptbelastungsbereich des linken Fußes als postoperative Folge der Hautlappenübertragung besteht, führt zu hochgradigen Schmerzen beim Auftreten, wobei auch das Gehen mit orthopädischen Schuhen keinesfalls schmerzfrei ist. Aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr.A.D. an der Narbe keine Sekretion bestanden hat, kann nicht auf einen fehlenden Belastungsschmerz geschlossen werden. Im Hinblick auf die von Dr.A.D. festgestellten Befunde sind die Angaben des Klägers, er könne nur langsam gehen und müsse nach etwa 50 Metern pausieren, glaubhaft. Derzeit haben sich im Bereich der Narbe an der linken Fußsohle zwei nässende Wunden gebildet. Das Gutachten des Dr.H. - das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet - bestätigt die von Dr.A.D. festgestellte erhebliche schmerzhafte Belastungseinschränkung des linken Fußes. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, eine Gehstrecke von zwei Kilometern in ca einer halben Stunde zurückzulegen. Die von Dr.H. in seinen versorgungsärztlichen Stellungnahmen in den Vordergrund gestellten unwesentlichen Besserungen der Funktionsbeeinträchtigung der linken Extremität gegenüber der Zeit unmittelbar nach dem Unfallgeschehen führen nicht zu einem Wegfall der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Zwar bedingen die Behinderungen des Klägers an der linken unteren Extremität nur einen Einzel-GdB von 30 und verlangen die AHP für die Zuerkennung des Merkzeichens G grundsätzlich Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS mit einem GdB von wenigstens 50. Jedoch lassen sie auch Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50 genügen, wenn sich - wie hier - diese auf die Gehfähigkeit besonders auswirken. Hinzu kommen Beschwerden des Klägers von der LWS, die mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet sind.
Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens B liegen beim Kläger über den 30.09.1998 hinaus vor. Gemäß § 60 Abs 2 SchwbG ist ständige Begleitung bei Schwerbehinderten notwendig, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss (vgl AHP Nr 32 Abs 2 Satz 2). Dabei ist von einem weitgehenden Gefahrbegriff auszugehen (so Rohr/Strässer, Kommentar zu den AHP, A 295). Für die Notwendigkeit ständiger Begleitung reicht es aus, dass Gefahren möglich sind, sie brauchen weder mit Sicherheit einzutreten, noch wahrscheinlich zu sein. Die zu treffende Feststellung, ob eine Begleitung notwendig ist, hat aufgrund der vielfältigen und unterschiedlichen Gegebenheiten der Teilnahme an der öffentlichen Personenbeförderung zu ergehen und setzt somit eine abstrakte Betrachtung aller möglichen Gefahrensituationen voraus (aaO). Der Sachverständige Dr.A.D. - dem der Senat auch insoweit folgt - begründet die Annahme der Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens B mit der unzureichenden Haltefunktion der linken oberen Extremität. Der Kläger leidet nach den Feststellungen des Dr.A.D. an einer Gefühlsabschwächung im Unterarm- und Handbereich links mit Einschränkung der Geschicklichkeit und Kraftminderung der linken Hand. Außerdem leidet er unter einem vom Schultergelenk in den Arm ausstrahlenden Bewegungsschmerz, der sich nicht nur bei typischen Schultergelenksbewegungen, sondern auch bei Ellbogenbewegungen und Unterarmdrehungen äußert. Nach dem Gutachten des Dr.H. besteht beim Kläger nach wie vor eine erhebliche Bewegungseinschränkung im linken Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk sowie im Bereich der Langfinger mit Kraftminderung. Auch leidet er nach wie vor unter einer Störung der Gefühlswahrnehmung am linken Oberarm sowie am linken Unterarm und der linken Hand mit erheblicher Beeinträchtigung der Feinfunktion der linken Hand. Der Kläger, der sich mit der rechten Hand auf eine Krücke abstützt, kann die fehlende Griffsicherheit der linken Hand nicht durch die rechte Hand kompensieren. Er ist also zB beim Besteigen von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ungenügender Greif- und Haltesicherheit der linken Hand beim Anfassen eines Geländers oder Griffs zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zu gewähren.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zustehen.
Der Beklagte stellte bei dem am 1941 geborenen Kläger auf dessen Antrag vom 05.07.1997 mit Bescheid vom 15.09.1997 (erstmals) einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Im Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB und die Gewährung der Merkzeichen G, H, aG und B. Der Beklagte erhöhte mit Teilabhilfebescheid vom 30.09.1998 den GdB ab Antragstellung auf 60 und stellte als Behinderungen fest: 1. Neurochirurgisch operativ behandelter Nervus axillaris-Abriss links (Einzel-GdB 30) 2. Spalthautdeckung eines traumatischen Fußdefekts links Versteifung des oberen Sprunggelenkes links Versteifung des unteren Sprunggelenkes links (Einzel-GdB 30) 3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule Degenerative Veränderungen (Einzel-GdB 20) 4. Bluthochdruck (Einzel-GdB 10)
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, Bl, H, RF und 1.Klasse verneinte er.
Den Widerspruch im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.1998 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth hat der Kläger die Feststellung eines höheren GdB und die Gewährung der Merkzeichen G, aG, H und B begehrt. Der vom SG mit Gutachten vom 18.05.1999 terminsärztlich gehörte Prof.Dr.H.S. hat den Gesamt-GdB des Klägers mit 60 eingeschätzt und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B bis Ende September 1998 bejaht. Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Dr.H.G. hat in seinem Gutachten vom 08.07.1999 die Behinderungen mit einem Gesamt-GdB von 60 bewertet und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, H und B bejaht.
Der Beklagte hat nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr.H.T. vom 06.08.1999 mit Schriftsatz vom 29.10.1999 (Eingang beim SG am 03.11.1999) angeboten, die Merkzeichen B und G für die Zeit vom 05.07.1997 (Antragstellung) bis 30.09.1998 zu gewähren. Der Kläger hat daran festgehalten, dass ihm die Merkzeichen B und G auch für die Zeit nach dem 30.09.1998 zuerkannt werden (Schreiben vom 20.04.2000 und 17.05.2000). Weitere Merkzeichen und die Feststellung eines höheren GdB hat er nicht mehr geltend gemacht (Schreiben vom 15.03.2000).
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 04.07.2000 "die über das angenommene Teil-Anerkenntnis vom 03.11.1999 hinausgehende Klage" abgewiesen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens G über den 30.09.1998 hinaus hat es deshalb verneint, weil der Einzel-GdB für die Behinderung des linken Fußes nur 30 betrage. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens B hat es nicht für gegeben erachtet, weil der Kläger die bei ihm möglicherweise in öffentlichen Verkehrsmitteln bestehende erhöhte Unfallgefahr durch das Festhalten mit der uneingeschränkt funktionsfähigen rechten Hand und durch erhöhte Aufmerksamkeit kompensieren könne.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung eingelegt und die Zuerkennung der Merkzeichen B und G über den 30.09.1998 hinaus begehrt. Der Senat hat von dem Orthopäden Dr.A.D. ein Gutachten vom 08.12.2000/09.02.2001/23.03.2001 eingeholt. Dieser hat beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen G und B bejaht. Der Beklagte hat sich mit versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Chirurgen Dr.H. vom 11.01.2001, 08.03.2001 und 25.04.2001 gegen das Gutachten des Dr.A.D. gewandt. Der Kläger hat Fotos vom 18.09.2001 seines linken Fußes vorgelegt, die eine große und kleine offene Wunde im Fußsohlenbereich zeigen, des Weiteren ein Gutachten vom 16.02.2001 des Ltd. Arztes der Unfallchirurgischen Abteilung des Klinikums Kulmbach, Dr.H. , ferner ärztliche Atteste des Dr.S. vom 20.09.2001 und des Dr.K. vom 24.09.2001.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 04.07.2000 aufzuheben und den Abhilfe-Bescheid vom 30.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.1998 abzuändern und dem Kläger die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 04.07.2000 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakten des Beklagten, die beigezogene Unfallakte der Tiefbau-Berufsgenossenschaft, Gebietsverwaltung Ost, 5-96/13725/3E und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Dem Kläger stehen die Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus zu.
Die Entscheidung konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter ergehen (§ 155 Abs 3 und 4 SGG; Meyer-Ladewig, SGG, 6.Auflage, § 155 Rdnr 11).
Streitig ist nur noch die Gewährung der Merkzeichen G und B über den 30.09.1998 hinaus. Das SG hat das "Teilvergleichsangebot" des Beklagten vom 29.10.1999 zu Recht als Teilanerkenntnis gewertet. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis mit Schreiben vom 20.04. und 17.05.2000 konkludent angenommen, indem er erklärt hat, die Merkzeichen B und G müssten ihm auch für die Zeit nach dem 30.09.1998 zuerkannt werden. Für die Form der Annahme gelten dieselben Vorschriften wie für das Anerkenntnis selbst (aaO § 109 Rdnr 22). Ob eine Annahme des Anerkenntnisses gewollt ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (aaO Rdnr 21 unter Verw auf BSG SozR Nr 3 zu § 101 SGG).
Der Kläger erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens G auch über den 30.09.1998 hinaus. Er ist erheblich gehbehindert. Voraussetzung für die Gewährung des Merkzeichens G ist das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (vgl § 60 Abs 1 Schwerbehindertengesetz -SchwbG-). Der Kläger ist in seinem Gehvermögen durch seine Gesundheitsstörungen so stark eingeschränkt, dass er Wegstrecken, die im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, nicht mehr zu bewältigen vermag. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt als ortsübliche Wegstrecke eine Strecke von zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (BSG SozR 3870 § 60 Nr 2). Die Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, ist anhand der tatsächlichen Auswirkungen der medizinisch festgestellten Funktionsausfälle festzustellen. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG 1996 (AHP), Rdnr 30 Abs 3, sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule (LWS) bestehen, die für sich einen GdB um wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, zB bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Aus orthopädischer Sicht liegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nach den Feststellungen des vom Senat gehörten Sachverständigen Dr.A.D. vor. Danach bestehen beim Kläger eine erhebliche Belastungsstörung des linken Fußes infolge traumatischen Fußdefektes nach operativer Resektion des 5.Strahles, Spalthautdeckung und nachfolgenden freien mikrovaskulären Radialislappen mit verbliebenen ungünstigen Narbenverhältnissen an der Belastungsfläche sowie Teilversteifung der Fußgelenke. Hinzu kommen Beschwerden der LWS und eine gewichtsmäßige Überforderung des Skelettsystems durch ein Körpergewicht von 100 kg bei einer Körpergröße von 168 cm. Bereits der Verlust des V.Mittelfußknochens führt zu einer wesentlichen Belastungsstörung des linken Fußes. Zusätzlich verbleibt in solchen verletzten Skelettanteilen eine Bewegungseinschränkung in den betroffenen Gelenken. Die stark verhornte Narbe, die in Längsrichtung im Hauptbelastungsbereich des linken Fußes als postoperative Folge der Hautlappenübertragung besteht, führt zu hochgradigen Schmerzen beim Auftreten, wobei auch das Gehen mit orthopädischen Schuhen keinesfalls schmerzfrei ist. Aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr.A.D. an der Narbe keine Sekretion bestanden hat, kann nicht auf einen fehlenden Belastungsschmerz geschlossen werden. Im Hinblick auf die von Dr.A.D. festgestellten Befunde sind die Angaben des Klägers, er könne nur langsam gehen und müsse nach etwa 50 Metern pausieren, glaubhaft. Derzeit haben sich im Bereich der Narbe an der linken Fußsohle zwei nässende Wunden gebildet. Das Gutachten des Dr.H. - das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet - bestätigt die von Dr.A.D. festgestellte erhebliche schmerzhafte Belastungseinschränkung des linken Fußes. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, eine Gehstrecke von zwei Kilometern in ca einer halben Stunde zurückzulegen. Die von Dr.H. in seinen versorgungsärztlichen Stellungnahmen in den Vordergrund gestellten unwesentlichen Besserungen der Funktionsbeeinträchtigung der linken Extremität gegenüber der Zeit unmittelbar nach dem Unfallgeschehen führen nicht zu einem Wegfall der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Zwar bedingen die Behinderungen des Klägers an der linken unteren Extremität nur einen Einzel-GdB von 30 und verlangen die AHP für die Zuerkennung des Merkzeichens G grundsätzlich Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS mit einem GdB von wenigstens 50. Jedoch lassen sie auch Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50 genügen, wenn sich - wie hier - diese auf die Gehfähigkeit besonders auswirken. Hinzu kommen Beschwerden des Klägers von der LWS, die mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet sind.
Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens B liegen beim Kläger über den 30.09.1998 hinaus vor. Gemäß § 60 Abs 2 SchwbG ist ständige Begleitung bei Schwerbehinderten notwendig, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss (vgl AHP Nr 32 Abs 2 Satz 2). Dabei ist von einem weitgehenden Gefahrbegriff auszugehen (so Rohr/Strässer, Kommentar zu den AHP, A 295). Für die Notwendigkeit ständiger Begleitung reicht es aus, dass Gefahren möglich sind, sie brauchen weder mit Sicherheit einzutreten, noch wahrscheinlich zu sein. Die zu treffende Feststellung, ob eine Begleitung notwendig ist, hat aufgrund der vielfältigen und unterschiedlichen Gegebenheiten der Teilnahme an der öffentlichen Personenbeförderung zu ergehen und setzt somit eine abstrakte Betrachtung aller möglichen Gefahrensituationen voraus (aaO). Der Sachverständige Dr.A.D. - dem der Senat auch insoweit folgt - begründet die Annahme der Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens B mit der unzureichenden Haltefunktion der linken oberen Extremität. Der Kläger leidet nach den Feststellungen des Dr.A.D. an einer Gefühlsabschwächung im Unterarm- und Handbereich links mit Einschränkung der Geschicklichkeit und Kraftminderung der linken Hand. Außerdem leidet er unter einem vom Schultergelenk in den Arm ausstrahlenden Bewegungsschmerz, der sich nicht nur bei typischen Schultergelenksbewegungen, sondern auch bei Ellbogenbewegungen und Unterarmdrehungen äußert. Nach dem Gutachten des Dr.H. besteht beim Kläger nach wie vor eine erhebliche Bewegungseinschränkung im linken Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk sowie im Bereich der Langfinger mit Kraftminderung. Auch leidet er nach wie vor unter einer Störung der Gefühlswahrnehmung am linken Oberarm sowie am linken Unterarm und der linken Hand mit erheblicher Beeinträchtigung der Feinfunktion der linken Hand. Der Kläger, der sich mit der rechten Hand auf eine Krücke abstützt, kann die fehlende Griffsicherheit der linken Hand nicht durch die rechte Hand kompensieren. Er ist also zB beim Besteigen von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ungenügender Greif- und Haltesicherheit der linken Hand beim Anfassen eines Geländers oder Griffs zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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